19.08.2014

Neue Klassentheorie

Rezension von Malte Tobias Kähler

Das Geldsystem steht im Mittelpunkt des neuen Buchs von Andreas Marquart und Philipp Bagus. In der ökonomischen Analyse der Österreichischen Schule verursacht das staatliche Geldmonopol zentrale Probleme. Die Stärken und Schwächen des Werkes spürt Malte Tobias Kähler auf

„Nicht schon wieder“. So etwa könnte man auf einen Titel wie diesen reagieren. Er deutet auf ein bereits oft durchgekautes Thema hin: die ungleiche Verteilung unseres Wohlstands. In einer durchschnittlichen TV-Talkrunde würde ab diesem Moment dann auch sogleich auf die immer weiter auseinander driftende Lücke zwischen „Arm und Reich“ verwiesen werden. Um schließlich unter zustimmendem Nicken den „Bankern“, den „Managern“ oder stellvertretend gleich der gesamten freien Marktwirtschaft die Schuld an der Misere zu geben. So weit wäre das alles wohl nichts Ungewöhnliches, oder?

Nun versuchen sich auch die beiden Autoren des vorliegenden Buches, Philipp Bagus und Andreas Marquart, an diesem Thema. Ob man da wirklich etwas Neues erwarten kann…? Ja, kann man! Denn Bagus, Professor einer öffentlichen Universität in Spanien und Marquart, Leiter einer Stiftung, die die ökonomische und gesellschaftspolitische Lehre des Ökonomen Ludwig von Mises verbreiten möchte, beschreiben gemeinsam, wie sich privilegierte Gruppen auf Kosten schwächerer Wirtschaftsteilnehmer und der Mittelschicht bereichern. Ihre Kritik richtet sich ebenso wie die gewöhnlichen Stammtisch-Parolen gegen das Bankensystem. Und sie vertreten in der Tat sogar eine Art „Klassentheorie“, in der die Anhäufung von Reichtum mit der Macht über das Geldsystem und die Steuerung der Geldschöpfung miteinander einhergeht. Doch hier hören die Gemeinsamkeiten mit dem TV-Talk dann auch schon auf…

„Neben den Banken profitiert vor allem aber der Staat vom ‚schlechten‘ Geld“

Der Kern des Buches ist, dass es „gutes“ Marktgeld gibt, welches sich spontan durch Tauschprozesse aus der Gesellschaft entwickelt, und „schlechtes“ Staatsgeld auf der Basis ungedeckten Papier- oder Fiat-Geldes. Der Staat verleiht als Monopolist dieses ungedeckten Papiergeldes den Banken ein Privileg, das es ihnen ermöglicht, beinahe unbegrenzt Kredite „aus dem Nichts“ zu schaffen und somit die Geldmenge stetig zu erhöhen. Durch die so stattfindende Inflation (inflare = „aufblähen“ der Geldmenge) wird unser Geld allmählich entwertet. Laut den Autoren profitiert neben den Banken vor allem aber der Staat vom „schlechten“ Geld, da er seinen gesellschaftlichen Einfluss durch leichtes Schuldenmachen immer weiter ausbauen kann. Ebenso profitieren all jene Interessengruppen, die direkt oder indirekt ein Einkommen vom Staat erhalten.

Durch die staatlich orchestrierte Vermehrung der Geldmenge und einer so beinahe grenzenlosen Kreditaufnahme können die Regierenden eine Vielzahl unterschiedlicher Programme und Kampagnen finanzieren, sei es in den Politikfeldern Sozial-, Arbeits-, Gesundheitspolitik, oder im Bereich der euphemistisch als „Verteidigungspolitik“ umschriebenen Kriegsausgaben. Diese aus Sicht der Autoren weiter ausufernden Transfers werden dabei nur zum Teil durch Steuern finanziert, denn „Steuern sind nicht gerade beliebt bei den Besteuerten, zeigen sie doch klar auf, dass die vermeintlichen Wohltaten des Staates nicht kostenlos sind. Die Gefahr besteht also, dass Sie [die Regierungen] nicht nur auf der einen Seite Freunde gewinnen, die Geld von ihnen erhalten, sondern auf der anderen Seite sich neue Feinde schaffen: jene nämlich, denen Sie dieses Geld zunächst abnehmen.“ [1]

Aus diesem Grunde wird auch in Zeiten einer handfesten Finanz- und Bankenkrise an dem wackligen und ungedeckten Papiergeldsystem festgehalten. Denn es ermöglicht, den Geld- und somit Kreditfluss auch ohne neue Steuern immer wieder neu aufzudrehen und die Effekte der Krise zumindest kurzfristig zu verschieben. Die schleichende Entwertung des Geldes finanziert somit tatsächlich die überbordenden Staatsausgaben. Die Auswirkungen dieser Geldentwertung bekommen überwiegend die Bezieher fester Einkommen, Angestellte, Rentner und Transferleistungsbedürftige zu spüren und nicht etwa „die Reichen“, die viel eher über Möglichkeiten verfügen, ihr Geld profitabel anzulegen und somit der Inflation zu entziehen.

Die beiden Autoren haben den Anspruch, mit diesem Buch eine Art „Einführung“ in das Denken der Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre zu formulieren, dabei jedoch anders als die mit Formeln und Statistiken gefüllten Lehrbücher der Orthodoxie möglichst allgemein verständlich und „logisch“ zu sein. In neun Kapiteln führen die Autoren den Leser daher Schritt für Schritt mit verständlichen Worten und auflockernden Beispielen nicht bloß in ihre ökonomische und wirtschaftshistorische Analyse ein, sondern sie formulieren zum Schluss auch eine Art „Klassentheorie“, welche den Titel des Buches aufgreift: Den vom ehemaligen Chefvolkswirt der Barclays-Bank, Thorsten Polleit, geschaffenen Begriff der „kollektiven Korruption“, bei dem ein immer größer werdender Anteil der Bevölkerung direkt oder indirekt vom Staat abhängig wird, greifen die Autoren dazu gerne auf:

„[A]ls Folge der kollektiven Korruption befürwortet ein großer Teil der Bevölkerung zunehmend das Tun des Staates, obwohl viele instinktiv fühlen, dass die uferlose Geldvermehrung und daraus resultierende Verschulung kein gutes Ende nehmen kann. […] Sie [Staat, politische Machthaber und Nutznießer des Bankensystems] haben diese Position nicht redlich erarbeitet, sondern sich ungerechtfertigt durch die Etablierung schlechten Geldes verschafft. Sie nutzen das staatliche Geld zu ihrem eigenen Vorteil und zur Festigung ihrer Position“ [2].

„Der Spuk der künstlichen Geldvermehrung ist gemäß der ‚österreichischen‘ Konjunkturtheorie für Finanz- und Schuldenkrise verantwortlich“

Die Autoren nennen zwei Gründe, warum der Spuk der künstlichen Geldvermehrung, der gemäß der „österreichischen“ Konjunkturtheorie für Finanz- und Schuldenkrise verantwortlich ist, immer weiter geführt wird: „Einmal, um das Bankensystem zu retten, das ja auch die Politik indirekt finanziert, und zweitens, um den Staat ganz direkt zu finanzieren. Dies geschieht, wenn Notenbanken direkt die Anleihen, also die Schulden des Staates abkaufen. Die Regierung bekommt dann eine Überweisung direkt in die Staatskasse, dafür wandern Staatsanleihen zur Notenbank.“ [3]

Überwiegend sehr gut lesbar und mit vielen, sorgfältig gewählten, Beispielen erläutern die Autoren, wie eine tatsächlich „freie“ Marktwirtschaft mithilfe eines „guten“ Marktgeldes funktionieren könnte und weiter, wie das Bankensystem im historischen Verlauf stetig weiter zentralisiert wurde – mit dem Resultat, dass die Wirtschaft periodisch von Finanzkrisen heimgesucht wird.

Über eine reine ökonomische Analyse hinweg machen die beiden Autoren auch keinen Hehl aus ihrer politischen Verortung im Lager der Libertären bzw. klassisch Liberalen. Dabei würzen sie die Kapitel immer wieder mit kleinen Spitzen gegen die gegnerischen politischen Lager von Links und Rechts. Die zum Teil sogar sarkastischen Aussagen – z.B. „[a]lso immer, wenn Sie „sozial gerecht“ hören, schnell ein kurzer Blick ob Ihre Brieftasche noch da ist“ – sprechen dabei sicherlich die Leser an, die ohnehin gegen staatliche Intervention eingestellt oder gar anarchistisch angehaucht sind. Umso mehr verfehlen die Autoren aber dadurch ihr Ziel, wirklich eine wertfreie, wenn auch populärwissenschaftliche Einführung in die Österreichische Schule der Volkswirtschaftslehre zu liefern.

Das ist insofern bedauerlich, da doch die grob skizzierte Theorie zweier Lager oder „Klassen“, einen idealen Anknüpfungspunkt an das Gerechtigkeitsempfinden und auch das politische Weltbild gerade der linken Ideologien aufweist. Die Dichotomie zwischen denjenigen, die durch freiwillige Arbeit und Tausch ihr Einkommen erwirtschaften, sowie der ausbeutenden Gruppe der „kollektiv korrupten“ Profiteure des Geldmonopols beruht ja nicht unwesentlich auf den Gedanken eines frühen Sozialisten: Franz Oppenheimer [4] und seiner Unterscheidung zwischen dem politischen und dem ökonomischen Mittel, um an Wohlstand zu gelangen.

Die größte Schwäche zeigt das Buch dann, wenn es über das erklärte Ziel hinaus schießt und versucht aufzuzeigen, „was Inflation mit dem Menschen macht“. Selbst wenn man der Argumentation in diesem Kapitel folgen möchte, hat man stets den Eindruck, sich hier auf sehr vagem spekulativen Terrain zu bewegen und es bleibt ein bieder konservativer Nachgeschmack, bei dem man sich fragt, warum diese offenbar persönliche Sicht der Autoren in einer „Einführung“ der Ökonomie ihren Platz findet.

„Unser gegenwärtiges Finanzsystem wird noch größere Krisen für uns bereithalten“

Die Autoren schließen mit der Warnung, dass unser gegenwärtiges Finanzsystem noch größere Krisen für uns bereithalten wird, wenn wir dem Staat das Geldmonopol nicht entreißen. Sie diskutieren auch die Frage, warum der Mainstream sich so wenig mit der Österreichischen Schule auseinander setzt.

Das Buch hat großes Hit-Potential in der libertären Szene, verfehlt wohl aber das erklärte Ziel, die Lehren der Österreichischen Schule weiter zu verbreiten. Denn obwohl die Beispiele vortrefflich gewählt sind und die Autoren großes Talent beim Beschreiben der komplexen Zusammenhänge zeigen, kommt das Buch oftmals zu reißerisch, zu diffamierend und zu überheblich daher, um jemanden zu überzeugen, der nicht bereits ein „Österreicher“ war.

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