09.01.2015
Doping: Sportverstöße gehören nicht ins Strafgesetz
Rede von Stefan Chatrath
Novo-Autoren stellen sich in Berlin beim Novo Forum regelmäßig der öffentlichen Diskussion. Jüngst sprach sich Stefan Chatrath, Professor für Sportmarketing, gegen das geplante Anti-Doping-Gesetz aus. Wir veröffentlichen seinen Vortrag in leicht gekürzter Fassung
Sollen Dopingsünder ins Gefängnis? Unsere Bundesregierung meint: „Ja, definitiv!“ Und so haben die Minister Thomas de Maizière und Heiko Maas am 12. November ihr Anti-Doping-Gesetz vorgestellt. Das Gesetz ist im Moment noch ein Entwurf. Im Frühjahr soll es dann das übliche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. CDU/CSU, SPD, Grüne und Die Linke – sie alle sind dafür. Die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes in Deutschland ist somit für 2015 sehr wahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was ist von diesem Gesetz zu halten? Ganz klar: Ich lehne das Gesetz ab.
Bevor ich jedoch mein Urteil in aller Ausführlichkeit begründe, denke ich, sollten wir uns erst einmal vergegenwärtigen, was an diesem Gesetz neu ist: Mit seiner Verabschiedung durch das Parlament würde Doping erstmals unter das Strafgesetz fallen, d.h., wenn einem Sportler nachgewiesen werden würde, dass er gedopt hat, würde ihm eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren drohen. Der Straftatbestand: „Selbstdoping“.
Was verspricht die Politik sich von dem Anti-Doping-Gesetz? Sie erhofft sich, einerseits, dass Staatsanwaltschaft und Polizei bei Verdacht besser gegen dopende Sportler ermitteln können. Ihnen ständen strafprozessuale Zwangsmittel zu Verfügung: Hausdurchsuchungen wären z.B. möglich. Andererseits erhofft man sich von einem Anti-Doping-Gesetz eine abschreckende Wirkung. Ein Sportler wird sich vermutlich eher gegen Doping entscheiden, wenn er weiß, dass er dafür ggf. ins Gefängnis muss. Wer möchte das schon? Zudem gilt der Verurteilte als vorbestraft.
Wie ist es denn bisher? Wie werden Doper bestraft? Im Moment regelt der Sport noch alles selbst: Die Verbände haben ein eigenes Doping-Kontrollsystem entwickelt. Bei einer positiven Urin- oder Blutprobe, ob im Training oder Wettkämpf, muss der Athlet sich vor einem Sportgericht verantworten. Wird er von diesem verurteilt, ist er in der Regel für vier Jahr gesperrt. Das an sich ist schon eine sehr harte Strafe, da man in diesen vier Jahren an keinerlei Wettkämpfen teilnehmen darf. Das kommt einem Berufsverbot gleich. Durch das Anti-Doping-Gesetz käme zusätzlich nun noch die Freiheitsstrafe hinzu.
„Selbstdoping ist ein vorsätzlicher Regelverstoß – wie ein taktisches Foul im Fußball. Es gehört nicht ins Strafgesetzbuch.“
Wie gesagt, bin ich strikt dagegen. Das Anti-Doping-Gesetz führt zu einer ungerechtfertigten Kriminalisierung – des Sportlers und des professionellen Sporttreibens. Um das nachvollziehen zu können, empfehle ich Ihnen als erstes einen schlichten Blick in das Strafgesetzbuch: Mord und Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme, schwerer Diebstahl, Brandstiftung, sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung. Das alles sind Straftatbestände laut Strafgesetzbuch. Zu Recht. „Selbstdoping“ als Straftatbestand wirkt im Vergleich dazu aber irgendwie fehl am Platze, oder? Das Strafrecht sollte immer das letzte Mittel sein, das unsere Gesellschaft einsetzt, die „Ultima Ratio“. Dopende ins Gefängnis zu schicken erscheint mir daher nicht verhältnismäßig.
Sehen wir es sachlich: Im Grunde genommen ist „Selbstdoping“ doch nichts anderes als der vorsätzliche Bruch einer Regel im Sport. Was ist z.B. der Unterschied zwischen der Einnahme einer verbotenen Substanz wie Anabolika und einem taktischen Foul im Fußball? Ich sehe ihn nicht. Regel vorsätzlich gebrochen, der Schiedsrichter pfeift. Strafe: Freistoß für den Gegner. Und weiter geht’s im Spiel. „Selbstdoping“ ist sicherlich – so gesehen – nicht strafwürdig im Sinne des Strafgesetzbuches.
Jetzt könnte man natürlich einwenden: „Doping ist unmoralisch! Es ist ein Verstoß gegen die guten Sitten!“ Aber das allein kann natürlich kein Grund dafür sein, etwas strafgesetzlich zu verfolgen. Das Strafgesetz hat nicht die Aufgabe, eine moralische Gleichschaltung zu erzeugen. Es soll Handlungen, ob moralisch oder unmoralisch, mit einer Freiheitsstrafe belegen, die nachweislich zu einer erheblichen Fremdschädigung führen, so wie das z.B. bei Mord und Totschlag der Fall ist.
„Das Anti-Doping-Gesetz verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes“
Ich lehne das Anti-Doping-Gesetz aus mindestens einem weiteren Grund ab: Es verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot aus Artikel 103 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber hat demzufolge im Strafrecht immer eindeutig zu bestimmen, was legal ist und was nicht. Das ist hier aber nicht der Fall. Doping ist nicht klar definiert: Die Welt Anti-Doping Agentur WADA verbietet keine konkreten Medikamente, sondern Substanzen wie Adrafinil, Androstendiol, Bolandiol usw., die u.a. auch in Nahrungsergänzungsmitteln vorkommen. Ich kenne viele Sportler, die daher sagen, dass sie keinen Überblick mehr haben. Darf ich das jetzt essen oder nicht? Beinhaltet dieses Medikament hier etwas Verbotenes? Die Verunsicherung ist groß.
Und sie wird durch die folgende Formulierung noch größer: In der Verbotsliste der WADA heißt es nämlich wortwörtlich, dass nicht nur alle in ihr konkret gelisteten Substanzen verboten sind, sondern auch alle anderen mit ähnlicher chemischer Struktur oder ähnlicher biologischer Wirkung. Das Anti-Doping-Gesetz ist damit verfassungswidrig: Es nutzt als seine Grundlage die Verbotsliste der WADA, die nicht eindeutig spezifiziert, was strafbar ist. Das ist in der Welt des Strafrechts – mit seinen erheblichen Konsequenzen für den Verurteilten –nicht zulässig.
Mein Fazit: Das Anti-Doping-Gesetz ist abzulehnen. Erstens: Der Straftatbestand „Selbstdoping“ ist nicht strafwürdig im Sinne der Strafgesetzgebung. Sportler sind keine Kriminellen, selbst wenn sie dopen. Zweitens: Das Anti-Doping-Gesetz verletzt das Bestimmtheitsgebot und ist damit verfassungswidrig. Ich möchte der Bundesregierung daher empfehlen, ihren Gesetzesentwurf wieder zurückzuziehen. Das Anti-Doping-Gesetz ist definitiv der falsche Weg. Stattdessen sollten wir über alternative Möglichkeiten der Dopingbekämpfung nachdenken. Das würde ich mir jedenfalls für 2015 wünschen.