14.04.2022

Die Insel der genesenen Zombies

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Tripwire Interactive via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Infizierte, Geheilte, Tests und Diskriminierung: Der Horrorfilm „The Cured“ von 2017 blickt am Schauplatz Irland in eine dystopische Welt, an der uns heute manches merkwürdig bekannt vorkommt.

Ein Warnschild hängt auf einem Spielplatz: „Ich habe das Maze-Virus“, steht dort, illustriert mit einer Strichzeichnung. „Ich bin klein, aber ich kann dich anstecken“. Kinder als Superspreader? Warum dann nicht gleich den Spielplatz mit rot-weißem Flatterband absperren? Weil die akute Bedrohung zunächst gebannt scheint. Zu sehen ist die Szene im Film „The Cured: Infiziert. Geheilt. Verstoßen“ aus dem Jahre 2017.

Das Maze-Virus verwandelt befallene Menschen in psychotische Killer und Menschenfresser, letztlich in das, was wir aus der Populärkultur als Zombies kennen. David Freynes Horrorfilm vermeidet diesen Begriff allerdings auffällig. Er spielt in Irland, wo das Virus stärker gewütet hat als anderswo.

Die Handlung setzt ein, nachdem man die Infizierten schon lange aufgespürt, vermutlich vielfach getötet, aber auch zu Zigtausenden eingefangen und in Quarantänelager gesteckt hatte. Dort war es gelungen, den Infizierten ein neu entwickeltes Präparat zu verabreichen, das bei den meisten die Symptome der Infektion dauerhaft unterdrückt. „Das Medikament“, so wird verkündet, „verhindert eine neue Infektion oder Übertragung“. Letztere erfolgt genretypisch über Bisse durch Infizierte. Von einem präventiven Einsatz bei Nichtinfizierten, einer Impfung, ist nie die Rede. Dafür aber von einer Nebenwirkung des Mittels: Die Geheilten können sich an ihre Taten im Wahn ihrer ‚Zombiezeit‘ erinnern und werden daher oftmals von Albträumen geplagt sowie von Schuldgefühlen, zumal ihnen oft ihre eigenen Angehörigen zum Opfer gefallen waren.

Allerdings wirkt das Medikament nur bei ungefähr 75 Prozent der Infizierten, für die anderen 25 Prozent hat man noch kein Gegenmittel gefunden. Städte waren jahrelang evakuiert, UN-Truppen sind noch als Unterstützung fürs heimische Militär stationiert, die Normalität für die Nicht-Infizierten kehrt nur langsam zurück. Gleiches gilt für die Geheilten, die, nachdem sie mehrere Jahre eingesperrt und behandelt worden waren, „in die Gesellschaft reintegriert“ werden sollen.

„‚Unsere medizinischen Kapazitäten sind am Limit‘, heißt es im Film. Irgendetwas an diesem Satz klingt seltsam vertraut.“

„Alles wird wieder normal, du wirst sehen“ meint ein Geheilter der dritten Welle kurz vor seiner Freilassung zu seinem Kollegen. Doch weit gefehlt: Dass Menschen entlassen werden, die nur wegen ihrer virusbedingten Unzurechnungsfähigkeit nicht für Schwerverbrechen zur Rechenschaft gezogen worden sind, nagt an der Gesellschaft. Keine alte Normalität mehr.

Geheilte stoßen auf Proteste, es kommt zu Gewalt. Ein militärisches Überwachungssystem unterwirft sie der strikten Kontrolle. „Sie machen einfach, was ich sage, dann wird Ihr Leben wieder … besser“, herrscht ein Uniformierter einen Geheilten an. Später wird er noch deutlicher: „Ich entscheide, ob Ihr Leben glücklich oder furchtbar ist. Sie werden gehorchen und das müssen Sie lernen.“ Der Machtmissbrauch des autoritären Staates in der Epidemie wird deutlich. Als Reaktion darauf bildet sich eine „Allianz der Geheilten“, die Terroranschläge verübt. „Wir werden wie Leprakranke behandelt und haben keine Rechte“, beschwert sich ein Anführer dieser Organisation.

Inmitten dieser angespannten Situation darf der Protagonist des Films, Senan (dargestellt von Sam Keeley), dank seines Geheilten-Status wieder als Pflegekraft in einer Gesundheitseinrichtung arbeiten, nämlich mit als unheilbar geltenden Infizierten. Davon sind rund 5000 eingesperrt, sie sollen, wie offen mitgeteilt wird, einer „humanen Eliminierung“ zugeführt werden, obwohl eine kleine Chance besteht, sie doch noch zu kurieren. „Unsere medizinischen Kapazitäten sind am Limit“, heißt es zur Begründung. Irgendetwas an diesem Satz klingt seltsam vertraut.

„Dass man die Gesellschaft unter Verweis auf einen grippeähnlichen Atemwegsvirus mit einer Sterblichkeit im Promillebereich so auf den Kopf stellen kann, hätten sich nicht einmal Drehbuchautoren träumen lassen.“

Gänzlich fremd erscheint uns heute ebenso wenig, dass sich in „The Cured“ auch Geheilte bisweilen einem Test als Zugangskontrolle unterziehen müssen. Ein Blick auf ein heruntergezogenes Augenlid verrät eine mögliche Gefahr. Ähnlich wie bei der Apparatur im Film „Rebellion der Magier“ verläuft das aber schneller und weniger invasiv als irgendwelche Stäbchen-Tests in Körperöffnungen. Eine in diesem Zombiefilm vorgenommene Trennung von Infizierten und Nicht-Infizierten bei einem Einlass entspricht inzwischen unserer Alltagserfahrung.

Mit ähnlichen Augen können wir auch eine Szene mit der weiblichen Hauptdarstellerin Ellen Page (seinerzeit noch offiziell eine Frau) betrachten, wo der Blick von einem Aussichtspunkt auf die Stadt fällt: „Es ist, als wär‘ nichts passiert.“ Diesen Eindruck können wir heute gleichfalls gewinnen, wenn wir von einer Anhöhe auf die Bebauung schauen. Von oben und außen, an den Fassaden und auf den Dachgipfeln wirkt es wie vor 2020 – vom Ahrtal mal abgesehen. Doch die Gesellschaft, die Menschen sind längst nicht mehr dieselben.

Der größte Unterscheid zwischen Realität und Fiktion besteht wohl darin, dass Drehbuchautoren von Epidemiefilmen noch bis 2019 wie selbstverständlich davon ausgingen, dass spektakuläre politische Veränderungen tief ins Alltagsleben der Menschen hinein nur dann denkbar sind, wenn die zu bekämpfte Erkrankung eine heftige ist. Wie in „Contagion“ mit einer Sterblichkeit im zweistelligen Prozentbereich oder in „Die Hamburger Krankheit“, wo plötzlich Verstorbene auf der Straße liegen. Oder eben in „The Cured“, wo infizierte Erwachsene und Kinder über Mitmenschen herfallen wie Putin über die Ukraine. Dass man die Gesellschaft unter Verweis auf einen grippeähnlichen Atemwegsvirus mit einer Sterblichkeit im Promillebereich so in Atem halten und auf den Kopf stellen kann, hätten sich nicht einmal die professionell Fantasiebegabten träumen lassen. 

Gibt uns „The Cured“ einen Ausblick, wie das Ganze in der Wirklichkeit ausgehen könnte? Zur Handlung sei nichts Näheres verraten, nur so viel: Man sollte nicht zu hoch auf ein Happy End wetten.

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