22.08.2024

Unkritisch Reisen: Singapur

Von Niels Hipp

Titelbild

Foto: chuttersnap via Unsplash

Singapur zeigt, wie sich eine frühere Kolonie wirtschaftlich sehr positiv entwickeln kann. Dort bestehen allerdings viele autoritäre Verhaltensvorgaben, auch beim Autobesitz.

Heute reisen wir nach Singapur, einen Stadtstaat in Südostasien, der etwa so groß wie Hamburg ist und den ich im Jahr 2017 bereist habe.

Man kommt am Flughafen Singapur Changi (SIN) an, einem der größten Flughäfen Asiens. Dieser hatte zuletzt etwa so viele Passagiere wie Frankfurt (Main). Positiv ist zu vermelden, dass dort – wie an den meisten Flughäfen der Welt – kein Nachtflugverbot besteht, im Gegensatz zu vielen deutschen Flughäfen. Dadurch muss eine teure Infrastruktur nicht etliche Stunden jede Nacht brach liegen, von den Wettbewerbsnachteilen ganz zu schweigen. Die deutschen Nachtflugverbote führen letztlich zu einer Auslagerung des Fluglärms, da dann nachts häufiger in Dubai, Istanbul oder eben auch Singapur gelandet werden muss. Die Nachtflugverbote in Deutschland, die peinlich genau eingehalten werden – außer bei einer grünen Ministerin –, was mitunter absurde Züge annimmt, sind ein Zeichen von Überempfindlichkeit, fehlender Flexibilität und einer insgesamt wirtschaftsfeindlichen Einstellung.

Dagegen ist Singapur ausgesprochen wirtschaftsfreundlich: Im Index of Economic Freedom erreichte der Stadtstaat zuletzt Rang 1, beim BIP pro Kopf weltweit Rang 6 (von 194), kaufkraftbereinigt sogar Rang 3 – weit vor Deutschland und sogar vor den USA. Wohlstand führt eben nicht automatisch zur genannten Überempfindlichkeit, auch Proteste gegen sogenannten „Overtourism“ wie in Barcelona, Venedig oder den kürzlich „unkritisch bereisten“ Kanaren gibt es in Singapur nicht.

Dabei war Singapur bei seiner Unabhängigkeit von Großbritannien 1963 bzw. der Abspaltung von Malaysia 1965 ein sehr armes Land, mit einem BIP pro Kopf von ca. 400 Dollar, was dem Niveau sehr armer afrikanischer Staaten heute entspricht. Es ist übrigens nicht der Kolonialismus an allem Schuld. Das illustriert der Vergleich etwa mit Ghana sehr gut: Das westafrikanische Land wurde zu einer ähnlichen Zeit wie Singapur (1957) ebenfalls vom Vereinigten Königreich unabhängig und konnte zuletzt ein BIP pro Kopf von ca. 2300 Dollar vorweisen, und liegt damit weltweit auf Rang 150 (von 194), kaufkraftbereinigt auf Rang 139. Das ist nicht ganz unten, aber schon ziemlich weit unten. Da es sich bei Singapur um einen Stadtstaat, bei Ghana hingegen um ein Flächenstaat handelt, und sich der Wohlstand oft in den großen Städten ballt, relativiert sich der Vergleich etwas. Aber das kann Ghanas Rückständigkeit nur zu einem kleinen Teil erklären.

„Woke kommen auf allen möglichen Unsinn, so etwa auf die Idee, dass man den Mars wegen angeblicher Rechte dortiger Mikroben und toter Felsen nicht besiedeln dürfe.“

Außerdem sind seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft etwa 60 Jahre vergangen, in denen Singapur sich sehr gut entwickelt hat und Ghana viel, viel weniger, was man daher nicht dem Kolonialismus anlasten, sondern eher der geeigneteren Wirtschaftspolitik Singapurs zuschreiben sollte. Postkolonialismus-Aktivisten argumentieren allerdings moralisierend und nicht faktenbezogen, daher wird sie das leider nicht interessieren. Aber Woke kommen ohnehin auf allen möglichen Unsinn, so etwa auf die Idee, dass man den Mars wegen angeblicher Rechte dortiger Mikroben und toter Felsen nicht besiedeln dürfe.

Die Frage, warum manche Länder arm und andere reich sind, wird durchaus unterschiedlich beurteilt: Der Soziologe und Historiker Rainer Zitelmann weist in seinem kürzlich erschienen, hier von mir rezensierten Werk „Weltreise eines Kapitalisten“ darauf hin, dass mehr Markt und weniger Staat für die Wohlstandsentwicklung positiv sind. Die Tatsache, dass Singapur im Index of Economic Freedom auf Rang 1, beim BIP pro Kopf auf Rang 6 liegt, spricht für die These Zitelmanns.

Ein anderer, sehr interessanter Ansatz ist derjenige von Daron Acemoglu und James A. Robinson in ihrem Buch „Warum Nationen scheitern“. Die Autoren unterscheiden zwischen inklusiven und extraktiven Institutionen. Inklusive ökonomische Institutionen sorgen für die Durchsetzung von Eigentumsrechten und beteiligen breite Schichten an der wirtschaftlichen Entwicklung, wohingegen extraktiven Institutionen den Wohlstand bei einer kleinen Elite konzentrieren. In Singapur ist der Wohlstand breit verteilt, was sich schon an einer Wohnungseigentumsquote von 80 Prozent zeigt (Deutschland: 42 Prozent). Außerdem liegt das Medianeinkommen pro Monat mit ca. 5200 Dollar deutlich höher als in Deutschland und ist seit 2013 um mehr als 40 Prozent gestiegen. Von ökonomisch inklusiven Institutionen kann man also sehr wohl sprechen.

Die Autoren sehen außerdem einen Zusammenhang zwischen politischen und ökonomischen Institutionen. Als wichtig für wirtschaftlichen Erfolg werden auch inklusive politische Institutionen gesehen, also die Partizipation der Bürger in Form von Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit. Diese These ist aber durchaus fraglich, denn in unserem „unkritisch bereisten“ Land Vietnam kann man sehr wohl von inklusiven ökonomischen Institutionen, aber definitiv nicht von inklusiven politischen Institutionen sprechen. Die beiden Faktoren hängen nicht zwingend miteinander zusammen, die Autoren haben die historische Entwicklung Europas und Nordamerikas im Blick, wo sich wirtschaftliche und politische Freiheit zusammen entwickelt haben, was sich aber auf andere Teile der Welt so nicht übertragen lässt. Das Fazit für Vietnam, nämlich inklusive ökonomische bei extraktiven politischen Institutionen, gilt – abgeschwächt – auch für Singapur: Bezogen auf die Pressefreiheit lag Singapur zuletzt auf Rang 126 (von 180), beim Demokratieindex lag es auf Rang 69 (von 167); Freedom House bezeichnet Singapur als nur „teilweise frei“.

„In Singapur, wo der Kampf gegen den Individualverkehr deutlich extremer ist als in Deutschland, ist die Zahl der Autos, die dort überhaupt fahren dürfen, seit 1990 beschränkt.“

Wenn man also sagen kann, dass Singapur ökonomisch sehr frei ist, so gilt das nicht in allen Bereichen. Neben dem stark regulierten Wohnungsmarkt ist auch der Erwerb von KFZ viel stärker reguliert als anderswo. Man kann nicht einfach – wie bei uns – ein Auto kaufen und es dann gegen eine geringe Gebühr zulassen lassen. In Singapur, wo der Kampf gegen den Individualverkehr deutlich extremer ist als in Deutschland, ist die Zahl der Autos, die dort überhaupt fahren dürfen, seit 1990 beschränkt. Diese Beschränkung ist im Laufe der Jahre immer weiter verschärft worden, so dass es seit 2018 trotz wachsender Bevölkerung gar keinen Zuwachs an PKW mehr geben darf. Wie läuft die Beschränkung praktisch ab? Man muss zunächst ein sog. „Certificate of Entitlement“ (COE) erwerben. Dazu werden zwei Mal monatlich Auktionen durchgeführt. Je nach dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage lagen die Kosten eines COE zuletzt zwischen umgerechnet etwa  55.000 bis 70.000 Euro, auch für einen Kleinwagen. Das macht das COE teurer als den Wagen selbst, wobei es auch noch eine Sondersteuer für KFZ gibt. Das COE gilt auch nicht endlos, sondern nur zehn Jahre. Dann kann eine weitere Verlängerung für fünf Jahre erfolgen, allerdings wieder in einer Auktion mit einem erneuten COE, wobei die Kosten für 5 Jahren niedriger liegen. Auf stark befahrenen Straßen wird zusätzlich zu Hauptverkehrszeiten eine Straßennutzungsgebühr verlangt. Folge dieser Politik ist, dass es in Singapur bei 5,7 Millionen Einwohnern nur 651.000 Autos gibt, im viel weniger bevölkerungsreichen Berlin hingegen ca. 1,2 Millionen.

In einem Flächenstaat wäre ein solcher feuchter Traum der Grünen natürlich mit viel größeren Nachteilen verbunden. Schaut man sich den ÖPNV hat, dann fällt auf, dass Singapur über ein sehr dichtes U-Bahn-Netz verfügt. Die Streckenlänge beträgt 241 km. Der Ausbau des Netzes geht schnell voran, wohingegen man in Deutschland oft Ewigkeiten benötigt, etwa mindestens 6 Jahre für einen nur 800 Meter langen Weiterbau der U3 in Berlin.

Angenehm ist, dass man dort keine Nutzer:innen von Lastenfahrräder:innen, diesem Symbol grüner Verblendung, sieht. Aber auch sonst stößt man auf erfreulich wenig Radfahrer, denn – so muss man knallhart sagen – die Nutzung eines herkömmlichen Fahrrads weist einen rückschrittlichen Charakter auf, da man – wie in vorindustrieller Zeit – auf Muskelkraft setzt, wir aber seitdem zur Entlastung des Menschen Motoren, mit elektrischer oder fossiler Energie, nutzen können.

„Bezogen auf die persönliche Freiheit gibt es in Singapur viele Einschränkungen, der Stadtstaat betreibt ein paternalistisches Mikromanagement.“

Bezogen auf die persönliche Freiheit gibt es in Singapur viele Einschränkungen, der Stadtstaat betreibt ein paternalistisches Mikromanagement: Kauf und Nutzung von E-Zigaretten sind komplett verboten, Kaugummi war früher gänzlich verboten und ist auch heute nur in Apotheken erhältlich. Außerdem sind die Strafen für einfache Vergehen aus europäischer Sicht unverhältnismäßig hart, man wird auch auf Hinweisschildern in der U-Bahn permanent darauf hingewiesen. So ist der Verzehr von Speisen und Getränken in öffentlichen Verkehrsmitteln untersagt und wird mit hohem Bußgeld von umgerechnet bis zu 350 Euro geahndet. Rauchen darf man in Singapur nur an wenigen Orten – grundsätzlich nicht in Gebäuden, Parks, öffentlichen Verkehrsmitteln und im Umkreis von fünf Meter von Bushaltestellen. Ein sehr heikles Thema ist die Todesstrafe, die in Singapur für die Einfuhr auch kleiner Mengen weicher und harter Drogen verhängt wird. Bei vielen Delikten wie Graffiti oder Vandalismus droht noch die Prügelstrafe.

Was kann man in Singapur besichtigen? Da Singapur eine – gut funktionierende – multikulturelle Gemeinschaft bestehend primär aus Chinesen, der größten Bevölkerungsgruppe, Malaien und Indern ist, bieten sich die ethnischen Viertel Little India (mit dem Sri-Veeramakaliamman-Tempel), China Town (mit dem Buddhazahn-Tempel) sowie das malaiische Viertel (mit der Sultan-Moschee) zur Besichtigung an. Am Singapore River steht eine Statue des Stadtgründers Sir Stamford Raffels und in der Nähe Merlion, das Wappentier Singapurs. Nicht weit entfernt finden Sie das sehr sehenswerte – und bei den ganzjährig tropischen Temperaturen angenehm klimatisierte – Nationalmuseum. Das Marina Bay Sands Hotel lohnt eine Auffahrt, oben befindet sich ein berühmter Swimmingpool. Nebenan liegen die Gardens by the Bay mit tropischen Pflanzen. Der Norden hält einen sehr sehenswerten Zoo bereit.

Eine separate Reise von Europa ins 10.000 Kilometer entfernte Singapur lohnt sich nicht wirklich, besser besucht man den Stadtstaat, wenn man ohnehin in der Umgebung ist, etwa in Indonesien oder Malaysia, oder in Form eines Zwischenstopps auf dem Weg von oder nach Australien oder Neuseeland.

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