27.05.2022

Apokalypse now? Nein, ist abgesagt!

Rezension von Jörg Michael Neubert

Titelbild

Foto: Simon Rosengren via Pexels / CC0

In seinem Buch „Apokalypse, niemals! Warum uns der Klima-Alarmismus krank macht“ entwickelt der US-Ökomodernist Michael Shellenberger Alternativen zur Angstpolitik der Umweltbewegung.

Bekanntlich ist die Menschheit schon mehrfach untergegangen und seltsamerweise immer noch da. Aktuell ist es wieder soweit und der momentane Endgegner ist der menschengemachte Klimawandel. Völlig zu Unrecht, wie der Umweltaktivist Michael Shellenberger in seinem neuesten Buch „Apokalypse, Niemals! Warum uns der Klima-Alarmismus krank macht“ darlegen will. Shellenberger ist dabei kein Unbekannter. Der Amerikaner wurde vom Time Magazin 2008 zum „Umwelthelden des Jahres“ gekürt und ist seit vielen Jahrzehnten im Umweltschutz aktiv.

Gleich im ersten Kapitel macht Shellenberger sehr deutlich, wo er steht. Er bestreitet nicht, dass es eine Klimaveränderung gibt und teilt die grundsätzlichen Einschätzungen des internationalen Klimarats. Wogegen er sich wehrt, ist die in Ökokreisen verbreitete Vorstellung, dass die Menschheit diesem Problem praktisch hilflos gegenübersteht und nur radikaler Verzicht eine gangbare Lösung sei. So zitiert er einen Mitautor des Weltklimaberichts, der einen wichtigen Unterschied deutlich macht. Wie das Klima auf zunehmende Treibhausgase reagiert, lasse sich einfach vorhersagen. „Was schwieriger vorherzusagen ist, betrifft die Menschen: Wie werden Sie auf eine radikale Änderung des Wetters reagieren, das ihnen als Kind vertraut war […]“ Damit ist einer der zentralen Kerngedanken von Shellenberger schon ausgesprochen, der sich durch alle weiteren elf Kapitel des Buches zieht. Menschen reagieren auf Umweltveränderungen und es ist überhaupt nicht ausgemacht, dass die einzig mögliche Reaktion in Verarmung und Massenflucht besteht.

Im Folgenden widmet sich Shellenberger dann den populärsten Themen von Ökoaktivisten. So etwa der Rodung des Amazonas-Regenwalds, dem Massensterben von Tier und Pflanzenarten oder dem sich ausweitenden Fleischkonsum. Die einzelnen Kapitel sind umfangreich, was auch daran liegt, dass Shellenberger nicht einfach Fakten präsentiert, sondern alles in persönliche Geschichten einbettet. So erzählt er von seinem Einsatz für den Regenwald oder von seinen eigenen Erlebnissen im Kongo. Dabei macht er immer deutlich, dass sich Mensch und Natur in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis befinden und die typische Schwarz/Weiß- Auffassung Mensch = künstlich und schlecht vs. Natur = natürlich und gut in der Realität nicht funktioniert. So etwa, wenn er berichtet, dass Tiere aus Naturschutzreservaten in Afrika in menschliches Territorium eindringen und z.B. die Ernte von Kleinbauern zerstören, die damit ihre Existenzgrundlage verlieren.

„Was sind die Lösungen, die Shellenberger präferiert? Saubere und billige Energie, Wirtschaftswachstum sowie ‚künstliche‘ technische Lösungen.“

Trotz aller persönlichen Geschichten kommen Fakten in dem Buch nicht zu kurz. Dafür bürgt schon allein die 80-seitige Quellenliste. Shellenberger bleibt dabei in allen seinen Geschichten positiv gestimmt. Frei nach dem Motto des Buches konzentriert er sich mehr auf Fortschritte und Möglichkeiten, als auf Probleme und Gefahren. Wobei er diese auch nicht leugnet, was dem Buch einen angenehm pragmatischen Charakter verleiht.

Was sind also die Lösungen, die Shellenberger präferiert? Kurz zusammengefasst: Saubere und billige Energie, Wirtschaftswachstum sowie „künstliche“ technische Lösungen. Und zwar genau in dieser Reihenfolge! Zumindest grundsätzlich. Immer wieder kommt Shellenberger darauf zurück, dass Menschen nur dann aufhören können, die Natur zu übernutzen, wenn Sie Industrienationen entwickeln. Erst diese Entwicklung macht es möglich, Ressourcen effizient zu nutzen. Damit verbunden ist dann auch eine deutlich geringere Nutzung von Land, welches dann wieder für „die Natur“ frei wird.

Unabdingbare Voraussetzung dafür ist laut Shellenberger eine sichere, billige und saubere Energieversorgung. Erst wenn Menschen z.B. kein Holz mehr als Energiequelle verbrennen müssen, kann auch der Raubbau an Wäldern aufhören. Wer jetzt direkt an erneuerbare Energien denkt, wird allerdings eines Besseren belehrt. Shellenberger befürwortet klar einen stufenweisen Übergang von Holz zu deutlich energiereicheren Energieträgern wie Kohle und schlussendlich Kernkraft. Vielfach zeigt er auf, dass erneuerbare Energien keine Lösung für die ärmsten Länder der Welt sind. Denn Sie benötigen sehr viel Platz und können keine dauerhaft sichere Stromversorgung garantieren. Den von vielen Umweltaktivisten geforderten „Bocksprung“ (man überspringt einfach alle Zwischenstufen und landet direkt bei erneuerbaren Energien) erteilt er eine klare Absage. So kenntnisreich seine Argumentation hier auch ist, so kommt man nicht um den Eindruck herum, dass Shellenberger es sich bei Thema Atomkraft ein wenig zu einfach macht. Diese wird mit einem Satz einfach pauschal zu einer sauberen und emissionsfreien Energiequelle erklärt. Natürlich kann man so argumentieren, aber man würde sich schon wünschen, dass er diesen Punkt ein wenig ausführt. Gerade in Deutschland verliert er hier möglicherweise Leser, die seinem pragmatischen Ansatz bisher gefolgt sind.

„Laut Shellenberger ist das Denken, welches den Menschen als eine Art Schädling sieht, immer noch weit verbreitet.“

Zudem fordert er die Versöhnung mit dem Künstlichen. Dies untermauert er mit zahlreichen Beispielen, wo künstliche Produkte zum Schutz der Natur beigetragen haben. So schreibt Shellenberger beim Thema Artenschutz: „Wenn wir Meeresschildkröten und Elefanten retten wollen, müssen wir das Gefühl überwinden, natürliche Produkte seien künstlichen Produkten überlegen“. Er bezieht sich hier auf den Ersatz von Schildplatt und Elfenbein durch künstliche Stoffe.

In den letzten beiden Kapiteln verlässt Shellenberger dann doch noch kurz seine positive Erzählung. Hier wird es politisch. So beschreibt er die Entwicklung des Umweltgedankens historisch. Ohne dass dieser grundsätzlich verurteilt wird, macht er an zahlreichen Beispielen deutlich, was für menschenverachtende Gedanken mitunter hinter manchem angeblichen Ökoengagement steckt. So zitiert er z.B. Paul R. Ehrlich (Autor der „Bevölkerungsbombe“), der bei einem Besuch in Indien folgendes zu Protokoll gab: „Menschen, die essen. Menschen, die sich waschen. Menschen die schlafen. Menschen, die defäkieren und urinieren. Menschen, Menschen, Menschen“. Kaum jemand würde seine Abscheu so formulieren, doch laut Shellenberger ist genau dieses Denken, welches den Menschen als eine Art Schädling sieht, immer noch weit verbreitet.

Im Kapitel „Falsche Götter für verlorene Seelen“ beschreibt Shellenberger dann an mehreren Beispielen, wie die Ökobewegung immer wieder versucht, Wissenschaftler, Politiker etc. die nicht pauschal der allgemeinen Untergangsstimmung folgen, zu diskreditieren. Wohlgemerkt geht es nicht um Menschen, die den Klimawandel pauschal bestreiten oder Verschwörungsmythen anhängen, sondern um Menschen mit einer wohlbegründeten anderen Meinung. Diese werden in ein schlechtes Licht gestellt, in Verbindung mit „bösen“ Firmen gebracht oder persönlich angegriffen. Shellenberger erteilt dieser Cancel Culture eine klare Absage und fordert stattdessen einen ergebnisoffenen Dialog.

Fazit: Ein in weiten Teilen angenehm unaufgeregtes Buch. Was es besonders lesenswert macht, sind die vielen persönlichen Geschichten, die sich wohltuend von vielen reinen Faktensammlungen abheben. Ein Muss für jeden, der sowohl die Umwelt als auch Menschen voranbringen möchte.

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