28.09.2016

Der dritte Kandidat

Kommentar von Tim Black

Titelbild

Foto: MikeFZiethlow via Pixabay (CC0)

Zurzeit stehen in Amerika zwei wenig attraktive Präsidentschafts-Kandidaten zur Auswahl. Lernen Sie den dritten Kandidaten kennen.

Nach dem ersten Fernsehduell zwischen Donald Trump und Hillary Clinton fragen sich viele Wähler, warum sie überhaupt an der Wahlurne auftauchen sollten. Dabei gibt es auch einen Kandidaten, der ihre Unterstützung verdient hätte. Im Juli war Gary Johnson, von 1995 bis 2003 zweimaliger Gouverneur des Bundesstaats New Mexico, eifrig damit beschäftigt, einem Journalisten des New Yorker zu erklären, warum er es aufgegeben hatte, der Präsidentschaftskandidat der Grand Old Party zu werden: „Durch die frühen Vorwahlen schaffst du es nicht, weil du rausgehen und Schwulen-, Abtreibungs-, Drogen- und Immigrationsgegner ansprechen musst – und allen von ihnen widerspreche ich.“

Deswegen ist Johnson nicht nur der Libertarian Party beigetreten – er ist inzwischen auch ihr Präsidentschaftskandidat, unterstützt von einem anderen ehemaligen Republikanischen Gouverneur, Bill Weld, der als sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft antritt. Da Johnson momentan in den Umfragen zehn Prozent erreicht und die Medien ihn zunehmend wahrnehmen – einschließlich der Unterstützung durch die zweitgrößten Zeitung des US-Bundesstaates Virginia, der bisher stark republikanisch geprägten Richmond Times-Dispatch – ist es vorstellbar, dass er den magischen Umfragewert von 15 Prozent erreicht und sich für die zukünftigen TV-Debatten qualifiziert, dem politischen Äquivalent des Superbowls, wie es Johnson selbst bezeichnet.

„Der eine Kandidat ist illiberal und autoritär, mit einem zweifelhaften Sinn für Wahrheit, und der andere ist Donald Trump.“

In vorrangegangen Wahlen wäre Johnsons Aufstieg undenkbar gewesen. Aber diese Wahl ist anders, fast schon einzigartig. Und das liegt an den beiden Kandidaten der beiden großen Parteien. Donald Trump und Hillary Clinton werden von großen, wenn auch völlig unterschiedlichen Teilen der US-Wählerschaft verachtet. Und das aus gutem Grund. Der eine Kandidat ist illiberal und autoritär, mit einem zweifelhaften Sinn für Wahrheit, und der andere ist, so könnte man scherzen, Donald Trump.

Selten war die Wahl zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten unattraktiver. Clintons zynische Kampagne beruht auf den ungesunden Ursprüngen der Identitätspolitik, erstens, indem sie den Umstand hochspielt, dass sie eine Frau ist – man sollte eigentlich meinen, dies sei längst anerkannt –, und zweitens, indem sie versucht, jene anzusprechen, die ihr Kampagnenteam ihren „Schutzwall“ nennt, nämlich schwarze Wähler. Und dann ist da Trump, ein Hohlkopf mit beknackter Frisur, der sich am Vakuum des Establishments laut und ungehobelt immer weiter aufsaugt, während sich seine alternativ-rechten Fanboys dabei einnässen. Er erntet mit seiner antipolitischen und stets vage-konspirativen Vorstellung die Früchte, während die Sonne über der inhaltsleeren Technokratie untergeht, die Leute wie Clinton inzwischen verkörpern.

Deswegen ragt Johnson heraus. Zunächst ist dieser 63 Jahre junge Anzug-mit-Sneaker-Typ einfach immens angenehm. Er ist nicht von seinem eigenen Ego zerfressen, er ist in einer geradezu selbsterniedrigenden Weise offenherzig, und erfrischend frei von identitärer Attitüde, sei es Clintons „Großmutter weiß es am besten“-Masche oder Trumps symptomatischem Selbstmitleid des weißen Mannes. Johnson ist aber vor allem eines: prinzipientreu. Er tritt als Präsidentschaftskandidat an, weil er an etwas glaubt, das über den Imperativ, gewählt zu werden, hinausgeht. Oder: Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

„Johnson ist aber vor allem eines: prinzipientreu“

Wie seine Kandidatur für die Libertarian Party andeutet, sind sein Zweck und sein Prinzip die Freiheit und sein politisches Ziel ist die Ausweitung der Freiheit. Wie er dem Richmond Times-Dispatch mitteilte: „Ich stehe immer auf der Seite der persönlichen Entscheidung, so lange diese Entscheidungen nicht andere schädigen“. Oder wie es seine Kampagnenwebsite darstellt: „Ich will die Regierung aus deinem Leben raushalten. Raus aus deinem Telefon. Raus aus deinem Schlafzimmer. Und wieder zurück zur Pflicht, deine Freiheiten zu schützen, statt diese einzuschränken... Menschen, nicht Politiker, sollten Entscheidungen über ihr Leben treffen. Verantwortliche Erwachsene sollten frei darin sein, zu heiraten wen sie möchten, sich zu bewaffnen, wenn sie möchten und ihr persönliches Dasein so zu führen, wie es ihnen passt.“

Diese Verpflichtung zur Freiheit beruht auf der Überzeugung, dass wir selbst wissen, was am besten für uns ist – das ist die Überzeugung, auf der die Demokratie insgesamt fußt. Auf dieser Überzeugung beruht alles andere. Johnson will dieses Symbol staatlicher Unfehlbarkeit, die Todesstrafe, abschaffen; er will Marihuana legalisieren (was der ermüdende Fokus eines Großteils der medialen Berichterstattung ist) und er will die Privatsphäre schützen, speziell in ihrer prekären Lage im Internet (oder, wie er es sagt, „es nichts am Internet nichts zu beanstanden, was die Regierung beheben müsste.“)

Aber es sind die großen Themen, bei denen seine Hingabe zur Freiheit deutlich wird. Während Trump die Gefahr durch „illegale“ Einwanderung hochpuscht und davon spricht, eine Mauer zu bauen, um die Hispanics draußen zu halten, wählt Johnson einen wesentlich liberaleren Weg. Trumps Phrase der „illegalen Migranten“ („nicht erfasste Arbeiter“ ist Johnsons präferierte Wortwahl), hält er entgegen: „Sie kamen so in dieses Land, weil sie nicht legal reinkamen und weil die Jobs da sind, und du oder ich hätten dasselbe getan.“

Bezüglich Trumps mexikanischer Mauer ist Johnsons Haltung eindeutig: „Das einzige, was eine große Mauer bewirkt, ist ein Ansteigen der Höhe der Leitern, tiefere Tunnel und breitere Unstimmigkeiten zwischen uns. Kandidaten, die sagen, dass sie die Grenzen militarisieren, Zäune bauen und Strafmaßnahmen für gute Leute einführen wollen, gründen ihre Position auf populistischer Rhetorik, nicht auf praktikablen Lösungen.“

„Zu meinen Lebzeiten ist mir kein Beispiel für einen Regimewechsel begegnet, der die Dinge verbessert hätte.“

Dementsprechend ist Johnsons außenpolitische Position durch ein Gespür für die Selbstbestimmung anderer geprägt. „Nicht isolationistisch, aber non-interventionistisch“, wie er es beschreibt. Man vergleiche das mit Trumps oberflächlicher Kampfeslust oder Clintons Unterstützung für die Irak-Invasion 2003 und ihrer tatsächlichen Teilnahme als US-Außenministerin am Syrien-Konflikt, einschließlich ihres Verfechtens einer verdeckten Unterstützung von Assad-Gegnern. Über die US-Beteiligung an sogenannten „Regimewechseln“ sagt Johnson: „Zu meinen Lebzeiten ist mir kein Beispiel für einen Regimewechsel begegnet, der die Dinge verbessert hätte.“

Im Gespräch mit der Military Times sagte er: „Ich rege mich über Politiker auf, die sich auf die Brust trommeln, um auf Kosten unserer diensttuenden Frauen und Männer den Terrorismus zu bekämpfen.“ Zugegeben, er ist kein Pazifist. „Wir müssen ein starkes Militär aufbauen“, heißt es auf seiner Website. „Aber“, fuhr er fort, „wir sollten nicht versuchen, unsere militärische Stärke zu nutzen, um die Probleme der Welt zu lösen. Auf diese Weise schafft man sich neue Feinde und einen fortwährenden Krieg. Davon abgesehen haben wir hier zu Hause genug Probleme, die zu lösen sind.“

Es mag einiges geben, bei dem man Johnson widersprechen kann, aber mit seinem prinzipientreuen Pragmatismus und seiner tief verankerten Hingabe, unsere Freiheiten auszuweiten, ist er der einzige Kandidat in der bevorstehenden Präsidentschaftswahl, bei dem eine Unterstützung in Frage käme.

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