11.12.2024
Wenn Schweizer hassen
Von Andrea Seaman
Auch in der Schweiz registrieren Meldestellen Vorfälle von „Hass“, die zum Problem erklärt werden, selbst wenn keinerlei Strafbarkeit vorliegt, sondern einfach freie Meinungsäußerung.
Seit 2016 betreiben die LGBTQ-Organisationen Pink Cross, Transgender Network Switzerland (TGNS) und Lesbian Organisation Schweiz (LOS) eine „LGBTIQ-Helpline“ – eine Hotline, die dazu einlädt, angebliche Hate Crimes (Hassverbrechen) zu melden. Von schnippischen Kommentaren auf Twitter bis hin zu echter Gewalt werden Beschwerden erfasst und in Jahresberichten als Hate Crime eingestuft. Diese Berichte füttern ein öffentliches Narrativ, das selten hinterfragt, dafür umso bereitwilliger geschluckt wird.
Medien wie das Schweizer Fernsehen SRF, Nau.ch und der Tages-Anzeiger verbreiten diese Statistiken in geradezu rührender Pflichterfüllung als unantastbare Wahrheiten. Doch es kommt noch schlimmer: Selbst angesehene wissenschaftliche Institutionen und die Polizei sind auf diesen Kurs eingeschwenkt. Das darf nicht unwidersprochen bleiben.
Wie wir wissen, ist Hass ein zutiefst subjektives, je nach Mensch, Kultur und Epoche wandelbares Gefühl. Es entzieht sich einer klaren Definition und bleibt stets im Ungefähren. Ein „Verbrechen“ hingegen war traditionell eine klar umrissene Handlung, die gegen geltendes Recht verstößt. Diese objektiven Parameter sollten gewährleisten, dass das Gesetz nicht zu einem Spielball individueller Befindlichkeiten wird.
Die LGBTIQ-Helpline ignoriert diese entscheidende Differenzierung mit bemerkenswerter Nonchalance. Jede Meldung, sei sie noch so banal oder fragwürdig, wird kurzerhand zum Hate Crime erklärt. Kein Prozess, keine Untersuchung, kein neutrales Urteil – eine Behauptung reicht, und voilà: Das Verbrechen steht fest, die Strafe folgt. Diese Umkehrung der Justiz ist gefährlich: Sie ersetzt die Unschuldsvermutung durch einen Automatismus der Schuldzuweisung. Würde ein solches System gesetzlich verankert, ginge es nicht mehr um den Schutz von Rechten, sondern um die Durchsetzung einer Genderideologie, die persönliche Kränkungen in einen regelrechten Gesinnungsterror verwandelt.
Stefan Millius – Mitglied des Medienkomitees der Free Speech Union Switzerland – weist zu Recht darauf hin, dass die Initiatoren der Hotline und ihre Unterstützer den Bereich des alltäglichen Diskurses mit dem düsteren Feld der Kriminalität vermengen. Für sie bedarf ein „Hassverbrechen“ nicht der Klarheit eines tätlichen Angriffs oder der Bösartigkeit einer tatsächlichen Straftat; nein, in ihren Augen reicht bereits eine harmlose Bemerkung wie ein unhöfliches Wort oder eine unbequeme Meinung, um die Maschinerie der juristischen Verfolgung in Gang zu setzen.
„Es ist ein Versuch, unter dem Vorwand der Inklusivität nicht nur zu diktieren, wie wir sprechen, sondern auch, wie wir denken.“
Im jüngsten Bericht der Schweizer LGBTIQ-Helpline wurden für das Jahr 2023 stolze 305 Hate Crimes registriert – das sind etwa sechs pro Woche. Ein Anstieg von 120 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, eine Verdreifachung seit 2021. Solche Zahlen werden als Beweis für ein wachsendes gesellschaftliches Problem herangezogen. In Wahrheit zeigen diese Zahlen weniger eine tatsächliche Zunahme an Feindseligkeit, sondern vielmehr einen Anstieg der Meldungen, die durch das radikalisierte Prisma jener Aktivisten gefiltert werden, die hier ihre Agenda durchdrücken.
Der Bericht offenbart seine wahre Agenda auf unmissverständliche Weise. In einem kühnen Schritt fordert er die Erweiterung der Antidiskriminierungsstrafnorm um die Geschlechtsidentität als geschütztes Merkmal. Dies ist etwas anderes als ein Aufruf zur Toleranz – es handelt sich um einen gezielten Vorstoß, die Genderideologie in die Schweizer Rechtsordnung einzupflanzen. Die Botschaft ist klar: Jede Kritik an den sich ständig verändernden Vorstellungen von geschlechtlicher Fluidität wird nicht mehr als Ausdruck der freien Meinungsäußerung toleriert, sondern als strafbare Handlung aufgefasst und entsprechend geahndet.
Es geht nicht darum, verletzliche Gruppen vor Gewalt oder Diskriminierung zu schützen, sondern darum, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem bestimmte Auffassungen über Geschlecht staatlich überwacht und bestraft werden. Es ist ein Versuch, unter dem Vorwand der Inklusivität nicht nur zu diktieren, wie wir sprechen, sondern auch, wie wir denken. Sollte dies gelingen, wird es einen dramatischen Wendepunkt in der Aushöhlung der Meinungsfreiheit markieren.
„Vermeintlich angesehene wissenschaftliche Institutionen haben sich mit der Polizei verbündet, um pseudowissenschaftliche Behauptungen zu verbreiten, die ideologisch gefärbt sind.“
Im Vereinigten Königreich hat sich das Orwellsche Konzept der „Non-Crime Hate Incidents“ (NCHI) – „Nicht-Kriminellen Hassvorfälle“ – etabliert, das es jedem ermöglicht, eine Tat zu melden, die er als beleidigend empfindet – unabhängig davon, ob sie tatsächlich stattgefunden hat oder nur in seiner Vorstellung existiert. Dies hat zu grotesken Szenen geführt, wie etwa einem neunjährigen Kind, gegen das die Polizei wegen der Beleidigung eines Klassenkameraden als „zurückgeblieben“ ermittelt, oder der polizeilichen Verfolgung von Kindern, die behaupteten, ein anderes habe „nach Fisch gerochen“. Sowohl Erwachsene als auch Kinder, denen ein NCHI zur Last gelegt wird, müssen mit einem dauerhaften Eintrag in ihrem Strafregister rechnen.
Ein besonders beunruhigendes Beispiel aus Großbritannien ist das des ehemaligen Polizeibeamten Harry Miller, der wegen eines satirischen Tweets, in dem er sich über die Transgender-Ideologie lustig machte, von der Polizei angesprochen wurde: „Bei meiner Geburt wurde ich als Säugetier klassifiziert, aber meine Orientierung ist Fisch. Bezeichnet mich ja nicht als die falsche Spezies.“ Nach diesem harmlosen Scherz wurde Miller von einem Beamten darauf hingewiesen, dass sein Denken „überprüft“ werden müsse. Das Ausmaß dieser Vorfälle ist erschreckend – zwischen 2014 und 2024 wurden mehr als 250.000 NCHIs registriert, was einem Durchschnitt von 66 pro Tag entspricht. Diese übertriebenen Zahlen werden von Politikern und Aktivisten, insbesondere denjenigen, die die Gender-Agenda vorantreiben, als Waffe benutzt, um eine Verschärfung der Zensur zu rechtfertigen.
Und nun ist die Schweiz drauf und dran, der gleichen gefährlichen Logik zu folgen. Die LGBTIQ-Helpline besteht darauf, dass die angebliche Zunahme von Hassverbrechen eine akribische Erfassung jeder angeblichen Beleidigung durch die Polizei erfordert. Dies ist der Fiebertraum der Bürokratie, ein Ruf nach staatlich sanktionierter Hysterie, die zur totalitären Überregulierung des öffentlichen Diskurses führen würde.
Die von der LGBTQ-Helpline registrierten Hate Crimes sind also nichts anderes als die britischen „Non-Crime Hate Incidents“ (NCHI) unter einem anderen Namen. Doch das Problem geht weit über die ideologisch motivierte Agenda der Hotline hinaus. Vermeintlich angesehene wissenschaftliche Institutionen haben sich mit der Polizei – genauer gesagt mit der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) – verbündet, um pseudowissenschaftliche Behauptungen zu verbreiten, die ebenso ideologisch gefärbt sind. Ein Paradebeispiel dafür ist die von der KKPKS in Auftrag gegebene Studie von 2023 mit dem hochtrabenden Titel „Hate-Crime-Opfererfahrungen in der Schweiz“ – ein Gemeinschaftsprojekt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Universität St. Gallen.
„Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Meinungsfreiheit unter dem Druck staatlich verordneter ideologischer Konformität erstickt wird – und zwar unter dem Vorwand, ‚gefährdete‘ Gruppen vor imaginären, konstruierten Beleidigungen zu schützen.“
Die Studie geht davon aus, dass die von den Befragten im Fragebogen beschriebenen „Hassverbrechen“ tatsächliche Vergehen sind – eine ebenso falsche wie gefährliche Annahme. Sie setzt Hate Speech mit Hate Crimes gleich und stuft „Beleidigungen“ – eine subjektive Kategorie, die ohne Weiteres auch legitime Kritik an der Gender-Ideologie umfasst – als Hasskriminalität ein. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass fast neun von zehn der ihr gemeldeten „Hate-Crime-Delikte“ „Beleidigungen” waren (88,2 Prozent), was den wahren Zweck des Ganzen offenlegt: Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Die aktive Beteiligung der Polizei an diesem Unterfangen ist eine alarmierende Entwicklung und ein deutliches Signal dafür, wohin dieser gefährliche Weg führen wird.
Da der Eurovision Song Contest 2025 in der Schweiz stattfinden und der non-binären Fantasie huldigen wird, ist mit einer verstärkten Zensur genderkritischer Stimmen in der Schweiz zu rechnen. Auf der europäischen Bühne dürfte eine konzertierte Kampagne ins Leben gerufen werden, die die Vorstellung festigen soll, dass Geschlecht ein fließendes Konstrukt sei, das den Launen der individuellen Entscheidung unterliegt. Den selbsternannten Tugendwächtern der ach so hehren LGBTIQ-Helpline scheint es herzlich gleichgültig zu sein, dass die wuchernde Gender-Ideologie mit schamloser Offenheit die Rechte von Frauen und Homosexuellen, die sich dagegen zur Wehr setzen, untergräbt.
Letztlich geht es nicht nur um die Überwachung von Worten. Es geht um die Überwachung von Gedanken und Ideen. Da immer mehr Länder die Logik des „Hassverbrechens ohne Straftatbestand“ übernehmen, nähert sich die Schweiz in dieser Hinsicht einer Gesellschaft wie Deutschland oder dem Vereinigten Königreich an. Dort werden subjektiv empfundene Beleidigungen als objektive Schäden behandelt; es gilt bereits als kriminell, wenn manche dogmatische Orthodoxien infrage gestellt wird. Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Meinungsfreiheit unter dem Druck staatlich verordneter ideologischer Konformität erstickt wird – und zwar unter dem Vorwand, „gefährdete“ Gruppen vor imaginären, konstruierten Beleidigungen zu schützen. Wenn wir nicht jetzt eingreifen, wird diese Zensurwelle weiter anschwellen und Freiheiten hinwegfegen, die wir einst für selbstverständlich hielten.