01.09.2006

Was bringt das „CO2-freie Kohlekraftwerk“?

Analyse von Lutz Niemann und Ludwig Lindner

Die CO2-Emissionen sollen nach dem Kioto-Abkommen reduziert werden. Im Bereich der Stromerzeugung bieten sich hierfür Kernkraftwerke an. Um auch bei Kohlekraftwerken die CO2-Emissionen zu vermeiden, macht neuerdings das Schlagwort vom „CO2-freien Kohlekraftwerk“ und dem „Endlager für CO2“ die Runde.

Das „saubere“ Kohlekraftwerk ist technisch machbar. Bei der Verbrennung von Kohle entsteht ebenso wie bei Erdgas immer Kohlendioxid (CO2). Die zur Verbrennung verwendete Luft enthält 21 Prozent Sauerstoff, aber auch 78 Prozent Stickstoff und ein Prozent Argon. Trennt man den Sauerstoff jedoch vor der Verbrennung aus der Luft ab und verbrennt die Kohle mit reinem Sauerstoff, so bestehen die Abgase des Kraftwerks (Rauchgas) nach Auskondensieren des Wasserdampfs überwiegend aus CO2. Durch Verflüssigung kann das CO2 dann von den restlichen Gasen im Rauchgas abgetrennt werden und dann unter hohem Druck in tiefen geologischen Schichten, z.B. in erschöpften Erdöl- oder Erdgaslagerstätten, endgelagert werden. Diese Techniken werden von der EU gefördert, um mittelfristig die CO2-Emissionen aus Kraftwerken und Industrieanlagen um 30 Prozent zu reduzieren.[1]

Am 29. Mai 2006 erfolgte der erste Spatenstich für eine Pilotanlage (Oxyfuelanlage mit reinem Sauerstoff und Rauchgasrückführung), ein „sauberes Kraftwerk“ in Schwarze Pumpe bei Cottbus, das auf diese Weise betrieben werden soll. Vattenfall will für das 30-MW-Pilotkraftwerk 40 Mio. Euro ausgeben. Die Inbetriebnahme ist für 2008 geplant.[2]

Auch bei RWE gibt es ein analoges Projekt im Rahmen der „Clean-Coal-Power-Strategie“. Dabei soll die IGCC-Technik (Integrated Gasification Combined Cycle) zum Einsatz kommen, die auf der großtechnischen Kohlevergasung beruht und in Deutschland schon vor dem Krieg entwickelt und betrieben wurde (zur Herstellung von Synthesegas für die Chemie, einem aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff bestehenden Gasgemisch). RWE selbst kann auf Erfahrungen aus 30 Jahren großtechnischer Kohlevergasung zurückgreifen. Das Unternehmen hat zwölf Jahre lang die HTW-Demonstrationsanlage in Berrenrath mit einer durchschnittlichen Verfügbarkeit von 85 Prozent betrieben und damit die großtechnische Reife nachgewiesen. In dieser für die Synthesegaserzeugung errichteten Anlage wurden alle Prozesse realisiert, wie sie auch in der CO2-freien Kraftwerkstechnik erforderlich sind. Rund zwei Mio. Tonnen CO2 wurden im Lauf des Anlagenbetriebs abgetrennt und genutzt, z.B. zur Inertisierung (als Schutzgas).[3]
 

Geringer Wirkungsgrad, hohe Kosten
Es gibt weitere Methoden, die bei der Kohleverbrennung entstehenden CO2-Abgase zu konzentrieren und abzuscheiden.[4] Allen Kohlekraftwerken mit CO2-Abscheidung ist jedoch gemeinsam, dass der Wirkungsgrad des Kraftwerks zurückgeht, bei Schwarze Pumpe von 42,7 auf 34 Prozent.[5] Während also bisher rund 280 g Kohle pro kWh benötigt werden, erhöht sich beim so genannten CO2-freien Kraftwerk der Kohleverbrauch auf rund 350 g pro kWh. Auf der anderen Seite soll durch vorbildliche Maßnahmen, wie Braunkohletrocknung, höhere Temperaturen und höhere Drücke (700 Grad Dampftemperatur und 350 bar Dampfdruck) der Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken auf über 50 Prozent gesteigert werden (der weltweite Durchschnitt liegt bei nur 31 Prozent).[6] Diese Maßnahmen sind gegenläufig.
CO2-Verflüssigung, Transport und Endlagerung sorgen zudem für höhere Kosten. Die Konzerne kalkulieren 50 – 60 Euro pro Tonne CO2. Die EU, die sich als Vorreiter der neuen Technologie sieht, zielt auf eine Halbierung der Kosten.[7] Bei der optimistischen Betrachtung von 20 Euro pro Tonne CO2 ergibt sich ein Aufpreis von 1,6 Cent pro Kilowattstunde (da für 1 kWh Strom bei Kohle rund 0,8 kg CO2 emittiert werden).

Gesetzt den Fall, man ist bereit, die hohen Kosten in Kauf zu nehmen – bei der Kraftwerkstechnik lassen sich mit genügend Geld viele Probleme lösen –, so bleibt dennoch die Frage: Wohin mit dem CO2? Die anfallenden Mengen sind gewaltig. Ein Steinkohlekraftwerk der Mittellast mit 700 MW verbraucht im Jahr rund eine Mio. Tonnen Kohle, es entstehen rund drei Mio. Tonnen CO2 mit einem Volumen von 1500 Mio. Kubikmeter. Das ist das 7,5-fache des Fassungsvermögens des Ederstausees. CO2 lässt sich durch Druck auf 55 bar bei 20 Grad Celsius verflüssigen. In der durch Druck verflüssigten Form nimmt diese CO2-Menge ein Volumen von vier Mio. Kubikmeter ein, auch das ist noch ein wahrhaft gigantisches Volumen. Daher benötigt das so genannte „CO2-freie Kohlekraftwerk“ ein ständig zur Verfügung stehendes Endlager. Eine Zwischenlagerung des CO2 ist nicht möglich, denn die dazu erforderlichen Druckbehälter müssten ebenfalls gigantische Ausmaße haben.

‚„CO2-freien Kohlekraftwerke“ existieren nicht.‘


Was geschieht mit dem CO2?
Um die CO2-Abtrennung und -Deponierung kostengünstig vornehmen zu können, laufen derzeit Pilotprojekte in mehreren EU-Mitgliedsstaaten.
Noch im Jahr 2006 will der norwegische Ölkonzern Statoil im Snövhit-Feld unter der Nordsee vor Nordnorwegen einen CO2-Speicher in Betrieb nehmen. Pro Jahr sollen dort 750.000 Tonnen verflüssigtes CO2 in eine Tiefe von 2,5 km unter den Meeresboden gepresst werden. Die Kapazität des Speichers soll für rund 20 Jahre reichen. Auch das inzwischen erschöpfte Ölfeld „Casablanca“ (Eigentümer ist der spanische Energiekonzern Repsol) ist als CO2-Endlager aussichtsreich. Die Speicherkapazität beträgt 500.000 Tonnen CO2 pro Jahr.

Doch stellt sich die Frage: Kann es dazu kommen, dass endgelagertes CO2 wieder die Erdoberfläche erreicht und dort das Leben erstickt? CO2-Gas ist schwerer als Luft, es sammelt sich daher an tiefen Stellen, wenn die Luftbewegung eingeschränkt ist. Konzentrationen über zehn Prozent CO2 in der Atemluft führen zur Bewusstlosigkeit. Da CO2 aber geruchlos ist, kann ansteigender Gehalt in der Luft vom Menschen nicht bemerkt werden. Schon bodennahe CO2-Ansammlungen in Gärkellern, Höhlen oder Besucherbergwerken können Gefahren bergen.
Die Endlagerung von CO2 unter Tage verlangt daher die Leckrate null, es darf weder langsam an die Oberfläche diffundieren, noch in plötzlichen Ausbrüchen in großer Menge zu Tage treten, denn ansonsten wird das Vorhaben sinnlos. Die Sicherheit muss für Millionen von Jahren gewährleistet sein. Doch wer kann dies gewährleisten?

Gefahren durch unterirdisch gelagertes CO2
Im Jahr 1986 gab es am Nyos-See, einem Kratersee in Kamerun, eine Naturkatastrophe, bei der rund 2000 Menschen zu Tode kamen. Dort wurde explosionsartig eine CO2-Gaswolke aus dem See freigesetzt, die alles atmende Leben erstickte. Das CO2-Gas vulkanischen Ursprungs hatte sich im sehr tiefen und stillen See über lange Zeiten hinweg angereichert und war plötzlich aufgestiegen. Das ausgetretene Gas verdrängte die Luft, füllte die Täler wie Wasser aus, wälzte sich talabwärts und erstickte im Umkreis von 20 km Menschen und Tiere.[8]

Überall dort, wo unterirdisch nach Erzen oder Kohle gegraben oder wo Erdöl oder Erdgas gefördert wird, entstehen Hohlräume, und im Deckgebirge sind Veränderungen wie Risse im Gestein die Folge. Diese können sich bis an die Oberfläche fortsetzen. Im Ruhrgebiet gibt es als Folge des Bergbaus Bergsenkungen. In großen Teilen des Ruhrgebiets muss ständig Wasser abgepumpt werden, damit es durch die unterschiedlichen Bergsenkungen nicht zu Überschwemmungen kommt.

Bei Erdöl und Erdgasförderung kann es durch die Veränderungen im Gebirge zu unkontrollierten Ausbrüchen von Öl oder Gas kommen. Man nennt diese Ausbrüche „Blow-out“. Sie stellen besonders für Offshore-Bohrungen ein hohes Risiko dar. Die Münchner Rück hat für den Zeitraum von 1974 bis 1985 insgesamt 90 Großschäden in der Offshore-Bohrtechnik dokumentiert, davon sind rund 20 Prozent durch einen Blow-out verursacht.[9] Plötzliche Ausbrüche von Öl und Gas aus Förderfeldern sind also recht häufige Schadensereignisse, sie dürfen nicht vernachlässigt werden.
In gleichem Maße, wie Erdöl und Erdgas unkontrolliert zum Ausbruch kommen können, ist dies auch von endgelagertem CO2 zu erwarten, wenn es in ausgebeutete Gas- oder Ölfelder eingepresst wird. Dabei ist zu beachten, dass die beim Nyos-See freigesetzte CO2-Menge mit geschätzten 170 Mio. Kubikmeter nur rund ein Zehntel der jährlichen Abgasmenge eines Steinkohlekraftwerks der Mittellast ausmacht.


Endlager und Endlager
Das so genannte „CO2-freie Kohlekraftwerk“ ist Teil der politischen Diskussion um die Kernkraft, daher gehört der Vergleich mit der Endlagerung der Abfälle eines Kernkraftwerks zu einer vollständigen Behandlung des Themas. Die Abfälle der Kernkraftwerke sind fest, sie sollen in Deutschland in einer Tiefe von 800 bis 1300 Metern endgelagert werden. Feste Stoffe können sich nicht bewegen, sie verbleiben an Ort und Stelle. Bei der Diskussion um die Langzeitsicherheit der Endlager der radioaktiven Abfälle geht es um geologische Hebungsraten und gleichzeitige Erosion an der Oberfläche, die Abfälle wieder in die Biosphäre bringen könnten.[10] Zieht man diese geologischen Prozesse auch beim CO2-Endlager in Betracht, so wird für das Verbleiben eines beweglichen Gases in tiefem Untergrund über eine Million Jahre keine glaubhafte Begründung mehr zu finden sein.
Es ist schwer nachvollziehbar, wie heute das sehr kleine Risiko bei der Endlagerung von in der Menge sehr geringen, aber festen Abfallstoffen eines Kernkraftwerks als zentrales Argument für den Ausstieg aus dieser Technologie herhalten muss, die Endlagerung der gasförmigen Abfälle eines Kohlekraftwerks auf genau die gleiche Weise von der Politik hingegen mit Euphorie begleitet wird.

„Statt diese Utopie weiter zu verfolgen, sollte die CO2-Emission der Kohlekraftwerke durch neue, tatsächlich CO2-freie Kernkraftwerke kompensiert werden.“

Zumindest sprachlich hat man dabei alles im Griff. So wird das Kohlekraftwerk, dessen Abgase man auffangen und endlagern will, als „CO2-freies Kohlekraftwerk“ bezeichnet, obwohl es das nicht ist. Mit gleicher Rechtfertigung könnte man alle Kernkraftwerke als „abfallfrei“ bezeichnen, denn auch dort will man die Abfälle von der Biosphäre getrennt in tiefen Erdschichten lagern. Dem Kohlekraftwerk wird eine positiv klingende Überschrift gegeben. Der Normalbürger, der die Zusammenhänge nicht kennt, wird in die Irre geführt.

Der Bau eines solchen Kohlekraftwerks und das Einpressen des entstehenden CO2 in tiefe geologische Schichten sind machbar. Die Sicherstellung des CO2-Endlagers ohne Leck für ewige Zeiten ist hingegen ein Unding.
Es macht keinen Sinn, die durch höheren Druck und höhere Temperatur in der Vergangenheit erreichten Wirkungsgradverbesserungen von Kohlekraftwerken durch die „CO2-Philosophie“ wieder zu vernichten. Das ist eine Verschwendung von Energie und widerspricht dem Ziel der Nachhaltigkeit bei der Nutzung des fossilen Rohstoffs Kohle. Braunkohle ist unser wichtigster heimischer Energierohstoff, der auch noch über viele Jahre verfügbar ist. Statt die Utopie eines so genannten CO2-freien Kraftwerkes weiter zu verfolgen, sollte die CO2-Emission der Kohlekraftwerke durch neue, tatsächlich CO2-freie Kernkraftwerke kompensiert werden. Diesen Pakt „Kohle und Kernenergie“ hatten wir schon früher. Er sollte neu belebt werden.

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