26.01.2016

Ein Baby ist keine Ware

Kommentar von Frank Furedi

Die Frage nach dem Recht einer Mutter auf ihr Kind steht erneut zur Debatte. Der Oberste Gerichtshof in London entschied, dass ein Säugling einer Mutter weggenommen werden soll. Der Fall lässt ein Kind wie ein bewegliches Gut erscheinen, meint der Soziologe Frank Furedi

Ich war wirklich schockiert und entsetzt, als ich im Mai 2015 von der Entscheidung einer Richterin erfuhr, ein einjähriges Kleinkind seiner Mutter abnehmen zu lassen. [1] Das Kind wurde einem schwulen Paar ausgehändigt, mit dem die leibliche Mutter eine Leihmutterschaftsvereinbarung getroffen hatte. Das Recht eines Gerichts, eine Mutter zu zwingen, sich von ihrem Kind zu trennen, weil sie eine informelle Vereinbarung abgeschlossen und Geld erhalten hatte, lässt Fragen aufkommen. Fragen nach dem Mutterschaftsrecht, nach dem Recht der Frauen, die Zukunft ihrer Nachkommen zu bestimmen und danach, ob die Kräfte des Marktes stärker sind als die Bindung zwischen Eltern und Kindern. Praktisch formalisiert die Entscheidung die Tendenz, Babys als bewegliches Gut zu betrachten.

Leihmutterschaftsvereinbarungen sind spannungsgeladen, schließlich haben alle Beteiligten emotional viel in das Resultat investiert. In den meisten Fällen führen die informellen Vereinbarungen der beiden Parteien zu einer zufriedenstellenden Lösung. Die Frau, die das Kind gebar, hält sich an die Vereinbarung und das aufnehmende Paar geht glücklich mit dem Kind nach Hause. Es ist nicht überraschend, wenn zu einer Zeit, in der die Zahl der Leihmutterschaften ansteigt, sich einige dieser Vereinbarungen lösen. Dies geschieht oft dann, wenn die Mutter des Kindes ihre Meinung ändert und beschließt, das Kind zu behalten, anstatt es der anderen Partei auszuhändigen. Mütter müssen das Recht haben, ihre Meinung ändern zu können, sei es, wenn es darum geht, das Kind zur Adoption freizugeben oder darum, eine Abtreibung vorzunehmen, wenn das Recht auf Wahlfreiheit irgendetwas bedeuten soll.

Es ist unvermeidlich, das die Auflösung einer Leihmutterschaftsvereinbarung zu einem erbitterten Streit führt, in dem jeder von seinem moralischen Recht auf das Kind überzeugt ist. Bis jetzt war die vorherrschende Konvention in Großbritannien der vernünftige Ansatz, die gebärende Frau als rechtmäßige Mutter anzusehen. Sogar wenn der Mutter geliehene Eizellen und Spermien eingepflanzt wurden, wurde sie, indem sie das Kind gebar, rechtmäßig als ihre leibliche und rechtmäßige Mutter anerkannt. Wenn sie das Kind der anderen Partei der Leihmutterschaftsvereinbarung übergibt, verzichtet sie auf ihre Mutterschaft, doch bis dahin ist sie die rechtmäßige Mutter.

„Anständige Gesellschaften betrachten die Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern als etwas Besonderes und Einzigartiges“

Es gibt sehr gute Gründe dafür, warum eine leibliche Mutter als rechtmäßige Mutter mit dem Recht, das Kind zu behalten, angesehen werden muss. Wenn einmal die moralische Beziehung zwischen der leiblichen Mutter und ihrem Kind von einer Transaktion übertrumpft werden kann, dann kann die Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Nachwuchs einer ganzen Reihe zersetzender Kräfte ausgesetzt werden.

Anständige Gesellschaften betrachten die Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern als etwas Besonderes und Einzigartiges. Eine humane und zivilisierte Gesellschaft versteht, dass diese Beziehung vor den Kräften, die sie trennen könnten, geschützt und abgeschirmt werden sollte. Sie begreift auch, dass sich aus einer Geldtransaktion keinerlei moralische Autorität über die Entscheidung der Mutter über die Zukunft ihres neugeborenen Kindes ergibt.

Die Beziehung einer Frau zu ihrer Schwangerschaft ändert sich zwischen Empfängnis und Geburt. Für manche ist diese Erfahrung verstörend und sie können sich davon entfremden. Andere erfahren die Schwangerschaft auf gegensätzliche Art. Viele von denen, die zunächst ihr Kind der anderen Partei übergeben wollten, oder jene, die ungewollt schwanger geworden sind, entwickeln eine starke Zuneigung zu dem werdenden Kind, das sie in ihrem Bauch tragen. Darum muss die Gesellschaft bereit sein, gebärenden Frauen die Entscheidung zu überlassen, ob sie ihr Kind behalten wollen oder nicht.

Auch wenn wir in einer Marktwirtschaft leben, glauben die meisten vernünftigen Leute, dass Babys nicht zum Verkauf stehen sollten. Gleich, welche kommerzielle Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen wurde – es gibt keine Garantie dafür, dass das Kind nach der Geburt übergeben wird. Ein Baby sollte nicht wie ein bewegliches Gut behandelt werden. Dieses Argument wird von den britischen Gesetzen anerkannt, die jegliche Form kommerzieller Leihmutterschaft verbieten.

Auch „schlechte“ Mütter haben Rechte

Die Entscheidung der Richterin Alison Russell stellt die Konvention in Frage, dass die gebärende auch die rechtmäßige Mutter ist. In diesem Fall lag eine Leihmutterschaftsvereinbarung zwischen der Mutter und einem schwulen Paar vor, wobei sie sich dazu entschied, den Vertrag einseitig zu lösen und das Kind zu behalten. Der genetische Vater des Kindes brachte den Fall vor Gericht und verlangte von der Mutter, sich an den Vertrag zu halten, sodass er und sein Lebensgefährte das Mädchen gemeinsam aufziehen könnten.

Das Bemerkenswerte an der Entscheidung von Richterin Russel war, dass sie implizit das Recht der leiblichen Mutter an ihrem Kind in Frage stellte. [2] Laut der Entscheidung war die „Schwangerschaft mit dem Ziel herbeigeführt worden, dem gleichgeschlechtlichen Paar mit Hilfe einer Freundin ein Kind zu ermöglichen, mit dem es eine Familie gründen könnte. Dem stimmten anscheinend alle Parteien zum Zeitpunkt der Vertragsschließung und der Empfängnis zu.“ Die Entscheidung übernimmt eine Betrachtungsweise, wonach eine Schwangerschaft instrumentell als eine Vorrichtung mit Ziel und Zweck angesehen werden kann. Von diesem Standpunkt aus hat die ursrpüngliche Vereinbarung mehr moralisches und gesetzliches Gewicht als das Recht einer Mutter, ihre Meinung zu ändern und das Kind zu behalten.

„So könnten Kinder, wie in vielen Teilen der Welt, zu einer Ware werden – wie Haustiere, die man kaufen und verkaufen kann.“

Die moralische Erhöhung der Leihmutterschaftsvereinbarung wurde durch das Gericht dadurch weiter verstärkt, dass die Entscheidung aufgrund der angeblichen Übereinstimmung der „Realität der Zeugung“ des Mädchens mit ihrer „Identität und ihrem Platz in der Familie“ gefällt wurde. Das bedeutet, dass die wahre Identität des Mädchens durch die Vereinbarung bestimmt und durch die Gerichtsentscheidung legitimiert wurde. Diese Abtrennung der Identität des Kindes von der Beziehung zu seiner Mutter erlaubt de facto einem Gericht zu bestimmen, wer man ist. So verabschiedet man sich außerdem vom Recht der leiblichen Mutter an ihrem Kind.

Jeder, der der Gerichtsverhandlung beiwohnte, konnte erkennen, dass das Gericht die Mutter gegenüber der anderen Partei als moralisch unterlegen ansah. Richterin Russell kritisierte die Mutter für ihre beleidigende Sprache, ihre angeblich homophobe Einstellung und dafür, die Beweislage durch stetiges Herausdrücken von Milch aus ihrer Brust (um ihre emotionale Nähe zum Kind zu verdeutlichen) zu ihren Gunsten kippen zu wollen. [3] Es ist freilich sehr gut möglich, dass die Mutter keine nette Person ist. Aber sie ist beileibe nicht die einzige Frau, deren Einstellung und Verhalten nicht den Standards von Richterin Russell entsprechen. Wird den anderen Müttern auch das Recht auf Mutterschaft entzogen? Nach der Logik dieser Entscheidung hängt das Recht auf Mutterschaft davon ab, ob man das moralische Weltbild des Richters teilt.

Weniger Gesetze, mehr Vernunft

Viele aus dem juristischen Berufsstand reagierten auf dieses sehr chaotische Verfahren, indem sie sich für gesetzliche Regelungen für Leihmutterschaft aussprachen. Ihre Forderung nach eindeutigeren Gesetzen wäre das Ende für die rechtlich nicht bindenden Vereinbarungen, wie sie bis heute Bestand haben. Die Formalisierung der Leihmutterschaftvereinbarungen könnte die Anzahl der Streitigkeiten reduzieren. Aber die formale Regulierung der Leihmutterschaft würde Müttern auch das moralische Recht entziehen, über die Zukunft ihres Kindes zu bestimmen. Ja, noch schlimmer, könnte die Umwandlung einer informellen Vereinbarung in einen rechtlich bindenden Vertrag zu einer Vermarktung von Geburten führen. So könnten Kinder, wie in vielen Teilen der Welt, zu einer Ware werden – wie Haustiere, die man kaufen und verkaufen kann.

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