03.07.2020

Dead economy walking

Rezension von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Tripwire Interactive via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Die Zombiewirtschaft breitet sich aus. Wie Alexander Horn in seinem Buch ausführt, reichen die ökonomischen Probleme aber noch weiter. Wir sollten stagnierenden Wohlstand nicht hinnehmen.

Bei Karstadt herrscht „eine Stimmung ‚wie im Krieg‘“, Fluglinien-Beschäftigte warnen: „Lufthansa Lives Matter“. Das sind keine Erscheinungen, die ursächlich mit dem Corona-Ausnahmezustand zu tun haben, sondern mit solcher Panik wird in Deutschland schon lange auf Erschütterungen des wirtschaftlichen Lebens reagiert. Stabilität wird in einem Maße hochgehalten, dass die normale Dynamik des Marktgeschehens als Bedrohung erscheint. Der wirtschaftspolitische Fokus auf Stabilisierung führt dazu, dass selbst Unternehmen und Geschäftsmodelle, die ökonomisch eigentlich nicht mehr lebensfähig sind, als Untote weiterbestehen. Bis zu 16 Prozent der deutschen Unternehmen gelten inzwischen als unprofitable „Zombies“, künstlich am Leben gehalten durch Niedrigzinsen, „Rettungs“aktionen und Wettbewerbseinschränkungen.

Das beklagt Alexander Horn in seinem Buch „Die Zombiewirtschaft. Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ – kürzlich in der Edition Novo erschienen. Der Unternehmensberater und Novo-Redakteur steht mit seinem Vorwurf an die staatliche Politik und die Europäische Zentralbank, Zombiefirmen zu Lasten der notwendigen Marktbereinigung durchzuschleppen, nicht alleine da. Einige Kritiker haben sich des Themas angenommen.

Horn geht aber darüber hinaus: Für ihn sind Zombies nur die Spitze des Eisbergs. „Alle Unternehmen haben die problematischen Eigenschaften der Zombieunternehmen entwickelt, obwohl sich nur ein Teil […] aufgrund seiner desolaten wirtschaftlichen Verfassung als solche qualifiziert“, diagnostiziert er. „Die Wirtschaft ist umfassend erstarrt.“ Das Problematische besteht für ihn vor allem darin, dass die Unternehmen immer weniger für steigende Arbeitsproduktivität sorgen. Hierzulande stagniert die Arbeitsproduktivität – abgesehen von der Ausnahme Automobilindustrie – beinahe und das schon lange. „Der Wohlstandsmotor ist zusammengebrochen“, so der Autor. Denn ohne Produktivitätssteigerungen kein materieller Fortschritt, kein Mehr an Konsum, kein Mehr an Freizeit, mithin keine „Ausweitung der gesellschaftlichen und individuellen Freiheiten und Möglichkeiten“.

„Ohne Produktivitätssteigerungen kein materieller Fortschritt, kein Mehr an Konsum, kein Mehr an Freizeit, mithin keine ‚Ausweitung der gesellschaftlichen und individuellen Freiheiten und Möglichkeiten'.

Um produktiver zu werden, bräuchte es mehr Investitionen und mehr Innovationen. An beidem mangelt es jedoch, wie Horn faktenreich belegt und anhand einer Reihe von Diagrammen eindrücklich aufzeigt. Deutschland exportiert haufenweise Kapital, weil man offenbar zu wenige Möglichkeiten sieht, hierzulande zu investieren. Aktiengesellschaften schütten Rekorddividenden aus statt Geld in die Erhöhung ihrer eigenen Effizienz zu stecken. Bei den Innovationen kommt hinzu, dass Politiker gerne von ihnen schwafeln, sie aber definitorisch verwässern. Statt wie bei Schumpeter Fortschritt über notwendige „schöpferische Zerstörung“ zu erzielen, ist man – wie der Autor meint – „zu einem sehr schwammigen, beliebigen Verständnis von Innovation“ übergegangen, das wirklich „disruptive“ Veränderungen am liebsten vermeiden möchte. Stattdessen dominieren (u.a. keynesianisches) Gleichgewichtsdenken und die schon angesprochene Stabilitätsorientierung. Der Kapitalismus neigt aber dazu, „bestehende wirtschaftliche Gleichgewichte und soziale Verhältnisse eher aus der Ruhe zu bringen als zu stabilisieren.“ (H.i.O.). Diese Dynamik zähmen zu wollen, richtet Schaden an.

Die Kluft zwischen den Prinzipien der Marktwirtschaft einerseits und der heutigen politischen Praxis andererseits reicht allerdings noch viel tiefer, wie sich gerade auf dem Gebiet der Technologien in Deutschland offenbart. Grüne Gentechnik, Glyphosat, Atomkraft und viele andere Beispiele zeigen, dass antihumanistisches (Öko-)Denken als Innovations-, Fortschritts- und Wachstumsbremse fungiert. Ein „Menschenbild, das auf Vermeidung, Selbstbegrenzung, Risikoscheu und Angst vor Veränderung basiert“ macht Horn für den „Verlust des Vertrauens in die Kreativität unserer Gesellschaften, neue Probleme zu meistern“ verantwortlich. Diese vorherrschende Weltanschauung unterminiert die Aufklärung als geistige Grundlage einer freien Wirtschaftsordnung und verbindet sich mit einer „Geringschätzung des materiellen Wohlstands der breiten Massen“ (H.i.O.).

Das Werk spannt einen breiten Bogen, von „Taschenspielertricks“ der Rentenpolitik, die stagnierenden Wohlstand nur verhüllen, über den nur sehr partiell vorhandenen Fachkräftemangel, dem sich mit Rationalisierung begegnen ließe, bis zur Digitalisierung bzw. Industrie 4.0, die sich in Sachen Produktivität bisher noch als Papiertiger geriert. In der Ursachenforschung kommen sowohl Marx‘ Analyse vom tendenziellen Fall der Profitrate zur Sprache als auch Kritik am ausufernden Sozial- und Subventionsstaat. An der Ausgangslage verändert die Corona-Krise wenig, sie führt allerdings zur Verschärfung der Problematik.

„Wohlstand für alle statt Umverteilung des Mangels, technologische Innovationen mit dem Ziel größerer Naturbeherrschung, schöpferische Zerstörung der Zombieunternehmen, mehr Autonomie der Wirtschaftssubjekte"

Zusätzliche Essays zweier Gastautoren reichern das Buch an. Der Brite Phil Mullan beleuchtet die Zombiewirtschaft vor allem aus marxistischer Sicht und kritisiert sie als „schwarzes Loch, das jegliche Aktivität einsaugt und erstickt und kreative Impulse zunichtemacht“. Michael von Prollius kommt aus ganz anderer Perspektive, nämlich der der Österreichischen Schule der Wirtschaftswissenschaft, zu einer ähnlichen Diagnose. Er spricht von „einer notwendigen Bereinigungskrise, die die herrschenden Eliten unbedingt zu vermeiden suchen“ und stößt damit ins gleiche Horn wie Alexander Horn. Der Hauptautor beklagt nämlich ebenfalls, dass die Problematik „ignoriert, beschönigt oder verschleiert“ wird. Die Industriestrategie von Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) z.B. würde zu noch mehr Zombifizierung führen.

Wie sähe nach Horns Vorstellung eine Bereinigung, eine Überwindung der Zombieökonomie aus? Wohlstand für alle statt Umverteilung des Mangels, technologische Innovationen mit dem Ziel größerer Naturbeherrschung, schöpferische Zerstörung der Zombieunternehmen, mehr Autonomie der Wirtschaftssubjekte und eine starke Demokratie, damit sich diese Restrukturierung gegen pfründenverteidigende Partikularinteressen durchsetzen lässt. Hierfür müsste aber zunächst einmal die Problemerkenntnis anwachsen, wozu dieses Buch einen eindrucksvollen Beitrag leistet.

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