15.02.2021
Sterben in Zeiten von Corona in Schweden und Deutschland
Von Thilo Spahl
„Covid-Tote“ zählt jeder, wie er will. Daher sollte man sich die allgemeine Übersterblichkeit ansehen, um Folgen der Pandemie einzuschätzen.
In Deutschland weiß bekanntlich jeder Zeitungsleser und Fernsehgucker, dass der schwedische Weg seit einem knappen Jahr alle paar Wochen gescheitert ist. Die Schweden haben sich dem Lockdown verweigert und so ihre Bevölkerung in den Tod getrieben. Es wurde gestorben wie sehr lange nicht mehr.
„Schweden verzeichnet in der ersten Hälfte des Jahres so viele Todesfälle wie seit 150 Jahren nicht. Bis Ende Juni starben rund 4500 Menschen an Covid-19. Insgesamt gab es 51.405 Todesfälle, mehr als in jedem Jahr seit 1869, als unter anderem wegen einer Hungersnot 55.431 Menschen starben. Das teilte die Statistikbehörde mit. Schweden hatte im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie deutlich weniger Kontaktbeschränkungen erlassen als viele andere europäische Staaten“, konnten wir am 19. August auf Spiegel Online erfahren.
Wie irreführend diese Meldung war, sehen wir im folgenden Diagramm, das die Sterberate in Schweden der letzten 170 Jahre zeigt. Sie war 2020 (auch in der ersten Hälfte) offensichtlich geringer als in fast allen Jahren davor. Man hatte wohl einfach vergessen zu erwähnen, dass sich die Bevölkerung in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt hat (und zudem das Durchschnittsalter ebenfalls stark angestiegen ist).
Abb. 1: Sterberate Schweden, Quelle
Inzwischen haben wir Zahlen für das ganze Jahr 2020. Wie ging es aus für das Lockdown- und Maskenverweigererland?
Das folgende Diagramm zeigt die Übersterblichkeit (orange) und Untersterblichkeit (blau) im Vergleich zum Durchschnitt der letzten drei Jahre. Oben für Deutschland, unten für Schweden.
Abb. 2: Sterblichkeit Deutschland/Schweden, Quelle: Daten der Human Mortality Database
Subtrahiert man die blaue Fläche von der orangenen, ergibt sich die Übersterblichkeit für das Jahr 2020. In welchem Land liegt sie höher? Welches Land ist gut durch die Krise gekommen und welches ist gescheitert? Es lässt sich offenbar nicht so leicht sagen. Deshalb muss man sich die Zahlen einmal etwas genauer anschauen. Wir werden sehen, dass einige Faktoren zu beachten sind und am Ende Deutschland sehr gut dastehen wird und Schweden auch noch durchaus passabel.
Aber in Deutschland gab es doch eine enorme Übersterblichkeit, oder nicht? Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Sterbefälle gegenüber 2019 um mindestens 42.969 oder 5% gestiegen. Das passt sehr gut zur vermeldeten Zahl der laut RKI rund 41.000 „Covid-Toten“. Allerdings erfahren wir auch: „Die Zahl der ab 80-Jährigen dürfte im Laufe des Jahres nach Ergebnissen der Bevölkerungsvorausberechnung um etwa 4 bis 5 Prozent zugenommen haben.“
Dass in Deutschland in absoluten Zahlen Jahr für Jahr mehr Menschen sterben, ist überhaupt kein Wunder. Es ergibt sich aus der Alterung der Gesellschaft. Wie die folgende Abbildung zeigt, hat sich die Zahl der Menschen, die 80 Jahre oder älter sind, in den letzten Jahrzehnten enorm erhöht.
Abb. 3: Alteraufbau deutsche Bevölkerung, Quelle: Statistisches Bundesamt
Waren im Jahr 2000 2,93 Millionen Menschen 80 Jahre oder älter, so ist deren Anzahl bis zum Jahr 2020 auf 5,68 Millionen angewachsen. Allein in den letzten fünf Jahren sind es um über 1,1 Millionen mehr geworden. Entsprechend steigt die Zahl der Todesfälle in den letzten Jahren steil an. Der Vergleich der absoluten Zahl der Sterbefälle mit der aus dem Vorjahr oder gar mit dem Durchschnitt der letzten fünf oder zehn Jahre muss daher immer eine deutliche Zunahme der Sterblichkeit zeigen.
Berücksichtigt man diese demografische Entwicklung und vergleicht die tatsächlichen mit den zu erwartenden Todesfälle, dann zeigt sich für Deutschland im Jahr 2020 keine auffällige Sterblichkeit:
Abb. 4: Mortalitätsrate Schweden, Quelle
2020 war die altersbereinigte Sterblichkeit in Deutschland geringer als 2016, 2017 und 2018. Und ähnlich wie in Schweden (s.u.), nur nicht ganz so ausgeprägt, war auch in Deutschland 2019 ein Jahr, in dem relativ wenig gestorben wurde. 2020 kam also auch ein gewisser Nachholeffekt dazu. So erklärt sich auch, warum die absolute Zahl der Gestorbenen 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozent, im Vergleich zu 2018 aber nur um 3 Prozent höher lag.
In Schweden sieht die Sache etwas anders aus. Hier gibt es nicht den demografisch bedingten starken Anstieg der Sterbezahlen. Dafür zeigt sich hier ein anderes Phänomen: Wenn in einem Jahr besonders wenig gestorben wird, beispielsweise, weil der Winter mild war, ist die Chance groß, dass die Zahl im nächsten Jahr wieder ansteigt, weil es relativ mehr Menschen im „Sterbealter“ gibt. Bei Schweden war das im Zweijahreszeitraum 2019/2020 besonders ausgeprägt, wie folgendes Diagramm in Bezug auf die Altersgruppe 80+ zeigt. Durch die geringe Sterblichkeit in 2019, hat sich die Gruppe der Überachtzigjährigen in 2020 um 6,6 Prozent erhöht. Da in dieser Altersgruppe der Großteil der Sterbefälle zu verzeichnen ist, erklärt allein dieser Effekt einen großen Teil des Anstiegs im Jahr 2020.
Abb. 5: Sterbefälle Schweden, Quelle: Teddy Petrou
In Hinblick auf die Übersterblichkeit sind Deutschland mit Lockdown und Schweden ohne Lockdown recht gut durch die Pandemie gekommen. Der Chemie-Nobelpreisträger und Hobby-Covid-Forscher (und Lockdown-Kritiker) Michael Levitt kommt in seinen Berechnungen altersbereinigt für Deutschland auf 8306 (und nicht 42.969) zusätzliche Tote (101 pro 1 Million Einwohner) und für Schweden auf 2996 (290 pro 1 Million, und nicht „mindestens 96.000“, die schon bis Juli 2020 dort nach „wissenschaftlichen“ Szenarien hätten sterben sollen, wenn Schweden an seiner Strategie festhalten würde).
In einigen anderen Ländern, etwa England, Belgien, Spanien und Frankreich sieht die Bilanz deutlich schlechter aus. Das sind allerdings alles Länder mit langen und harten Lockdown-Maßnahmen. Das folgende Diagramm zeigt den Verlauf der Übersterblichkeit im Jahr 2020 in diesen Ländern:
Abb. 6: Übersterblichkeit 2020, Quelle: Auszug aus EUROMOMO
Überlastete Kliniken?
Auch bei der Auslastung der Intensivstationen mit Covid-19 Patienten zeigt sich das Versagen des schwedischen Wegs nicht so richtig. Trotz geöffneter Schulen, Geschäfte, Restaurants und ganz ohne Maskenpflicht gab es keine Überlastung der Kliniken. Hier ein Vergleich der Covid-19-Fälle auf Intensivstationen zwischen Berlin und Stockholm in der zweiten Welle:
Abb. 7: Coronapatienten auf Intensivstationen, Quelle: Zacki
Berücksichtigt man, dass es in Schweden sehr viel weniger Intensivbetten gibt als in Deutschland, war die Situation in beiden Ländern ähnlich angespannt. Allerdings war sie lange nicht so angespannt, wie oft suggeriert wurde. Das sehen wir sehr gut an den Zahlen, die die Helios-Gruppe mit ihren 89 Kliniken in Deutschland seit einigen Monaten veröffentlicht. Sie zeigen die im Vergleich zum letzten Jahr (gepunktete Linie) während der gesamten zweiten Welle deutlich verringerte Auslastung.
Abb. 8: Krankenhausfälle, Quelle: Helios-Gruppe
Wir nähern uns der Zeit, in der allmählich die systematische Aufarbeitung der globalen Coronakrise das erbärmliche Beschwören derselben ablösen wird. Wir können froh sein, dass wenigstens Schweden Material für diese Aufarbeitung liefert, das dazu dienen kann, den Mythos der Alternativlosigkeit der Lockdown-Politik zu hinterfragen. Auch in Hinblick auf die Auswirkungen des Katastrophenjahrs für Gesellschaft und Demokratie gibt es hier einen Menge zu tun.