16.08.2022
Salman Rushdies Mut und die Feigheit unserer Politiker
Wir müssen uns fragen, wie ernst unseren Politikern die Verteidigung der freien Meinungsäußerung ist, wenn sie nicht einmal das Wort „Islamismus" in den Mund nehmen können.
Die Hasenfüßigkeit unserer Politiker zeigte sich wieder einmal am Wochenende, nach dem Anschlag auf Salman Rushdie. Es dauerte lange – über 24 Stunden – bis sich Kanzler Olaf Scholz äußerte. Das lange Zögern hat ihm offensichtlich nicht geholfen, Mut zu fassen. „Was für eine abscheuliche Tat. Ich wünsche Ihnen, lieber Salman Rushdie, viel Kraft für Ihre Genesung. Die Welt braucht Menschen wie Sie, die sich vom Hass nicht einschüchtern lassen und furchtlos für die Meinungsfreiheit eintreten“, schrieb er auf Twitter.
Rushdie ist in der Tat ein sehr mutiger Verteidiger der Meinungsfreiheit – aber gegen wen musste er sie verteidigen? Nicht viel deutlicher bei der Beantwortung dieser Frage wurde Innenminsiterin Nancy Faeser. Für diese schreckliche Bluttat“, sagte sie, „tragen auch die Verantwortung, die Salman Rushdie seit Jahrzehnten verfolgt und mit dem Tod bedroht haben“. Wieder bleibt offen, wer diese Menschen waren. Diese Angst, das Wort „Islamismus“ oder auch "islamistischer Terror" in den Mund zu nehmen, ist so unehrlich wie gefährlich. Damit buckeln die Regierungsvertreter vor einer der größten Gefahren und Herausforderungen unserer Zeit.
Seit Ajatollah Chomeini am 14. Februar 1989 eine Fatwa gegen Salman Rushdie verhängte, hat der islamistische Terror horrende Ausmaße angenommen. 1991 wurde der japanische Übersetzer von Rushdies „Satanischen Versen“ erstochen und zwei Jahre später ein Brandanschlag gegen seinen türkischen Übersetzer durchgeführt. Bedroht oder ermordet wurden auch der Däne Kurt Westergaard, das Team von Charlie Hebdo und zahlreiche Lehrer, denen vorgeworfen wurde, den Islam beleidigt zu haben. Zusätzlich fanden überall in Europa – in Paris, London, Wien, Barcelona, Berlin, Amsterdam, Manchester, Nizza usw. – Angriffe auf Konzerthallen, Weihnachtsmärkte oder andere Veranstaltungen statt. Hunderte wurden bisher getötet – und auch 2019 war der islamistische Terror mit 10 Toten und vielen Verletzten die gefährlichste Terrorform in Europa, wie einer Auswertung der EU entnommen werden kann.
Wir müssen uns also fragen, wie ernst unseren Politikern die Verteidigung der freien Meinungsäußerung ist, wenn sie nicht einmal die Gruppe, von der eine so große Gefahr ausgeht, benennen will. Wenn die Welt seit der Verhängung der Fatwa eine andere geworden ist, dann auch wegen dieser feigen Zurückhaltung. Begleitet hat sie die Affäre um Salman Rushdie von Anfang an. Statt den Mordaufruf uneingeschränkt zu verurteilen, gab es schon früh Stimmen, die die Schuld eher bei dem bedrängten Autor suchten als bei den Tätern. Manche von Rushdies Schriftstellerkollegen betrachteten ihn als einen Provokateur und der frühere Präsident Jimmy Carter bezeichnete sein Buch als eine Beleidigung von Muslimen.
„Wir müssen uns fragen, wie ernst unseren Politikern die Verteidigung der freien Meinungsäußerung ist, wenn sie nicht einmal die Gruppe, von der eine so große Gefahr ausgeht, benennen will."
Heute, über dreißig Jahre später, klingt das Versprechen, jeder Schriftsteller könne sagen und schreiben, was er wolle, erschreckend hohl. Immer wieder lesen oder hören wir von Büchern, Filmen oder Vorstellungen, die wegen Protesten abgesagt wurden. Oft heißt es, die „Satanischen Verse“ würden heute nicht mehr veröffentlicht werden. Das ist mit Sicherheit richtig. Aber unterdessen ist die Meinungsfreiheit so ausgehöhlt worden, dass selbst Bücher wie Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ oder „Pippi Langstrumpf“ nicht mehr gedruckt würden, weil Proteste zu erwarten wären.
Die Rushdie-Affäre bleibt somit ein Beispiel für die selbstverschuldete Zensurkultur des Westens. Und die Reaktion auf den brutalen Angriff vom Freitag macht deutlich, wie wenig die Politik verstanden hat, um was es geht. Im Namen eines fragwürdigen Multikulturalismus, hat sich eine vorauseilende Zensurkultur breit gemacht, die dem Terrorismus sogar noch die Argumente liefert. Dieser Trend – und das ist wichtig zu betonen – geht nicht von den in diesem Land lebenden Minderheiten aus, sondern von unserem eigenen Establishment. Indem deren Vertreter so tun, als gelte es jeden Verweis auf den islamistischen Terror zu vermeiden, bevormunden sie auch die vielen Muslime, die unter diesem Terror genauso zu leiden haben wie alle anderen.
Wir brauchen, da hat Scholz Recht, mutige Menschen wie Rushdie. Aber seine Feigheit, lässt diese Mutigen ziemlich allein dastehen.