14.07.2023

Warum die AfD weiter wächst

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Metropolico.org via Flickr / CC BY-SA 2.0

Die Wähler sind wütend auf eine Politik, die sich stocktaub stellt.

Bis vor wenigen Monaten kannte kaum jemand den kleinen Landkreis Sonneberg in Thüringen. Das hat sich bekanntlich schlagartig geändert, nachdem dort vor einigen Wochen der erste AfD-Landrat gewählt wurde. Und das, obwohl alle anderen Parteien ihre Anhänger aufgefordert hatten, für den Konkurrenten von der CDU zu stimmen.

Der Versuch, die AfD auf diese Weise zurückzudrängen, ist krachend gescheitert. Nun ist auch der nächste Anlauf, den gewählten Landrat zu stoppen, im Sande verlaufen: Er müsse sich einem Demokratie-Check stellen, hatte Thüringens Innenstaatssekretärin Katharina Schenk von der SPD verkündet. Geprüft werden sollte, ob Sesselmann sich zur demokratischen Grundordnung bekenne. Im Falle eines negativen Bescheids hätte die Wahl theoretisch rückgängig gemacht werden können, aber Sesselmann hat die Prüfung bestanden.

Auf die Wähler, die ihm ihre Stimmen gaben, muss dies wie eine Verhöhnung wirken. Der verzweifelte Versuch, die Wahl im Nachhinein zu annullieren, zeigt, wie groß die an Hysterie grenzende Angst vor der AfD ist. Unter normalen Umständen würden die Ergebnisse einer kleineren, lokalen Wahl – in Deutschland gibt es immerhin über 300 Landräte mit zumeist administrativen Funktionen – nicht für so viel Aufsehen sorgen. Aber gekoppelt mit den guten Umfragewerten der Partei steht die Sonneberger Wahl für eine tiefgreifende Veränderung des politischen Klimas in Deutschland.

„Die Strategie der Dämonisierung funktioniert nicht mehr."

Ein Problem für die etablierten Parteien war die AfD schon immer. In der Vergangenheit waren sie jedoch recht erfolgreich darin, die Rechtspopulisten und ihre Anhänger „unter Quarantäne" zu stellen. Das taten sie z.B., indem sie sich gegen sie verbündeten. Diese Strategie droht, wie Sonneberg zeigt, zu scheitern. Die Stimmung innerhalb der etablierten Politik verdüsterte sich zusätzlich, als vor wenigen Tagen in einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt der erste hauptamtliche AfD-Bürgermeister gewählt wurde. Zum ersten Mal steht die Politik ratlos vor der Frage, wie sie mit dem Aufstieg der AfD und dem Populismus umgehen soll.

Nach Sesselmanns Wahlsieg zogen Journalisten und Demoskopen los, um die ‚seltsamen' Sonneberger zu interviewen. Sie wollten herausfinden, was das für Menschen sind, die die AfD wählen. Sie entdeckten Wähler aller Altersgruppen und Lebenslagen – Handwerker, Arbeiter, Hausfrauen und viele mehr. „Die neuen Protestwähler sind anders als gedacht", lautete der Titel eines NTV-Berichts. Entgegen dem herkömmlichen Narrativ seien sie gar nicht alt, arbeitslos oder wütend, hieß es in dem Beitrag. Auswertungen der letzten Bundestagswahlen und der jüngsten Forsa-Umfragen ergaben, dass vor allem die mittlere Generation AfD wählt. In der Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen gaben 21 Prozent an, der Partei ihre Stimme geben zu wollen. Wichtiger als diese demoskopischen Befunde ist jedoch, dass alle AfD-Wähler eine klare Vorstellung von den Dingen haben, die sie ablehnen. Und das sind die Einwanderungs-, Energie-, Klima- und Wirtschaftspolitik der Regierung.

Es rächt sich, dass sich große Teile des Establishments immer berechtigt fühlten, auf AfD-Wähler herabzublicken und sie als Spinner, Rassisten oder Einfaltspinsel zu verspotten. Lange Zeit galt es innerhalb besserer Kreise als gesichert, dass kein anständiger Mensch jemals diese Partei wählen würde. Aber die Strategie der Dämonisierung funktioniert nicht mehr. Immer mehr Wähler scheinen sich mit dem Gedanken, die AfD zu wählen, angefreundet zu haben, und sie zeigen keinerlei Unwohlsein dabei, dies zuzugeben.

Sonneberg ist ein Beispiel für diesen Gesinnungswandel, der Deutschland erfasst. Hier hat die AfD triumphiert, obwohl der Thüringer Landesverband unter Björn Höcke besonders rechts ist. Dass Höcke faschistoide Tendenzen hat und z.B. den Holocaust verharmlost, ist bekannt. Verständlicherweise ist er auch in Thüringen der unbeliebteste Politiker. (Laut einer Umfrage des Statista Research Departments sind 64 Prozent der Thüringer unzufrieden mit seiner Arbeit und 19 Prozent zufrieden. Mit Bodo Ramelow sind dagegen laut Umfrage immer noch 51 Prozent zufrieden.) Doch die Enttäuschung der Wähler über die großen Parteien ist so groß, dass selbst der unappetitliche Höcke sie nicht davon abhalten kann, die AfD zu wählen.

„Die Enttäuschung der Wähler über die großen Parteien ist so groß, dass selbst der unappetitliche Höcke sie nicht davon abhalten kann, die AfD zu wählen."

Im nächsten Jahr stehen in Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern wichtige Wahlen an. Und die Gegner der AfD klingen jetzt schon verzweifelt. „Wenn es nicht zu einem dramatischen Stimmungswechsel komme, könnten die Landtagswahlen und die Kommunalwahlen im nächsten Jahr zu einem Triumphzug der AfD werden“, warnte der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Es werde immer schwieriger, gegen die AfD Politik zu machen oder Wahlen gegen die AfD zu gewinnen, sagte er.

Dabei gibt es durchaus etwas, das die großen Parteien tun könnten, um Wahlen gegen die AfD zu gewinnen: Sie könnten anfangen, auf die Sorgen der Wähler einzugehen. Aber sie zeigen wenig Interesse daran, das zu tun. Stattdessen beschuldigt die politische und mediale Klasse in Deutschland die Wähler, die falschen Entscheidungen zu treffen und die falschen Ansichten zu vertreten. Man sehe sich nur die Reaktion von Innenministerin Nancy Faeser auf die Sonneberger Wahl an. Sie warnte davor, sich auf die Positionen der AfD einzulassen und spielte in einer Pressekonferenz sogar mit dem Gedanken, die AfD ganz zu verbieten.

Die AfD zu dämonisieren, wird nicht mehr funktionieren. Ihr Erfolg beruht auf dem wachsenden Widerstand der Wähler gegen das Weltbild der etablierten Parteien. Viele normale Bürger lehnen z.B. die jetzige Klimapolitik ab, die vor allem auf Verboten und Verteuerung beruht. Sie sehen auch die Haltung der Regierungsparteien zur Migrations- und Identitätspolitik kritisch. Diese Bedenken lassen sich nicht einfach zum Verschwinden bringen. Schon gar nicht, indem man sich weigert, sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen. Wenn die etablierten Parteien nicht endlich anfangen zuzuhören und zu reagieren, wird die Popularität der AfD und anderer populistischer Bewegungen nur wachsen. Und es wird noch viele weitere Sonnebergs geben.

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