04.06.2021
„Wir wollen in Frage stellen, dass Afrika hilflos ist“
Interview mit Manny Acquah und Helen Gebru
Zwei Afrikaner, die in Deutschland in der Technologiebranche arbeiten, sprechen über das verkürzte Afrikabild vieler Westler und darüber, was ihrem Kontinent wirklich helfen würde.
Novo: Manny, erzählen Sie mir ein wenig über Ihre Organisation „A Better Africa with Tech“. Warum haben Sie diese Initiative gestartet?
Manny Acquah: A Better Africa with Tech wurde 2016 gegründet. Ich suchte nach einem Ort, an dem ich über Technologiefragen diskutieren und der Öffentlichkeit die Entwicklungen in Afrika präsentieren konnte, merkte aber, dass eine solche Plattform nicht existierte. Anfangs wollte ich ein Projekt starten, dessen Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit afrikanischen Start-Ups liegen sollte. Ich wollte einen Knotenpunkt schaffen, wo Menschen und Start-Ups aus Afrika mit Unternehmern und Techniken von hier in Verbindung treten können. Aus diesen Anfängen entwickelte sich eine Meetup-Gruppe, die sich regelmäßig trifft, um über bestimmte Themen zu diskutieren. Wir schauen uns Start-Ups in einer bestimmten Region Afrikas an: Technologie, Gesundheit usw. Wir wissen, dass wir eine Verpflichtung gegenüber Afrika, in meinem Fall Ghana, haben, und schauen, wie wir alle dazu beitragen können, die Situation dort zu verbessern.
Hatten Sie bereits Erfolge beim Zusammenbringen von Unternehmen und Menschen aus beiden Kontinenten?
Manny Acquah: Ja, wir konnten bereits einige „Mentorships“ aufbauen. Ein Beispiel ist eine Firma, die eine App für Mobiltelefone entwickelt hat, die erkennen kann, wenn Kinder an Mangelernährung leiden. Eine weitere Zusammenarbeit hat mit einer Kamelfarm zu tun, und mit einer App, die die Investitionen und Einnahmen von Projekten überwacht.
Was denken Sie über das Image von Afrika in Europa? Gibt es etwas, das sie überrascht hat?
Manny Acquah: Nun ja, einer der Gründe, weshalb ich die Gruppe überhaupt gegründet habe, war, mit Mythen aufzuräumen, wie Unternehmen in Ghana aussehen, was für Technologie sie nutzen. Es gibt immer diese Annahme, dass es einen riesigen Unterschied gibt, zwischen der Art und Weise, wie die Dinge hier im Westen angegangen werden, und dem Wissen, das in Afrika existiert. Das Image oder die Annahme, dass Afrika hilflos ist oder dass der Kontinent gar nicht für seine eigenen Interessen eintreten kann etc., ist eines der Dinge, die wir in Frage stellen wollen. Wir wollen zeigen, dass Innovation stattfindet und dass viele Dinge passieren.
„Es gibt immer diese Annahme, dass es einen riesigen Unterschied gibt, zwischen der Art und Weise, wie die Dinge hier im Westen angegangen werden, und dem Wissen, das in Afrika existiert.“
Helen Gebru: Die Medien spielen bei der Schaffung dieses Afrikabilds eine große Rolle. Sie versuchen immer, die größten Nachrichten aufzugreifen, also liegt ihr Schwerpunkt auf Katastrophen, Kriegen usw. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Menschen im Westen wenig über den afrikanischen Kontinent wissen. Das Bildungssystem hierzulande beleuchtet üblicherweise auch nicht, was Afrika ist und was seine Geschichte ist. Wenn wir über die „Probleme Afrikas“ sprechen, wird es meist sehr vereinfachend. Die Vielschichtigkeit der Fragen wird ignoriert. Viel zu wenige Menschen nehmen sich die Zeit, um aufzuzeigen, welche Entwicklungen es dort gibt: Was machen die Leute tatsächlich in Afrika? Welche Wirtschaftszweige gibt es? Was für Start-Ups? Entwickeln sie sich? Solche Geschichten müssen erzählt werden, aber sie schaffen es nicht in die großen Nachrichten.
Es wird viel über Korruption in Afrika gesprochen. Persönlich finde ich diesen Fokus sehr einseitig – er erscheint mir wie eine Rechtfertigung für einen bestimmten Status quo, für die Tatsache, dass man nicht hilft, die Dinge in Afrika voranzubringen. Er ignoriert auch die Tatsache, dass Korruption generell ein Symptom tieferer struktureller und ökonomischer Probleme ist und nicht deren Ursache.
Helen Gebru: Da stimme ich Ihnen zu. Es ist eine sehr vereinfachte Analyse und Darstellung Afrikas. Es ist einseitig und daher immer falsch informiert.
Manny Acquah: Afrika ist riesig. Das verstehen die Leute oft nicht. Jedes Land in Afrika ist anders. Schauen Sie sich Ghana an: Die Hauptsprache ist English, während die Hauptsprache der drei Nachbarländer Französisch ist. Selbst wenn wir über Afrika reden, reden wir über Länder.
Was für positive Entwicklungen hat es in den letzten Jahren gegeben?
Helen Gebru: Ich komme aus Äthiopien und verfolge weiterhin sehr genau, was dort passiert. In den letzten Jahren hat es einen riesigen Boom von Technologie-Start-Ups gegeben – trotz des sehr limitierten, kontrollierten und monopolisierten Systems, das dort existiert. Es gibt Uber-artige Dienste, Lieferdienste. Viele Zentren sind entstanden, die jungen Menschen helfen, sich auszutauschen und ihre Ideen umzusetzen. Eine der besten Initiativen ist BlueMoon. Junge Menschen können hier mit Investoren in Kontakt kommen. Ich konnte beobachten, wie solche Dinge wirklich an Fahrt aufnehmen.
„Wir wollen zeigen, dass Innovation stattfindet und dass viele Dinge passieren.“
Manny Acquah: Die Sache, die Afrika in den letzten Jahren wirklich verwandelt hat, ist mobiles Geld. Die Leute hier werden das natürlich nicht verstehen, aber es gibt Menschen Zugang zu allen möglichen Finanzdienstleistungen: Sparen, Ausgeben, Investieren, Überweisen. Das ist wichtig, insbesondere für die Landwirtschaft und andere Arbeitsbereiche. Mobiles Geld hat dabei geholfen, viele positive Entwicklungen in verschiedenen Branchen voranzutreiben. Im letzten Jahr allein betrug der Wert aller mobilen Geldtransaktionen in Subsahara-Afrika mehr als 450 Milliarden US-Dollar. Wir reden hier nicht von Pfennigen. Es hat die Wirtschaft wirklich angeschoben.
Welche Maßnahmen, die zu Wachstum in Ihren Ländern beitragen könnten, würden Sie priorisieren?
Manny Acquah: Bei dieser Frage bin ich voreingenommen, weil ich aus der Technologiebranche komme. Technologie hat einen exponentiellen Effekt, egal was man macht. Eine Person mit einem richtig guten technologischen System kann die Arbeit von Tausenden machen. Technologie ist auch etwas, das Open-Source sein und von vielen geteilt werden kann.
Helen Gebru: Ich würde hinzufügen, dass die Entwicklung von politischen Strategien auch eine Priorität sein sollte. In Äthiopien gibt es z.B. viele Beschränkungen. Viele Dinge sind einfach nicht erlaubt. Aber die Wirtschaftspolitik sollte sich auf die Seite der Innovatoren stellen. Sie sollte ihnen ermöglichen, rauszugehen und Dinge zu erreichen. In Äthiopien reguliert die Regierung Finanzen und anderes, um sicherzustellen, dass die Wirtschaft nicht missbraucht wird. Aber das hat auch das Wachstum und die Entwicklung des Marktes beschränkt. Das verändert sich allerdings aktuell.
Europa könnte von einem stärkeren Afrika nur profitieren. Wie verbunden sind unsere Wirtschaften, und was für eine Zusammenarbeit würden Sie gerne sehen?
Helen Gebru: Ich würde sagen, dass sich das Modell unserer Zusammenarbeit verändern muss. Europa hat immer versucht, als Retter aufzutreten, es stellt Hilfspakete und andere Programme zu Verfügung, die helfen sollen. Ich denke, dass uns das nicht viel bringt. Ich würde europäische Länder fragen, ob es Investoren gibt, die wirklich nach Afrika gehen und investieren wollen: Hingehen, ein Unternehmen gründen, Leute einstellen – es gibt ganz viele Arbeitskräfte. In Menschen investieren, damit sie sich bilden können. Das bringt mehr Nutzen. Die nächste Frage ist: Kauft ihr aus Afrika? Ein offener Markt, auf dem Produzenten aus Afrika Zugang zur EU haben, ist wichtig. Wir stellen sehr viele Dinge her. Wir haben sehr viele Ressourcen, aber wir brauchen Zugang zum Markt.
„Warum gibt es keine Bananen aus Afrika? Öffnet den Markt für uns! Schickt eure Reichen zu uns, damit sie Produktionsbetriebe aufmachen. Das ist viel hilfreicher als jedes Hilfspaket.“
Die EU ist ziemlich protektionistisch …
Helen Gebru: Das stimmt. Und ich bin immer erstaunt, wie sehr. Wenn ich z.B. zum Supermarkt gehe, frage ich mich: Warum gibt es keine Bananen aus Afrika? Öffnet den Markt für uns! Schickt eure Reichen zu uns, damit sie Produktionsbetriebe aufmachen. Das ist viel hilfreicher als jedes Hilfspaket. Das ist etwas, das die EU von China lernen könnte. China macht das viel besser.
Ich möchte zurück zum Thema Europa kommen. Sie haben sich beide entschieden, in Europa zu leben – zumindest für eine gewisse Zeit. Wie erleben Sie das Leben hier?
Helen Gebru: Das Leben in Berlin war bisher sehr gut. Ich bin hierher gezogen, weil ich mich hier nicht wie eine Ausländerin fühle. Vorher habe ich in China gelebt, dort hatte ich mich immer wie eine Außenseiterin gefühlt. Berlin ist ein offener Ort. Man hört viele verschiedene Sprachen. Bis jetzt war ich von jeder Form von rassistischer Diskriminierung abgeschirmt. Der Technologie-Raum ist offen und man kann ganz viele Jobs bekommen, wenn man qualifiziert ist. Das einzige Problem ist, dass mein Deutsch sich nicht so schnell verbessert, wie ich es mir wünschen würde, weil alle Englisch sprechen. Sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, braucht allerdings etwas Zeit, weil sie manchmal etwas restriktiv ist.
Manny Acquah: Ich bin aus Großbritannien hierher gezogen, und Deutschland ist total anders. In Großbritannien leben viel mehr Afrikaner als hier. Aber Berlin ist eine Art Blase innerhalb Deutschlands. Eigentlich ist es nicht wirklich Deutschland. Wenn man außerhalb Berlins unterwegs ist, gibt es immer Mal wieder Leute, die komisch reagieren, aber nichts wirklich Rassistisches, nichts Gewalttätiges. Es gab einige Situationen, wo ich Menschen begegnet bin, die mir das Gefühl gaben, nicht sicher oder nicht willkommen zu sein, aber das war eher unterschwellig. Dinge wie das Verstecken einer Tasche, wenn ich den Zug einsteige. Das hat einfach mit dem Afrikabild dieser Leute zu tun. Aber die gute Sache ist, dass, wo auch immer ich arbeitsbedingt hingegangen bin, ich mich stets sicher gefühlt habe. Ich habe mich nie ausgegrenzt gefühlt.