02.08.2024
Missionar der Marktwirtschaft
Von Niels Hipp
In seinem neuen Buch „Weltreise eines Kapitalisten“ beleuchtet Rainer Zitelmann zahlreiche Länder. Insbesondere in der Wirtschaftsliberalisierung sieht er den Schlüssel zu mehr Wohlstand.
Rainer Zitelmann hat kürzlich sein neuestes Buch mit dem reizvollen Titel „Weltreise eines Kapitalisten“ herausgegeben. Der Titel weckt Lust aufs Lesen des Werks, sowohl bei Personen mit Interesse an Kapitalismus und Marktwirtschaft als auch bei solchen, die selber viel gereist sind oder dies tun wollen. In der Buchmitte findet man 16 Seiten mit farbigen Fotos von den Reisen, auf den meisten ist auch der Autor abgebildet. Beim Stil fällt positiv auf, dass der Autor keine Gendersprache benutzt. Auch für Laien und Nichtakademiker schreibt der doppelt Promovierte gut lesbar.
Die Kernthese des Autors ist, dass immer dann, wenn man mehr Markt hat, wie in China nach 1978 oder in Vietnam nach 1986, es den Menschen besser geht, wohingegen mehr Staat wie in Argentinien und – so sei ergänzt – in Deutschland wie der EU insgesamt zu einer Verschlechterung der Lage führt. Zitelmann weist hier auf Deregulierung, Privatisierungen und Steuersenkungen hin, die Reformen unter Margret Thatcher in Großbritannien zwischen 1979 und 1990 sind für ihn das große Vorbild. Aber er erwähnt auch Steuerreformen in Georgien oder der Slowakei sowie die Abschaffung von Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuer in Schweden 2004.
Als roter Faden lässt sich die libertäre Sicht des Autors auf die Welt ausmachen. Der 67-jährige Rainer Zitelmann, als junger Mann Maoist, tritt heute als Prediger von Freiheit, Marktwirtschaft und Kapitalismus in gewisser Hinsicht in die Fußstapfen seines 2023 verstorbenen Vaters Arnulf Zitelmann, der als zeitweiliger evangelischer Pastor Prediger des Christentums war. Man merkt dem Autor an, dass er auch Historiker ist, da er in vielen Kapiteln kurz die Geschichte einschließlich der Wirtschaftsgeschichte des jeweiligen Landes schildert. Selbstverständlich kann Zitelmann bei 30 in diesem Buch abgehandelten Ländern nicht jedes einzelne ausführlich darstellen. Die Gespräche, die er dort mit Personen bzw. Vertretern von Organisationen geführt hat, nehmen teils breiteren Raum ein. Der Autor behandelt jeweils, wie er sich in allen von ihm bereisten Ländern mit libertären Thinktanks trifft, Vorträge etwa an Universitäten hält und mit Unternehmern oder befreundeten Gleichgesinnten vor Ort spricht. Er begibt sich aber nicht in ‚Feindesland‘, z.B. zu einer sozialistischen Partei oder einem Gewerkschaftsboss.
„Man erfährt, dass viele ehemals sozialistische Länder wie Polen oder Tschechien und erst recht Vietnam sehr prokapitalistisch sind und Neid auf Reiche kaum Verbreitung findet.“
Sehr informativ sind die von Zitelmann selbst finanzierten Umfragen zu Kapitalismus und Marktwirtschaft einerseits sowie zum Image der Reichen in einem Land andererseits. So erfährt man, dass viele ehemals sozialistische Länder wie Polen oder Tschechien und erst recht Vietnam sehr prokapitalistisch sind und Neid auf Reiche kaum Verbreitung findet, wohingegen man in der sehr erfolgreichen Schweiz eher antikapitalistisch denkt. Für die Schweiz und auch für andere wohlhabende Länder scheint zu gelten, dass die Menschen nach einer Zeit vergessen, worauf ihr Wohlstand beruht. In Argentinien, früher einem der reichsten Länder der Welt, wird nach Jahrzehnten des relativen Niedergangs wieder stärker prokapitalistisch gedacht, was sich dann 2023 in der Wahl Mileis zum Präsidenten zeigte. Anders sieht die Lage im südamerikanischen kapitalistischen Musterland Chile aus, wo Kapitalismus kritischer als früher gesehen wird. Antikapitalistische Haltungen sind auch in den romanischen Ländern Spanien, Portugal und Italien sehr dominant, am stärksten aber in Frankreich.
Von einer monokausalen Erklärung kann aber nicht die Rede sein: In Bosnien-Herzegowina etwa, einem Land, das viele Jahrzehnte zum sozialistischen Jugoslawien zählte, werden Marktwirtschaft und Kapitalismus – im Gegensatz etwa zu Polen – sehr skeptisch gesehen. In Ländern, die nie sozialistisch waren, wie Japan oder Südkorea stehen sowohl der Kapitalismus als auch das Image der Reichen in hohem Ansehen, im Gegensatz etwa zu den romanischen Ländern. Überraschenderweise ergeben Zitelmanns Umfragen, dass in einem Land wie Schweden mit seiner hohen Steuerbelastung viele Menschen prokapitalistischer eingestellt sind als etwa in den USA.
Manchmal bestehen auch Unterschiede zwischen den Generationen: Ältere Bulgaren, die den Sozialismus noch selbst erlebt haben, zeigen sich viel stärker prokapitalistisch als ihre jüngeren Landsleute. Klare Muster lassen sich hier schwer herausarbeiten, man findet zu jeder Hypothese meist irgendwelche Gegenbeispiele, was etwas ernüchtert. Es bedrückt die Erkenntnis, dass es ein Land, das einmal auf die abschüssigen Bahn geraten, sich nicht, nachdem ganz schlimm geworden ist, automatisch wieder aufrappelt. Geschichte habe, so Rainer Zitelmann zurecht, nun einmal nicht immer ein Happy End.
Der Schwerpunkt des Werks liegt auf Europa – etwa die Hälfte der Kapitel befasst sich mit diesem Kontinent. Afrika und Australien kommen gar nicht vor. Bei Afrika liegt das Problem bei seiner fehlenden Gelbfieberimpfung. Dieses hätte Zitelmann aber umgehen können, indem er etwa nach Tunesien oder Südafrika gereist wäre, da diese Länder überhaupt keine Gelbfiebergebiete sind. Auch Mittelamerika und die Karibik fehlen, dabei wäre etwa die Dominikanische Republik ein gutes Beispiel für eine Wohlstandsentwicklung durch Kapitalismus – im Gegensatz zum Elend und Chaos auf Haiti oder dem gescheiterten Sozialismus auf Kuba.
„In Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei, gibt es seit 2017 ein libertäres Café, an dessen Wänden Bilder von Hayek, Mises und Rothbard sowie der Slogan ‚Laissez faire' hängen.“
Asien ohne Georgien, immerhin dem mit Abstand bevölkerungsreichsten Kontinent, sind nur vier Kapitel gewidmet – je eins zu Vietnam, Südkorea, der Mongolei und Nepal. Diese „Weltreise“ deckt nicht den ganzen Globus ab. So bleiben natürlich interessante Fragen offen: Wie sieht es mit dem Image der Marktwirtschaft im Iran aus? Gibt es libertäre Thinktanks in Usbekistan? Dafür kommen manche Länder mehrfach vor, Polen und die USA sogar je vier Mal. Denn Zitelmann zeichnet seine einzelnen Reisen nach. Dadurch sind die Informationen zu mehreren Ländern über verschiedene Kapiteln verstreut zu finden.
Zahlreiche Punkte abseits der Kernaussagen sind interessant, z.B. dass viele Libertäre in den USA zwar die deutsche „Energiewende“ sehr kritisch sehen, das hiesige Verhältniswahlsystem aber als wünschenswert betrachten. Oder dass sich in Nepal nach wie vor etliche Parteien maoistisch nennen, obwohl es im Nachbarland China durch den „Großen Sprung nach vorne“ unter Mao zu Millionen von Toten kam. Oder dass es in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei, seit 2017 ein libertäres Café namens Liberty Hub gibt, an dessen Wänden Bilder von Hayek, Mises und Rothbard sowie der Slogan ‚Laissez faire' hängen, in dem der Autor einen Vortrag mit immerhin 50 Teilnehmern hielt. Amüsant sind noch manche Anekdoten, wie etwa, dass Zitelmanns Hotel in Amsterdam es nicht vermochte, ihm Milch aufs Zimmer zu bringen. Der Autor hat es nämlich zu einigem Wohlstand gebraucht und steigt regelmäßig in teuren Hotels, wo man einen solchen Zimmerservice erwarten kann. Entsprechend fliegt er, der als 29-Jähriger erstmals per Flugzeug unterwegs war, inzwischen immer Business Class oder First Class. Auch erfährt man, dass der Kraftsportler Vegetarier ist, was man bei einem Libertären vielleicht weniger erwartet hätte als bei einem Grünen. Nicht ganz erschlossen hat sich mir, wie viele Freundinnen Rainer Zitelmann eigentlich hat.
Details über die bereisten Städte liest man wenig; eine Aussage wie, dass in Tiflis viele schöne Gebäude aus dem 19. Jahrhundert stehen, hat so fast Seltenheitswert. Auch Sehenswürdigkeiten kommen so gut wie gar nicht vor. Schade, denn für interessierte Leser gäbe es noch mehr Gründe, selbst einmal in das entsprechende Land zu reisen. Zitelmanns These, man könne Sehenswürdigkeiten auch im Internet betrachten, müsse sie also nicht vor Ort selber sehen, überzeugt nicht, da man dann etwa das Umfeld, die Leute, die Gerüche vor Ort gar nicht wahrnimmt.
In „Weltreise eines Kapitalisten“ stellt Rainer Zitelmann Land für Land dar, warum das eine arm ist und das andere reich: Das eine Land vertraut auf Kapitalismus und Marktwirtschaft, das andere nicht. Das verdeutlicht er anhand wirtschaftlicher Indikatoren und (wirtschafts)historischer Analysen. In diesem Zusammenhang ist die Einstellung der Bevölkerung wichtig, die er durch Umfragen ermitteln ließ. Sein Fazit lautet, dass die Zurückdrängung des Staates durch Deregulierung, Privatisierung und Steuersenkungen eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Lage spielt.