24.08.2018

Stefan Chatrath: Schafft die Bundesliga ab!

Von Stefan Chatrath

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Foto: Thomas Serer via Unsplash / CC0

… oder reformiert sie grundlegend, fordert Stefan Chatrath.

Wer wird deutscher Meister? Okay, ich gebe zu, das ist eine rhetorische Frage. Der FC Bayern! Wer sonst? Sechs Mal in Serie haben die Münchner die Deutsche Meisterschaft nun schon gewonnen, 100 Punkte waren sie in diesem Zeitraum, seit 2012/13, in der Summe besser als die jeweils Zweitplat­zierten.

Was muss nun geschehen, damit der Wettbewerb wieder spannend wird? Im Grunde genommen gibt es zwei Wege, die die Deutsche Fußball Liga (DFL) gehen kann: die (Mitbe-)Gründung einer europäi­schen Liga oder eine konsequente Re-Nationalisierung ihres Spielbetriebs. Das soll im Folgenden er­läutert wer­den.

Geld schießt Tore!

Die starke Dominanz des FC Bayern ist natürlich kein Zufall, sie ist ökonomisch begründet: Der deutsche Rekordmeister ist im letzten Jahrzehnt sehr stark gewachsen, er erlöst heute über 600 Millionen Euro. Das ist mehr als z.B. Hertha BSC, Eintracht Frankfurt, Werder Bremen und der FC Augsburg zusammen erwirtschaften.

Es ist also nicht überraschend, dass in den letzten 10 Jahren 55 Prozent der nationalen Titel an den FC Bayern München gingen – Tendenz steigend, in den letzten 5 Jahren waren es sogar 70 Prozent. Geld schießt somit Tore.

Selbst die Verantwortlichen beim FC Bayern München sehen diese Entwicklung mittlerweile mit Sorge: „Der FC Bayern liegt zum sechsten Mal in Folge mit überragendem Vorsprung vorn – alles angenehm, be­quem; aber das ist nicht das Ziel“, sagte im März diesen Jahres Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rum­me­nigge. „Die emo­tio­nalste Meisterschaft, die ich erlebt habe, war 2001 in Hamburg …“, als die Mün­chner erst in der Nachspielzeit durch ein Tor von Patrick Andersson die Meisterschaft gewannen, „… eine solche Span­nung erhoffen sich die Fans und Freunde des Fußballs in ganz Deutschland.“ 1. Damals gab es zudem einen ständigen Wechsel an der nationalen Spitze: Auch Borussia Dortmund, Wer­der Bremen und der VfB Stuttgart gewannen den Meistertitel in den Jahren, die unmittelbar folg­ten.

„Der FC Bayern liegt zum sechsten Mal in Folge mit überragendem Vorsprung vorn – alles angenehm, bequem; aber das ist nicht das Ziel“.

Das Wettbewerbsgleichgewicht ist aber nicht nur durch die Überlegenheit des FC Bay­ern gestört. In den letzten zehn Jahren waren in Meisterschaft und Pokal fast ausschließlich Bundes­li­gisten er­folgreich, die einen Umsatz von 200 Millionen Euro und mehr erzielen: Neben den Bayern noch Borussia Dort­mund, Schalke 04 und der VfL Wolfsburg. Sie gewannen 18 der 20 möglichen Titel. Einzig Werder Bre­men und Eintracht Frankfurt, jeweils DFB-Pokalsieger, fielen in diesem Zeitraum aus dem Rah­men. So er­lös­ten in der Saison 2016/17 die Hessen z.B. nur 109 Millionen Euro und lagen damit deutlich un­ter der 200-Millionen-Euro-Marke.

Die Bundesliga ist somit im letzten Jahrzehnt zu einer Zweiklassengesellschaft geworden: Es gibt eine Spit­zen­gruppe, die dem Rest finanziell enteilt ist. Sie macht die wichtigsten sportlichen Entscheidun­gen unter sich aus. Was ist die Ursache dafür, dass die höchste deutsche Spielklasse wirtschaftlich und sportlich so ge­spal­ten ist wie wahrscheinlich noch nie zuvor?

Zweiklassengesellschaft: Cosmopolitans vs. Heimatverbundene

Diese Entwicklung, die starke finanzielle Spreizung, ist relativ neu. Was ist also in den letzten 10 bis 15 Jahren geschehen? Unsere Gesellschaft hat sich, so der Soziologe Ulrich Beck, in einem Punkt funda­mental gewandelt: Es sind „kosmopolitisierte Handlungsräume“ entstanden, diese seien heute ein fester Bestandteil unseres Privat- und Berufslebens. „Ganz egal, woran man glaubt und was man ist […], wer nur national oder regional agiert, wird den Anschluss verlieren“, so Beck 2. Genau das ist auch im Fußball geschehen: Wer international agiert, ist erfolgreich, wer nicht, bleibt zurück.

Bayern München ist heute eine internationale Marke. Dem Klub ist es gelungen, weltweit präsent zu sein: Über die Spiele in der UEFA Champions League erreicht er ein interessiertes Publikum in Afrika, Asien, Nord- und Südamerika. Dem FC Bayern folgen über 60 Millionen Nutzer in der digitalen Welt, das sind in etwa drei Mal so viele Follower wie Borussia Dortmund vorzuweisen hat. Diese große Reich­weite lässt der Klub sich entsprechend bezahlen – vor allem von Unternehmen, die ihn als globale Werbeplattform nutzen. Die Bayern haben Büros in New York und Shanghai, um neue Sponsoren zu gewinnen. Sie tragen in der Sommer­pause auch dieses Jahr wieder Freundschaftsspiele in den USA aus.

Bayern München orientiert sich hier am Geschäftsmodell von Real Madrid, das in der ersten Amtszeit von Präsident Florentino Pérez 2000 bis 2006 erprobt wurde. Die Königlichen waren damals die ers­ten, die sich systematisch international vermarktet haben – um so die „Galaktischen“ zu finan­zie­ren, eine zu der Zeit einmalige Ansammlung von Weltklassespielern. Real Madrid war so er­folgreich damit, dass die anderen nationalen Marken nachzogen: Erst der FC Barcelona unter Prä­si­dent Joan Laporta, dann die Bayern und Juventus Turin, jüngst Paris Saint-Germain, dessen Finanzierung zum Großteil darauf ba­siert, eine globale Marke zu werden.

„Wer international agiert, ist erfolgreich, wer nicht, bleibt zurück.“

Wer heute im Fußball erfolgreich sein will, ist gezwungen, kosmopolitisierte Handlungsräume zu ver­ste­hen und zu nutzen. Den Bayern ist das in Deutschland offensichtlich am besten gelungen, in Europa Real Madrid, dem FC Barcelona, der englischen Premier League und dem europäischen Fußball­ver­band UEFA mit seiner Champions League. Es ist eine globale Fankultur entstanden, übrigens nicht nur im Fuß­ball: So schauen viele meiner Studierenden gerne Basketball – aber nicht den deut­schen, son­dern den in den USA, der als der beste der Welt gilt. Meine Studierenden haben in dieser Sportart in der Regel überhaupt gar keine lokale oder nationale Bindung, sondern sie haben nach der weltweit höchsten sport­li­chen Qualität gesucht, die sie sicherlich nicht zufällig in den USA fanden: Die US-amerika­ni­sche Basket­ball-Liga betreibt schon seit vielen Jahren eine erfolgreiche Internationalisierung.

Mit der beschriebenen Entwicklung ist im Fußball etwas Neues entstanden: der kosmopolitische Klub, der überall auf der Welt „funktioniert“, in Afrika ebenso wie in Asien. Er hat eine transnationale Perspektive, die lokale Verankerung ist ihm nicht mehr heilig. Real Madrid z.B. tritt im arabischen Raum ohne das christliche Kreuz im Logo auf. Diese „Cosmopolitans“ sind die Umsatzstärksten weltweit, sie domi­nie­ren nicht nur die nationalen Wettbewerbe, sondern sind auch international führend. Sie zahlen die höchsten Gehäl­ter und beschäftigen daher die besten Spieler der Welt. Sie haben zudem die Macht, die Verteilung der Gelder zu determinieren: Neuerdings profitieren sie zusätzlich von der mit 585 Milli­onen Euro dotier­ten 10-Jahres-Rangliste der UEFA Champions und Europa League, die sie anführen. Bayern München be­kommt darüber 33, Borussia Dortmund 22 und Schalke 20 Millionen Euro.

Die große Strahlkraft der europäischen Bühne hat aber auch eine problematische Seite: Mehr denn je zurückgeblieben sind die geografisch ge­bundenen Klubs, die „Heimatverbundenen“, die allenfalls na­tional agieren können, wenn nicht sogar nur regional. Sie sind die großen Verlierer, ihr ökonomi­sches Potenzial ist begrenzt. In Deutschland haben sie es auch deshalb schwer, die große finan­zi­elle Lücke zu schließen, weil die 50+1-Regel die In­vestoren-Suche erheblich verkompliziert. Es ist sicherlich kein Zu­fall, dass mit Bayer Leverkusen, dem VfL Wolfsburg und RB Leipzig drei Bundesligisten mit den „Cosmo­politans“ mithalten können, die einen Großinvestor an Bord haben.

Zukunft der Bundesliga: Europäische Liga oder Re-Nationalisierung

Was kann nun getan werden, damit die Bundesliga wieder spannend wird? Ich möchte zwei Lösun­gen vorschlagen, die konsequent wären, weil sie beide die kosmopolitisierte Realität explizit als Basis ha­ben: die eine Option wäre die Gründung einer europäischen Liga, die andere eine Re-Nationalisie­rung des hiesigen Spielbetriebs.

Ginge sie den europäischen Weg, sollte die DFL auf die anderen führenden natio­na­len Spielklassen zugehen und mit ihnen über eine gemeinsame Gründung nachdenken. Diese euro­pä­ische Superliga (ESL) würde sicherlich erst einmal Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland umfas­sen. Sie wäre ein ernstzunehmendes Gegengewicht zur Premier League, die allen anderen öko­nomisch davongelaufen ist und daher sehr wahrscheinlich kein Interesse hätte, sich einzubrin­gen. Unter Berücksichtigung des aktuellen Wettkampfkalenders könnten bis zu 48 Spiel­ta­ge statt­finden. Denkbar wären also auch K.-o.-Spiele sowie ein Final-4-Turnier im Anschluss an eine Haupt­spielrunde mit 34 Spieltagen. Real Madrid, FC Barcelona, Juventus Turin, Inter Mailand, Paris St. Germain, FC Bayern München usw. würden also mindestens zwei Mal pro Saison gegeneinander spie­len. Zur Sicherstellung des Wettbewerbs unter den „Cosmopolitans“ müss­ten Gehaltsober- und -unter­gren­zen definiert werden. Wer die finanziellen (Mindest-)Anforderun­gen nach­weislich er­fül­len kann, wäre in der ESL grund­sätzlich startberechtigt. In Deutschland wären da sicherlich noch Borussia Dortmund und Schalke 04, die diesen Kriterien genügen würden.

„Es wird, egal für welchen Weg man sich entscheidet, Gewinner und Verlierer geben.“

Die andere Option wäre die Re-Nationalisierung: Die DFL könnte sich entscheiden, den Wettbewerb um die deutsche Meisterschaft nachhaltig zu stärken. Das ginge vor allem über eine Umsatzumver­teilung: „Cosmopolitans“ wie der FC Bayern München müssten bis zu 50 Prozent ihrer erwirtschafte­ten Gelder abgeben, sie würden unter den „Heimatverbundenen“ entsprechend ihrer finanziellen Stärke aufgeteilt. Natürlich würde das bedeuten, dass der deutsche Fußball in den europäischen Wett­bewer­ben weniger erfolgreich sein wird, aber das müsste man in Kauf nehmen. Ist eine Umsatz­um­ver­teilung gerecht? Ich denke, ja. Schließlich sollte nicht derjenige gewinnen, der die beste finanzielle Ausstattung hat, sondern der, der die zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen am besten verwendet – unter möglichst gleichen Startbedingungen. Daher wäre es zudem zwingend erforderlich, dass die DFL, in Abstimmung mit einer Spieler­vertretung, Gehaltsobergrenzen definiert, denn eine Um­satzum­ver­teilung allein würde noch immer zu große finanzielle Abstände zulassen.

Beide Optionen sind natürlich nicht unproblematisch: Sie bedeuten einen offenen Konflikt. Es würde, egal für welchen Weg man sich entschiede, Gewinner und Verlierer geben. Aber ist es nicht besser, wir haben jetzt eine ehrliche Diskussion zur Frage, welchen Fußball wir für die Zukunft wollen? So wei­terzumachen wie bisher, ist falsch, es ignoriert die kosmopolitisierte Realität: Die Bundesliga ist zu einem Fake-Wettbewerb verkommen. Machen wir uns da bitte nichts vor. Es wird daher Zeit, völlig neu zu denken. Fangen wir heute damit an!

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