07.09.2016

Wenn die Europäische Kommission in den Apfel beißt

Kommentar von Rob Lyons

Titelbild

Foto: matcuz via Pixabay (CC0)

Apple soll in Irland zu wenig Steuern gezahlt haben und die Europäische Kommission fordert nun 13 Milliarden US-Dollar. Das ist nichts, worüber man sich freuen sollte.

Am 30. August gab die Europäische Kommission eine Entscheidung bekannt. Der amerikanische Technologie-Gigant Apple könnte nun gezwungen werden, in Irland 13 Milliarden US-Dollar Steuern nachzuzahlen. Das ist etwas mehr, als das irische Gesundheitswesen im Jahr kostet. Sollte die Entscheidung bindend sein, dann könnte das Geld eine deutliche Verringerung des massiven irischen Staatsdefizits bewirken. Das klingt nach einer guten Ernte für Irland. Warum also möchte die irische Regierung eine Aufhebung dieser Entscheidung?

In den frühen 1980ern war Irland im Vergleich mit seinen Nachbarn schockierend arm, da es am Rande Europas lag und nur über wenige Rohstoffe verfügte. Eine neue Politik zielte darauf ab, Investitionen aus dem Ausland anzulocken. Irland wurde dank einer Kombination aus Englisch sprechenden Arbeitnehmern, einer Mitgliedschaft in der EWG (dem Vorgänger der EU) und vor allem niedrigen Steuern ein attraktiver Standort. Besonders Technologieunternehmen kamen in Scharen, schafften Hunderttausende von Arbeitsplätzen und führten zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Irland wurde zum „keltischen Tiger“.

Die Niedrigsteuerpolitik Irlands war äußerst sinnvoll. Warum sonst sollten große Firmen dort investieren und nicht in besser entwickelten Ländern wie Großbritannien, Deutschland oder Frankreich? Die Möglichkeit, die Steuersätze selbst festlegen zu können, erlaubte Irland, sich auf dem internationalen Markt für Investoren noch attraktiver zu machen. Die irische Körperschaftssteuer von 12,5 Prozent ist genau aus diesem Grunde eine der niedrigsten in der EU. Die Entscheidung der EU bedroht den Ruf Irlands als europäische Basis mit niedrigen Steuern für Unternehmen aus den USA und anderen Teilen der Welt. Sie mag kurzfristig für reiche Ernte sorgen, bedroht jedoch die langfristige Wirtschaftsstrategie Irlands.

„Die Entscheidung der EU mag kurzfristig für reiche Ernte sorgen, bedroht jedoch die langfristige Wirtschaftsstrategie Irlands“

Die Kommission setzt hier nicht als neutrale Instanz die Regeln der EU um. Seit geraumer Zeit findet ein Steuerkrieg statt, bei dem die Hochlohnländer mit hohen Steuersätzen wie Deutschland und Frankreich immer irritierter auf Länder wie Irland, Luxemburg und sogar die Niederlande reagieren, die niedrige Steuersätze oder Steuerschlupflöcher nutzen, um Unternehmen anzulocken. Der Steuerkrieg intensivierte sich nach der Wirtschaftskrise von 2008, als die Regierungen immer mehr danach trachteten, den großen Firmen das Geld aus der Tasche zu ziehen, um damit ihre Haushalte zu sanieren. Vor allem waren diese Firmen ein weiches Ziel für die Regierungen, die damit die Kritik von ihrer gescheiterten Wirtschaftspolitik ablenken wollten. Diese Initiativen wurden von sogenannten „Radikalen“ wie „UK Uncut“ unterstützt. Die Kampagnengruppe agierte wie eine Bühnenarmee von Transparenten schwingenden Steuerfahndern, die forderten, dass die Unternehmen mehr herausrücken sollten.

Tatsächlich bezahlen große Firmen wie Apple, Amazon und Starbucks bereits viele anderen Arten von Steuern wie Lohnsteuern, Umsatzsteuer und Gewerbesteuern. Nach der Entscheidung der Kommission schrieb Apple einen Brief an die Apple Community in Europa und behauptete darin, Irlands größter Steuerzahler zu sein. Darüber hinaus zeigen realistische Schätzungen, dass die Steuernachzahlungen in den meisten Fällen nicht viel zum Staatshaushalt beitragen würden. Nur die Kombination – kleines Land Irland und globales Unternehmen Apple – macht diese Entscheidung so eindrucksvoll. Und der Umstand, dass es um eine einmalige Nachzahlung von Steuerschulden geht, die sich über den Zeitraum eines Jahrzehnts summiert haben. Sobald sich jedoch die europäischen Gerichte damit beschäftigen, kann man davon ausgehen, dass von den 13 Milliarden US-Dollar wenig übrigbleibt.

Die EU-Behörden sind wohl kaum die Hüter der Interessen des armen Irlands. Es war schließlich die Europäische Zentralbank, die von der irischen Regierung forderte, angeschlagenen Banken wie Allied Irish mit Rettungsschirmen in Höhe von 64 Milliarden Euro zu helfen, um dann Irland als Dank für die Rettung der Staatsfinanzen einen Sparkurs aufzuzwingen. (Die wahren Nutznießer dieser harten Maßnahmen waren die großen Banken in Frankreich und Deutschland, denen sonst ein Verlust ihrer hohen Forderungen gedroht hätte.)

„Solche willkürlichen Handlungen sind wenig hilfreich, wenn man weiterhin zu Investitionen ermutigen möchte“

Die Entscheidung der Kommission ist pervers und beunruhigend. Wie Apple im Brief an die Apple Community in Europa feststellte: „Wir haben niemals nach irgendwelchen besonderen Regelungen gefragt, noch haben wir jemals welche erhalten. Wir befinden uns jetzt in der außergewöhnlichen Situation, aufgefordert zu sein, nachträglich zusätzliche Steuern an eine Regierung zu zahlen, die sagt, dass wir ihnen nicht mehr schulden, als wir bereits gezahlt haben.“ Erstens ist die Entscheidung eine weitere Bedrohung der irischen Souveränität durch die EU. Zweitens ist es eine Bedrohung des Naturrechts, wenn man zusätzlich lange nach der Vereinbarung der ursprünglichen Steuern weitere Steuern verlangt. Es ist eine Sache zu sagen, dass sich die Regeln weiterentwickeln sollen. Es ist eine andere Sache zu sagen, dass sie dies rückwirkend sollen. Solche willkürlichen Handlungen sind wenig hilfreich, wenn man weiterhin zu Investitionen ermutigen möchte.

Trotz der Empörung in der Presse ist das wahre Problem hier nicht, dass mächtige Multis mit einem Verbrechen davonkommen – es ist der erbärmliche Zustand der europäischen Wirtschaften. Würden diese Wirtschaften stark wachsen, wären die Regierungen weit weniger daran interessiert, eine bestimmte Steuer einzutreiben oder einen Sündenbock in einem der wenigen Wachstumssektoren zu finden. Wenn die Regierungen wirklich ihre Staathaushalte konsolidieren und den Lebensstandard ihrer Bevölkerung verbessern wollen, dann sollten sie anfangen, nach Lösungen zu suchen, die naheliegender sind.

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