04.11.2019

Stefan Chatrath: Die WADA muss weg!

Von Stefan Chatrath

Vor 20 Jahren wurde die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA gegründet. Stefan Chatrath meint: Zeit, eine Bilanz – und Konsequenzen – zu ziehen.

Im November kommen sie alle wieder zusammen: Die Anti-Doping-Kämpfer dieser Welt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA lädt sie nach Polen ein, um den neuen WADA-Code vorzustellen. Dieser Code, das weltweit gültige Anti-Doping-Regularium, wurde nun zum dritten Mal grundsätzlich überarbeitet.

Die WADA unterliegt keiner angemessenen Kontrolle und Rechenschaftspflicht, obwohl sie mit ihrem Regelwerk bis in die deutsche Strafgesetzgebung hinein wirkt. Sie unterdrückt öffentliche Meinungsbildungsprozesse und verhindert so eine freie Willensbildung zu einem der wichtigsten Aspekte im Sport: dem Doping und seiner Bekämpfung. Das 20-jährige Jubiläum ist nun der Anlass, die Arbeit der WADA kritisch zu beleuchten.

Macht ohne Grenzen

Die WADA wurde 1999 mit dem Ziel gegründet, den weltweiten Anti-Doping-Kampf zu koordinieren. 187 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, haben seitdem eine Vereinbarung unterzeichnet, mit der sie die WADA anerkennen und sich verpflichten, „angemessene Maßnahmen“ in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet „zu ergreifen“ (Artikel 3 Internationales Übereinkommen gegen Doping im Sport). Das deutsche Bundesinnenministerium beispielsweise koppelt die finanzielle Förderung des organisierten Sports daran, dass dessen Repräsentanten das Anti-Doping-Regelwerk der WADA implementieren. Daher ist nicht verwunderlich, dass alle dieser Aufforderung gefolgt sind – vom American Football Verband Deutschland bis hin zum Deutschen Wellenreitverband, der Vertretung der deutschen Surfer.

„Das Anti-Doping-Regelwerk der WADA ist mit den Prinzipien einer liberal-demokratischen Gesellschaft wie der unsrigen nicht vereinbar.“

Auch wenn die WADA so gut wie jede Sportart der Welt reguliert, agiert sie losgelöst vom System des organisierten Sports: Als Stiftung ist sie nur ihrem Stiftungsrat gegenüber verantwortlich – was uns zum ersten größeren Problem führt. Die WADA erlässt mit dem WADA-Code eines der zentralen Regelwerke des Sports, unterliegt aber keinerlei Kontrolle durch diejenigen, die sie reguliert: die Sportler. Der WADA-Stiftungsrat, u.a. bestehend aus Regierungsvertretern wie derzeit etwa dem australischen Sportminister, kann agieren, wie es ihm beliebt. Dieses Gremium ist, genauso wie das vom ihm eingesetzte Exekutivkomitee, nicht dazu verpflichtet, Sportler in angemessener Form zu beteiligen bzw. deren Sicht ausreichend zu berücksichtigen. Das erklärt auch, warum der WADA-Code z.T. so totalitäre Züge angenommen hat: Die Sportler sind verpflichtet, jeden einzelnen Tag im Jahr für die Doping-Kontrolle zur Verfügung stehen. Sie müssen für drei Monate im Voraus gegenüber den Kontrolleuren ihren Aufenthaltsort spezifizieren. Diese Regelung verstößt gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention – und sie ist nur eines der Beispiele dafür, wie Sportlern ihre Grundrechte verweigert werden, in diesem Fall das Recht auf Achtung des Privatlebens.

Dopingbekämpfung mag legitim sein, aber es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden sollten. Der WADA-Code, auch der überarbeitete, ist mit den Prinzipien einer liberal-demokratischen Gesellschaft wie der unsrigen nicht vereinbar. Ich habe diese Problematik an anderer Stelle bereits ausführlich erläutert. Hätten Stiftungsrat und Exekutivkomitee der WADA sich gegenüber Repräsentanten der Sportler zu rechtfertigen, wäre sicherlich niemals ein solch anti-liberales und menschenrechtswidriges Regelwerk entstanden. Wir brauchen daher dringend eine Reform, die den Regulator in seiner Regelungsmacht begrenzt: Als Legislative sollte die WADA gegenüber den Betroffenen, den Sportlern, Rechenschaft ablegen. Sie sollte von diesen zur Verantwortung gezogen werden können – und es sollte dementsprechend auch möglich sein, die Verantwortlichen abzuwählen, wie im organisierten Sport ansonsten üblich.

„Die WADA unterliegt keiner angemessenen Kontrolle und Rechenschaftspflicht, obwohl sie mit ihrem Regelwerk bis in die deutsche Strafgesetzgebung hinein wirkt.“

Dazu kommt noch, dass das Anti-Doping-Regelwerk bis in den deutschen Rechtsraum hinein wirkt: Die WADA definiert, wie hierzulande ein Straftatbestand aussieht. Das deutsche Anti-Doping Gesetz (AntiDopG) basiert nämlich auf der jeweils gültigen Verbotsliste des WADA-Codes: „Es ist verboten, ein Dopingmittel, das ein in der Anlage I des Internationalen Übereinkommens gegen Doping aufgeführter Stoff ist oder einen solchen enthält, […] anzuwenden bzw. anwenden zu lassen“ (§ 3  Abs. 1 AntiDopG). Diese Anlage I ist deckungsgleich mit der Verbotsliste, die die WADA in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Einem Sportler drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe, wenn ihm Doping nachgewiesen wird (§ 4 AntiDopG). Mit anderen Worten: Eine private, supranationale Organisation, in diesem Fall eine Stiftung mit Sitz im kanadischen Montreal, entscheidet darüber, was eine kriminelle Handlung ist, die im schlimmsten Fall einen mehrjährigen Gefängnisaufenthalt nach sich zieht.

Das darf nicht sein: Die Regelungskompetenz muss schnellstmöglich in den deutschen Bundestag zurückgeholt werden – auch schon deshalb, weil die WADA-Verbotsliste, mangels eindeutig nachvollziehbarer Doping-Definition, selbst verfassungswidrig ist. Sie verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot aus Artikel 103 des Grundgesetzes, demzufolge im Gesetzestext eindeutig spezifiziert sein muss, was strafbar ist. Meine Kritik – am Anti-Doping-Gesetz und an der Verbotsliste – kann im Detail in zwei früheren Veröffentlichungen nachgelesen werden.

Öffentlichkeit unerwünscht

Jede Änderung am Regelwerk, die die WADA initiiert, sollte genutzt werden, um in der Öffentlichkeit kontrovers zu diskutieren. Das ist notwendig, um – durch einen möglichst freien Meinungs- und Willensbildungsprozess – eine Regelung zu finden, die besser ist als die vorhergehende. Leider findet eine solche Auseinandersetzung aber nicht statt, im Gegenteil: Man bekommt den Eindruck, dass jede Art von Öffentlichkeit möglichst vermieden wird.

„Die Arbeit der WADA muss dringend transparenter gemacht werden.“

Können Sie sich erinnern, wann in Deutschland auf politischer Ebene Änderungsvorschläge am WADA-Code öffentlich diskutiert wurden? Nein? Das ist nicht verwunderlich, denn es hat gar keine Diskussion stattgefunden, geschweige denn eine öffentliche. Die Erarbeitung der Änderungswünsche wurde nämlich verlagert – vom Bundestag in den Ministerrat der EU. Das an sich ist schon kritisch zu beurteilen, weil dieses Gremium seit dem Lissaboner Vertrag nicht mehr einstimmig zu entscheiden hat. So sieht die Bundesregierung beispielsweise das relativ hohe Strafmaß skeptisch: Ein Doper wird in der Regel für mindestens zwei Jahre gesperrt. In diesem Zeitraum darf er seinen Beruf nicht ausüben. Ein solch langes Berufsausübungsverbot ist, so die Position der Bundesregierung, unverhältnismäßig. Die Bundesregierung war jedoch nicht in der Lage, eine Mehrheit im EU-Ministerrat zu organisieren, so dass diese berechtigte Kritik der WADA nicht offiziell übermittelt wurde. Das ist eines der grundsätzlichen Probleme dieser Konstruktion: Mehrheitlich gewählte Repräsentanten eines Landes müssen Beschlüsse und Gesetze mittragen und in ihrem Land umsetzen, selbst wenn sie dagegen sind – ein Verstoß gegen eines der zentralen Prinzipien der Demokratie, wie es auch der Jurist Kai Rogusch in dem jüngst erschienenen Buch „Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie“ anprangert (S. 38).

Hinzu kommt, dass der eigentliche Diskussionsprozess gar nicht im Ministerrat stattfindet, sondern in der „Arbeitsgruppe Sport“. „In diesen Arbeitsgruppen kommen die Fachleute aus den nationalen Ministerien […] zusammen. […] Sie prüfen die Beschluss- und Gesetzesentwürfe, machen Änderungsvorschläge und entwickeln Kompromisse, die im [Minister]Rat eine Einigung ermöglichen.“ Sitzungsprotokolle sind in der Regel nicht einsehbar – weder für Journalisten noch für sonstige EU-Bürger. Können Sie sich einen Ort der Diskussion vorstellen, der weiter von der Öffentlichkeit abgekoppelt ist als dieser? Mir fällt das schwer. 

„Die Sportler sollten die Möglichkeit bekommen, das Anti-Doping-Regelwerk selbst zu entwickeln.“

Die WADA selbst ist keinen Deut besser, z.B. wenn es darum geht, die schon erwähnte Verbotsliste zu aktualisieren. Die WADA hat dazu eine Expertengruppe ins Leben gerufen, bestehend aus Chemikern, Pharmakologen usw., die die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse sichtet und auf dieser Grundlage eine Empfehlung ausspricht. Auch hierzu gibt es keine öffentlich zugänglichen Sitzungsprotokolle. Wieso sind bestimmte Änderungen vorgeschlagen worden? War die Empfehlung einstimmig oder gab es unterschiedliche Meinungen? Wir erfahren es nicht.

Die neue Verbotsliste wird vom WADA-Exekutivkomitee drei Monate vor dem Ende eines jeden Jahres veröffentlicht – allerdings ohne eine verständliche Erklärung, was in ihr aus welchem Grund geändert wurde. Ich will damit nicht den Beschluss anzweifeln. Mir geht es darum, dass die Erklärung der Änderung durch die WADA so formuliert ist, dass niemand darüber diskutieren kann – außer ein Arzt, der sich auf die Sportlerbetreuung spezialisiert hat. So baut die WADA, ob bewusst oder unbewusst, eine Barriere auf, die das Entstehen einer Diskussion in hohem Maße erschwert. Wiederum keine befriedigende Situation.

Man kann somit festhalten: Die Arbeit der WADA muss dringend transparenter gemacht werden. Die WADA sollte sich zudem rechtfertigen – gegenüber denjenigen, die sie reguliert, den Sportlern. Wie könnten nun alternative Lösungen aussehen?

Sportler: Bestimmt Eure Regeln selbst!

Aktuell ist ein Sportler zu 100 Prozent fremdbestimmt. Er wird gezwungen, dem Anti-Doping-Regelwerk zuzustimmen – mit der Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrages. Andernfalls wird er nicht gefördert. Das gilt es in Zukunft zu ändern: Die Sportler sollten die Möglichkeit bekommen, das Anti-Doping-Regelwerk selbst zu entwickeln. Dazu müssten sie sich Repräsentanten wählen, die sie national und international repräsentieren. Die gewählten Vertreter würden stellvertretend klären, welcher der richtige Weg – aus Sicht der Sportler – ist.

„Würde der WADA die Regelungskompetenz entzogen, hätte das den Vorteil höherer Flexibilität. Änderungswünsche könnten leichter umgesetzt werden.“

Entscheidend ist dabei, dass die Diskussion offen geführt werden darf. Wie soll Doping bekämpft werden? Welche Regelungen sind vertretbar, welche nicht? Erst auf dieser Grundlage kann ein Anti-Doping-Regelwerk entstehen, das von jedem einzelnen Sportler mitgetragen werden kann – aus Überzeugung und nicht aus Zwang, wie es aktuell der Fall ist. So gibt die Bundesregierung ihr Geld an den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nur dann, wenn dieser nachweist, dass der WADA-Code von seinen Mitgliedern angewandt wird. Der DOSB verpflichtet daher seine Mitglieder, die nationalen Verbände, dem WADA-Code zu folgen. Die nationalen Verbände wiederum legen dem Sportler den schon erwähnten Vertrag vor, mit dessen Unterschrift dieser sich verpflichtet, sich dem WADA-Code unterzuordnen, weil er ansonsten aus der Förderung fällt. Von Freiwilligkeit keine Spur: Ein Sportler hat aktuell keine andere Option, als bedingungslos zu folgen. Wer etwas anderes behauptet, verkennt die Realität. Der WADA-Code wird von oben nach unten durchgesetzt, autoritär, ohne jede Form der Beteiligung oder Diskussion.

Mit wem sollten die Repräsentanten der Sportler nun verhandeln? Im Sport macht es sicherlich Sinn, sich international abzustimmen. Aber brauchen wir wirklich eine WADA, die ein Regelwerk für alle Sportarten der Welt erlässt? Es wäre besser – im Sinne des Subsidiaritätsprinzips –, die Regelgebung wieder jeder Sportart selbst zu überlassen. Ich kenne so einige Verbandspräsidenten, die mit Blick auf ihre Sportart sagen: „Der Großteil des Anti-Doping-Regulariums ist unsinnig. Wir bräuchten die Möglichkeit, Anpassungen vorzunehmen.“ Würde der WADA die Regelungskompetenz entzogen, hätte das den Vorteil höherer Flexibilität. Änderungswünsche könnten leichter umgesetzt werden, eine Belebung des Diskussionsprozesses wäre sicherlich zu erwarten. Das wäre eine zu begrüßende Entwicklung, ermöglicht sie doch einen – auf Versuch und Irrtum basierenden – Lernprozess, den der Sport zu seiner eigenen Weiterentwicklung braucht, auch bei der Doping-Bekämpfung. Im Moment fehlt es bedauerlicherweise an jeglicher offener Diskussion. Es ist an der Zeit, das zu ändern: Sportler, wehrt Euch gegen die Allmacht der WADA!

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