12.08.2022

Staatlicher Geldsegen für die Kirchen

Von Helmut Ortner

Bei immer weniger Mitgliedern erhalten die Kirchen in Deutschland immer mehr Steuergelder. Sogenannte „Staatsleistungen“ sollten längst abgelöst sein, es passiert aber nichts.

Wenn man Menschen – ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig – versucht, die sogenannten „Staatsleistungen“ an die Kirchen zu erklären, trifft man auf Kopfschütteln. Kaum jemand weiß davon. Es geht dabei nicht um staatliche Zahlungen, etwa für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen, die ohnehin fast vollständig von öffentlichen Haushalten (also von allen Steuerzahlen) an Caritas oder Diakonie geleistet werden.

Nein, die Kirchen bekommen das Geld als – salopp formuliert ­– „Ausgleichzahlungen“ aufgrund der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts. Zur Zeit der napoleonischen Kriege wurden die geistlichen Territorien und Kirchengüter des „Heiligen Römischen Reichs“ säkularisiert, das heißt, sie wurden der Hoheit der größeren weltlichen Landesfürsten unterstellt. Der Staat verpflichtete sich im Gegenzug gegenüber den Kirchen dazu, sie für ihre Verluste zu entschädigen und etwa den Unterhalt der Pfarrer sicherzustellen.

Sowohl die Weimarer Reichsverfassung (1919) als auch das Grundgesetz (1949) verlangen, dass diese Staatsleistungen beendet, d.h. abgelöst werden. Ein frommer Wunsch. Keine Regierung der letzten Jahrzehnte, gleich ob christ-/sozialdemokratisch oder rot-grün, sah hier Handlungsbedarf. Die eherne Komplizenschaft von Staat und Kirche überdauerte alle Regierungen.

„Mittlerweile belaufen sich diese Zahlungen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich hoch sind, auf eine Gesamtsumme von nicht weniger als einer halben Milliarde. Pro Jahr.“

Immerhin: Im März 2020 hatten Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke einen gemeinsamen „Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen“ in den Bundestag eingebracht. Er sah vor, dass sich die Ablösezahlung am Bewertungsgesetz orientieren und auf das 18,6-Fache des jeweiligen Zahlungsbetrages aus dem Jahr 2020 belaufen sollte. Zusätzlich sind 20 Jahre lang die bisherigen Staatsleistungen weiterzuzahlen. Nun sind FDP und Grüne gemeinsam mit der SPD nicht mehr Opposition, sondern Regierung. Doch die Ampel schaltet nicht um: Der Entwurf wartet noch immer auf seine Umsetzung. Ein andauernder Verfassungsbruch.

Mittlerweile belaufen sich diese Zahlungen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich hoch sind, auf eine Gesamtsumme von nicht weniger als einer halben Milliarde. Pro Jahr. Aus dem Geld aller Steuerzahler, ob religiös oder nicht. Insgesamt sollen seit Gründung der Bundesrepublik auf diesem Wege mindestens 19 Milliarden Euro in die Kirchenkassen geflossen sein.

Auch in diesem Jahr können sich die beiden großen Kirchen über einen staatlichen Geldsegen freuen: Rund 594 Millionen Euro werden von den Bundesländern überwiesen. Davon entfallen etwa 59 Prozent auf die evangelische und 41 Prozent auf die katholische Kirche. Das sehen die Haushaltspläne von 14 Bundesländern (Bremen und Hamburg, die als ehemalige Freie und Hansestädte keine Staatsleistungen an die Kirchen entrichten) vor, die die Humanistische Union (HU) seit Jahren auswertet.

Die Gesamtsumme von 594 Millionen Euro für das Jahr 2022 bedeuten gegenüber 2021 (581 Millionen Euro) ein Anstieg um 2,2 Prozent. Bei Annahme der gleichen Anstiegsrate – die aufgrund der jährlichen Anpassungsklauseln zu erwarten ist – werden die Staatsleistungen für 2023 die 600-Millionen-Marke übersteigen und schätzungsweise rund 607 Mio. Euro betragen. Der aktuelle HU-Bericht verweist darauf, dass auch in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen „in keinem einzigen Bundesland die Abgeordneten die Staatsleistungen angesprochen, geschweige denn kritisch diskutiert haben“. Auch nicht in den Ländern, die – gemessen an ihrer Einwohnerzahl – extrem viel Geld für die beiden Kirchen vorsehen, wie zum Beispiel Sachsen-Anhalt (40 Millionen Euro), Rheinland-Pfalz (66 Millionen Euro), Thüringen (28 Millionen Euro) oder Baden-Württemberg (137 Millionen Euro).

„In Zeiten, in denen die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen dramatisch zurückgehen, sind die horrenden Zahlungen der Staatsleistungen kaum mehr vermittelbar.“

Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ergeben sich kumuliert Zahlungen der 14 Länder an die Kirchen von über 20 Milliarden Euro. Hinzu kommen vollständige staatliche Zahlungen für kirchliche Trägerschaften von Krankenhäusern, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen. Auch für Restaurierungen kirchlicher Immobilien sowie für den Denkmalschutz kommt Geld aus der Staatskasse. Darüber hinaus genießen die Kirchen umfangreiche Steuer- und Abgabenprivilegien. Auch auf das solide Finanzpolster, das die gesetzliche Kirchensteuer den Kirchen ohnehin garantiert, müssen sie zukünftig nicht verzichten. Allein im Jahr 2020 nahm die katholische Kirche rund 6,45 Milliarden Euro und die evangelische Kirche etwa 5,63 Milliarden Euro durch die Kirchensteuer ein.

In Zeiten, in denen die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen dramatisch zurückgehen – im Jahr 2020 traten rund 220.000 Personen aus der Evangelischen Kirche und ca. 221.000 Personen aus der Katholischen Kirche aus; dieser Trend hat sich auch 2021 fortgesetzt: allein die Katholische Kirche verlor 360.000 Mitglieder), sind die horrenden Zahlungen der Staatsleistungen kaum mehr vermittelbar.

Tatsache ist: Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben in Konfessionsfreiheit. Vor 50 Jahren waren es in Deutschland unter 4 Prozent, heute sind es über 40 Prozent. Ihnen ist nicht länger zuzumuten, weiterhin die institutionelle Förderung exklusiv mit jährlichen Steigerungsraten aus allgemeinen Steuermitteln mitzufinanzieren. Die Ampel-Regierung sollte dem permanenten Verfassungsbruch ein Ende zu setzen.

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