13.05.2024

Denkanstößiges wider den Zeitgeist

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Anthony Delanoix via unsplash (CC0)

Eine neue Zeitschrift, casablanca, beschäftigt sich mit der Krise des Westens. Wokismus, Corona- und Klimapolitik läuten das Ende „bürgerlicher Freiheiten“ ein.

„Solange die Sommer so wechselhaft sind wie der vorige, solange der Besuch von Freibädern eher wegen der Gewaltbereitschaft ihrer moslemischen Kundschaft als wegen fehlenden Sonnenschutzes Angst bereitet, […] so lange taugt das Klima nicht als Ventil für jene Mischung aus freiwilliger Selbstunterwerfung und offensivem Sadismus, verstocktem Menschenhass und hypochondrischer Neurosenpflege, die Covid-19 bei seinen Genießern so beliebt machte.“

Derart geladene Sätze sollten Sie schon verdauen können, wenn Sie zu einer neuen Zeitschrift greifen wollen, die sich casablanca nennt (Eigenschreibweise casa|blanca). Das Magazin stammt aus einer Strömung des ideologiekritischen Spektrums. Diese Ideologiekritiker pflegt(e) man antideutsche Linke zu nennen, wenngleich deren hier einschlägiger Flügel auch schon mal mit dem Etikett „rechtsantideutsch“ bedacht wird. Solche Einteilungen schmelzen in der Sonne neuer, postmoderner Gegensätze sowieso hinweg. Schon das in zwei Ausgaben erschienene Periodikum Erreger – damals hier rezensiert –, das aus diesen Kreisen stammt, vermochte Leser außerhalb der Ideologiekritiker-Blase zu finden.

Ihre erste Ausgabe widmet die casablanca der „Selbstpreisgabe des Westens“, seiner „Selbstliquidation“ und „Selbstentwestlichung“. Andere mögen den Niedergang des Abend- oder Vaterlands oder das Versinken der Moderne beklagen, für unsere Ideologiekritiker steht der Westen im Mittelpunkt. Und um den ist nicht es gut bestellt. Auf dem Titelblatt finden sich drei der Themen, die dabei eine Rolle spielen: Die „neue Normalität“ der Corona-Transformation, das Hamas-Pogrom vom 7. Oktober sowie die Klima- und Energiepolitik.

Letzteren Bereich behandeln vor allem die Philosophin Elena Louisa Lange und Achgut-Autor Thomas Maul in ihrem Heftbeitrag. Sie wenden sich gegen „das Verarmungsprogramm des grünen Schrumpfens“ und das dahinterstehende „verzichtsfetischistische Weltbild“. Dass Grüne und Klimaten aber von ihren Kritikern zuweilen als Sozialisten und Neomarxisten hingestellt werden, findet nicht ihr Plazet. Real existierende kommunistische Regime waren bzw. sind schließlich (keineswegs im Ergebnis, aber) ihrem Anspruch und ihrer Ideologie nach dem materiellen Fortschritt verpflichtet – und nicht dem Öko-Denken oder einem Wettergott. Man unterschätze, so Lange und Maul, „den antizivilisatorischen Furor in der Klimabewegung“, wenn man ihn mit Honecker & Co. in Verbindung bringt.

„Autorin Ada di Luca bemängelt, ‚dass man den Antisemitismus als pädagogisches Problem missversteht‘.“

Was die Corona-Transformation angeht, so drehte sich 2021/2022 das Blatt Erreger vor allem darum. Teile des ideologiekritischen Spektrums fanden die diesbezügliche Haltung seines früheren Zentralorgans, der Bahamas, nämlich zu unkritisch. Mit der casablanca ist eine Alternative entstanden, die regionalen Gruppen der Szene, z.B. aus Frankfurt oder dem Rheinland, nahesteht. Die Bahamas durfte allerdings in der ansonsten weitgehend reklamefreien Zeitschrift eine Anzeige schalten.

Das Thema Corona-Transformation behandelt in der Ausgabe insbesondere Welt-Autor Magnus Klaue. Er spricht von einer „Angstlustgemeinschaft“ in der Bevölkerung und der „Selbstabdankung der Wissenschaft“. Breite Teile der Gesellschaft „würden es […] jederzeit wieder tun“, so seine Bilanz. Im Vorwort sehen die Blattmacher übrigens „zwischen dem Alltagsverhalten von Corona-Sektenmitgliedern und der fortschreitenden Islamisierung des Westens einen objektiven Zusammenhang“. Wenn Klaue also im verhüllten Gesicht „einen Rückfall in die Barbarei“ erkennt, beschränkt sich das nicht auf Staub- und Spuckschutzmasken.

Auf diese Transformation folgte die „Zeitenwende“, die aus Anlass des Ukrainekriegs ausgerufen wurde. Obschon die Ideologiekritiker nicht nur als proisraelisch, sondern auch als proamerikanisch gelten, folgt der einschlägige Artikel im Heft, aus der Feder Jakob Hayners, nicht einfach dem westlichen Mainstream-Narrativ. Hayner sieht gegenüber der Corona-Zeitenwende eine Kontinuität – „Christian Drosten heißt dann eben Carlo Masala“ – und warnt vor einem Vorgehen, das hauptsächlich den Rüstungskonzernen hilft. An der US-geführten Geopolitik des Westens hat er auszusetzen, dass sie sich in den letzten Jahrzehnten gegen eher säkulare Diktatoren wie Hussein, Gaddafi und Assad richtete, statt Islamisten zu schwächen.

Mehrere Texte zu Israel, etwa von Maul und Klaue, finden sich online im Volltext. Das gilt nicht für Ada di Lucas Analyse von Lehrmaterialien zur Prävention von Antisemitismus. Die Autorin bemängelt, „dass man den Antisemitismus als pädagogisches Problem missversteht“. Das daraus erwachsene, steuerzahlerfinanzierte Material nimmt sie kritisch unter die Lupe. Dazu zählt ein sogenanntes „Action Kit“ der Amadeo-Antonio-Stiftung (AAS) – die von Anetta Kahane gegründet wurde, die in der DDR Juden für die Stasi bespitzelt hatte. Di Luca sieht darin „selbst ein Beispiel für israelbezogenen Antisemitismus“ – in seinem unterschwelligen Umgang mit der israelischen Regierung. Außerdem behauptet die AAS, die Verwendung des Begriffs „Juden“ sei quasi antisemitisch; stattdessen müsse es korrekt „Jüdinnen:Juden“ heißen. Immerhin: Man traut sich nicht, den Genderstern als „Judenstern“ zu setzen. Auch das pädagogische Material anderer Anbieter lässt für Di Luca zu wünschen übrig. Ihr Urteil: „Das präventionspolitische Demokratiespektakel […] befördert Verdummung.“

„Den ‚Kampf gegen rechts‘ begreift Autor Jürgen Neucölln als ‚wirklichkeitsersetzende Inszenierung‘.“

Sie verweist dabei auf Theodor W. Adorno. Ideologiekritiker sind Adorniten, auf die Heiligen Schriften des großen Meisters wird auch in der casablanca gerne Bezug genommen. Wenngleich im Vorwort spekuliert wird, Adorno und Max Horkheimer würden, wenn sie heute lebten, vielleicht als rechte Schwurbler abgetan. Von denjenigen Anhängern der Kritischen Theorie hingegen, die sich inzwischen gemein machen mit gewissen Fehlentwicklungen, distanzieren sich die Autoren. „Wer Schmutz verbreiten will, der verbreitet adornierend noch schlimmeren Schmutz“, so Klaue.

In den 20 Artikeln aus der Feder von etwa einem Dutzend kommen auch andere Themen zur Sprache. So der „Kampf gegen rechts“, den Jürgen Neucölln als „wirklichkeitsersetzende Inszenierung“ begreift – nicht erst in jüngster Zeit, sondern auch schon beim Abgang von Hans-Georg Maaßen als Verfassungsschutzpräsident im Jahre 2018. Aktuell dient dieser Kampf u.a. der Ablenkung von „das Pogrom vom 7. Oktober verherrlichenden Berufspalästinensern“. Neucölln hält die – Achtung, böses R-Wort, schnell wegducken – „Remigration solcher Antisemiten“ für erforderlich. Philippe Witzmann beklagt, dass „die Frage eines republikanischen Gemeinwohls, eines vernünftigen Allgemeinen, nicht einmal mehr gestellt werden kann, weil das als wahlweise rassistisch, sexistisch, trans- oder islamophob etc. gilt.“

Während Witzmann die „zunehmende Hegemonie des cancel-culture-affinen Linksblocks und dessen Propaganda in Medien, Schulen, Unis, Zivilgesellschaft“ anspricht, hat es Magnus Klaue in einem seiner Beiträge auf die alten weißen Männer abgesehen. Jedenfalls auf Joe Biden, die „Repräsentationsfigur eines Übergangs der westlichen in eine postwestliche Gesellschaft“, welcher „den Typus des Staatsmannes als pflegebedürftiger Pfleger“ verkörpere, und auf Papst Franziskus, den er mit „woker Alterspausbäckigkeit und daueragiler Senilität“ „fluffig wie ein Männermodel der Apotheken-Umschau durch den Vatikan turnen“ sieht. Anna Sutter beschäftigt mit Ayaan Hirsi Alis Konversion zum Christentum.

„Schriftsteller Carl Zuckmayer gab seinem leiblichen Kind den Vornamen Winnetou. Dabei hatte er gar keinen Sohn.“

Der Literaturwissenschaftler Prof. Gunther Nickel verteidigt Karl Mays „Winnetou“ gegen Versuche, ihn zu canceln. Er verweist dabei auf den May-Fan Ernst Bloch („Das Prinzip Hoffnung“) und den Schriftsteller Carl Zuckmayer („Der Hauptmann von Köpenick“), der sogar seinem leiblichen Kind den Vornamen Winnetou gab. Dabei hatte Zuckmayer gar keinen Sohn. Wir dürfen jedoch vermuten, dass er seine Tochter nicht für „genderfluid“ hielt. Auch der woke Trans- und Genderirrsinn kommt in der casablanca zur Sprache. Vojin Saša Vukadinović sieht dahinter folgenden bizarren Gedankengang: „Der Westen soll sterben, und mit ihm die ‚binäre Geschlechterordnung‘, die als sein Wesen gilt.“

Zur woken Weltsicht gehört auch, dass Schauspieler keine Figuren einer anderen Ethnie darstellen sollen. Ende der 1930er Jahre konnte Peter Lorre noch ganz unproblematisch in acht Filmen die japanische Hauptfigur „Mr. Moto“ verkörpern. Der jüdische Künstler Lorre, den Thomas Maul aus Anlass seines 120. Geburtstags und 60. Todestags würdigt, spielte nicht nur in Fritz Langs „M“, sondern auch unter Hitchcock und in „Casablanca“. Da schließt sich der Kreis.

Transhumanismus, Kneipenkultur und die Romantik ergänzen den inhaltlichen Reigen. Um der Textmenge Herr zu werden, verwendet die casablanca, die zweimal jährlich erscheinen soll, eine nicht übermäßig lesefreundliche Schriftgröße. „Texte zur falschen Zeit“ lautet ihr Untertitel – damit dürfte kaum gemeint sein, dass man sich einen ungünstigen Zeitpunkt zur Veröffentlichung ausgesucht hätte. Wer mit dem gegenwärtig wabernden Zeitgeist hadert, findet in der Zeitschrift reichlich Denkanstößiges.

casa|blanca

casa|blanca, April 2024. Die Zeitschrift kann hier bezogen werden (12,50 € für das Einzelheft oder als Abo).

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