19.09.2019

Ziele und Wege im Klimaschutz

Von Thilo Spahl

Die Pflicht zum Konsens und Ausdruck desselben im öffentlichen Bekenntnis ist ein beklagenswertes Übel.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, teilt uns mit:

„Natürlich müssen wir Technologien wie Windkraft, Wasserstoff, Elektromobilität massiv voranbringen. Schnellstmöglich müssen unser Strom und unsere Wärme allein aus erneuerbaren Energien produziert, unsere Mobilität sauberer, unser Wohnen und Leben sparsamer, unsere Infrastrukturen effizienter werden. Über diese Ziele gibt es hoffentlich keinen ernsthaften Streit mehr, über den Weg dorthin indes sehr wohl.“

Was sollten wir ihm antworten? Doch, sollten wir sagen, hoffentlich gibt es über diese Ziele noch viel ernsthaften Streit. Vor allem sollten wir ihm das entgegnen, weil er ansonsten in seinem Gastbeitrag in der F.A.Z. viele richtige Dinge sagt: dass es für Sozialkürzungen im Namen der Klimawende keine Mehrheiten geben werde. Dass wir statt unerreichbarer Postulate Vernunft, Realismus und Sachlichkeit brauchten. Dass ein Verbot von Verbrennungsmotoren keine schlaue Idee sei. Dass Weltuntergangsszenarien nicht helfen. Dass die maßlose Polemik gegen die Automobilindustrie schädlich sei. Und dass es ohne Wachstum keinen Wohlstand gebe.

Der von mir hier inkriminierte Satz ist eine pflichtschuldige Aussage. Ein offenbar jedem Politiker abverlangtes Bekenntnis, das er abzulegen hat, bevor er auf Probleme hinweisen darf.

„Ob auf erneuerbare Energien und Elektroautos gesetzt werden muss, ist nicht undiskutierbar."

Solche Bekenntnisse in allerlei Varianten sind heute gang und gäbe. Betrachten wir ein weiteres Beispiel: Im August luden „Parents for Future“ in Dresden „Vertreter'innen der Parteien“ zu einer Fishbowl-Diskussion „Fakten statt Geblubber. Wie soll Sachsens Klimaschutzpolitik der Zukunft aussehen?“ ein. In bewundernswerter Arglosigkeit teilten sie eine Woche vor der Veranstaltung in einem Tweet mit, welche Parteien schon zugesagt hatten: CDU, Grüne, Humanisten, Linke, SPD, ÖDP, Piraten – und Blaue Partei und NPD. Oh je, das konnte nicht gutgehen. Kurz darauf gab man bekannt, es gebe „aktuell Bedenken hinsichtlich der Parteien, die wir eingeladen haben.“ Der folgende Rettungsversuch war natürlich vergeblich. Er sollte in umfangreichen und recht hanebüchenen „Regeln“ bestehen, die sowohl ein Bekenntnisverbot (keine Parteienwerbung mit mehr als 2 cm Durchmesser) als auch ein Bekenntnisgebot enthielten, nämlich ein „Statement zum menschengemachten Klimawandel, zu dem sich alle Teilnehmer bekennen müssen“ – ein Bekenntnis zur Orthodoxie also, das jenen, die kommen wollten, um diese in Frage zu stellen, sicher nicht abzuringen gewesen wäre. Weshalb man es dann auch nicht versuchte, sondern die, bei denen man „keinen Grund“ sehe, „dass sie auch nur im Ansatz unseren Regeln zustimmen würden“ (NPD und AdPM) lieber wieder auslud. Bei AfD und PdV hoffte man kurz, dass sie sich ihrer Inkompatibilität einsichtig zeigen und nicht erscheinen würden, lud sie dann aber sicherheitshalber auch aus.

In einer ganz anderen Situation befindet sich natürlich Stephan Weil. Er will sich von vornherein der Kritik wegen Bekenntnismangels entziehen, wie es sich heute eben gehört, und übersieht dabei die Tragweite des Bekenntnisses bzw. dessen objektive Fehlerhaftigkeit. Denn in ihm werden Bestandteile eines möglichen Weges zu Zielen erklärt. Beim „Klimaschutz“ gibt es nur das eine Ziel: die Erderwärmung zu bremsen. Ob hierzu auf erneuerbare Energien und Elektroautos gesetzt werden muss, ob man dazu sparsamer leben muss, ob Mobilität dafür „sauberer" werden muss, ob Infrastrukturen effizienter werden müssen, das alles ist nicht gesetzt, nicht gottgegeben, nicht undiskutierbar. Es ist vielmehr höchst fraglich. Und um es in Frage zu stellen, muss man kein „Klimaleugner“ sein. Man muss nur bereit sein, zu riskieren, von Eiferern und Lobbyisten als solcher bezeichnet zu werden. Ein Risiko, das einzugehen sich um der guten Sache willen sicher lohnt. Der guten Sache der Klimakontrolle. Und auch der guten Sache der Demokratie.

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