03.02.2025
Der Klimawandel ist ein Problem unter vielen
Von Thilo Spahl
Ein führender Klimaforscher meint, es sei an der Zeit, sich von der Illusion der „Klimarettung“ zu verabschieden.
Mike Hulme ist Professor an der Universität Cambridge und beschäftigt sich seit Anfang der 1980er Jahre intensiv mit dem Klimawandel. Er arbeitete als leitender Autor am zweiten und dritten Sachstandsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) mit und war Mitglied der Climatic Research Unit an der University of East Anglia, wo er später das renommierte Tyndall Centre for Climate Change Research gründete. In seiner über 40-jährigen Karriere hat er in 43 Ländern zum Thema Klimawandel geforscht, gelehrt und öffentlich gesprochen. Er ist Mitherausgeber u. a. der Zeitschrift Global Environmental Change und Chefredakteur von Interdisciplinary Reviews of Climate Change (WIRE's Climate Change). In einem lesenswerten Essay, der kürzlich als Gastbeitrag auf dem Blog von Roger Pielke Jr. erschienen ist, reflektiert er über seine sich wandelnde Perspektive auf das Verhältnis von Klimaschutz und Geopolitik.
Hulme erläutert darin einen grundlegenden Wandel seiner Sichtweise: Während er lange Zeit davon überzeugt war, dass „der Klimawandel die wichtigste Herausforderung für die Menschheit im 21. Jahrhundert ist“ und dass sich die Geopolitik den Realitäten des Klimawandels unterordnen muss, hat er inzwischen erkannt, dass es genau umgekehrt ist. Unsere Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels und zur Anpassung an die sich ändernden klimatischen Bedingungen müssen in den globalen Kontext einer sich in vielerlei Hinsicht verändernden Welt eingebettet sein.
Er beschreibt eine Reihe von entscheidenden historischen Phasen und Ereignissen, die den Umgang mit dem Klimawandel beeinflusst haben: Die „optimistische Phase“ von 1985 bis 1995 war geprägt von einem fast grenzenlosen Optimismus hinsichtlich einer neuen Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges. Westliche Werte galten als universell und die USA schienen eine „wohlwollende" Führungsrolle in der Welt zu übernehmen. In dieser Zeit wurde auch der IPCC gegründet, der die wissenschaftliche Autorität in Klimafragen verkörperte. Mit einem „Weltklimarat“, glaubte man, könne man das Weltklima gestalten. Die Entdeckung des Ozonlochs 1985 und der Erfolg des Montrealer Protokolls 1987 schienen zu bestätigen, dass globale Umweltprobleme durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden können.
„Unsere Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels und zur Anpassung an die sich ändernden klimatischen Bedingungen müssen in den globalen Kontext einer sich in vielerlei Hinsicht verändernden Welt eingebettet sein.“
In dieser Phase entstand das, was der Sozialwissenschaftler Dan Sarewitz später den „Plan" nannte: Die Annahme, dass wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel automatisch zu einem Konsens über notwendige Maßnahmen führen würden. Diese Zeiten sind längst vorbei. Auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen. Hulme schreibt: „Während sich das Weltklima in diesen 40 Jahren zweifellos verändert hat, haben sich die Geopolitik, die Demografie und die Kultur der Welt noch stärker verändert. Allzu oft sind die Sprache, die Rhetorik und die Kampagnen rund um den Klimawandel einer Welt verhaftet, die es nicht mehr gibt“.
Bereits zur Jahrtausendwende änderten sich die internationalen Rahmenbedingungen und es zeigte sich, dass „dem Plan“ nicht automatisch die Umsetzung folgte. Das Kyoto-Protokoll von 1997 brachte kaum messbare Emissionsreduktionen. Tony Blairs Versuch einer internationalen Klimadiplomatie (2003-2005) scheiterte. Die globale Finanzkrise 2008 lenkte die Aufmerksamkeit auf andere Prioritäten. Entscheidend war auch das Scheitern des Waxman-Markey-Gesetzes zur Einführung eines Emissionshandels im US-Senat 2009.
Als „Winter der Ernüchterung“ bezeichnet Hulme die Ereignisse um den Jahreswechsel 2009/2010: Die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009, die als „wichtigstes Treffen in der Geschichte der Menschheit" angekündigt worden war, habe einige grundlegende Veränderungen offenbart: Chinas wachsender politischer und wirtschaftlicher Einfluss wurde deutlich, die Ohnmacht der EU-Klimadiplomatie wurde sichtbar und die Grenzen des Internationalismus traten zutage. Zudem erschütterte die „Climategate"-Kontroverse um geleakte E-Mails zwischen Klimawissenforschern das Vertrauen in die Klimawissenschaft.
„Als immer deutlicher wurde, dass die Klimadiplomatie keine nennenswerten Erfolge erzielte und „Klimaschutz“ alles andere als ein Selbstläufer ist, nahm ab 2015 der Aktivismus zu.“
Hulme selbst war spätestens 2008 klar, dass die alte Idee eines globalen „Klimaschutzes“ keinen Bestand haben konnte. In diesem Jahr veröffentlichte er ein kurzes Papier, „Five Lessons of Climate Change: a personal statement“, in dem seine heutige Position schon deutlich zum Vorschein kam. Der Schlusssatz lautet: „Für mich ist nicht klar, dass wir dafür ein globales Klimaregime brauchen; die Suche nach einem solchen Regime könnte sogar davon ablenken, zielgerichtete Maßnahmen in Bezug auf diese fünf Lektionen zu ergreifen.“
Es folgte die Phase der Deglobalisierung: Mit dem Arabischen Frühling 2011 und dem darauf folgenden syrischen Bürgerkrieg begann eine Zeit wachsender internationaler Spannungen. Nationalismen gewannen an Bedeutung, zuerst in Russland, dann in den USA, Brasilien und Teilen Osteuropas. Gleichzeitig startete China seine „Belt and Road"-Initiative, die seine globalen Ambitionen verdeutlichte.
Als immer deutlicher wurde, dass die Klimadiplomatie keine nennenswerten Erfolge erzielte und „Klimaschutz“ alles andere als ein Selbstläufer ist, nahm ab 2015 der Aktivismus zu. Hulme beschreibt, wie die Klimabewegung auf diese Entwicklungen reagierte: mit mehr und „erschreckenderer" Wissenschaft, mit der Einführung neuer Konzepte wie „CO2-Budgets" und „Netto-Null-Emissionen", um die Illusion der Möglichkeit einer schnellen globalen Energiewende aufrechtzuerhalten, mit der Entwicklung der Attributionsforschung zu Wetterextremen, um den Skeptikern zu „beweisen“, dass alles nur noch schlimmer werde, und mit der Verschärfung des Temperaturziels im Pariser Abkommen von 2°C auf 1,5°C. Die Sprache wurde dramatischer („Klimakrise" statt „Klimawandel"), Fristen wurden gesetzt („Zwölf Jahre, um die Klimakatastrophe abzuwenden"), „Notstände“ wurden ausgerufen. Mit neuen Protestformen unter Einschluss von Schulkindern, Großmüttern und dem UN-Generalsekretär wurde der Alarmismus auf neue Höhen getrieben und „Wohlfühlerfolge“ im Kampf gegen die fossilen Mächte gefeiert.
„Hulme betont, dass das Klima weder das Einzige noch notwendigerweise das Wichtigste ist, was sich zu unseren Lebzeiten ändern wird.“
Doch statt innezuhalten und sich in Ruhe der Rettung des Klimas zu widmen, ging das Weltgeschehen weiter: mit dem Brexit, Russlands Krieg gegen die Ukraine, erstarkenden Nationalbewegungen in Europa und auch neuen Formen des „Klimaskeptizismus“, etwa bei Bauern oder den französischen Gelbwesten. Die Grenzen der klimapolitischen Ambitionen wurden deutlich. Selbst die Corona-Pandemie konnte das von Roger Pielke Jr. formulierte „eiserne Gesetz der Klimapolitik" nicht brechen: Wenn ökologische und ökonomische Ziele in Konflikt geraten, setzen sich die ökonomischen durch.
Hulme zieht aus dieser Entwicklung den Schluss, dass der Klimawandel grundlegend falsch eingeschätzt wurde: „Der Klimawandel ist kein Asteroid, der auf die Erde zurast." Er ist kein isoliertes Problem, das durch konzertiertes globales Handeln gelöst werden kann. Vielmehr sei er „untrennbar verbunden mit staatlich geförderter Erdölgewinnung, indischer Kohle, der Demographie Afrikas, dem in warme, klimafreundliche Worte verpackten unerschütterlichen Eigeninteresse Chinas und dem legitimen Streben der Hälfte der Weltbevölkerung nach den Segnungen der energieintensiven Moderne“. Er sieht daher die Notwendigkeit eines tieferen Verständnisses der politischen Realitäten und Machtverhältnisse, das über den Glauben an die Wissenschaft als zwingende Kraft hinausgeht. Der Klimawandel ist für ihn weder ein Notfall noch eine Krise, sondern, in den Worten von Jason Maloy, ein politisches Epos – „ein kollektiver menschlicher Prozess mit allmählicher Entwicklung, unklaren Ursprüngen und undramatischen Ergebnissen“.
Wie geht es weiter? Die Welt wird ihr Energiesystem langsam dekarbonisieren, während sich die Erde weiter erwärmt. Die Gesellschaften werden sich an veränderte Klimabedingungen anpassen, so wie wir es schon immer getan haben. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Hulme betont, dass das Klima weder das Einzige noch notwendigerweise das Wichtigste ist, was sich zu unseren Lebzeiten ändern wird. Auch Technologie, kulturelle Werte und politische, wirtschaftliche und militärische Machtzentren haben sich seit Beginn seiner Klimaforschung vor 40 Jahren dramatisch verändert. Seine persönliche Entwicklung beschreibt er als einen Weg „vom Idealisten zum Pragmatiker und vom Pragmatiker zum Realisten" – keine besonders verheißungsvolle Entwicklung, aber eine Entwicklung, die die komplexen Realitäten der Weltpolitik anerkennt.