26.04.2015
Süßkartoffel bringt Gesetz ins Wanken
Kommentar von Ludger Weß
Einer aktuellen wissenschaftlichen Studie zufolge wurde die DNA der Süßkartoffel vor Tausenden von Jahren durch ein Bakterium verändert. Diese natürliche Genveränderung stellt die derzeitige Gentechnik-Gesetzgebung in Frage.
Süßkartoffeln sind ein prächtiges Gemüse. Rötliche Schale, darunter Fruchtfleisch in verschiedenen Farbtönen: weiß, gelb oder tief orange. Je heller, desto trockener, je dunkler, desto weicher und süßer ist es. Süß und nussig im Geschmack, erinnert die Süßkartoffel an Kürbis und Kastanie. Aber sie birgt noch eine andere Überraschung: Sie hebelt das europäische Gentechnikrecht aus.
Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat kürzlich eine Studie [1] veröffentlicht, wonach Süßkartoffeln so genannte transfer-DNA (T-DNA) des Bakteriums Agrobacterium enthalten. Eine der beiden T-Regionen trägt vier Gene des Bakteriums, die für jeweils ein Enzym kodieren und deren Produkte in nachweisbarer Menge vorhanden sind. Diese T-DNA war in allen 291 getesteten Süßkartoffelsorten vorhanden, nicht aber in verwandten Wildpflanzen, woraus die Wissenschaftler schließen, dass erst diese Veränderung die Süßkartoffel attraktiv für die Zucht durch Menschen gemacht hat. Aufgrund weiterer genetischer Untersuchungen schließen die Forscher, dass diese Veränderung etwa 8000 Jahre zurück liegt. Die Autoren der Arbeit schlussfolgern daraus, dass diese Interaktionen zwischen Pflanzen und Bakterien häufiger stattfinden und transgene Pflanzen somit nichts Unnatürliches sind.
Verschiedene angloamerikanische Medien titelten daher bereits zu Recht, die Süßkartoffel sei das erste natürlich vorkommende genetisch veränderte Gemüse. Schließlich sind zahlreiche transgene Pflanzen auf genau dieselbe Art und Weise mittels Agrobacterium hergestellt worden. Das wirft Fragen auf: Fällt die Süßkartoffel damit unter die Vorschriften für GMOs (gentechnisch veränderte Organismen) in Europa bzw. Deutschland? Sind Anbau und Vertrieb angesichts dieser Erkenntnisse noch erlaubt, ohne dass jemand eine Zulassung beantragt? Muss sie als GMO gekennzeichnet werden? Kann die Süßkartoffel damit noch als Bio-Ware angeboten werden, wenn bei Bio-Gemüse gentechnische Eingriffe ausdrücklich verboten sind? Niemand kann bestreiten, dass die Süßkartoffeln – egal ob aus Bio- oder konventionellem Anbau – Gene enthalten, die in den natürlichen Verwandten nicht vorkommen, die aus einer komplett anderen, nicht verwandten Art stammen, die nachweislich über Gentransfer mit Agrobacterium in das Pflanzengenom hineingeraten sind und die artfremde Genprodukte exprimieren.
„Damit hätten Gentechnik-Kritiker erstmals zugegeben, dass Gentransfer über Artgrenzen hinweg im Freiland unbedenklich sein kann“
Der Pflanzengenetiker Kevin Folta (University of Gainesville, Florida) hat bereits im Scherz darauf hingewiesen [2], dass der Anstieg des Verkaufs der Süßkartoffel in den USA vortrefflich mit dem Anstieg der diagnostizierten Fälle von Autismus bei Kindern korreliert, ein bei Gentechnik-Kritikern beliebtes Verfahren, um vor den Gefahren von Pflanzen mit artfremden Genen zu warnen und nach dem Vorsorgeprinzip zu rufen. Das verbietet nämlich, solche Frankenstein-Pflanzen ungetestet auf den Markt zu bringen, sofern es auch nur kleinste Hinweise darauf gibt, dass sie gefährlich sein könnten.
Sobald die Nachricht in den deutschen Medien durchsickert, werden sicherlich Beschwichtigungen von Umweltschutzorganisationen und linksgrünen Politikern zu hören sein, wonach es sich in diesem Fall um einen natürlichen Prozess und eben nicht um einen Eingriff im Labor handle. Darüber hinaus dürften 8000 Jahre Anbau und Konsum wohl bewiesen haben, dass die Süßkartoffel unschädlich ist. Entwarnung also.
Doch Vorsicht: Damit hätten Gentechnik-Kritiker erstmals zugegeben, dass Gentransfer über Artgrenzen hinweg im Freiland unbedenklich sein kann. Viel schwerwiegender aber ist, dass mit dem Fund das Gentechnik-Gesetz in Frage steht, denn die Definition dessen, was ein gentechnisch veränderter Organismus ist, ist jetzt hinfällig. „Gentechnisch veränderte Organismen (Abkürzung GVO)“, heißt es im Gesetzestext, „sind entsprechend der Richtlinie 2001/18/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 (Freisetzungsrichtlinie) definiert. Danach handelt es sich um biologische Einheiten mit Ausnahme des Menschen, deren genetisches Material so verändert wurde, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich wäre.“
Klarer geht es wohl nicht mehr: Damit führt ein Gentransfer mit Agrobacterium nicht mehr zu einem gentechnisch veränderten Organismus, denn er verändert genetisches Material in keiner Weise anders, als es auf natürliche Weise möglich ist. Ein Hoch auf die Süßkartoffel – sie hat das europäische Gentechnikrecht im April 2015 ad absurdum geführt.