02.05.2012
Bist Du krank? Trink Bohnentrank!
Analyse von Uwe Knop
Früher galt Kaffee als schwer ungesund; heute verkünden unzählige Beobachtungsstudien genau das Gegenteil. Der Haken: Diese können gar keine haltbaren Beweise liefern. Über den aktuellen Bohnentrank-Hype – vom Muselmannschreck zum ökotrophologisch begnadigten Allheilmittel
Kaffee entwässert, macht nervös und lässt den Blutdruck steigen – alles obsolet, denn das war gestern. Heute hingegen erscheinen laufend Studienmeldungen, die die diversen Heilwirkungen des Bohnentranks kolportieren: Kaffee senkt den Blutdruck, verkündete beispielsweise jüngst das Universitätsspital Lausanne. Kaffee ist vom „Saulus zum Paulus“ geworden. „Sei du kein Muselmann, der das nicht lassen kann“ – wer mit diesem unsinnigen, aber bekannten Lied heute noch vor Kaffeekonsum warnen würde, der könnte sich der „Gesundheitsgefährdung“ schuldig machen. Denn Kaffee ist nicht nur das Lieblingsgetränk vieler Nationen, der Bohnentrank schützt die Menschen auch vor fast allen Volkskrankheiten.
Fasst man die Studienberichte der letzten Jahre zusammen, so gleicht Kaffee einem medizinischem Wundermittel, nach dem die Wissenschaft bislang vergeblich gesucht hat: Die tägliche Dosis Kaffee schützt vor Diabetes, Depressionen, Krebs, Alzheimer, Gicht, Schlaganfall und Herzerkrankungen [1]. Doch die omnipotente Schutzwirkung der „Panazee Kaffee“ hat einen gravierenden Haken: Diese Meldungen basieren auf Beobachtungsstudien, die ausschließlich Vermutungen erlauben, jedoch niemals eine Ursache-Wirkung belegen. Daher existiert bislang kein wissenschaftlich haltbarer Beweis, dass Kaffee vor irgendeiner Krankheit schützt! Nur klinische Studien können diesen Beweis liefern – doch die gibt es (noch) nicht.
Das hindert die zahlreichen Autoren jedoch nicht daran, weiterhin gern gehörte Botschaften unters Volk zu bringen, die dem täglichen Kaffeegenuss die gesundheitliche Absolution erteilen. Dabei gehen die die Forscher inzwischen gar soweit, den Bürgern neben den „Heilwirkungen“ weitere Spekulationen unterzujubeln, die Balsam für die Seele aller abgehalfterten, kaffeesaufenden Bürohengste sind: Für die „Kaffee senkt den Blutdruck“-Forscher aus Lausanne ist Kaffeetrinken „vergleichbar mit Jogging“ [2]. Na, wenn das kein Grund ist, „hoch die Tassen“ zu jubeln. Nun, vielleicht liegt genau hier die Erklärung der blutdrucksenkenden „Causa Kaffee“: Menschen, die täglich viele Tassen Kaffee trinken, trainieren durch das ständige Auf-und-Abheben der „Hantel Kaffeetasse“ ihre Muskulatur. Hinzu kommt, dass die Vieltrinker für jede Tasse zur Kaffeemaschine laufen müssen und anschließend wieder zurück zum Arbeitsplatz. Und dieses kaffeekombinierte „Kraft- und Ausdauertraining“ hält fit und ist gut für die Gefäße. Alle Leser dieses Artikels, denen nun ein müdes Lächeln über die Lippen kommt, sei an Folgendes erinnert: Ernährungsbeobachtungsstudien liefern stets nur vage Vermutungen, aber niemals einen Ursache-Wirkung-Beleg. Also müsste auch dieser „Bürofitness“-Erklärungsansatz der Vollständigkeit halber in Betracht gezogen werden, um die blutdrucksenkenden Kaffee-Spekulationen zu begründen – rein theoretisch zumindest.
Sex senkt den Blutdruck!
Genauso aber wäre beispielsweise die Frage nach der sexuellen Zufriedenheit der Kaffeetrinker zu hinterfragen: Denn vielleicht senken viele Orgasmen den Blutdruck dauerhaft, sodass die Sexgesättigten gerne viel Kaffee trinken, um wieder in Schwung zu kommen. In diesem Fall wäre der Sex die Ursache der Wirkung – und nicht der Kaffee. Natürlich ist auch das alles nur Spekulation, wohlgemerkt, denn wie immer bei Ernährungskenntnissen gilt das Credo: Nichts Genaues weiß man nicht. Führende Forscher jedoch wissen genau, warum die Ernährungsforschung einem Rätselraten auf wissenschaftlich niedrigem Niveau gleicht. So hat Professor Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums in Freiburg, das die Qualität wissenschaftlicher Untersuchungen bewertet, bereits mehrfach erklärt [3], warum Ernährungsforschung keine Beweise liefern kann. Für Antes sind „die Ernährungswissenschaften in einer bemitleidenswerten Lage“, denn die Forscher müssen meist auf methodisch unzuverlässige Beobachtungsstudien zurückgreifen. Und „Studien in diesem Bereich sind von vielen unbekannten oder kaum messbaren Einflüssen abhängig“, erklärt Antes. So kann am Ende niemand erklären, worauf ein statistischer Zusammenhang wie beispielsweise „Kaffeetrinker haben ein niedrigeren Blutdruck“ basiert. Denn ob es am Kaffee liegt, oder daran, weil die Studienteilnehmer besser schliefen, weniger Stress aber dafür mehr Sex hatten, das weiß niemand – zu viele Lebensstilfaktoren des „komplexen Systems Mensch“ können für die Ergebnisse verantwortlich sein. Für Walter Krämer, Professor für Statistik an der Universität Dortmund, sind die zahlreichen Kaffee-Meldungen aus Beobachtungsstudien „mit großer Wahrscheinlichkeit nur Artefakte einer schlampig ausgewerteten Statistik“, die mittels schlagzeilenträchtiger Pressemeldungen unters Volk gebracht werden [4]. Und diese „Pressemitteilungen der akademischen Zentren oder medizinischen Journale sind oftmals fälschlich und euphemistisch verklärt“, warnt Professorin Gabriele Meyer vom Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin [5]. Derartige Kaffee-Schutz-Spekulationen aus epidemiologischen Untersuchungen lassen für Krämer daher nur einen Schluss zu: „Viel Lärm um so gut wie nichts!“
Ernährungsstudien – außer Hypothesen nichts gewesen?
Ernährungs-Beobachtungsstudien liefern nur Hypothesen, die einerseits spannend klingen, andererseits aber oft überinterpretiert werden – denn häufig wird nicht zwischen Korrelation und Kausalität unterschieden. „Ursache-Wirkungsabhängigkeit (Kausalität) wird dort behauptet, wo ausschließlich Zusammenhänge (Korrelationen) konstatiert werden dürfen, die eben so wenig ursächlich sein müssen oder können wie der Zusammenhang zwischen Storchenflug und Geburtenhäufigkeit“, erklärt Meyer. Daher muss klinische Forschung diese Hypothesen überprüfen, bevor „Kaffee-schützt-vor…“-Schlagzeilen ihre Berechtigung haben. Eine Empfehlung beispielsweise, Kaffee zur Gesundheitsförderung zu trinken, kann erst dann erfolgen, wenn klinische Studien dessen „Wirksamkeit“ belegen würden. „Solche Studien laufen derzeit, und wir sind gespannt auf die Ergebnisse“, so Professor Peter Nawroth, Ärztlicher Direktor am Uniklinikum Heidelberg. Bis dahin jedoch kann die Empfehlung nur lauten: „Genießen Sie Ihren Kaffee, wenn er Ihnen schmeckt und wohl bekommt – aber glauben Sie besser nicht an die zahlreichen Berichte, Sie senken ‚mit mehr als vier Tassen täglich’ Ihr Risiko für Diabetes, Depressionen, Krebs, Alzheimer, Gicht, Schlaganfall und Herzerkrankungen!“
Das Gleiche gilt übrigens auch für Ernährungserkenntnisse, die statt gesundheitsschützender Eigenschaften von Lebensmitteln deren krankheitsfördernde Wirkung propagieren. Diese „Tartarenmeldungen“ wie „Rotes Fleisch fördert Herzinfarkte“ oder „Schokolade erhöht Depressionsrisiko“ gehören genauso ins Reich der Spekulationen wie der kolportierte Kaffee-Blutdruck-Zusammenhang. Denn auch hier liegen keine wissenschaftlichen Beweise vor, sondern ausschließlich statistische Zusammenhänge aus „bemitleidenswerten“ Beobachtungsstudien.
Persönlicher Hinweis von Uwe Knop: Gerne hätte ich in diesem Text sowohl eine Stellungnahme der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) als auch des DIfE (Deutsches Institut für Ernährungsforschung) zur Aussagekraft von „Ernährungsbeobachtungsstudien“ integriert. Leider hat sich trotz mehrfacher Nachfrage bislang keines der Institute geäußert. Bei Interesse finden Sie nachfolgend die Fragen an die DGE und ans DIfE.