18.11.2016
„Die haben aber zuerst **** gesagt!“
Kommentar von Robert Benkens
Die Klugen und Guten gegen die Dummen und Bösen? Zu Recht gerät die Arroganz „der Eliten“ nach Trumps Wahlsieg in den Fokus der Kritik. Die Rechtspopulisten sind allerdings nicht besser.
Wer etwas auf sich hält, in der Öffentlichkeit präsent ist und zum angesehenen und progressiven Kreis gehören möchte, der distanziert sich natürlich kopfschüttelnd von der AfD, meist ohne so sehr in die argumentative Auseinandersetzung zu gehen. Gegen diese Partei zu sein, ist in diesen meist urbanen Akademiker-Milieus nicht so sehr Ergebnis der inhaltlichen Debatte, sondern eher eine Frage des Lebensstils, der Zugehörigkeit und des guten Geschmacks. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich vom Diskurs ausgeschlossen und von einer vermeintlichen Mainstream-Lügenpresse für dumm verkauft fühlen, dies aber natürlich durchschauen und die einzig wahre Wahrheit angeblich für sich gepachtet haben. Argwöhnisch stehen sich beide Lager gegenüber, beschuldigen sich wahlweise als „Volksverräter“ oder „-verhetzer“ und steigern sich somit in Ablehnung und Selbstbestätigung.
Jüngst konnten die Folgen einer solchen Spaltung der Gesellschaft an dem unerwarteten und die westlichen Eliten in einen Schockzustand versetzenden Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen beobachtet werden. Hier ist es vor allem die Ost- und Westküstenelite, die sich für weltoffen, tolerant und fortschrittlich und die andere Seite für hinterwäldlerisch, intolerant und rückwärtsgewandt hält. Diese gesellschaftlichen Polarisierungen in so gut wie allen westlichen Gesellschaften resultieren daraus, dass zum einen alte Institutionen und Traditionen nicht mehr den Halt bieten, den sie in früheren Zeiten boten. Die alten Parteien und Gewerkschaften sowie die großen Kirchen sind nicht mehr die unverrückbaren Leitplanken westlicher Gesellschaften. Zum anderen ist die Polarisierung aber auch darauf zurückzuführen, dass tonangebende Eliten für die breiten Massen kaum noch Visionen, sondern nur noch Ermahnungen bereithalten.
„Die Eliten klammern sich an ein statisch-paternalistisches Gesellschaftsbild.“
Das Misstrauen vor allem linksliberaler Eliten diesseits und jenseits des Atlantiks in das „gewöhnliche Volk“, für das linke Parteien und Bewegungen früher entschlossen kämpften, ist umfassend: Haben sich linke Bewegungen früher noch die materielle Verbesserung der Arbeiterklasse auf die Fahnen geschrieben und für technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt gekämpft, klammern sie sich heute an ein statisch-paternalistisches Gesellschaftsbild: Der technische Fortschritt wird zunehmend als Risiko gesehen, der wirtschaftliche Fortschritt als Raubbau an der Natur verurteilt und der gesellschaftliche Fortschritt soll durch Sprechverbote- und Erziehungsprogramme erreicht werden. In allen drei Bereichen hat sich die Linke von optimistisch-fortschrittlichen Visionen verabschiedet und sich auf volkspädagogische Therapiemaßnahmen fokussiert. Zwar wissen diese Eliten nicht mehr wirklich, wofür sie stehen, dafür aber umso mehr, wogegen sie sind und versuchen, dies mit allen Mitteln „dem einfachen Volk“ einzutrichtern.
Viele US-Stars und Leitmedien haben beispielsweise alles versucht, Trump als bösen und lächerlichen Clown dastehen zu lassen – was er auch ist. Allerdings haben sie die Sorgen der potentiellen Wähler – meist die stereotypisch beschriebenen weißen Industriearbeiter vom Lande – eben nicht ernstgenommen, sondern verachten trotz aller Toleranzappelle deren Lebensstil und Weltanschauung. Dass dabei ein exzentrischer Milliardär ohne wirkliche Konzepte und Pläne zum Fürsprecher der abgehängten Arbeiterschicht werden konnte, sollte den Lebensstil-Eliten in den Metropolen der USA zu denken geben. Statt sich über „uncoole“ Lebensstile, das „öde“ Landleben und „rückständige“ Familienwerte und die „irrationalen“ Sorgen von Arbeitern lustig zu machen, sollten sie lieber inhaltliche Alternativen dafür bieten, wie sie wieder für ordentlich Wachstum und vielversprechende Perspektiven sorgen können. Statt dies aber zu tun, hat sich der Wahlkampf in den USA von Seiten der Demokratin Clinton im Wesentlichen auf das Argument beschränkt, dass man mit ihr wenigstens einen Donald Trump im Weißen Haus verhindern könne. Der Schuss ging nach hinten los.
Die tonangebenden Eliten haben durch Sprechverbote und Empörungsrhetorik offene und wichtige Debatten, etwa über Einwanderung oder Wirtschaftswachstum, unterdrückt und zu einer Sache des Glaubens gemacht: Wer wirtschaftliche Sorgen hat und die Klimapolitik kritisch sieht, weil sie viele Arbeitsplätze in traditionellen Branchen vernichten könnte, gerät so schnell in die Gefahr, „Klimaleugner“ genannt zu werden. Wer über den grundlegenden Wandel der US-amerikanischen Gesellschaft angesichts hoher Zuwanderungsraten aus Mexiko oder über Sicherheitsbedenken aufgrund eines politisierten Islam sprechen will, kann schnell als „Rassist“ bezeichnet werden. Wer gendergerechte Unisextoiletten vor allem für ein weltfremdes Thema des akademischen Elfenbeinturms hält, findet sich womöglich bald in der Ecke der „Sexisten“ wieder.
Natürlich bedeutet dies nicht, dass diese Themen gar nicht besprochen werden können oder nicht auf der Tagesordnung stünden. Wer bei all diesen Themen jedoch nicht tunlichst die richtige Wortwahl zum richtigen Zeitpunkt findet, um niemanden zu verletzen, sieht sich schnell mit eben jenen Zuschreibungen konfrontiert. Dieser Fokus und das Sezieren von Sprache und politischen Meinungsäußerungen hat mit den wirklichen Sorgen breiter Massen nichts mehr zu tun – also wählen sie Trump, der dieses Unbehagen in seiner Kampagne aufgegriffen und auf die Spitze getrieben hat, indem er sich bewusst herablassend über Mexikaner, Muslime und Frauen äußerte. Der Effekt war klar: Schaut her, ich rufe heraus, was viele verbieten wollen und gebe nichts auf politisch korrekte Worthülsen!
„Die Wahl von vorlauten Rechtspopulisten ohne Programm zu einem Akt demokratischer und mündiger Souveränität zu erklären, erscheint mehr als zweifelhaft.“
Viele Kommentatoren sehen den Wahlsieg Trumps nun als gerechte Strafe für ebenjene selbstgerechten „linksliberalen Eliten“ an. Der weiße Mann aus dem Hinterland habe sich demgemäß erhoben und den bevormundenden Eliten an den Küsten den Stinkefinger gezeigt. Trumps Sieg ist nach dieser Lesart vor allem den Eliten selbst anzulasten. Allerdings hat diese Erklärung ebenfalls etwas Paternalistisches: Nach dieser Lesart wird „der“ weiße und sich abgehängt fühlende Mann ebenfalls zu einem bemitleidenswerten Objekt, das gar nicht anders könne, als Trump zu wählen, weil die Eliten ihn enttäuscht und vernachlässigt hätten. Die Wahl Trumps erscheint folglich wie eine trotzige und beleidigte Reaktion – was durchaus richtig sein mag, was man aber hinsichtlich des konzeptionslosen und polarisierenden „Programms“ nicht unbedingt begrüßen sollte.
Auch wenn die Selbstgerechtigkeit in vielen Teilen der intellektuellen und veröffentlichenden Eliten dies- und jenseits des Atlantiks eine große Lücke zu den Sorgen der „gewöhnlichen Menschen“ entstehen lassen hat: Die Wahl von vorlauten Rechtspopulisten ohne Programm zu einem Akt demokratischer und mündiger Souveränität zu erklären, erscheint mehr als zweifelhaft. Vielmehr bietet die politische Polarisierung nun gerade liberalen Bewegungen die Chance, vorhandene Meinungsblasen zum Platzen zu bringen und sich selbstbewusst sowohl vom linken Mainstream als auch vom rechten Rand abzuheben – und das vor allem hinsichtlich der Identitätspolitik, die in beiden Lagern zu finden ist: Denn während die Populisten mit ihrer Identitätspolitik auf eine bewusst eskalierende Sprache setzen, haben sich große Teile der intellektuellen Eliten in den vergangenen Jahren auf die Einhegung und Überwachung von Sprache fokussiert.
„Safe Spaces“ statt freie Wissenschaft und Rede
So wurden aus vielen britischen oder US-amerikanischen Universitäten, früher Bollwerke der freien Wissenschaft und freien Rede, zunehmend „Safe Spaces“, in denen das „Verletzen von Gefühlen“ bestimmter Minderheiten dadurch unterbunden werden soll, dass keine allzu offenen und kritischen Debatten über heikle Fragen des Zusammenlebens geführt werden dürfen. Schon die Meinungsäußerung, dass man im Wesentlichen zwei Geschlechter – männlich und weiblich – als normal empfinde, kann so als „heteronormative Gewalt“ betitelt und unterbunden werden, da sie alle anderen möglichen Geschlechterempfindungen verletze. Jüngst wurden den verletzlichen Studenten in amerikanischen Elite-Universitäten nach dem Wahlsieg Trumps sogar Therapie-Stunden angeboten, in denen sie sich über den Sieg ihres Hauptgegners ausheulen konnten. Mit solchen Aktionen fördert man aber kein harmonischeres Zusammenleben, sondern im Gegenteil den Rückzug von Individuen auf ihre jeweilige kulturelle, geschlechtliche, sexuelle oder ethnische Identität. Zudem erntet man bei den meisten Menschen außerhalb von Unis schlicht Kopfschütteln.
Um damit auf die eingangs festgestellte Kluft zwischen politischem Mainstream und Rand zurückzukommen: Erst wenn die Eliten raus aus den großstädtischen Szene-Cafés, raus aus ihren universitären „Safe Spaces“ kommen und sich mit der gesellschaftlichen Realität außerhalb ihrer Wohlfühloasen auseinandersetzen, erst dann ergibt sich die Chance, dass die Kluft zwischen Elite und Masse wieder kleiner wird. Wenn die Eliten aber weiterhin auf Wählerbeschimpfungen und Redeverbote aufgrund einer „falschen“ oder „politisch nicht korrekten“ Einstellung setzen, begeben sie sich nur auf dasselbe Niveau wie die Populisten und vertiefen den Graben. Wer glaubt, die Bevölkerung vor freien Debatten schützen zu müssen, da sie sonst von falschen Ideen verführt werden könnte, hält entweder seine eigenen Argumente oder aber seine Mitbürger für zu schwach. Ausgerechnet ein Grüner hat nach dem US-Wahlen an sein Milieu appelliert: „Wir Grüne sollten daraus [Trumps Sieg, Anm. d. Red.] lernen und nicht denselben Fehler begehen. Dazu müssen wir als Erstes den Duktus der moralischen Überheblichkeit ablegen. Nicht jede abweichende politische Meinung ist per se unmoralisch“.
„Wer glaubt, die Bevölkerung vor freien Debatten schützen zu müssen, hält entweder seine eigenen Argumente oder aber seine Mitbürger für zu schwach.“
Das bedeutet zweifellos nicht, dass nicht mehr auf die Gefahr rückständiger und extremistischer Bewegungen hingewiesen werden sollte, aber bloße Warnungen und ein erhobener Zeigefinger sollten die Debatte nicht bestimmen. Eine pauschale und einseitige Verdammung aller Linken-Anhänger als DDR-Ostalgiker, aller AfD-Anhänger als notorische Fremdenfeinde, aller Erdogan-Anhänger als fremdgesteuerte Marionetten und aller Trump-Wähler als dumme Rednecks hilft in den jeweiligen Debatten keinen Schritt weiter, sondern vertieft die politischen Gräben im Zweifel nur noch. Von John Stuart Mill, einem der Urväter des Liberalismus, ist die Aussage überliefert, dass wir nie sicher sein könnten, dass die Ansicht, die wir zu unterdrücken suchen, falsch sei und selbst wenn wir hier sicher sein könnten, wäre die Unterdrückung immer noch ein Übel. Nicht die penible Suche nach dem „falschen“ Gedanken oder der „politisch inkorrekten“ Einstellung, sondern die offene Debatte und inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der jeweils anderen Seite sollte im Vordergrund stehen.