22.06.2018

Stasiopfer wegen Meinung am Pranger

Von Sabine Beppler-Spahl

Die Reaktionen auf rechte Äußerungen des Stasiopfers Siegmar Faust sollten die Alarmglocken läuten lassen. Das freie Wort gilt für alle und ist auch heute in Gefahr.

Siegmar Faust wurde als Regimekritiker der DDR einst in Westdeutschland dafür gefeiert, für sich und seine Meinung einzustehen. Nun hat er genau deswegen seinen Job verloren. Als politischer Gefangener verbrachte Faust 400 Tage Einzelhaft im sogenannten „Tigerkäfig“ in Cottbus ­– einem der gefürchtetsten Stasigefängnisse. Nachdem die Bundesregierung ihn 1976 freikaufte, konnte er in den Westen übersiedeln. Vierzig Jahre später, bis vor wenigen Tagen, arbeitete er als Zeitzeuge in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin. Doch nach einem Interview mit der Berliner Zeitung, in dem er nicht nur Sympathien für die AfD äußerte, sondern auch den Holocaust relativierte, verlor er genau diesen Job. Der Fall wirft wichtige Fragen auf, denn es geht um die freie Meinungsäußerung und den Umgang mit Personen, die unliebsame, rechte Ansichten vertreten.

Auslöser des Ganzen war ein Artikel im Spiegel, der darüber berichtete, dass mehrere ehemalige DDR-Kritiker, darunter auch Faust, die AfD – oder sogar Pegida – unterstützen. Faust, so heißt es in dem Artikel, habe eine Wutschrift verfasst, in der er gegen den „ideologisch verdorbenen Zeitgeist“ wetterte: Die EU bezeichnete er als die „Europäische Union der sozialistischen Sowjetrepubliken“, den Koran als die „Bibel des Satans“ und von Deutschland verlangte er, nur solche Moslems aufzunehmen, die sich vom Islam losgesagt hätten.

Diesem Artikel folgte ein weiterer Beitrag, der am 29. Mai dieses Jahres in der Berliner Zeitung erschien. In diesem Beitrag, basierend auf einem Interview, wurde berichtet, dass Faust die Behandlung des Holocaust-Leugners Horst Mahler kritisiert und gefragt habe, ob denn die Zahl sechs Millionen (die Rede war von den sechs Millionen Holocaust-Opfern) heilig sei. Er habe keine Sympathie für Horst Mahler, so Faust, aber er fände es unerträglich, was die Justiz da mache. „Ich verstehe ja, dass die Verbrechen der Nazizeit noch weiterwirken. Aber irgendwann muss das mal ein bisschen aufhören. Man darf es nicht übertreiben“, soll er auch noch gesagt haben (Faust streitet dieses letzte Zitat allerdings ab).

„Die Geschwindigkeit, mit der selbst ein ehemaliger politischer Gefangener wie Faust für seine politischen Ansichten bestraft werden kann, ist beunruhigend.“

Vieles von dem, was im Spiegel und in der Berliner Zeitung berichtet wurde, wirkt abschreckend. Doch Faust hat Recht, wenn er die Behandlung Horst Mahlers kritisiert. Der 80-jährige Mahler ist eine der widerlichsten und tragischsten Figuren im heutigen Deutschland. Seine wahnsinnigen und wiederholt geäußerten Behauptungen, dass die offizielle Geschichte des Holocausts auf einer Lüge basiert, haben dem früheren Anwalt (und RAF-Terroristen) mehrere Haftstrafen eingebracht. Die letzte – eine zwölfjährige Haft – sitzt er noch immer ab. Gut möglich, dass er im Gefängnis sterben muss. Als ehemaliger politischer Gefangener weiß Faust genau, was es heißt, wegen seiner Meinung hinter Gittern sitzen zu müssen, und das gilt auch dann, wenn die Meinung so verschroben-fürchterlich ist wie die eines Holocaust-Leugners.

Bis zum Interview mit der Berliner Zeitung gab es keine Beschwerden über die Art und Weise, wie Faust seine Führungen in Hohenschönhausen durchführte, und es gab keine Hinweise darauf, dass er diese politischen Ansichten den Besuchern mitgeteilt hatte. Aber die Gedenkstätte stand unter starkem Druck, ihn zu entlassen. Anstatt den Angriff auf die Redefreiheit zu kritisieren, legte der Journalist, der das Interview geführt hatte, in einem späteren Kommentar nach und forderte weitere Entlassungen. Die Geschwindigkeit, mit der selbst ein ehemaliger politischer Gefangener wie Faust für seine politischen Ansichten bestraft werden kann, ist beunruhigend. Sie erinnert an die 1970er-Jahre, als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges Lehrer in Westdeutschland, die mit dem Kommunismus sympathisierten, von der Unterrichtstätigkeit ausgeschlossen wurden. Der so genannte Radikalenerlass betraf Tausende von Lehrern.

Es stimmt, dass Fausts Äußerungen Teil eines wachsenden Problems der Holocaust-Relativierung in Deutschland sind. Die jüngste „Vogelschiss-Rede“ von AfD-Chef Alexander Gauland liefert ein weiteres Beispiel hierfür. Aber die Bestrafung von Abweichlern ist nicht die richtige Antwort. Relativierende Äußerungen müssen in der Öffentlichkeit Konfrontation erfahren und in Frage gestellt werden, damit sich die Wahrheit durchsetzen kann. Siegmar Faust, eines der verbliebenen Opfer des Stasi-Terrors, sollte uns daran erinnern, dass es sich lohnt, für die Redefreiheit zu kämpfen. Es ist erschreckend, dass das vermeintlich freie Deutschland die Überlebenden der DDR für das bestraft, was sie denken und sagen.

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