19.04.2016

Aufatmen dank Kohle

Analyse von Heinz Horeis

Die angeblichen „Dreckschleudern“ stehen oben auf der Hassliste der Grünen. Die hohe Effizienz von Kohlekraftwerken bleibt dabei weitestgehend unbenannt. Kohlekraftwerke werden immer sauberer

Kohlekraftwerke setzen Stoffe frei, die der Gesundheit schaden können. Staub, Ruß und Asche, Schwefel- und Stickoxide in der Luft sind es, die vor allem die Bewohner der rasch wachsenden Städte Chinas oder Indiens belasten. Neu ist das nicht. Die alten Industrienationen steckten noch Mitte des letzten Jahrhunderts in dieser „dreckigen Phase“ ihrer Entwicklung. Alte Kohlekraftwerke bilden nur einen Teil des Problems. Haushalte, Kleingewerbe und Fabriken sind häufig größere Verschmutzer. Moderne Kohlekraftwerke können diese Belastungen weitgehend vermeiden. In Ländern wie China tragen sie dazu bei, die Luft sauberer zu machen.

Kohlekraftwerke stehen auf der Hassliste der Grünen ganz oben. Sie sind „Dreckschleudern“, heißt es. Kohle sei „schmutzig“, sei umweltschädlich, egal, ob sie in alten oder in modernen Kraftwerken brennt. Der große Feind unter all den Stoffen, die dabei freigesetzt werden, ist das Kohlendioxid. Grüne geben diesem Gas die Alleinschuld an der globalen Erwärmung. Für sie ist es ein „Luft verpestender Schadstoff“, ein „tückisches Gas“. Selten hat man einem Stoff so viel Unrecht getan. Kohlendioxid ist ein lebensfreundliches Gas, unsichtbar, geruchlos, ungiftig, auch in hoher Konzentration nicht gesundheitsschädlich. Kohlendioxid ist Pflanzennahrung, unerlässlich für die Photosynthese und damit für das Leben auf der Erde. Mit schlechter Luft und Smog hat Kohlendioxid nichts zu tun. Es sind Feinstaub, Schwefeldioxid und andere Stoffe, die den Bürgern Pekings das Leben schwer machen. Diese Stoffe und nicht das Kohlendioxid bilden das aktuelle Problem. Und das kann man weitgehend lösen.

Kohlekraft wird sauberer

Bei der Verbrennung von Kohle brechen chemische Bindungen auf, neue entstehen. Dabei, Einstein lässt grüßen, wandelt sich etwa ein Milliardstel der Masse in Wärme um. Übrig bleiben die Stoffe, aus denen die Kohle sich einst bildete. Gemessen am Gewicht dominieren Gase, vor allem Stickstoff, Kohlendioxid und Wasserdampf. Der Rest besteht aus Asche. Je nach Art der Kohle machen diese festen Rückstände zwischen drei und fünfzehn Prozent der Verbrennungsprodukte aus. Kohlekraftwerke sind keine fremdartigen Weltuntergangsmaschinen. Sie nutzen Naturprozesse; sie zerlegen einen dank Photosynthese natürlich gewachsenen und geologisch bearbeiteten Rohstoff in seine ursprünglichen Bestandteile. Chemische Energie wird frei. Wie beim Waldbrand, mit dem Unterschied, dass ein Kraftwerk die freigesetzte Wärme kontrolliert in nützlichen Strom umwandelt.

Mittels Technologie lässt sich dabei die Freisetz ung von Asche und Abgasen minimieren. So sauber arbeitet die Natur nicht. Die Verbrennungsprodukte (die „Schadstoffe“) landen da, wo sie bei der Entstehung von Kohle herkamen: in der Luft und im Boden. Ob sie dem Menschen schaden, hängt von der Substanz und von der Dosis ab. Ein Teil der Asche verbleibt im Kessel, ein Teil, Ruß und Feinstaub, entweicht durch den Schornstein, ebenso wie Schwefeldioxid und Stickoxide. In hohen Konzentrationen reizen und schädigen diese Gase die Atmungsorgane. Im vergangenen Jahrhundert brachte Schwefeldioxid, etwa im berüchtigten Londoner Smog tausenden von Menschen einen vorzeitigen Tod.

Schwefeldioxid aus tschechischen und ostdeutschen Braunkohlekraftwerken raffte Fichten- und Tannenwälder dahin, was Deutschlands Apokalyptiker fälschlicherweise als „allgemeines Waldsterben“ interpretierten. Heute halten moderne Kohlekraftwerke mit Rauchgasreinigungsanlagen diese Gase weitgehend zurück. So sanken laut Umweltbundesamt die Schwefeldioxidemissionen aus deutschen Kraftwerken seit dem Jahr 1980 von rund fünf Millionen Tonnen jährlich auf aktuell etwa 230.000 Tonnen. Stickoxidemissionen sind im gleichen Zeitraum auf ein Sechstel gefallen.

Kohleasche enthält Mineralien und Spurenelemente, die wichtige Nährstoffe für Pflanzen liefern. Sie wird deshalb auch als Düngemittel benutzt. Schwermetalle wie Quecksilber, Blei oder Cadmium stellen den überwiegenden Masseanteil der in Kohleasche enthaltenen Spurenelemente dar (als Spurenelemente gelten Stoffe mit Gewichtsanteil unter 0,01 Prozent). Auch Uran und Thorium finden sich in der Asche, und zwar in Mengen, die durchaus die Gewinnung von Kernbrennstoff lohnend machen. Diese Stoffe finden sich auch in der Flugasche, die durch den Schornstein entweichen kann. Filter können davon bis zu 99,5 Prozent aus dem Abgasstrom entfernen.

Eine immense Zahl an Menschen, so heißt es häufig in Studien, stürbe aufgrund von Schadstoffen aus fossilen Quellen. Natürlich fällt niemand tot um, wenn er in den Dunstkreis eines Kohlekraftwerks oder eines mit Holz befeuerten Kamins gerät. Tatsächlich aber können, statistisch gesehen, Menschen aufgrund von gesundheitsschädlichen Stoffen vorzeitig sterben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass die gesamte Luftverschmutzung (wozu Kohlekraftwerke nur einen sehr kleinen Teil beitragen) weltweit pro Jahr derzeit 3,7 Millionen verfrühte Todesfälle bewirkt. Um das Gesundheitsrisiko einer Technologie abzuschätzen, berechnen Statistiker verlorene Lebensjahre (years of life lost, YOLL). Bezieht man diese auf die jeweils erzeugte Energieeinheit, lassen sich damit unterschiedliche Stromerzeugungstechnologien vergleichen (siehe Abbildung 1).

„Die zunehmende Holzverbrennung in Deutschland bläst inzwischen mehr Feinstaub in die Luft als der Verkehr“

Am „gesündesten“ ist die Kernenergie. Solarzellen schneiden schlecht ab. Viel Energie und viele Rohstoffe mit den entsprechenden Emissionen sind nötig, um sie herzustellen. Kohle hat, wie zu erwarten, die höchsten Kosten an Lebenszeit. Allerdings muss man dagegen rechnen, dass Strom aus Kohle die Lebensbedingungen für Milliarden Menschen dramatisch verbessert hat. Die dadurch gewonnene Lebenszeit (und Lebensqualität) macht die möglichen Einbußen an Lebenszeit durch Schadstoffe mehr als wett. Bei teurem Solarstrom sähe die Bilanz nicht so gut aus. Zudem setzen die modernsten Kohlekraftwerke deutlich weniger Schadstoffe frei. Ihr Abgasniveau nähert sich dem Wert moderner Gaskraftwerke an, sodass die Verstromung von Kohle in den kommenden Jahrzehnten immer weniger an Schadstoffen freisetzen wird.

Abb.1: Verlorene Lebensjahre ausgewählter Stromerzeugungstechniken

Abb. 1: Verlorene Lebensjahre für ausgewählte Stromerzeugungstechniken 1

Sehr schlecht schneidet Holz ab. Dennoch hat dieser Brennstoff ein sauberes Image. Der Trick: man deklariert ihn als „CO2-neutral“. Denn das Kohlendioxid, das die im Kamin knisternden Holzscheite freisetzen, hat der wachsende Baum zuvor der Atmosphäre entzogen (gilt grundsätzlich auch für in Kohle verwandelte Biomasse, allerdings über geologische Zeiträume). Wie auch immer – CO2-Neutralität verhindert keineswegs, dass die Abluft kuscheliger Holzöfen kräftig die Luft verschmutzt. Wie das Umweltbundesamt im vergangenen Jahr feststellte, bläst die zunehmende Holzverbrennung in Deutschland inzwischen mehr Feinstaub in die Luft als der Verkehr.

Kein Grüner geht deswegen auf die Straße. Feinstaub aus Holz ist schließlich guter Feinstaub. Im Übrigen sollte man YOLL-Statistiken zurückhaltend benutzen. Sie machen eigentlich nur in Vergleichen wie oben Sinn, denn letztlich lässt sich, isoliert betrachtet, jede menschliche Aktivität als lebensverkürzend darstellen. Die Greenpeace-Propaganda liefert dafür schöne Beispiele (siehe weiter unten). Entscheidend ist, was unter dem Strich bleibt: Trotz aller lebensverkürzenden „gefährlichen“ Technologien ist im Kohlezeitalter die durchschnittliche Lebenserwartung stetig gestiegen. Und sie nimmt weiter zu, gerade auch wegen verlässlicher Energiequellen wie Kohle.

Städte im Smog

Fossile Kraftwerke sind nur ein Teil des Problems. Erheblich größer sind weltweit die gesundheitlichen Schäden, die durch das Verfeuern von Kohle, Holz u.a. in Herden, Öfen und offenen Feuerstellen in Haushalten und Kleinbetrieben entstehen. 2 Auch der Smog, der Peking und andere chinesische Großstädte verfinstert, geht nur zu einem Teil auf Kraftwerke zurück. Die größten Verschmutzer sind (außer dem Verkehr) auch hier offene Feuerstellen, Herde und Öfen in Wohnungen, Brennöfen in Ziegeleien, Erzschmelzen, Stahlwerke und Zementfabriken. 3

Großstädtischer Smog kann bei ungünstigen Wetterlagen die Bevölkerung extrem belasten. So sehr, dass selbst die Shanghaier Akademie der Sozialwissenschaften in einem Bericht vom Februar 2013 überspitzt schließt, dass die Stadt für menschliches Leben kaum geeignet sei. Im Westen schaut man teils mit Häme, teils mit erhobenem Zeigefinger auf den Kampf der Menschen in China mit Dreck und Schmutz in der Luft. Die zügellose, kohleabhängige Industrialisierung und der ungehemmte Raubbau an der Natur, ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt, sei die Ursache, so der häufig zu hörende Vorwurf. Mehr Gelassenheit sei angebracht: China macht momentan einfach eine Entwicklungsphase durch, wie sie typisch für die heutigen Industrieländer war.

„Als ein gnädiger Wind den Smog wegblies, hatte er einigen tausend Londonern den Tod gebracht“

Englands Hauptstadt London, die amerikanische Stahlstadt Pittsburgh oder das deutsche Ruhrgebiet waren berüchtigt für Smog und schlechte Luft. Noch vor einem halben Jahrhundert, zu Zeiten der Bundesligagründung, regneten jährlich 1,5 Millionen Tonnen Asche und Ruß sowie vier Millionen Tonnen Schwefeldioxid auf das Land an der Ruhr hernieder. Der Himmel war häufig abgedunkelt, Schmutz lag auf Straßen, Fensterbänken und der Wäsche, die auf der Leine trocknete. Am 19. September 1960 machte eine Dunstglocke über Essen den Tag zur Nacht. Am schlimmsten traf es London. Damit verglichen ist der Smog im heutigen Peking eine zahme Angelegenheit. Die britische Hauptstadt hieß „The Big Smoke“. Kinder erkrankten an Rachitis, da sie zu wenig Sonne abbekamen. Lungenerkrankungen waren weitverbreitet. Manchmal war der Smog so dicht, dass Busse und Autos nicht mehr fahren konnten. Höhepunkt war der „Schwarze Nebel“ vom Dezember 1952, ausgelöst durch eine Inversionswetterlage. Vier Tage lang bewegten sich die Londoner praktisch im Dunkeln. Zeitweise betrug die Sichtweite gerade mal dreißig Zentimeter. Als ein gnädiger Wind den Smog wegblies, hatte er einigen tausend Londonern den Tod gebracht (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Tödlicher Smog in London 1952

Abb. 2: Tödlicher Smog in London 1952 4

Nach diesem Ereignis sprach niemand mehr von der romantischen Londoner „Erbsensuppe“. Vor allem die zahllosen Kohleöfen und offenen Kamine in den Wohnungen waren verantwortlich für den Smog. Die Stadt verbot die Kohleöfen in den Haushalten, Wärme und Licht kamen zunehmend durch Kohlegas und schadstofffreien Strom aus Kohlekraftwerken mit Abluftreinigung. Der berüchtigte Londoner Smog ist seitdem verschwunden.

Greenpeace – lügen mit Statistik

Und auch der Himmel über der Ruhr ist, wie vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt in den sechzigerjahren propagiert, schon lange wieder blau – dank neuer Verfahren zur Abluftreinigung. Heute bringen Kohlekraftwerke nach neuestem Stand der Technik weitere Verbesserungen. Solch Fortschritt hält Greenpeace nicht davon ab, selbst neue Anlagen massiv zu attackieren. „Tod aus dem Schlot“ ist ihr jüngstes Pamphlet5 betitelt. Es zeigt sehr schön, wie gut sich mit Halbwahrheiten lügen lässt. Laut Greenpeace führen die Emissionen deutscher Kohlekraftwerke jedes Jahr zum vorzeitigen Tod von ungefähr 3100 Menschen. Dies sei gleichbedeutend mit einem Verlust von insgesamt 33.000 Lebensjahren. Diese Zahlen stammen zwar aus einer wissenschaftlichen Studie 6, sind aber, so isoliert, wie Greenpeace sie verwendet, nur Propaganda ohne Aussagewert. Wie sieht nun das Gesamtbild aus? Aus Kohlekraftwerken stammen laut Umweltbundesamt (UBA) neun Prozent des Feinstaubs in Deutschland (Feinstaub gilt als größter „Schädling“). Etwa dreimal so viel trägt der Verkehr bei, ebenso wie die „umweltfreundliche“ Verbrennung von Holz. 7 Die Greenpeacler zielen mit ihrer Kampagne gegen Kohle also weit daneben.

„Heute leben wir (in den reichen Ländern) durchschnittlich rund vierzig Jahre länger als noch vor 150 Jahren – auch dank Kohle“

Und was bedeuten 3100 vorzeitige Tode – rein statistisch gesehen? Wenig. Etwa so viele Menschen kommen jährlich auf Deutschlands Straßen nicht wahrscheinlich, sondern direkt zu Tode. Dazu gibt es noch über 300.000 Verletzte. Und die verlorenen 33.000 Lebensjahre? Das kürzt, statistisch gesehen, das Leben jedes Bundesbürgers jährlich um drei Stunden. Und deswegen macht Greenpeace den Menschen Angst? Die drei Stunden verliert man doch gerne bei dem immensen Nutzen der Kohle. Heute leben wir (in den reichen Ländern) durchschnittlich rund vierzig Jahre länger als noch vor 150 Jahren – dank einer vor allem durch Kohle angetriebenen Industrialisierung. Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung spricht von drei Monaten, die das Leben Jahr für Jahr länger geworden ist (und noch wird). Drei Monate gewonnen für den Preis von drei verlorenen Stunden – kein schlechtes Geschäft. Abbildung 3 zeigt, wie drastisch in den heutigen Industrieländern seit dem Jahr 1800 die Lebenserwartung gleichzeitig mit den CO2-Emissionen gestiegen ist.

Kohlendioxid ist ein Indikator für die Nutzung fossiler Brennstoffe, des Motors der Industrialisierung. Welche schädlichen Nebenwirkungen dabei auch auftreten mögen – der Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität macht diese Nachteile mehrfach wett.

Abb. 3: Gestiegene Lebenserwartung im Kohlendioxid-Zeitalter

Abb. 3: Gestiegene Lebenserwartung im Kohlendioxid-Zeitalter 8

Die Kuznets-Kurve

China, Indien und andere Entwicklungsländer wachsen rapide. Damit, so die gängige grüne Litanei, steuerten diese Länder (und mit ihnen der Planet) in den Abgrund. Denn ungezügeltes Wachstum zerstöre die Umwelt, erschöpfe die Ressourcen und müsse unweigerlich im ökologischen Zusammenbruch enden. Warum sind dann die heutigen Industrienationen nicht im Abgrund versunken? Warum gibt es heute in Deutschland mehr Wald als vor der Industrialisierung? Warum sind seine Flüsse sauber, ist seine Luft atembar?

Offenbar hängen Wirtschaftswachstum und Umweltschäden zusammen, allerdings anders, als es die grüne Lehrmeinung vorsieht: Je reicher eine Gesellschaft, umso besser geht es der Umwelt.Das ist plausibel. Wenn der Mensch gut lebt, kann er sich auch um seine Umwelt sorgen. Und wenn die Gesellschaft reich ist, hat sie auch die Mittel dazu. Diese Abhängigkeit lässt sich als Kuznets-Kurve(siehe Abbildung 4) darstellen, benannt nach ihrem Entdecker, dem Nobelpreisträger Simon Kuznets. Der Ökonom fand diese Kurve, als er untersuchte, ob und wie Einkommensungleichheit und wirtschaftliches Wachstum zusammenhängen. Diese Ungleichheit, so stellte er fest, nimmt mit wachsendem Reichtum ab. Die nach ihm benannte Kurve zeichnet diesen Prozess nach. Davon inspiriert, untersuchen Ökonomen seit den 1990er-Jahren, wie sich Umwelt und Industrie in ihrer Entwicklung beeinflussen. Auch dieser Verlauf folgt der Kuznets-Kurve. Die Ergebnisse widersprechen der verbreiteten Sicht, dass Wachstum ein Feind der Umwelt sei.

„Wir finden keine Hinweise, dass sich die Umwelt bei wachsender Wirtschaft weiter verschlechtert“

Abbildung 5 zeigt eine Kuznets-Kurve aus dem Jahr 1993, die auf der Analyse von Schwefeldioxidemissionen beruht. Der Autor benutzte dafür Daten aus den späten 1980er-Jahren. Sie stammen aus sechzig Ländern auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Am unteren Ende findet sich Malaysia mit einem Bruttosozialprodukt von rund 1800 Dollar pro Kopf, am oberen Ende die Schweiz mit einem zwölfmal höheren Betrag. Trägt man die SO2-Werte für die verschiedenen Länder ein, ergibt sich der typische Verlauf: Die armen Länder verzeichnen einen steilen Anstieg der Emissionen bis zu einem Schwellenwert, der etwa bei einem BSP von 5000 US-Dollar pro Kopf liegt. In den reichen Ländern fallen diese, mit zunehmendem Wirtschaftswachstum, zunächst stark, dann sich abflachend ab. Im Jahr 2005 untersuchten zwei Ökonomen der Princeton-Universität, wie sich verschiedene Umweltindikatoren weltweit entwickelten – etwa die städtische Luftverschmutzung, der Sauerstoffgehalt oder der Schwermetalleintrag in Flüssen.

Sie fassten die Ergebnisse wie folgt zusammen 10, übersetzt: „Wir finden keine Hinweise, dass sich die Umwelt bei wachsender Wirtschaft weiter verschlechtert. Stattdessen bringt Wirtschaftswachstum bei den meisten Indikatoren anfänglich eine Phase der Verschlechterung, gefolgt von einer Phase der Verbesserung. Der Wendepunkt variiert für die verschiedenen Schadstoffe. Er wird in den meisten Fällen aber erreicht, bevor das Pro-Kopf-Einkommen des betreffenden Landes bei 8000 US-Dollar liegt.“

Stilisierte Kuznets-Kurve

Abb. 4: Stilisierte Kuznets-Kurve

Abb. 5: Kuznets-Kurve für Schwefeldioxidemissionen

Abb. 5: Kuznets-Kurve für Schwefeldioxidemissionen

Eine Reihe weiterer Untersuchungen stützen die Aussage der Kuznets-Kurve. Natürlich gibt es auch Kritik aus dem grünen Lager. Die Kurve verbreite zu viel „Fortschrittsoptimismus“ oder postuliere eine Logik des „grow now, clean up later“. Nun, man sollte die Kurve nicht überbewerten, sie aber soweit ernst nehmen, dass man bei aktuellen Umweltproblemen nicht gleich in Weltuntergangspanik verfällt. China, das Umweltaktivisten derzeit als weltweit größten Umweltschädling ansehen, ist zwar noch nicht über den Berg, weist aber bereits viele Indikatoren hin zum Besseren auf.

Wie eine aktuelle Studie der amerikanischen Rand Corporation 11 zeigt, sind in chinesischen Großstädten die Emissionen von Stäuben, Schwefeldioxid und anderen Schadstoffen deutlich gesunken. Abbildung 6 zeigt dies am Beispiel der Schwefeldioxidfreisetzung. Der Rückgang ist beachtlich, zumal sich in dem betrachteten Zeitraum von 2003 bis 2011 der chinesische Kohleverbrauch mehr als verdoppelt hat. Global gesehen dienen die Emissionen in China ohnehin zu einem nicht geringen Teil den Industrienationen. So ermöglicht billiger Kohlestrom die Produktion billiger Solarpanels, die dann deutsche Dächer zieren.

Laut einer aktuellen Studie 12 des amerikanischen Paulson-Instituts liefert Industriekohle von allen Quellen den größten Beitrag zur Umweltverschmutzung in China. Etwa neunzig Prozent der Schwefeldioxidemissionen gehen auf ihr Konto. Bemerkenswert. Denn chinesische Unternehmen exportieren viele der mit Hilfe von Kohle produzierten Güter in die Industrienationen, die zuvor Teile ihrer verarbeitenden Industrie (mit den entsprechenden Emissionen) ins Ausland verlagert haben. Die westliche Kritik an der chinesischen Umweltpolitik ist, daran gemessen, schon etwas scheinheilig.

Abb. 6: Durchschnittliche Konzentration von Schwefeldioxid in Chinas größten Städten

Abb. 6: Durchschnittliche Konzentration von Schwefeldioxid in Chinas größten Städten. Der von der WHO empfohlene Maximalwert liegt bei 20 Mikrogramm/Kubikmeter. 13

Moderne Kraftwerke

Der Fortschritt, wie er sich in der Kuznets-Kurve ausdrückt, ist unter anderem auch technologischen Neuerungen geschuldet. Bei der Kohleverstromung bewirken diese vor allem einen höheren Wirkungsgrad der Verbrennung. Höherer Wirkungsgrad bedeutet weniger Kohle pro Kilowattstunde, weniger Transport, weniger Abgase. Da gibt es noch viel Raum zur Verbesserung. Indische Kraftwerke wandeln 31 Prozent des Energiegehalts von Kohle in Strom um. Weltweit liegt der Durchschnitt bei 33 Prozent, in Deutschland sind es 38 Prozent. Die effizientesten Kraftwerke gibt es derzeit in Japan, wie das Isogo-Kohlekraftwerk in Yokohama. Seine zwei Blöcke, jeder mit 600 Megawatt, stehen in unmittelbarer Nähe zum Stadtgebiet. Wirkungsgrad des Kraftwerks: 45 Prozent!

Der Autor konnte vor kurzem die Anlage besichtigen. Der erste Eindruck war der von fast klinischer Reinheit. Nichts deutete daraufhin, dass in den Kesseln pro Tag um die zehntausend Tonnen Kohle verfeuert werden: kein Lärm, kein Geruch, kein Kohlestaub, kein Rauch. Isogo ist eines der saubersten Kohlekraftwerke der Welt, seine Abgaswerte sind vergleichbar mit denen eines modernen Erdgas-Kombikraftwerks. 14 Durch neuartige Rauchgasreinigung lassen sich 98 Prozent des Schwefeldioxids, 92 Prozent der Stickoxide und 90 Prozent des Quecksilbers zurückhalten. Ruß und Feinstaub verbleiben sogar zu 99,9 Prozent in der Anlage. Das bisschen Rest gelangt über einen 200 Meter hohen Schornstein in die Luft und verteilt sich weiträumig bis zur Unkenntlichkeit. Die Abgaswerte werden nicht nur im Werk kontinuierlich überwacht, sondern auch in den anliegenden Wohngebieten. Die dortigen Messstationen übermitteln die Werte online in den Kontrollraum der Anlage.

Das Kraftwerk ist äußerst kompakt, die gesamte Anlage drängt sich auf nur zwölf Hektar. das entspricht einer Leistungsdichte von etwa zehn Kilowatt pro Quadratmeter (zum Vergleich: Eine Solaranlage liefert im Jahresmittel einige zehn Watt/m2). Der Standort, eine kleine künstliche Halbinsel in der Bucht von Tokio, ist ohnehin ein bemerkenswertes Kraftpaket. Dem Kohlekraftwerk benachbart ist ein 1200-MW-Gaskraftwerk. Zusammen reichen beide aus, um den größten Teil der fünf Millionen Bewohner Yokohamas zuverlässig mit Strom zu versorgen. Mit Windstrom bräuchte man dafür eine Fläche von über tausend Quadratkilometern (und natürlich konventionelle Kraftwerke als Grundversorgung). In Isogos Kesseln verbrennt Kohlestaub, wie in den meisten heutigen Kohlemeilern. Das garantiert eine effizientere Verbrennung. Noch effizienter wird ein Kraftwerk, wenn es bei hoher Temperatur und hohem Druck arbeitet. Genau das macht Isogo. Traditionelle, sogenannte unterkritische (UC) Anlagen haben eine Dampftemperatur von 565 Celsius (Druck 180 bar). Isogo beruht auf der ultra-superkritischen (USC) Verbrennung und bewältigt, dank neuer Werkstoffe, um die 610 Celsius und 300 bar.

Dazwischen liegen superkritische (SC) Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad um 40 Prozent. Superkritische Kraftwerke sind in den Industrienationen Standard für Neubauten. Von den „Ultras“ gibt es erst wenige: In den USA läuft seit zwei Jahren ein solches Kraftwerk, nach harten Gerichtsverhandlung mit dem Sierra Club und anderen Umweltorganisation. Japan hat neben Isogo ein paar weitere Einheiten, ebenso die EU, u.a. das deutsche Braunkohlekraftwerk Niederaussem (Wirkungsgrad 43 Prozent).

In China werden etwa zwanzig gebaut. Moderne superkritische Kraftwerke machen bald dreißig Prozent der weltweiten Kapazität aus. 550 Gigawatt sind derzeit in Betrieb oder im Bau – 325 Gigawatt allein in China. Von 30 auf 40 Prozent soll der durchschnittliche Wirkungsgrad der chinesischen Kraftwerksflotte bis zum Jahr 2030 steigen. Mit den neuen Kraftwerken verschwinden die alten. Allein in China werden seit dem Jahr 2007 planmäßig über hundert Gigawatt an kleinen, ineffizienten und schmutzigen Kohlekraftwerken stillgelegt und durch moderne Kraftwerke ersetzt. 15 Das ist das Fünffache an Kohlekraftleistung in Deutschland. Hierzulande bleiben allerdings die alten „Dreckschleudern“. Greenpeace, BUND und Grüne verhindern nach Kräften neue effiziente Kraftwerke.

„Die höhere Effizienz von Kohlekraftwerken ist nur ein Aspekt der Schadstoffverminderung“

Die Internationale Energieagentur (IEA) gibt jährlich einen Weltenergiebericht (WEO) heraus. Seit dem Jahr 2010 wird in jedem dieser Berichte vorhergesagt, dass Chinas Kohlendioxid-Emissionen zwischen 2025 und 2030 einen Höhepunkt erreichen und ab da abnehmen werden. Das heißt nicht, dass weniger Kohle verstromt wird. Im Gegenteil, die Erzeugung von Kohlestrom nimmt stetig zu (s. Abbildung 7). Die Emissionen sinken, weil der chinesische Kohlekraftwerkspark systematisch modernisiert wird. Ironischerweise gilt diese Modernisierung nun als Durchbruch in der Klimafrage. Denn der chinesische Premier hatte dem amerikanischen Präsidenten beim „Klimadeal“ vom November 2014 nichts weiter zugesagt als das, was die Fachleute der IEA ohnehin erwarten: ein Sinken der Emissionen schon vor 2030.

Abb.7: Kohleverstromung in China bis 2035

Abb. 7: Kohleverstromung in China bis 2035 16

Die höhere Effizienz von Kohlekraftwerken ist nur ein Aspekt der Schadstoffverminderung. Wichtiger ist, dass in den Entwicklungsländern (wie früher in den heutigen Industrienationen) große zentrale fossile Kraftwerke die Hauptquellen der Luftverschmutzung ersetzen – die zahlreichen kleinen Feuerungsstellen, die Öfen und Herde in Haushalten und Kleingewerbe. Kochen kann man nun mit sauberem Strom aus großen Kraftwerken, heizen mit Wärme aus Heizkraftwerken, die Schadstoffe viel effizienter ausfiltern als die vielen tausend kleinen Öfen. Auch in deutschen Großstädten standen einst mit Kohle befeuerte Heizkraftwerke.

Bewohner von Chinas kohlereichem Norden, wo es im Winter bitter kalt wird, hatten und haben noch die Wahl zwischen Erfrieren oder Wärme aus rauchigen Kohleherden. Erst moderne Kohlekraftwerke bieten eine bessere Alternative: der Mensch kann nun wählen zwischen „schmutziger“ und „sauberer“ Wärme. Das ist keine Kleinigkeit: Über hundert Millionen Tonnen Kohle werden in China in Öfen und Herden verbrannt. Die sauberste Alternative könnten in Zukunft kleine Kernkraftwerke von etwa 150 Megawatt Leistung bieten, die ein chinesisches Unternehmen derzeit entwickelt. Diese Anlagen will man in Städten unterirdisch installieren. dort versorgen sie, in Kraft-Wärmekopplung, ganze Stadtviertel gleichzeitig mit Strom und sauberer Wärme.

Kohlendioxid – zum letzten …

Der Ausbau der Kohlekraft ist weltweit noch lange nicht am Ende. In 59 Ländern sind 1200 neue Kraftwerke mit einer Kapazität von etwa 1400 Gigawatt projektiert (Stand 2012). Mehr als drei Viertel davon sollen in China und Indien stehen. 17 „Die politischen Entscheidungen, die in der globalen Kohlebilanz am stärksten ins Gewicht fallen, werden in Peking und Neu Delhi getroffen“, stellte die IEA in ihrem World Energy Outlook 2012 treffend fest. Die CO2-phoben Grünen in den reichen Ländern sollten daraus die richtigen Schlüsse ziehen: Forderungen nach einem Ausstieg aus der Kohle sind weltfremd. Als realistischer Weg zur CO2-Minderung bleibt der Bau moderner Kohlekraftwerke. Jedes Prozent mehr an Wirkungsgrad spart zwei bis drei Prozent an Kohlendioxid.

„Warum soll man einen Stoff in den Keller sperren, der niemandem schadet, der im Gegenteil das Pflanzenwachstum fördert?“

In Deutschland steigen trotz massiven Ausbaus der neuen ineffizienten Energien die CO2-Emissionen. Zu danken ist dies dem Kampf von Grünen und Umweltgruppen gegen Kohle. Planungen, alte Kohlekraftwerke durch moderne Einheiten zu ersetzen, existieren seit vielen Jahren. Damit hätte man die Emissionen mittelfristig um bis zu zwanzig Prozent senken können. Brächte man weltweit alle Kohlekraftwerke auf den Stand der Anlage von Isogo, ließen sich damit pro Jahr 2,4 Milliarden Tonnen CO2 vermeiden. Das ist mehr, als jährlich in Indien in die Atmosphäre geht. Damit verglichen ist, wie die deutsche Energiewende zeigt, der Beitrag von Sonnen- und Windenergie zur CO2-Vermeidung vernachlässigbar gering.

Kohle wird im großen Maßstab noch für Jahrzehnte bleiben. Wenn es Greenpeace wirklich um weniger Kohlendioxid geht, dann müssten sie moderne Kohlekraftwerke begrüßen, nicht bekämpfen. Vor allem aber zählt bei „Clean Coal“, dass es weniger Feinstaub, Quecksilber oder Schwefeldioxid in der Luft gibt. Jede Erhöhung des Wirkungsgrads in neuen Kraftwerken bedeutet weniger Kohle pro kWh, weniger Staub und Asche, weniger Transport. 18 Die technologische Entwicklung ist noch lange nicht am Ende. Neue Werkstoffe in Dampfturbinen könnten Wirkungsgrade von ca. 50 Prozent ermöglichen.

In Zukunft werden auch Kohleverflüssigung und Kohlevergasung eine wichtige Rolle spielen, vor allem in China, das damit von Öl- und Gasimporten unabhängig werden möchte. Als Endziel von Clean Coal gilt die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (engl. Carbon Dioxide Capture and Storage). Hierbei wird das Kohlendioxid bei der Kohleverbrennung abgetrennt und in Erdkavernen gepresst. Klingt einfach, aber das Verfahren ist aufwendig und teuer. Große Mengen an Energie sind nötig, um das Kohlendioxid abzutrennen und in den Boden zu pressen. Dadurch würde der Wirkungsgrad um bis zu ein Drittel sinken, die Stromkosten um 30 Prozent bis 60 Prozent steigen. 19 Die Fortschritte, die die höheren Wirkungsgrade der Kohleverbrennung bislang gebracht haben, wären damit hinfällig. Und last, but not least: Warum soll man einen Stoff in den Keller sperren, der niemandem schadet, der im Gegenteil das Pflanzenwachstum fördert?

Der Ökonomieprofessor Hans-Werner Sinn findet es deshalb am sichersten, Kohlendioxid „in Form von Holz zu speichern und groß angelegte Programme zur Aufforstung von Wäldern zu starten.“ Jedes Jahr, so der Professor, verliere der Globus netto Wald auf einer Fläche, die der Größe Irlands entspricht. Könnte man die Abholzung stoppen und jährlich eine ebenso große Fläche aufforsten, ließe sich der CO2-Ausstoß um ein Drittel verringern. 20 Der renommierte niederländische Geologe Salomon Kroonenberg weist in seinem exzellenten Buch Der lange Zyklus noch auf einen anderen Punkt hin. Was ist, wenn die nächste Eiszeit kommt? Sie kommt garantiert und wird ein viel größeres Problem als die Erwärmung sein. „Die einzige Möglichkeit, diesen Effekt abzumildern“, so schreibt er, „ist, dafür zu sorgen, dass so viel CO2 wie möglich in die Atmosphäre gelangt“. Seine Forderung: „Also heizen, Greenpeace! Rettet das Klima der Finnen.“

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