10.04.2024

Wokeness: Umerziehung von oben

Von Frank Furedi

Titelbild

Foto: Matt Hrkac via Flickr / CC BY 2.0

Woke Vorstellungen entfalten ihre Macht nicht, weil sie viel Rückhalt in der Bevölkerung genössen. Vielmehr handelt es sich um ein elitäres Projekt, an dem sich Könige und Konzernchefs beteiligen.

Einst waren Einstellungen und Praktiken, die mit der Politisierung der Identität und den traditionsfeindlichen Idealen der Gegenkultur verbunden waren, auf die Universitäten beschränkt. Bis vor kurzem war die Universität der wichtigste Ort für die Förderung einer woken Weltanschauung. Heute hat sich die Situation geändert. Die westlichen Regierungen sind damit beschäftigt, die Gender-Ideologie zu verankern und die Entkolonialisierung von allem zu fördern. Die Konzerne sind so woke geworden, dass ihre Personalverantwortlichen zu den eifrigsten Verfechtern von Diversität, Inklusion, Gleichstellung und Nachhaltigkeit geworden sind. Die Harvard Business Review verkündet immer wieder im Brustton der Überzeugung, wie gut es für die Wirtschaft sei, wenn man sich woke Werte zu eigen macht, und warnt ihre Leser, nicht dem Druck nachzugeben, der von den Kritikern des woken Kapitalismus ausgeht.

Es ist offensichtlich, dass es sich – unabhängig von den Ursprüngen der Bewegungen, die die Identitätspolitik und die Vorstellung, dass das „Persönliche politisch ist" populär gemacht haben – nicht mehr um eine Bewegung von unten handelt. Während ich diesen Beitrag schreibe, erfahre ich, dass Charles III., der König von England, eine Studie über die historischen Verbindungen der königlichen Familie zur Sklaverei unterstützt hat. Es wurde berichtet, dass der König eine Entschädigung für den Sklavenhandel nicht ausschließt. Seine Entscheidung ist eindeutig keine Reaktion auf öffentlichen Druck. Millionen und Abermillionen von Menschen verlangen keineswegs, dass König Charles III. auf die Knie geht. Dass selbst ein vermeintlich sehr traditionalistischer Monarch sich der Sache der Entkolonialisierung annimmt, zeigt, dass selbst das alte Establishment woke geworden ist.

In der Tat sind woke Einstellungen – die viele fälschlicherweise für gegen das Establishment gerichtet halten – durch und durch feindselig gegenüber arbeitenden Menschen, besonders wenn sie weiße Haut haben. Anstatt die arbeitenden Menschen als ihre Verbündeten zu betrachten, werden sie als einfältiges Futter für Populisten abgetan, und heutzutage wird Populismus immer als gefährliche politische Pathologie hingestellt. Wie ich in einem anderen Beitrag festgestellt habe, glauben die Woken, dass der Rest der Gesellschaft auf einer niedrigeren Stufe lebt als sie selbst. Der Top-Down-Charakter des diskutierten Phänomens wird durch seine Verbreitung unter den Wirtschaftskapitänen des 21. Jahrhunderts deutlich. Die wirksamsten und mächtigsten Verfechter der Wokeness befinden sich derzeit unter den Konzernlenkern und dem kulturellen und technokratischen Establishment.

„Dieses Projekt zielt in erster Linie darauf ab, die Bindung der Menschen an traditionelle Werte – Patriotismus, Pflicht, Solidarität in der Gemeinschaft, Mut, Liebe zur Familie und Religion – aufzubrechen.“

Die globalistische Elite, die sich auf den Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos versammelt, bildet sich ein, im Besitz einer einzigartigen Weisheit zu sein, das weiten Teilen der Gesellschaft fehlt. Sie hat eine Vision, die sich in ihrer Vorstellung vom „Great Reset" niederschlägt. Der Great Reset wird oft als ein Projekt missverstanden, das sich ausschließlich der Modernisierung des Kapitalismus widmet. Die Befürworter des Great Reset verfolgen jedoch noch ein anderes Ziel. Sie wollen die Ansichten der Menschen ändern und sie umerziehen, damit sie sich an Normen halten, die sich von denen, nach denen sie leben, stark unterscheiden. Aus diesem Grund hat der Great Reset den modischen Anliegen der Identitätspolitik einen Ehrenplatz eingeräumt.

Der Great Reset stellt sich eine Welt nach der Pandemie vor, in der die LGBTQ+-Identitätspolitik die alten Ideologien ablöst. Es wird behauptet, dass „die Inklusion von LGBT+ das Geheimnis des Erfolgs der Städte nach der Pandemie" sei. Bizarrer Weise wird eine „starke positive Korrelation zwischen LGBT+-Inklusion und wirtschaftlicher Widerstandsfähigkeit" behauptet. Offensichtlich symbolisiert das Hissen der Regenbogenflagge jetzt die Identität des Davosmenschen. Das ist der Grund, warum sich selbst hartgesottene Konzernführer weltweit der Heilige Dreifaltigkeit von Hyper-Wokeness, technokratischer Sozialtechnik und Dekarbonisierung mit Eifer verschrieben haben.

Wie alle Initiativen, die von oben nach unten gesteuert werden, sind auch diejenigen, die sich auf die Politisierung der Identität beziehen, keine Reaktion auf eine öffentliche Nachfrage. Nehmen wir die zahlreichen Richtlinien zum Sprachgebrauch, die von öffentlichen und privaten Einrichtungen herausgegeben werden. Es sind keine normalen Menschen, die sich vorschreiben lassen wollen, welche Pronomen sie verwenden oder welche Wörter sie weglassen und welche sie übernehmen sollen. Auch stehen die Menschen nicht Schlange, um sich von selbsternannten Aufklärern belehren zu lassen. Dennoch sind sie, ob sie wollen oder nicht, zur Zielscheibe eines Projekts geworden, das darauf abzielt, ihre Denk- und Verhaltensweisen zu ändern. Dieses Projekt zielt in erster Linie darauf ab, die Bindung der Menschen an traditionelle Werte – Patriotismus, Pflicht, Solidarität in der Gemeinschaft, Mut, Liebe zur Familie und Religion – aufzubrechen. Dann will es die Menschen umerziehen, damit sie sich die neu erfundenen Normen zu eigen machen, die mit Sensibilisierung verbunden sind – Vielfalt, Inklusion, Urteilslosigkeit, Gleichstellung usw.

„Wer die Sprache kontrolliert, wird wahrscheinlich auch den nächsten Schritt tun und versuchen zu kontrollieren, wie die Menschen denken.“

Die Praxis der Sensibilisierung ist unmittelbar in das Projekt der Umerziehung der Menschen eingebunden. Diese Praxis wird systematisch durch die Bildungs- und Kulturinstitutionen und die Medien gefördert. Die Werbeindustrie spielt eine wichtige Rolle bei der Diskreditierung und Verdrängung traditioneller Normen durch neu erfundene Normen. Ein Beispiel dafür ist die Werbung für den Nike-Sport-BH für Frauen, die Dylan Mulvaney zeigt, einen biologischen Mann, der sich als Frau identifiziert und die Pronomen „sie/ihr" verwendet. Die Werbung ermutigt die Zuschauer, die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen als künstlich zu betrachten, und vermittelt die Behauptung, dass ein Genderfluidität die neue Normalität ausmacht. Mulvaney ist die Schöpfung einer elitären Kultur, die mit Verachtung auf die Normen und Werte des einfachen Volkes herabbblickt. Dank der Ermutigung durch einflussreiche Personen ist Mulvaney zu einem wichtigen Influencer in den sozialen Medien geworden. Im Oktober 2022 wurde er von Präsident Biden interviewt und über das Engagement des Demokraten für die Trans-Ideologie informiert. US-Vizepräsidentin Kamala Harris schrieb einen Gratulationsbrief, um Mulvaney zum Erreichen des 365-Tage-Meilensteins seines „authentischen Lebens" zu beglückwünschen.

Dass Biden und Harris zu Mulvaneys Entourage gehören, ist bezeichnend. Es zeigt, dass das Woke-Sein für einen erheblichen Teil der politischen Eliten eine Form der Selbstidentität ausmacht, die sie verbindet. Ihre Entschlossenheit, in der Öffentlichkeit deutlich sichtbar zum Trans-Thema Stellung zu beziehen, beruht auf der Überzeugung, dass sie neue Normen brauchen, um die angeblich überholten der Vergangenheit ersetzen. Auf diese Weise erhoffen sie sich, ein Gefühl des Zusammenhalts und ein Elitebewusstsein zu schaffen und ihre kulturelle Macht über die Gesellschaft zu festigen.

Viele, die sich kritisch mit dem Aufstieg der woken Ideale und Praktiken des Westens auseinandersetzen, neigen dazu, die Bedeutung dieser Entwicklung zu unterschätzen. Sie behaupten häufig, dass ihr Einfluss übertrieben sei und ihr Leben ohnehin nicht sonderlich beeinflusse. Diese naive Einschätzung der Situation übersieht, dass das Projekt der Umerziehung eine Demonstration von Klassenherrschaft darstellt. Sie schärfen nicht nur unser Sensibilität, sondern diktieren uns, wie wir denken sollen. Am deutlichsten wird diese Entwicklung bei der Kontrolle der Sprache. Ihr Ziel ist es, die Kontrolle über die Sprache zu erlangen, der Gesellschaft ein neues Vokabular aufzuerlegen und Wörter, die Werte vermitteln, mit denen sie nicht einverstanden sind zu eliminieren. Wer die Sprache kontrolliert, wird wahrscheinlich auch den nächsten Schritt tun und versuchen zu kontrollieren, wie die Menschen denken. Letztlich führt dies zu einem Verlust der Stimme und zur Entleerung des öffentlichen Lebens. Solange wir eine Stimme haben, können wir uns zum Glück wehren, und deshalb haben wir keine Zeit zu verlieren.

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