26.04.2024

Unkritisch Reisen: Algerien

Von Niels Hipp

Titelbild

Foto: Privat

Algerien haben deutsche Touristen noch kaum erschlossen. Das Land leidet am Ressourcenfluch: Trotz bedeutender Bodenschätze geht es wirtschaftlich nicht gut.

Heute setzen wir unsere „unkritische Reise“ fort. Diesmal geht es nach Algerien, einen Staat in Nordafrika, den ich im Jahr 2019 besucht habe. Auch wenn das nach Fläche größte Land Afrikas nur 300 Kilometer von der Deutschen liebsten Insel (Mallorca) entfernt liegt und es tägliche Flugverbindungen auch von Deutschland gibt, tummeln sich nur wenige Touristen im Land, am ehesten noch Franzosen. Bisher ist das zehntgrößte Land der Erde Touristen gegenüber eher abweisend, auch bei der Vergabe von Touristenvisa. Es gibt aber in letzter Zeit erste Überlegungen, dies zu ändern.

Für die Wirtschaftsstruktur ist bedeutsam, dass das Land über beträchtliche Erdöl- und v.a. Erdgasvorkommen verfügt. Diese beiden fossilen Energieträger werden in erheblichem Maße nach Europa, bisher v.a. nach Italien und Spanien, exportiert. Da Europa sich „dekarbonisieren“ will, erkennt Algerien seine Chance und möchte zukünftig auch sogenannten grünen Wasserstoff nach Europa liefern.

Der Blick auf die wirtschaftlichen Indikatoren offenbart wenig Erfreuliches: Im Index für wirtschaftliche Freiheit im Jahr 2022 lag das nordafrikanische Land auf Rang 167 (von 177), Deutschland immerhin auf Rang 16. Das BIP pro Kopf lag 2022 bei rund 4300 US-Dollar, und damit auf Rang 120 (von 194) weltweit, kaufkraftbereinigt auf Rang 111. Die Wirtschaftskraft pro Kopf hat sich seit 1982 in etwa verdoppelt. Das ist für ein nicht sehr wohlhabendes Land keine herausragende Entwicklung: In den viel wohlhabenderen USA hat sich das BIP pro Kopf in diesem Zeitraum verfünffacht. Außerdem zeigt die Entwicklung der Wirtschaftskraft starke Ausschläge, da Algerien sehr stark vom weltweiten Gaspreis abhängt. Die Wirtschaft ist schlichtweg nicht ausreichend diversifiziert.

In Ländern mit vielen Bodenschätze kann es schnell zu einem Ressourcenfluch (resource curse) kommen. Sprich: Ein reiches Vorkommen an Rohstoffen wirkt sich – scheinbar paradoxerweise – ungünstig auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Das kennt man z.B. aus dem Iran, dem Irak oder Nigeria, nicht hingegen aus Norwegen oder Alaska. In Algerien haben wir es auch damit zu tun. Durch die schwankenden Weltmarktpreise für Öl und Gas entsteht eine höhere Volatilität des BIP, die zu größerer Unsicherheit und damit zu stärkerer Zurückhaltung bei Investitionen führen. Entscheidend ist dann, wie die Institutionen und ein entsprechender Finanzmarkt dies abfedern. Schaut man sich die Daten aus dem Index für wirtschaftliche Freiheit an, so fällt auf, dass es in Algerien bei Eigentumsschutz, finanzieller Freiheit, Investitionsbedingungen, v.a. aber bei der Korruption, schlecht aussieht. Es gibt also in erheblichem Maße Probleme im institutionellen Bereich, die Algerien ausbremsen.

„Es herrscht ein Regime aus der kleinen Oberschicht des Landes.“

Das Geld kommt nicht in dem Maße der Bevölkerung zugute, etwa wie in Norwegen mit seinem Staatlichen Pensionsfonds, der aus Einnahmen durch das Nordsee-Öl gespeist wird. Dazu passt, dass Algerien 20 Jahre lang – von 1999 bis 2019 – vom gleichen Präsidenten regiert wurde, Abd al-Aziz Bouteflika (1937-2021). Seitdem amtiert Abdelmadjid Teboune (*1945). Es herrscht ein Regime aus der kleinen Oberschicht des Landes. Der öffentliche Dienst spielt eine große Rolle, u.a. wegen der vielen Staatsunternehmen, nicht nur im Energiesektor, sondern auch etwa bei Banken und Versicherungen. Außerdem ist die Polizei oft präsent. Zu einer Sehenswürdigkeit, der Ausgrabungsstätte Djémila, in der unruhigen Region Kabylei gelegen, wurden wir – zwei ‚normale‘ Touristen – sogar von einer Polizeieskorte begleitet.

Für Deutschland ist Algerien aber nicht nur wegen Ressourcen von Interesse, sondern auch wegen der Flüchtlingsproblematik. Algerien grenzt nämlich im Süden u.a. an Niger. Von dort bringen Schlepper Schwarzafrikaner über die algerische Grenze mitten in der Wüste und dann weiter nach Algier. Die Reise geht anschließend über das Mittelmeer Richtung Spanien. Allerdings reagiert Algerien reagiert mittlerweile hart und schiebt die Migranten über die Grenze zurück nach Niger ab. Ohne das Durchgreifen Algeriens würden also noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Was erwartet einen als Tourist in Algerien? Wer schon einmal in den Nachbarstaaten Marokko oder Tunesien war, wird viele Parallelen erkennen. Im Gegensatz zu Marokko gibt es aber deutlich mehr Sehenswürdigkeiten aus der Römerzeit. Man kann hier die römischen Ausgrabungen von Tipasa, Chercell, Tébessa, Timgad, Djémila und Annaba besuchen, wobei Djémila und Tipasa die beeindruckendsten sind. Letztgenannte Ausgrabungsstätte besticht v.a. durch die sehr schöne Lage direkt am Mittelmeer.

„Algier verfügt neben Kairo über die einzige voll entwickelte U-Bahn-Linie ganz Afrikas.“

Annaba – früher Hippo Regius – war auch die Wirkungsstätte des Kirchenvaters Augustinus (354-430), der dort sein Hauptwerk „De Civitate Dei“ („Vom Gottesstaat“) verfasste, welches 413-426 als Reaktion auf die Plünderung Roms 410 entstand. Augustinus wollte übrigens keine Theokratie errichten, vielmehr unterschied er zwischen einem Gottesstaat (civitas dei) und einem irdischen Staat (civitas terrena). Der Kirchenvater gehört also nicht zu den Vorgängern heutiger Islamisten, die das Kalifat anstreben – ein Problem, das in Algerien heute nicht sehr relevant ist. Man kann in Annaba eine – weit sichtbare – Basilika aus der französischen Kolonialzeit mit einer Reliquie des Heiligen besuchen. Unterhalb der Basilika sind die Ruinen des antiken Hippo Regius zu finden.

In Tlemcen ist v.a. die Altstadt mit dem Mechouar-Palast sehenswert, der sehr an die Alhambra in Granada (Spanien) erinnert. In der Hauptstadt Algier kann man durch die Altstadt schlendern, die Kirche Unserer Lieben Frau von Afrika, das Bardo-Museum für Vorgeschichte und Ethnographie, das Museum der Schönen Künste sowie das Museum für Altertum und islamische Kunst besuchen. Algier verfügt neben Kairo über die einzige voll entwickelte U-Bahn-Linie ganz Afrikas.

Während sich historische Sehenswürdigkeiten weitgehend im nördlichen Teil befinden, besteht das Land zu mehr als 80 Prozent aus Wüste. Die Gebirgskette Tassili n’Ajjir mit einem Nationalpark enthält prähistorische Felsmalereien.  Der Nationalpark liegt mehr als 1500 Kilometer südlich von Algier und ist damit von der algerischen Hauptstadt ungefähr so weit entfernt wie diese ihrerseits von Frankfurt/Main. Daran zeigen sich die riesigen Ausmaße des Landes.

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