22.10.2025

Wird es schlimm? Oder noch schlimmer?

Von Jörg Michael Neubert

In seinem neuen Buch „Wot Se Fack, Deutschland?“ malt der Kabarettist Vince Ebert ein düstereres Bild als sonst, ohne dabei seinen Humor zu verlieren.

Wann weiß man, dass die Lage wirklich schlecht ist? Wahrscheinlich dann, wenn jemand dessen Hauptaufgabe es ist, Humor zu verbreiten, plötzlich ernsthaft wird. So geschehen in dem aktuellen Buch des Kabarettisten Vince Ebert mit dem Titel: „Wot Se Fack, Deutschland?“. 

Das Buch gliedert sich nach einer kurzen Einleitung in drei Teile. Im ersten Teil beleuchtet Ebert hauptsächlich die historische Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, die sich von einer durch Gefühle und unbewiesenen Annahmen geleiteten hin zu einer mehr auf rationalen Begründungen und Beweisen beruhenden entwickelt hat. Das zeigt sich auch in der technischen Entwicklung: „Vom Faustkeil zum Selfiestick“. Dabei ist der kurze Rundgang durch die Geschichte bei aller Ernsthaftigkeit immer wieder mit humorigen Einlagen gewürzt, was dem Lesefluss angenehm zugutekommt.  Zugleich ist zu erwähnen, dass die Erzählung nicht durch eine rosarote Brille erfolgt, sondern auch negative Aspekte dieser Entwicklung erwähnt werden. So bezeichnet der Autor London zu Zeiten der Industrialisierung als „Kloake mit Postleitzahl“.

Was aber immer betont wird, ist der positive Grundgedanke, dass Menschen in der Lage sind, derartige Probleme mit Rationalität zu überwinden. Und genau hier sieht der Autor Deutschland aktuell an einem Wendepunkt. Genau diese Rationalität und die damit verbundene Überzeugung, eine bessere Zukunft gestalten zu können, sind nämlich auf dem Rückzug. Im weitern Verlauf des Kapitels analysiert Ebert dann mit sarkastischem Ton und einer nicht zu übersehenden Verzweiflung die möglichen Ursachen. Insbesondere die Abschnitte über die Bedeutung neuer Medien und der Kampf der Geisteswissenschaften um Bedeutung seien hier empfohlen. Positiv ist für das gesamte Kapitel zu vermerken, dass es sich bei den Texten nicht um ein simples „Früher war alles besser“-Gejammere handelt, sondern dass der Autor die Problematik anhand von Quellen und stringenter Argumentation gut erklärt. Da stört es auch nicht, dass eine paar seiner Gags schon aus älteren Bühnenprogrammen bekannt sind.

„Der Autor seziert akribisch die deutsche Neigung, alle Dinge bis ins Extrem zu treiben.“

Im zweiten Teil wechselt Ebert dann von einer deskriptiven Sicht zu konkreten Phänomenen. So beschäftigt er sich hier untern anderem mit der Geschlechterdiskussion in ihren zahlreichen Facetten. Neben der Geschichte und der Unsinn, dass es mehr als zwei (biologische) Geschlechter geben soll, wird auch das Thema der grundsätzlichen Diskriminierung von Frauen in der für das Buch typischen sachlich-humorvollen Art behandelt. Dabei präsentiert Ebert keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse, sondern stellt viele seit längerem Bekanntes komprimiert dar, was der Qualität der Argumentation keinen Abbruch tut. Nach einem kurzen Ausflug in die Welt der Vielfalt, in der es offenbar „immer um Geschlecht, Ethnie etc., aber nie um Meinungsvielfalt“ geht, widmet sich der Autor einer heute eher selten gehörten Verteidigung des Kapitalismus. Auch hier verschweigt Ebert nicht, dass dieses System keineswegs perfekt ist, aber unter anderem mit Feststellungen wie der, dass „kein anderes System so viele Menschen aus der Armut befreit hat wie der Kapitalismus“ gelingen ihm doch einige wichtige Punkte. Abgerundet wird der zweite Teil noch durch das Thema Migration, das er mit leicht ironischem Unterton kommentiert, ohne dabei in rechtspopulistische Phrasen oder linksliberale Romantik zu verfallen.

Teil drei beschließt das Buch dann mit ein paar grundsätzlichen Beobachtungen. Besonders bei den Schilderungen seiner Gespräche mit Spitzenpolitikern, die die Gesamtsituation „realistisch und reflektiert sehen“, sich aber bei öffentlichen Diskussionen (z.B. beim Thema Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke) und Abstimmungen wie im Bundestag dann doch ganz anders verhalten, wird der Frust des Autors deutlich. Er zeigt sich außerdem, wenn der Autor akribisch die deutsche Neigung seziert, alle Dinge bis ins Extrem zu treiben. Eine Eigenschaft, für die „wir früher gefürchtet und heute verlacht werden“. Am Ende kann der Autor dann aber doch nicht ganz von seinem aus früheren Werken bekannten Zukunftsoptimismus lassen und gibt dem Leser bzw. der Politik noch ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg. Wobei diese vor allem psychologischer Natur sind. So empfiehlt Ebert neben mehr Mut zum Risiko, auch die Realität einfach ehrlich zu akzeptieren um dann konkrete Maßnahmen abzuleiten.

Fazit: Ein für Vince Eberts Verhältnisse eher pessimistisches Buch, das aber auch seinen typischen Humor nicht vermissen lässt. Letzteres sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dem Buch wirklich kritische Themen angesprochen werden, die es wert sind, über sie zu diskutieren. Insgesamt auf jeden Fall eine Leseempfehlung.

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