01.02.2017

Trumps Dekret und die Krise der Vernunft

Analyse von Brendan O’Neill

Titelbild

Foto: Olichel via Pixabay / CC0

Trumps Einreiseverbot für sieben islamische Länder ist grausam und irrational. Aber auch seine Kritiker haben sich von der Vernunft verabschiedet.

Wer an Freiheit und Vernunft glaubt, sollte US-Präsident Trumps anti-muslimisches Einreise-Dekret ablehnen. Der grausame und unvermittelte Stopp jeglicher Asylanträge und der Einreise für Bürger aus sieben islamischen Ländern nach Amerika ist zutiefst illiberal. Es handelt sich um die niederste Form von Symbolpolitik: ein Federstrich zur Demonstration amerikanischer Allmacht, der mit einer unglaublichen Missachtung des amerikanischen Geistes der Freiheit und der Tradition, den Unterdrückten dieser Welt ein neues Zuhause zu bieten, einhergeht. Mit seiner Unterschrift stürzte Donald J. Trump das Leben der davon Betroffenen ins Chaos.

Das Dekret wirkt sich desaströs auf diejenigen aus, die aus Kriegsgebieten fliehen wollen. Es hat aber auch negative Konsequenzen für Touristen, Geschäftsleute und Studenten – und jeden, dessen Vergehen darin besteht, in Irak, Syrien, Jemen, Libyen, Iran, Somalia oder Sudan geboren zu sein. Wir haben mittlerweile Berichte über die gnadenlosen Auswirkungen des Dekrets gehört: Irakische Übersetzer, die amerikanischen Streitkräften halfen, sind in US-Flughäfen gestrandet (wofür die US-Regierung jedoch bereits Ausnahmeregelungen diskutiert); eine iranische Studentin an einer amerikanischen Universität merkt auf ihrer Reise zurück in die USA, dass sie nicht länger willkommen ist. In einem verzweifelten Facebook-Post fragt sie sich, was nun mit ihrem Hund und ihrem geparkten Auto geschieht – das ist der Ausweis realer Krisen, in die echte Personen durch Trumps tragisches Bedürfnis, stark zu erscheinen, gestürzt werden.

„Der Stopp jeglicher Asylanträge und der Einreise für Bürger aus sieben muslimischen Ländern nach Amerika ist zutiefst illiberal“

Dass Menschen festgenommen, dass sie mit der Aussicht auf Abschiebung bedroht werden oder dass ihnen vermittelt wird, ihnen sei der Zutritt nach Amerika verboten, zeigt, auf welch leichtfertige Art und Weise das Dekret die Freiheit niederwalzt. Und dass es auf die Bürger Iraks, Syriens, Jemens, Libyens, Irans, Somalias und Sudans abzielt, offenbart seine vollständige Unvernunft. Zwischen 1975 und 2015 wurde nämlich kein einziger Amerikaner auf Grund eines Terrorangriffs durch Bürger dieser Nationen getötet. Dagegen wurden viele Amerikaner Opfer von Terroristen, die aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und dem Libanon kamen – und dennoch sind gerade diese Länder nicht im Dekret aufgeführt. Sogar gemessen an seinem eigenen feigen Anspruch, Amerikaner vor „den Anderen“ zu schützen, erweist sich dieses Dekret als irrational. Das ist das Ergebnis, wenn die Politik der Angst das Regieren auf Basis von Vernunftabwägung und Gewissen ersetzt: ganze Nationen werden ohne jede stichhaltige Grundlage kriminalisiert, ganze Lebensentwürfe werden auf den Kopf gestellt. Präsident Trump opfert die Freiheit einem opportunistischen Posenspiel.

Das schlimmste an diesem Dekret ist seine Gedankenlosigkeit, die Entscheidung für Theatralik zulasten vernunftbasierten politischen Redens und Denkens. Hinter dem Dekret steckt kein Plan Trumps, ähnlich wie in den 1930er Jahren eine faschistische neue Weltordnung zu etablieren – eine Theorie, die gerade in linken und liberalen Kreisen aktuell verbreitet ist. Im Gegenteil: Gerade das Chaotische und die Unreife des Dekrets stechen ins Auge. Mitarbeiter im Justizministerium kannten bis zur letzten Minute nicht seine Details. Den Mitarbeitern der Einwanderungsbehörden wurde vorher nicht mitgeteilt, was sie zu erwarten hätten. Dieses Vorgehen folgt aber keinem finsteren Plan, wie viele Kommentatoren in den letzten Tagen mutmaßten; es war ein Schauspiel, eine Pose, ähnlich einem provokanten Tweet – Regierungsführung durch rumtrollen. Gerade das sollte uns zu denken geben, weil Regierungshandeln eigentlich anderen Maßstäben folgen sollte.

„Gerade das Chaotische und die Unreife des Dekrets stechen ins Auge“

Das Dekret offenbart einige sehr wichtige Einsichten in das Denken von Trump und dessen frenetischen Anhängern aus der so genannten Alt-Right-Bewegung. Genauso wie ihre Lieblingsfeinde, die „politisch korrekten“ Social Justice Warriors, leben sie ihre Feigheit, Schwäche und Zensurneigung aus. Im Grunde genommen wird nun unter Trump versucht, die gesamten USA in ein Safe Space zu verwandeln, wie man ihn unter anderen Vorzeichen von vielen US-Unis kennt. Dieses Bestreben ist eine abgewandelte Form des Belagerungsdenkens und der Angst vor anstößigen Ideen (in diesem Fall dem Islam), die auch die Political Correctness ausmachen. Trump denkt wohl, sich mit dem Dekret als wahrer Verteidiger amerikanischer Werte stilisieren zu können. Tatsächlich drückt sich darin das genaue Gegenteil aus. Wie gering muss sein Vertrauen in die amerikanischen Werte sein, wenn er tatsächlich glaubt, diese könnten durch die Ankunft von Menschen mit abweichenden Vorstellungen existenziell bedroht werden? Der frühere, positive Einwanderungsansatz – man denke an die Inschrift der Freiheitsstatue: „Gib mir deine zusammengekauerten Massen“  – ging von der Überzeugung aus, Amerikas Werte seien gut und stark. So stark, dass es sich lohne, selbst bei den Fremdartigsten viel Energie in das Projekt der Integration in die amerikanische Gesellschaft aufzuwenden. Der Trumpsche Ansatz hingegen enthüllt eine tiefe Unsicherheit gegenüber diesen freiheitlichen Werten. Trumps deprimierende, von Abstiegsängsten begleitete, Sichtweise von Amerika als Opfer unzähliger existenzieller Bedrohungen führt dazu, dass man sich vor Jemeniten, die nach einem Job suchen, oder vor Syrern, die nach Sicherheit streben, fürchtet.

Ja, es gilt Widerstand zu leisten gegen dieses erbärmliche Dekret. Doch wir müssen auch über die Proteste dagegen sprechen. Diese sind nämlich kurz davor, jegliches Augenmaß zu verlieren. Und das ist ein großes Problem. Bislang offenbart die Opposition gegen das Dekret leider ihrerseits vor allem Irrationalität. Sie ersetzt die kühle, entschiedene politische Kritik an dem Dekret, die wir eigentlich bräuchten, durch eine andere Form der Angstmacherei – im speziellen eine ahistorische Angst vor der Wiederkehr des Nazismus. Man höre sich nur das fiebrige Geflüster über einen neuen Faschismus an, über die Verwandlung Trumps in einen kleinen Hitler, mit dem sich kein respektabler Führer der westlichen Welt abgeben sollte. Wenn das Dekret einen Mangel an moralischer Überzeugung im Trump-Lager enthüllt, so offenbart die Opposition dagegen ebenfalls das Fehlen eines moralischen Ankers und vernunftbasierter Politikansätze.

„Bislang offenbart die Opposition gegen das Dekret leider ihrerseits vor allem Irrationalität“

Gerade das Anführen von Holocaust-Metaphern zur Dämonisierung Trumps ist auf dreierlei Weise problematisch. Durch das Ausschlachten schiefer historischer Vergleiche beschädigt man die Geschichte selbst. Die einzigartige Barbarei, die den Juden angetan wurde, wird verwässert und erscheint so zunehmend als Routine. Es gibt wirklich nichts – gar nichts - das Trumps opportunistisches, vorübergehendes Einreiseverbot für Menschen aus einer Handvoll islamischer Länder vergleichbar macht mit dem Nazi-Plan,  jeden Juden auf der Erde zu vernichten. Zweitens sind die überzogenen Reaktionen problematisch, weil sie implizieren, Trumps Handlungen seien vollständig aus unserer Zeit, dem 21. Jahrhundert, gefallen. Man hätte so etwas nicht wieder erlebt seit Deutschland vor 80 Jahren Amok lief. Doch das entlässt die westliche Politik – einschließlich der Obama-Regierung – aus ihrer Verantwortung. Tatsächlich bewegt sich Trumps Dekret nämlich sehr wohl innerhalb des Fahrwassers der autoritären und prinzipienlosen Angstpolitik des 21. Jahrhunderts – ob es sich beispielsweise um Obamas vorübergehendes Verbot irakischer Einwanderung in die USA von 2011 handelt oder um die gegenwärtige Abschottungspolitik der EU, die afrikanischen Diktatoren Geld zahlt, um deren bedrohliche Bevölkerungsmassen von Europa fern zu halten.

Und das dritte Problem liegt darin, dass die Opposition gegen Trump selbst von den Motiven der heute gängigen Angstpolitik angetrieben wird. Die Ausschlachtung vergangener Schrecken bei dem Versuch, Trump als eine Anomalie im 21. Jahrhundert darzustellen, dient vor allem dazu, die Protestler leidenschaftlich und entschlossen dastehen zu lassen. Tatsächlich offenbart sich hier aber ihre politische Schwäche. Ihnen fehlt eine ernstzunehmende Rhetorik, mit der sie es mit Trump aufnehmen und normale Menschen davon überzeugen könnten, dass es eine andere und bessere Art der Politik gibt. Indem sie die Schrecken der Vergangenheit beschwören, gehen sie einer vernünftigen Diskussion über die Gegenwart aus dem Weg. Man stilisiert Trump als Bösewicht, ohne eine Idee dafür anzubieten, wie eine freiheitliche Alternative konkret aussehen könnte. Das ist das Fürchterliche an den Ereignissen der letzten Tage: Trump hat seine autoritären Charakterzüge offenbart und die Linke ist unfähig, auf eine positive und realitätsbezogene Weise gegen seinen Autoritarismus Widerstand zu leisten. Sowohl Trumps Inszenierung des starken Mannes als auch die hysterische Gegenreaktion basieren auf der Politik der Angst. Zwischen diesen beiden Polen – Theater und Hysterie – könnte es aber vielleicht noch etwas anderes geben: Vernunft und Prinzipientreue – das wahrhaftige und angstfreie Eintreten für die Freiheit.

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