21.11.2017

Vor Bologna war nicht alles besser

Von Hans-Jörg Jacobsen

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Foto: nikolayhg via Pixabay / CC0

Der heutige Akkreditierungsprozess für Studiengänge ist zwar aufwendig, sichert jedoch die Qualität der Lehre. In die Zeit der alten Rahmenprüfungsordnungen kann niemand ernsthaft zurückwollen.

Es ist doch erstaunlich, wie manche vergangenen Dinge rückblickend verklärt werden. So erklärte im April 2013 der „Aktionsrat Bildung“, ein neunköpfiges Professorengremium, die heutige Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland sei teuer, bürokratisch und ineffizient und müsse dringend reformiert werden. Der Aktionsrat wies darauf hin, dass es früher „Rahmenprüfungsordnungen“ gab, die Vorgaben dazu machten, wie Studiengänge aufgebaut sein sollen.

Mir sei im Namen meiner Biologie-Kollegen an der Leibniz-Universität Hannover an dieser Stelle ein Einwurf gestattet: An den Schmerz, den uns die unseligen „Diplomprüfungsrahmenordnungen“ (DPO) bereiteten, erinnern wir uns noch sehr genau. Wir hatten damals in Hannover versucht, unsere Studiengänge zeitgemäß zu konzipieren und ich erinnere mich zu gut, wie wir bei der Genehmigung der eigenen Prüfungsordnungen voll und ganz der Willkür der niedersächsischen Ministerialbeamten ausgeliefert waren. Autonomie einer Hochschule sieht anders aus.

„In den Fachbereichen war das Entsetzen groß, als wir Ende der neunziger Jahre mit Lehrinhalten konfrontiert wurden, die in den frühen Achtzigern formuliert worden waren.“

Ministerialbeamte sollten prüfen, inwieweit eine lokale Prüfungsordnung mit der bundesweit gültigen Rahmenordnung für Biologie übereinstimmte. Dabei zeigte schon die Entstehung dieser DPOs, wie schlecht sie konzipiert waren: So wurde etwa die letzte bis 1997 gültige DPO für Biologie sechs Jahre lang (1980–86) von Kommissionen auf föderaler Ebene ausgehandelt.

Sechs Jahre finden Sie lang? Danach fermentierte die DPO für Biologie für weitere acht Jahre in den mittlerweile 16 zuständigen Länderministerien und musste dann bis 1997 umgesetzt werden. In den Fachbereichen war das Entsetzen entsprechend groß, als wir Ende der neunziger Jahre mit Lehrinhalten konfrontiert wurden, die von den Gremien in den frühen Achtzigern formuliert worden waren. In der Biologie ändert sich alles rasend schnell, das war auch damals schon der Fall. Die notwendigen inhaltlichen Aktualisierungen mussten wir darum vor dem Ministerium verstecken, um den Studenten ein Studium bieten zu können, das in die Zeit passte und einigermaßen auf dem aktuellen Stand der Forschung war.

Versuche, den Studenten auch Projektmanagement zu vermitteln, wurden vom Ministerium dann aber, weil nicht explizit in der DPO aufgeführt, abgelehnt. Heute wäre ein derartiges Modul ein sogenannter „soft skill“ und problemlos Bestandteil in jedem Lehrplan. Wer kritisiert, dass 1998 das Hochschulrahmengesetz reformiert und der Bologna-Prozess vorbereitet wurde, vergisst, dass damit auch die Akkreditierung kam, welche es den Hochschulen ermöglichte, ihre Studiengänge zu erneuern.

„Man mag in der Lehrevaluation einen Angriff auf die Freiheit von Forschung und Lehre sehen, aber Studenten haben ein Recht auf gute Ausbildung.“

Erstmals mussten öffentlich zugängliche Modulbeschreibungen angefertigt werden, in denen verschiedene Vermittlungsformen kombiniert und aufeinander abgestimmt wurden. Daraus sollten dann Inhalte und Lernziele definiert werden. Dabei wurden in vielen Studiengängen erhebliche inhaltliche Redundanzen offengelegt, die man ohne schlechtes Gewissen streichen konnte.

Der negative Effekt für die Studenten soll hier nicht verschwiegen werden: Aus der durch Bologna eingeleiteten Ausweitung der Inhalte entstand eine anfänglich unterschätzte, stärkere Belastung der Studenten, vor allem in den grundständigen Bachelor-Programmen. Ursache hierfür ist, wie oben angeführt, dass anhand der nun erstmals öffentlich zugänglichen Modulbeschreibungen nicht zielführende Redundanzen abgebaut und durch neue Inhalte ersetzt wurden. Das führte zu einer Verdichtung der Stoffmenge.

Wenn nun gegen die Akkreditierung gewettert wird, wird ein System attackiert, welches bei der Bewilligung von Forschungsprogrammen unwidersprochen ist: das „Peer-Reviewing“ durch externe und unabhängige Gutachter. Bei der Akkreditierung von Studiengängen analysieren externe Fachkollegen, Vertreter der Berufspraxis und Studenten ein Programm und haben vor allem eins im Blick: Lässt sich dieses Fach so sinnvoll studieren? Es wird dabei geprüft, ob es unterschiedliche Prüfungsformen gibt, ob die personelle und sachliche Ausstattung den Anforderungen für den Studiengang gerecht wird oder wie Ergebnisse der Lehrevaluation zu Konsequenzen führen. Man mag gerade in Letzterem einen Angriff auf die Freiheit von Forschung und Lehre sehen. Aber ich finde es ebenso wichtig, dass Studenten ein Recht auf gute Ausbildung haben.

„In die Zeit der politischen Rahmenprüfungsordnungen kann niemand zurückwollen.“

Um zu erklären was ich meine, ein Beispiel aus der Arbeit in einem Akkreditierungsrat: Eine obskure Sekte versuchte mit viel Geld aus unklaren Quellen eine Hochschule zu gründen und strebte eine staatliche Anerkennung an. Ihre Studiengänge bekamen sie Dank des geltenden Akkreditierungsverfahrens natürlich nicht akkreditiert – aber man stelle sich vor, diese Einrichtung hätte mit intern organisierter Qualitätssicherung auf dem Papier auditierte Studiengänge anbieten können. Was können die Absolventen derartiger Programme mit ihren Zeugnissen anfangen, die in der wirklichen Welt überhaupt nicht akzeptiert werden würden? Die Trump University lässt grüßen!

Sicher ist die derzeitige Programmakkreditierung durch Agenturen nicht das Nonplusultra und bedeutet Aufwand. Aber diese Agenturen bringen von außen ihre Bewertung ein, wie es bei Forschungsvorhaben gute Praxis ist. Andere Elemente zur Qualitätssicherung der Lehre wären tatsächlich die Entbürokratisierung der Universitätsalltage und weniger Lehrverpflichtungen bei gleichzeitiger sinnvoller Überprüfung der Qualität der geleisteten Lehre.

Und wenn wir schon bei den Wünschen sind: Wichtig wäre die Entwicklung eines die Grundlehre sichernden akademischen Mittelbaus im Rahmen eines Wissenschafts-Tarifvertrags und entsprechende Anreize für gute Lehre, die es schon ansatzweise gibt. Notwendig ist zudem, dass die Strukturen externer Qualitätssicherung der Lehre weiterentwickelt werden. Denn nach wie vor ist es so, dass die Akkreditierungsagenturen auf Entscheidungen der Kultusministerkonferenz KMK und des Akkreditierungsrates reagieren müssen, die nicht immer abgestimmt erfolgen. Es gibt also einiges zu tun – aber in die Zeit der politischen Rahmenprüfungsordnungen kann niemand zurückwollen.

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