19.08.2013

„Der öffentliche Diskurs ist seit Jahren frauenfokussiert“

Interview mit Walter Hollstein

Der Männerforscher Walter Hollstein erklärt die aktuelle Krise des „Starken Geschlechts“: Klassisch männliche Werte haben es schwer. Jungs sind Bildungsverlierer, Männer werden diskriminiert.

 Herr Hollstein, Sie zählen zu den bekanntesten Männerforschern im deutschsprachigen Raum. In Ihrem 2012 erschienen Buch Was vom Manne übrig blieb. Das missachtete Geschlecht [1] meinen Sie, entgegen der landläufigen Auffassung seien heute nicht mehr Frauen, sondern Männer das benachteiligte Geschlecht. Sie beschreiben Männer als die großen Modernisierungsverlierer. Frauen sind überall auf dem Vormarsch, das männliche Geschlecht hingegen steckt in einer großen Krise. Wie kommen Sie darauf?

Da gibt es zunächst mal ein Missverständnis. Ich habe nie und nirgends Männer als das benachteiligte Geschlecht bezeichnet. Ich weise viel mehr darauf hin, dass es auch auf der Seite von Jungen und Männern diverse Problemlagen und Diskriminierungen gibt. Da setzt dann auch meine prinzipielle Kritik an, dass der öffentliche Diskurs seit Jahren frauenfokussiert ist und dementsprechend nur Benachteiligungen von Mädchen und Frauen wahr genommen werden. Jungen werden heute zum Beispiel im gesamten Bereich von Bildung und Förderung vernachlässigt. Männer sind diskriminiert in den Bereichen von Gesundheit, Lebenserwartung, Vorsorge und Arbeitsschutz. Sie müssen Militärdienst leisten, was Frauen nicht müssen. Sie haben die gefährlichsten und dreckigsten Jobs zu übernehmen; ihre Unfallrate liegt bei 98 zu 2. Seit einigen Jahren werden Männer auch häufiger arbeitslos.

Sie kritisieren eine fortschreitende Entwertung „männlicher Werte“ innerhalb der Gesellschaft. Was verstehen Sie unter „männlichen Werten“ und wieso haben diese aktuell so einen schweren Stand?

Nach dem Zusammenbruch des Androzentrismus ist die gesamte Diskussion um Werte und Normen – vor allem in den Bereichen von Beziehung, Gesundheit, Sozialisation und Erziehung – weiblich definiert. Im Vordergrund stehen weibliche Lebensziele und -entwürfe. Über Jahrhunderte gelobte Eigenschaften von Männern werden heute negativ umdefiniert. Aus Leistung wird Karrieresucht, aus Mut Verantwortungslosigkeit, aus gesunder Aggression Kriegslüsternheit. Gewiss kann männliches Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart kritisiert werden, aber was wir unter dem Einfluss eines gewissen Feminismus erleben, ist die grundsätzliche Ablehnung des Männlichen und die Vergötterung des Weiblichen.

Welche Folgen für die Entwicklungspotentiale eine Gesellschaft sehen Sie, wenn diese eher anpackenden und zukunftsorientierten Werten auf Grund ihrer „männlichen“ Konnotation nur noch so wenig Wertschätzung entgegengebracht wird, wie sie es aktuell konstatieren?

Wenn zum Beispiel männliches Leistungsbewusstsein verdammt wird, tangiert das die Grundfesten unserer Gesellschaft. Das ist bisher viel zu wenig reflektiert worden. Die Folgen sind ja schon seit einiger Zeit sichtbar: etwa in den Klagen von Arbeitgebern über die mangelnde Leistungsbereitschaft vieler männlicher Lehrlinge, aber auch im Leistungsprofil der männlichen Schüler. Empirische Untersuchungen stellen in diesem Kontext fest, dass ein Prekariat von Männern entsteht, die sich der Gesellschaft und deren Arbeitsprozessen verweigern. Darauf hat Ralf Dahrendorf schon vor 25 Jahren aufmerksam gemacht, ohne dass das gehört worden wäre.

In Ihrem Buch kritisieren Sie sehr massiv die zunehmende Feminisierung von Erziehung und Bildung. Vor allem Jungs hätten darunter zu leiden. Sie sind die neuen Bildungsverlierer. Können Sie diesen Zusammenhang genauer erklären?

Jungen sehen sich heute – entsprechend ihrer eigenen Aussagen – in einem „Frauenkäfig“. Sie werden primär von Müttern, Tanten, Omas, Erzieherinneren, Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen erzogen. Das ist einfach Realität, keine Schuldzuweisung an Frauen – schon eher an Männer, die sich darum nicht kümmern. Jungen brauchen aber männliche Vorbilder, um überhaupt zu sehen und zu lernen, was Männlichkeit ist oder sein kann. Frauen können das nicht authentisch vermitteln. Es gibt auch Untersuchungen – zum Beispiel von Heike Diefenbach und Michael Klein oder aus den USA – die belegen, dass der Schulerfolg von Jungen steigt, wenn sie mit männlichem Lehrpersonen konfrontiert sind und fällt, wenn sie nur Lehrerinnen haben.

Sie sprechen sich für eine staatlich geförderte Jungen- und Männerpolitik aus. Wäre es in Anbetracht der in ihrem Buch dargestellten negativen Ergebnissee einer von oben verordneten Frauenförderung – vom Girls Day über Gender-Mainstreaming bis hin zur Frauenquote – nicht eigentlich viel sinnvoller und konsequenter zu fordern, dass der Staat sich am besten ganz aus den informellen Geschlechterbeziehungen raus halten soll?

Grundsätzlich wäre ich für eine sinnvolle Geschlechterpolitik, die sich gleichzeitig um beide Geschlechter kümmert. Aber das ist bei uns nicht der Fall. Jungen und Männer kommen ja nicht einmal im Namen des betreffenden Ministeriums vor. Da seit Jahrzehnten nur Mädchen- und Frauenpolitik gemacht wird, ist es jetzt einfach nötig, die Defizite, die dadurch auf Männer- und vor allem auf Jungenseite entstanden sind, auszugleichen. Und dafür braucht es ein Stück Männerpolitik.

In ihrem Buch setzen Sie sich auch mit der „Männerbewegung“ auseinander, die sich gegen die Benachteiligung von Jungen, Männern und Vätern zu formieren beginnt. Mein Eindruck ist, dass sich diese neben etlichen zutreffenden Beobachtungen und legitimen Forderungen auch durch eine gewisse larmoyante Grundhaltung auszeichnet. Brauchen wir neben den altbekannten feministischen Opferdiskursen jetzt wirklich auch noch einen männlichen Opferdiskurs?

Die Männerbewegung ist kein kohärentes Gebilde, sondern setzt sich aus unterschiedlichen Gruppierungen mit unterschiedlichen Zielen und Beweggründen zusammen. Es gibt einen größeren profeministischen Zweig, wie er sich zum Beispiel im „Bundesforum für Männer“ zeigt. Deren Vorsitzender entblödet sich zum Beispiel nicht festzustellen, dass ihn die Bildungsmisere der Jungen nicht „beunruhige“. Geldgeber dieses Vereins ist im Übrigen das Bundesfrauen und -Familienministerium. Das andere Extrem verkörpern die „Antifeministen“, die eine traditionelle, auch hegemoniale Männlichkeit vertreten, die häufig frauenfeindlich und auch homophob erscheint. In der Mitte lassen sich die „Männerrechtler“ verorten, die seit Jahren auf die vielfältigen Diskriminierungen gegenüber Jungen und Männern verweisen, zum Beispiel die Gruppe „Manndat“. Diese Gruppierungen pflegen auch einen unterschiedlichen Opferdiskurs. Die Profeministen sehen grundsätzlich nur Frauen als Opfer, die „Antifeministen“ ebenso grundsätzlich nur Männer. Die Männerrechtler zeigen im Regelfall einigermaßen sachlich die Benachteiligungen von Männern auf. Den feministischen Opferdiskurs nun auf männliche Seite zu verschieben, ist sicher unsinnig. Wichtig eine sachliche Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Lage von Jungen und Männern. Dazu gibt es bisher allenfalls ansatzweise Material. Im jüngsten „Gleichstellungsbericht“ der Bundesregierung kommen interessanterweise Jungen und Männer nicht vor.

Erleben wir im Laufe des 21. Jahrhunderts eine Renaissance des Mannes?

Ich bin Soziologe und nicht Prophet. Was ich feststellen kann, ist, dass sich die Stimmen mehren, Männer und Männlichkeit nicht mehr in einem misandrischen Kategoriensystem zu diffamieren, sondern wieder realistisch zu betrachten und in ihrem Wert auch anzuerkennen. So hat die kritische Feministin Elisabeth Badinter unlängst auf die Bedeutung männlicher Werte für unsere Gesellschaft hingewiesen.

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