09.11.2016

Das Lohngleichheitsgesetz ist eine Lüge

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: helpsg via Pixabay / CC0

Das Lohngleichheitsgesetz soll die gleiche Bezahlung der Geschlechter fördern. Das Gesetz beruht auf Mythen und bringt allenfalls wenigen gutverdienenden Frauen ein paar Euro mehr. Stattdessen sollte man wieder mehr Lohn für alle fordern.

Nachdem im letzten Jahr die Frauenquote mit großem parlamentarischem Jubel eingeführt wurde, soll in diesem Jahr ein neues Vorzeigeprojekt der Bundesfamilienministerin folgen. Das Lohngleichheitsgesetz beansprucht alles, was immer richtig ist: Transparenz, Gerechtigkeit (oder auch Gleichheit, was für viele das Gleiche ist wie Gerechtigkeit) und Unterstützung von Frauen. Wird es verabschiedet, werden Firmen ab 200 Mitarbeitern verpflichtet, Berichte über Gehaltsstrukturen zu verfassen. Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sollen mindestens alle fünf Jahre ein Prüfverfahren zur Lohngerechtigkeit durchführen.

Obwohl nicht speziell auf Frauen ausgerichtet, wird der Gesetzentwurf als Etappensieg der Emanzipation verkauft. Frauen, so heißt es auf der Homepage des Ministeriums, verdienen in Deutschland im Durchschnitt 21 Prozent weniger als Männer. Die Lohnfindung sei eine „Black Box“, hinter die sich Arbeitgeber versteckten, um Männer gegen Frauen auszuspielen, behauptet Familienministerin Manuela Schwesig. Was sie damit meint, bleibt rätselhaft. Wenn Männer gegen Frauen ausgespielt würden, bedeutete dies ja, dass dabei beide den Kürzeren ziehen. Trotzdem wird das Gesetz insgesamt positiv aufgenommen. Transparenz, lobt die taz, sei das zentrale Stichwort aus dem Ministerium. Das neue Gesetz mache die Lohnungleichheit sichtbar. Künftig erhielten mehr als 14 Millionen Beschäftigte das Recht, zu erfahren, wie sie im Vergleich zu anderen bezahlt werden.

Mit der Transparenz aber ist es so eine Sache. Denn schon die Behauptung, Frauen verdienten in Deutschland über ein Fünftel weniger als Männer ist, gelinde ausgedrückt, irreführend. Kaum transparent gemacht wird vom Ministerium, wie diese Zahl zustande kommt. Sie beruht auf Berechnungen des Statistischen Bundesamtes sowie einer im Auftrag der EU-Kommission erstellten Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), die im Frühjahr dieses Jahres veröffentlicht wurde. Es ist nicht das erste Mal, dass eine riesige Lücke zwischen den Einkommen von Frauen und Männern, „Gender Pay Gap“ genannt, in Deutschland ausgemacht wurde. Doch selten wird erwähnt, dass es sich dabei um eine sogenannte „unbereinigte“ Statistik handelt. Sie erlaubt keine Rückschlüsse darüber, wie hoch der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern mit gleicher Qualifikation und bei gleicher Arbeit wirklich ist. Das geht auch aus den Studien deutlich hervor. So sind laut HWWI -Studie mehr als zwei Drittel der Gehaltslücke darauf zurückzuführen, dass Frauen (vor allem ältere), andere Tätigkeiten ausüben als Männer.

„Frauen arbeiten überdurchschnittlich in Bereichen, in denen weniger gezahlt wird.“

Die Branchenzugehörigkeit von Frauen sei entscheidend, so die Botschaft aller Studien. Sie bestätigen damit, was seit langem bekannt ist: Frauen arbeiten überdurchschnittlich in Bereichen (Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialwesen), in denen weniger gezahlt wird. Auch Männer, die in diesen Branchen tätig sind, verdienen wenig. Hinzu kommt, dass Frauen häufiger auf Teilzeitjobs umsteigen, wenn z.B. Kinder zur Welt kommen. Diese Erkenntnis deckt sich auch mit dem Ergebnis einer weiteren Studie, die vom wirtschaftsnahen IW Institut ebenfalls im Juni veröffentlicht wurde und noch zusätzliche Faktoren wie Größe des Betriebs, Jahre der Arbeitserfahrung und Verantwortung im Beruf mitberücksichtigt. Interessant ist, dass alle Studien (HWWI, IW und eine neuere der Karriereplattform Glassdoor) die tatsächliche Lohnlücke bei zwischen 5,5 und 7 Prozent verorten.

Doch auch diese, „unerklärte“ Gender Pay Gap“ wird von ihnen anders interpretiert als von Frau Schwesig. Im Vorwort der HWWI-Studie heißt es: „Bei der Interpretation der Zahlen ist zu bedenken, dass der unerklärte Teil der Lücke keineswegs zwingend mit Diskriminierung gleichzusetzen ist.“ Möglich, so die Autoren, dass sie auf Bildungs- und Qualifikationsunterschiede zurückzuführen sei. Unabhängig von all dem gibt es noch eine wirklich gute Nachricht: Wir haben es mit einem rückläufigen Phänomen zu tun, denn ältere Studien weisen einen höheren echten „Gender Pay Gap“ aus. Doch auch dieser positive Trend wird vom Bundesfamilienministerium geflissentlich verschwiegen.

Vielleicht ist es naiv, zu glauben, dass sich die Politik stets an der Wahrheit ausrichtet, wenn es darum geht, sich zu profilieren. Transparenz jedenfalls scheint im Falle des Lohngleichheitsgesetzes nichts mit Ehrlichkeit zu tun zu haben. Stattdessen geht es um das Ziel, immer mehr Bereiche des Arbeitslebens mit der Macht des Gesetzgebers zu durchleuchten und zu kontrollieren. Für Frauen und Männer, die ein Interesse an Gleichberechtigung haben, ist dies keine gute Nachricht. Zum einen, weil damit gegen Prinzipien verstoßen wird, die uns allen wichtig sein sollten. Aus gutem Grund wird von den Repräsentanten des Staates verlangt, mit sauberen (bereinigten) Statistiken zu arbeiten, statt Vorurteile zu beflügeln. Wenn z.B. ein Vertreter der Polizei im Zusammenhang mit Diskussionen über Einwanderung meldet, es habe innerhalb von fünf Monaten 70 Einsätze auf dem Bautzener Kornmarkt gegeben und dabei nicht erwähnt, dass nur 11 der Vorgänge von Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund begangen wurden, wird er zurecht kritisiert.

Die gleiche Strenge sollten wir in der Lohndebatte einfordern. An den strukturellen Problemen, die dazu führen, dass Frauen eher in Teilzeit oder in schlechter bezahlten Jobs arbeiten und bei Familiengründung längere Auszeiten nehmen, wird das neue Gesetz nichts ändern. Stattdessen bedient es eine alte, spalterische Ideologie, die davon ausgeht, dass Frauen die Opfer einer intrigierenden und betrügerischen Männerwelt sind. Das aber ist eine Vorstellung, die nicht nur faktisch falsch ist, sondern auch die vielen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte für Frauen, auch auf dem Arbeitsmarkt, einfach übergeht.

Interessant ist, dass dieser Gesetzentwurf es überhaupt so weit bringen konnte. Der Grund liegt nicht in der Überzeugungskraft seiner Befürworter, sondern dem Rechtfertigungsdruck der Gegner. Zwar haben wirtschaftsnahe Kreise davor gewarnt, hier werde ein neues Bürokratiemonster geschaffen. Doch in einer Zeit, in der ständig und überall der Rhetorik der Transparenz und Gerechtigkeit gehuldigt wird, fällt ihnen die Abwehr schwer: „Wir können uns öffentlich schlecht gegen ein Gesetz stellen, das mehr Lohngerechtigkeit zum Ziel hat“, hieß es entsprechend in der CDU-Bundestagsfraktion. Hinzu kommt, dass das Gesetz, wie auch schon zuvor die Quote, bei vielen gut vernetzten Mittelklassefrauen auf Zustimmung stößt. Manche erhoffen sich von dem neuen Gesetz einen weiteren, kleinen, unmittelbaren persönlichen Vorteil. Diese Sicht fasst die Journalistin und Karrierespezialistin Tina Groll in einem Beitrag für die Zeitung Die Zeit zusammen: „Bei einem monatlichen Bruttomonatslohn von 3500 Euro beträgt die Lohnlücke der Frauen 280 Euro. Bei einem Jahresgehalt mit 12 Monatslöhnen sind das immerhin 3360 Euro, die eine Frau weniger im Jahr verdient“, schreibt sie.

Manchen gutverdienenden Frauen mag das Gesetz tatsächlich ein Sahnehäubchen versprechen. Aber glaubt jemand wirklich, dass es Kassiererinnen, Arzthelferinnen oder Altenpflegerinnen zu einem höheren Gehalt verhelfen wird? Wer sich für das Gesetz ausspricht, nimmt seine potentiell spalterische Auswirkung in Kauf. Diese wurde, wenn auch unfreiwillig, vor einigen Tagen durch eine Aktion einer kleinen Gruppe von Gewerkschafterinnen (Verdi-Frauen) in Mülheim deutlich. Die Gruppe, darunter die Verdi-Kreisgeschäftsführerin des Bezirks Mülheim-Oberhausen, warb auf der Fußgängerzone für das Lohngleichheitsgesetz. Interessant dabei war, dass sie sich als Floristinnen, Reinigungsfrauen oder Pflegekräfte verkleidet hatten, denn die echten Vertreter dieser Berufsgruppen haben es bisher, aus guten Gründen, vermieden, für das Gesetz auf die Straße zu gehen.

„Es gab eine Zeit, da kämpfte die Arbeiterbewegung für höhere Löhne für alle.“

„Reinigungskräfte, die meist im Gebäude arbeiten (und meistens weiblich sind) bekommen pro Stunde 9,80 Euro; Gebäudereiniger, die ein Gebäude von außen pflegen (meistens Männer) 12,98 Euro“, stand auf einem der Plakate, das die Damen hochhielten. Auf einem anderen wurde gefragt, ob es gerecht sei, dass die Altenpflegerin mit 9,75 Euro pro Stunde weniger verdient als der Mechatroniker mit 10,35 Euro/Stunde. Diese Zuspitzung zeigt, wie einschränkend die Fixierung auf den sogenannten Gender-Pay-Gap ist. Um „Gerechtigkeit“ im Sinne der „Gleichheit“ herzustellen, würde es genügen, das Gehalt des Gebäudereinigers oder Mechatronikers zu verringern.

Zwar dürfen wir davon ausgehen, dass dies nicht die Intention der Verdi-Damen ist, aber es bleibt doch die ungute Frage, was als das größere Problem angesehen wird: Die Lohnungleichheit oder die Tatsache, dass manche Berufsgruppen einfach sehr wenig verdienen. Hinzu kommt, dass Gerechtigkeit ein schwammiger, weil oft subjektiver Begriff ist. Vielen dürfte es einleuchten, dass ein Gebäudereiniger (oder eine Gebäudereinigerin), der oft in großen Höhen arbeiten muss und den Elementen ausgesetzt ist, eine Gefahrenzulage erhält, die einer Reinigungsfrau nicht zustehen. Vor allem aber stellt sich die Frage, welcher Gerechtigkeitsbegriff hier eigentlich zugrunde gelegt wird.

Könnte es sein, dass das Lohngleichheitsgesetz von Manuela Schwesig Männer und Frauen viel stärker gegeneinander ausspielt als die berühmte Black Box der Arbeitgeber? Es gab eine Zeit, da kämpfte die Arbeiterbewegung für höhere Löhne für alle. Doch was ist schon von einem Gesetz zu erwarten, mit dem sich vor allem die Politik profilieren möchte?

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