27.11.2017

Vorwärts in die Hysterie

Von Peter Langelüddeke

Titelbild

Foto: MIKI Yoshihito via Flickr / CC BY 2.0

Die SPD fordert erneut ein Anbauverbot für Grüne Gentechnik. Der Landwirt und Sozialdemokrat Peter Langelüddeke dokumentiert, wie sich seine Partei dem fortschrittsfeindlichen Zeitgeist anbiedert.

In einer Pressemitteilung mit der Überschrift „Mit gutem Gewissen gegen Grüne Gentechnik vom 27. Oktober 2017 machte die neue SPD-Bundestagsfraktion auf sich aufmerksam. Unter der Federführung der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Ute Vogt hatte die Fraktion einen Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 19/14) eingebracht, um etwas nachzuholen, was in der vorigen Legislaturperiode liegen geblieben war: Ein bundesweites Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen. Im letzten Frühjahr mussten die braven Genossinnen und Genossen ihr Vorhaben wegen der Sturheit der Unionsfraktion zurückstellen.

Kurzer Rückblick

Wer gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen möchte, benötigt eine Zulassung auf EU-Ebene. Für diese Zulassung ist zunächst einmal die EFSA, die European Food Safety Authority, zuständig. Dort arbeiten erfahrene und mit der Materie vertraute Fachwissenschaftler. Den EU-Mitgliedstaaten steht es jedoch dank der sogenannten Opt-out-Richtlinie frei, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder ganz zu verbieten, auch wenn eine Anbauzulassung auf EU-Ebene besteht.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) versuchte Anfang 2016 mit dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes einen rechtlichen Rahmen für die Anwendung der Opt-out-Richtlinie zu schaffen. Die Initiative für ein Anbauverbot sollte auch von einzelnen Bundesländern ausgehen können. Darauf konzentrierte sich die Kritik an dem Gesetzesentwurf. Denn im Extremfall hätte das bedeutet, dass 16 Bundesländer jeweils ein eigenes Verbotsverfahren in Gang bringen müssten, wenn die Bundesregierung kein Interesse an einem solchen Verbot hätte. Nun kann man auf der Internetseite des BMEL die Gründe, die ein Anbauverbot rechtfertigen, nachlesen: Nicht etwa konkrete Gefahren für die Umwelt oder für die Gesundheit der Verbraucher (die hätten ja bereits beim Zulassungsverfahren berücksichtigt werden müssen), sondern eine Fülle von überaus dehnbaren politischen Gründen. Wer also einen Grund für ein Anbauverbot benötigt, würde hier sicher fündig werden. Das hätte natürlich einen wunderbar farbigen Flickenteppich von Bundesland zu Bundesland gegeben.

„Im letzten Frühjahr mussten die braven Genossinnen und Genossen ihr Vorhaben wegen der Sturheit der Unionsfraktion zurückstellen.“

Faktenfreie Panikmache

Das sollte man bei der Lektüre der Pressemitteilung der SPD-Fraktion im Hinterkopf behalten. Man könnte die Verfasser aber auch fragen, ob sie derzeit nichts Dringenderes zu tun haben. Zur Zeit darf in Deutschland nämlich keine einzige gentechnisch veränderte Pflanze angebaut werden. Es stehen auch keine Horden von Lobbyisten großer Saatzucht-Unternehmen ungeduldig mit den Füßen scharrend vor deutschen Äckern und warten darauf, unseren Bauern endlich ihre genverseuchten Saaten andrehen zu dürfen. Davon ist bei der SPD aber keine Rede. Stattdessen verkünden Frau Vogt und ihre Mitstreiter, dass durch den Gesetzentwurf mit gutem Gewissen endlich die Möglichkeit geschaffen werden soll, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen bundesweit einfach und rechtssicher zu verbieten. Wieso eigentlich „endlich“? Und wieso „mit gutem Gewissen“? Haben die Genossinnen und Genossen voller Sehnsucht auf diese Gelegenheit warten müssen? Hat sie als Koalitionspartner in den schlimmen Jahren der großen Koalition ein schlechtes Gewissen geplagt? Sind sie gar unziemlich vom größeren Partner unterdrückt worden? Man spürt förmlich, wie befreit sich die Genossinnen und Genossen fühlen. Endlich dürfen sie sich als gute Menschen fühlen! Endlich dürfen sie Gutes tun!

Eine nachvollziehbare Begründung ist in der Pressemitteilung nicht zu finden. Dort steht zwar „Die Menschen in Deutschland und Europa wollen keine Gentechnik im Essen“. Wäre es dann nicht einfach eine Entscheidung unserer gut ausgebildeten Landwirte, den Anbau solcher Pflanzen zu unterlassen? Wenn Verbraucher die daraus hergestellten Produkte nicht wollen? Wozu muss eine fürsorgliche Obrigkeit den Anbau dieser Pflanzen verbieten? Sind unsere Landwirte zu dumm zur Einsicht?

Wer sich aber auf die Ablehnung von Gentechnik im Essen beruft, sollte nicht übersehen, dass in der Lebensmittelverarbeitung vielfach Enzyme eingesetzt werden, die mit Hilfe gentechnisch optimierter Bakterien hergestellt werden. Das bekannteste Beispiel ist Chymosin zur Käseproduktion. Diese „Gentechnik im Essen“ wird Verbrauchern aber für- oder vorsorglich verschwiegen. Es ist ja nicht die böse Grüne Gentechnik.

„Eine nachvollziehbare Begründung ist in der Pressemitteilung nicht zu finden.“

Eine plausible Begründung für das erstrebte Verbot ist in der Pressemitteilung also nicht zu finden. Auch in dem für Nichtjuristen schwer verdaulichen Gesetzesentwurf finde ich nirgends eine naturwissenschaftlich nachvollziehbare Begründung. Die ist anscheinend überflüssig. Denn jeder gute Mensch weiß doch, dass solche Pflanzen Teufelswerk sind. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?

Wäre ein solches Anbauverbot nicht eine grobe Missachtung der wissenschaftlichen Kompetenz der EFSA? Wäre es dann nicht einfacher, die EFSA, die mit ihren Urteilen nur stört, abzuschaffen? Wenn man ohnehin nicht beabsichtigt, auf sie zu hören?

Die Verfasser berufen sich stattdessen auf eine Feststellung des Bundesverfassungsgerichts vom November 2010, dass die Ausbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen schwer oder gar nicht begrenzbar sei. Ja und? Diese Erkenntnis ist biologisches Basiswissen auf Mittelstufenniveau. Wenn ich das richtig interpretiere, hat das hohe Gericht den Anbau solcher Pflanzen nicht als verfassungswidrig eingestuft. Konkrete Gefahren haben die Richter auch nicht genannt. Warum befördern dann Frau Vogt und ihre Mitstreiter dieses Gericht zur obersten Instanz in naturwissenschaftlichen Fragen?

„Alle Pflanzen, die mit Hilfe gentechnischer Verfahren geschaffen wurden, werden grundsätzlich ohne weitere Untersuchungen als potentiell gefährlich eingestuft.“

Die Diskussion über die Grüne Gentechnik ist ziemlich absurd. Alle Pflanzen, die mit Hilfe gentechnischer Verfahren geschaffen wurden, werden grundsätzlich ohne weitere Untersuchungen als potentiell gefährlich und somit als absolut nicht tolerierbar eingestuft. Auch wenn die EFSA grünes Licht für den Anbau gegeben hat, werden sie behandelt, als seien sie hochgiftig, oder als ob sie Pest- oder Cholera-Erreger verbreiteten. Einzelprüfungen, die Produkt für Produkt untersuchen und entsprechend bewerten, sind unnötig. Das Wort „Gentechnik“ (oder einfach nur „Gen“) reicht, und jeder gute Bürger weiß: Da ist etwas ganz Böses im Anmarsch. Da muss der Anbau unbedingt verhindert werden, und die dazu gehörende Forschung am besten auch.

German Angst

Warum bringt diese einst so stolze SPD es nicht fertig, den Bürgern und damit auch den Wählern offen zu sagen: Das Misstrauen gegenüber der Grünen Gentechnik ist unbegründet? Müsste da nicht ein Ruck durch die Partei gehen? Wo bleibt der Pioniergeist, für den diese Partei früher mal bekannt war? Heißt es nicht so schön in einem Rundschreiben der ehemaligen Generalsekretärin Katarina Barley: „Politik muss Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft geben. Politik muss offen für neue Fragen sein.“ Anstatt dafür zu kämpfen, dass die deutsche Forschungsstruktur für die globalen Herausforderungen fit gemacht wird, soll stillschweigend ein wichtiger Forschungszweig geopfert werden – dem grünen Zeitgeist zuliebe. Das ist absolut inakzeptabel und dieser Partei unwürdig. Hat die SPD keinen Mut mehr? Und ist diese ängstliche Haltung nicht eine andere Form von Deutschland schafft sich ab? Ein Zeichen der im Ausland gern verspotteten German Angst?

Haben die Verfasser der Pressemitteilung und des Gesetzesentwurfs die Konsequenzen für unsere Wissenschaftler bedacht, denen es unmöglich gemacht wird, neue Produkte im Freiland zu prüfen, und die damit gegenüber ihren ausländischen Kollegen zurückfallen? Die ins Ausland abwandern werden, wenn die Politik ihnen in Deutschland die Forschung in einem bestimmte Bereich verwehrt? Wo bleibt da das immer wieder so stolz verkündete Lob für den Forschungsstandort Deutschland? Und haben die Gentechnikgegner die Konsequenzen für unsere Pflanzenzüchter bedacht, die ihre biotechnologischen Forschungskapazitäten zu einem großen Teil bereits ins Ausland verlagert haben? Sollte die Politik, also auch die SPD, nicht alles daran setzen, diese Firmen mit ihren hoch qualifizierten Wissenschaftlern für ihr Mutterland zurückzugewinnen?

„Wo bleibt der Pioniergeist, für den diese Partei früher mal bekannt war?“

Selbstgewählte Ignoranz

Gibt es bei einer solchen wissenschaftlichen Fragestellung keine kompetenteren Autoritäten als ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht? Angesehene Institutionen und bekannte wissenschaftliche Institute etwa, wie die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle, die sich wiederholt für die Nutzung der Grünen Gentechnik ausgesprochen hat.

Oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)? Dieses Ministerium hat in den letzten 25 Jahren mehr als 300 Forschungsprojekte zur Biosicherheit mit über 100 Millionen Euro an Steuergeldern gefördert. Über 60 Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen haben sich an diesen Projekten beteiligt. Resultat: Von den geprüften Pflanzen gehen keine spezifischen Gefahren aus, sie verhalten sich nicht anders als konventionell gezüchtete. Ist das nicht eine solidere Grundlage für eine Urteilsbildung als ein Halbsatz aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?

Weitere Organisationen, die sich zugunsten der Grünen Gentechnik geäußert haben, sind: Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, die Akademie der Technikwissenschaften (Acatech), die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Letztere hat vor einigen Jahren sogar eine eigene Broschüre zum Thema veröffentlicht. Warum nimmt die SPD-Fraktion das nicht zur Kenntnis?

„Anstatt die deutsche Forschungsstruktur für die globalen Herausforderungen fit zu machen, soll stillschweigend ein wichtiger Forschungszweig geopfert werden.“

Dann gibt es noch international hoch angesehene wissenschaftliche Institute mit viel Erfahrung in der Erforschung der Grünen Gentechnik. Z.B. das Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm, das Institut für die Sicherheit biotechnologischer Verfahren bei Pflanzen in Quedlinburg, das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, das Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln-Vogelsang und das Institut für Züchtungsforschung an Obst in Dresden (das vor über zehn Jahren durch die damalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast mit einem sinnlosen Anbauverbot gepiesackt wurde). Es gibt also überreichlich Möglichkeiten, sich zu informieren. Oder sind das alles No-Go-Areas für die stolzen Bundestagsabgeordneten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands?

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit bekennt sich die SPD zur Bedeutung der Wissenschaft für die Zukunft unseres Landes und unserer Gesellschaft. Wir sind ja so stolz auf unsere Forschung. Nur wenn es um die verhasste Grüne Gentechnik geht: Da können wir auf Forschung gerne verzichten. Die brauchen wir nicht. Das überlassen wir lieber Amerikanern oder Chinesen.

Glaubt die SPD ernsthaft, sich mit solchen Vorhaben aus ihrer gegenwärtigen trüben Lage retten zu können? Im neuen Vorwärts finde ich einen Appell unter der Überschrift „Für eine fundamentale Erneuerung der Partei“, und weiter hinten die Ankündigung des Parlamentarischen Fraktionsgeschäftsführers Carsten Schneider: „Wir werden eine angriffslustige, aber seriöse Opposition sein“. Prima! Nur in puncto Seriosität müssen die Genossinnen und Genossen wohl noch ein bisschen üben.

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