29.04.2020

Die Seuche ausräuchern

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: vojta_kucer via Pixabay / CC0

Die unbequeme Wahrheit, dass Raucher seltener am Coronavirus erkranken, spricht sich langsam herum. Ob Nikotinpflaster denselben Effekt haben, ist aber zweifelhaft.

Raucher sind wahrscheinlich anfälliger für COVID-19“, schrieb die Weltgesundheitsorganisation vor einigen Wochen, da sie sich ja häufiger ins Gesicht fassen und so. „Hören Sie jetzt auf zu rauchen – es ist höchste Zeit!“, rief die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Kein Wunder, sowohl die WHO als auch die Bundesdrogenbeauftragte nutzen jede sich bietende Gelegenheit, sich negativ über den Tabak auszulassen.

Fakten haben dabei noch nie eine große Rolle gespielt. In der aktuellen Situation der Coronakrise zeigt sich das überdeutlich. In sämtlichen bisherigen Studien finden sich bei den Coronapatienten und -getesteten unterdurchschnittlich viele Raucher. So wenige, dass man das auch nicht mit der geringeren Raucherquote unter den meist älteren Betroffenen erklären kann. Die Studien stammen überwiegend aus China, teils aber auch aus den USA, Frankreich oder Deutschland. Wir stehen noch am Anfang der Corona-Forschung, aber diese Erkenntnis lässt sich konsistent gewinnen, egal ob Wuhan oder New York, Aachen oder Paris, egal ob kleine oder große Stichprobe, egal ob Veteranen oder Schüler.

Daten der US-Seuchenbekämpfungsbehörden zu Tausenden von amerikanischen Patienten zufolge lag der Raucheranteil dort bei lediglich 1,3 Prozent – gegenüber 15 Prozent in der Bevölkerung. Das heißt nicht zwangsläufig, dass sich Raucher seltener infizieren; es könnte auch sein, dass sie sich viel häufiger eines asymptomatischen oder sehr milden Verlaufs erfreuen dürfen.

Ab Anfang März konnte man diese Tendenz erkennen. Schon die fünf ersten Studien aus China sprachen diese Sprache. In Deutschland hat das Netzwerk Rauchen sich vergeblich um Verbreitung dieser Information bemüht. Doch selbst im April, als mehr Studien dieses Bild bestätigten, trauten sich die Mainstream-Medien nicht aus der Deckung. Rauchen soll ja von Übel sein und, so das Framing, der Gesundheit immer und überall schaden. So sind die Verlautbarungen des Netzwerk Rauchen zwar bei verschiedenen Medien auf Interesse gestoßen, zu einer Veröffentlichung kam es aber letztlich nur bei Telepolis (und dort auch in abschätziger Form). In Großbritannien wiederum gelang es dem so berühmten wie betagten Maler (und Raucher) David Hockney, zumindest die Daily Mail zu einer eingehenden Beschäftigung mit dem Thema zu veranlassen.

„Mittlerweile kocht der Zusammenhang so hoch, dass er nicht mehr unterm Deckel gehalten werden kann.“

Mittlerweile kocht der Zusammenhang aber so hoch, dass er nicht mehr unterm Deckel gehalten werden kann. Auch wenn er nicht nur für einen Assistenzarzt aus der Mormonenhochburg Salt Lake City „kontraintuitiv“ wirkt, sondern das in vielen Gesellschaften gegen den Tabakrauch konditionierte Denken in Frage stellt. Wer sich kritisch mit diesem Gegenstand befasst, wird weniger überrascht sein, schließlich werden gesundheitliche Risiken des Rauchens gerne aufgebauscht oder gar erfunden – und über gesundheitlichen Nutzen redet man gar nicht gerne.

Die jetzigen Medienmeldungen kommen über einen Umweg, nämlich die Hypothese französischer Forscher, die Schutzwirkung rühre (ausschließlich) vom Nikotin her. Deshalb wurden nun Studien mit Nikotinpflastern begonnen. Die französische Regierung ließ sogar den Handel mit Pharmanikotin wie Pflastern und Kaugummi einschränken, um ein Hamstern zu vermeiden. Dazu muss man wissen, dass die einschlägigen Pharmakonzerne die Tabakbekämpfung seit Jahrzehnten in Milliardenhöhe finanzieren. Und jetzt wollen sie, durch die Konkurrenz des Dampfens („E-Zigarette“) gebeutelt, die Gelegenheit nutzen, um erneut zu profitieren. „So macht Big Pharma wieder gute Geschäfte und bringt die Auslaufmodelle an die Leute“, urteilt ein Kommentator. Und die Wissenschaftler um Jean-Pierre Changeux, der schon vor Jahrzehnten mit einem einschlägigen Pharmaunternehmen beim Thema Nikotin zusammengearbeitet hat, helfen ihnen.

„Nach jetzigem Stand besteht für Raucher keine größere Gefahr eines gefährlichen Erkrankungsverlaufs.“

Dabei ist gar nicht klar, ob Pharmanikotinprodukte etwas ausrichten können. „Ich bin auch nicht dafür, jetzt irgendwas mit Nikotinpflastern auszuprobieren“, sagt Promi-Virologe Alexander Kekulé, „weil wir auch gar nicht wissen, ob das nicht vielleicht lokal wirken muss.“ Eben. Es ist durchaus plausibel, dass bei einer Atemwegserkrankung der Rauch (vielleicht auch der Dampf?) in den Atemwegen eine Rolle spielt. Aber zum Rauchen rät Kekulé nur scherzhaft.

Dabei können wir froh sein, dass in den derzeit so „relevanten Berufen“ in der Alten- und Krankenpflege sowie an der Supermarktkasse der Raucheranteil relativ hoch liegt. So kann der Betrieb ohne allzu viele Erkrankungen aufrechterhalten werden. Aber von wegen: Man kann es nicht lassen mit den üblichen Appellen. „Hilft Nikotin gegen Corona? Greifen Sie auf keinen Fall zur Zigarette!“, befiehlt RTL. Und die Bild-Zeitung warnt: „Raucher gehören zur Corona-Risikogruppe: Sie haben bei Ansteckung schwere Verläufe der Corona-Infektion zu erwarten!“ Aha. „Tabakrauchen ist zwar kein Risiko für die Ansteckungsgefahr“, so ein von der Bild zitierter ‚Experte‘, „aber höchst wahrscheinlich ein wichtiges Zusatzrisiko für schwere und lebensgefährliche Krankheitsverläufe, wenn man sich infiziert hat.“

Man bekommt als Raucher (und womöglich als Nikotinpflasterkleber) also mit geringerer Wahrscheinlichkeit Corona, aber wenn, dann haut das Virus richtig rein? Da ist wieder einmal der Wunsch Vater des Gedankens der Antiraucher. Ein österreichischer Antiraucher-Arzt- und Aktivist z.B. hatte z.B. schon früh versucht, dies auf der Basis von gerade einmal drei Chinesen in einer Studie zu verbreiten. Besagte Studie wird nach wie vor in Medien als vermeintlicher Beleg zitiert. Ein eilig zusammengeschusterter Überblick, ebenfalls von Antitabak-Seite, kann noch weniger überzeugen. Nach jetzigem Stand besteht für Raucher keine größere Gefahr eines gefährlichen Erkrankungsverlaufs. Die geringere Wahrscheinlichkeit, überhaupt als Patient deswegen behandelt werden zu müssen, legt vielmehr das genaue Gegenteil nahe.

Niemand, der nicht rauchen oder dampfen möchte, muss aus Angst vor dem Virus damit anfangen. Genauso wie niemand gegen seinen Willen zum Aufhören gedrängt werden sollte. Denn einen schlechter geeigneteren Anlass oder Zeitpunkt, das Rauchen aufzugeben, hat es wahrscheinlich noch nie gegeben. Stattdessen sollte man lieber aufhören, gewissen Autoritäten und Narrativen uneingeschränkt Glauben zu schenken.

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