10.02.2015

Paternalismus und Maternalismus vereint

Kommentar von Monika Frommel

Die Pläne für ein bundesweites „Prostituiertenschutzgesetz“ liegen jetzt vor. Statt sinnvoller Regeln stehen Verbote im Mittelpunkt. Polizei und Bevormundungsfeminismus wollen Sexdienstleisterinnen vor sich selbst schützen.

Liest man die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen zum Prostituiertenschutzgesetz [1], kann man nur noch sarkastisch kommentieren. Eine Kondompflicht gibt es in Bayern bereits, ganz ohne Reform. Kontrollieren kann man sie nur, wenn die Gewerbeaufsicht klare Befugnisse hat und sich insbesondere um die Preisgestaltung in dieser Branche kümmern kann. Genau das aber scheint die Politik nicht zu interessieren. Sie bleibt alten Schablonen verhaftet, nämlich der Überwachung von Prostituierten – ohne Schutz.

Das neue „Prostituiertenschutzgesetz“ hätte regeln sollen, was über Jahre als gewerberechtliche Regulierung diskutiert, aber nie ausgearbeitet und auch nie von den verschiedenen Interessengruppen angemessen diskutiert wurde. Zwar müssen Betreiber künftig ihren Betrieb anmelden. Die Erlaubnis kann auch versagt oder nur unter Auflagen erteilt werden, und es kann bei Verstößen eine Untersagungsverfügung ergehen. Aber schon bei den Zielen und den Konsequenzen endet die Bereitschaft der Ministerien, zusammenzuarbeiten. Am Ende bleibt nur Polizeirecht übrig. Im Milieu kann mehr kontrolliert werden, aber es soll dennoch kein echtes Gewerberecht sein. Argumente fehlen, aber der Wille ist klar. Die Polizei will, die Wirtschaftsministerien der Länder wollen nicht. Das Frauenministerium erklärt sich für zuständig, aber weiß nicht, wie es künftig die Gewerbeaufsicht konkret gestalten will. Dazu ist es ja auch nicht gerade prädestiniert.

„Die Fixierung auf Menschenhandel und Zwangsprostitution ist paradox“

Bei Verboten sind sich alle einig. Flatrate-Bordelle und Geschäftsmodelle, die an einen Swinger-Club erinnern, sollen verboten werden. Sie seien „menschenunwürdig“. Polizei und die Frauenbewegung konzentrieren sich auf „Menschenhandel- und Zwangsprostitution“. Zwar ist diese Fixierung paradox, aber sie wird nicht aufgegeben. Beide Helfergruppen wollen mit Mitteln des Straf- und Polizeirechts die Selbstbestimmung der Prostituierten gegen ihren Willen – sozusagen paternalistisch und maternalistisch zugleich – verteidigen. Zwar denken sie auch an deren Rechte, aber in einem sehr beschränkten Sinne. Erweitern wollten sie nämlich im Wesentlichen nur das Bleiberecht derer, welche als Nicht-EU-Bürgerinnen möglicherweise Opfer von Menschenhandel geworden sind und deshalb als Zeuginnen in Betracht kommen. Um auszusagen (dabei fehlt dann nie das Wort „Peiniger“), sollen sie hier im Lande bleiben dürfen. Diese Gruppen denken also primär strafrechtlich.

Eine erste Anhörung des federführenden Frauenministeriums im Juni [2] hatte Hoffnungen geweckt, die nun enttäuscht worden sind. Sie folgte einem Fragekatalog, der aber ebenfalls zu sehr vom Gedanken des Opferschutzes geprägt war. Man wollte den Zwang in die Prostitution (Menschenhandel) besser bekämpfen, dachte aber nicht an den sehr viel bedeutsameren wirtschaftlichen Zwang in der freiwillig ausgeübten Prostitution. Die große Zahl der Sexarbeiterinnen wird nicht zu ihrer Tätigkeit gezwungen, sondern leidet unter der fehlenden Regulierung dieses Marktes, die alle Betreiber dazu verleitet, sie wirtschaftlich zu übervorteilen. Diese nutzen aus, dass das Recht der Prostituierten, ihre Sexualität zu kommerzialisieren, politisch nicht konsensfähig ist und auch von denen, die vorgeben, ihre Rechte zu verbessern, noch immer als problematisch angesehen wird. Also bleibt man bei dubiosen Duldungsmodellen und redet über Menschenhandel statt über Mindestanforderungen an eine legale und legitime Form des Betreibens von Prostitution.

Auch die Debatten nach dem August 2014, als das federführende Ministerium erste Eckpunkte formuliert hatte [3], die erste Schritte nach vorne andeuten, sind immer noch nicht geeignet, einen effektiven Schutz der Betroffenen vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu gewährleisten. Zwar sollen auch Wohnungsprostitution und gewerbliche Vermittlung von Sex-Dienstleistungen reguliert werden, aber schon blockieren neue Kontroversen eine realistische Debatte.

Nun ist lediglich die Anzeigepflicht für die Sexarbeiterinnen präzisiert und auch noch mit einer Zwangsuntersuchung flankiert worden. Alle Prostituierten sollen sich bei der Kommune anmelden bzw. ihre Tätigkeit anzeigen müssen. Sie sollen Nachweisdokumente erhalten, die sie dann auf Verlangen vorzuzeigen haben. Behauptet wird, dass diese Angaben es der Polizei erleichtern würden, „Opfer von Menschenhandel“ zu identifizieren und zu schützen – eine geradezu abenteuerliche Konstruktion. Derartige Pflichten sind alles andere als hilfreich, weil Datenschutz in einer digitalisierten Welt überhaupt nicht, und selbst dort, wo er bestehen sollte, sicher „nicht effektiv“ gewährleistet werden kann. Sexarbeiterinnen wehren sich daher aus gutem Grund gegen diese Anzeigepflicht. Datenschutz besteht zwar normativ gesehen bei den Finanzbehörden, sicher aber nicht bei der Gewerbeaufsicht. Zwar kann man den Zugang für Unbefugte erschweren, aber nicht für Befugte. Damit ist jede und jeder potentiell Objekt einer Presse-Kampagne.

„Mit der wachsenden Macht von Frauen werden die Kontrollstile zunehmend bevormundend“

Wie kann man die Denkblockaden erklären? Polizeirecht und Paternalismus prägen die Geschlechter- und Gesundheitspolitik seit Jahrzehnten. Aber eines hat sich verändert. Der Trend geht zurzeit von der Sittenwidrigkeit zum symbolischen Opferschutz. Geschützt wird dadurch allerdings niemand. Die eher männlichen Akteure werden nun durch ein Bündnis zwischen Polizei und angeblich „neuer“, nach Bestrafung verlangender Frauenbewegung abgelöst. Was klassisch einen Rechtsstaat ausmacht, verändert sich empfindlich.

Am Ende des 19. Jahrhunderts und noch bis 2002 galt Prostitution als „sittenwidrig“. Die „Unzucht“ wurde geduldet, aber ihre Förderung bestraft. „Zuhälter“ galten als kriminologisch zu beobachtende Tätertypen und Polizisten lernten, das „Rotlichtmilieu“ als Ort einer angeblich ganz spezifischen Kriminalität auszumachen. In der Zeit forderten sog. Abolitionistinnen, die Prostitution ganz abzuschaffen (etwa die berühmte Freud-Patientin Bertha Pappenheim). Sie wollte weniger Repression, sondern Hilfsangebote. Eine weibliche Milieu-Polizei entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts und damit eine spezifische Form der weichen Kontrolle. Diese ist zunächst fürsorglich, aber mit der – an sich erfreulicherweise – wachsenden Macht von Frauen werden die Kontrollstile zunehmend bevormundend.

Man denke nur an Gunilla Ekberg, eine Beraterin der schwedischen Regierung, die von deutschen liberalen Feministinnen kritisiert wird, aber in Schweden machtbewusst den alleinigen Vertretungsanspruch für Feminismus reklamiert. Schweden verbietet seit den 1990er Jahren den Sexkauf. Die Politik hat dort mittlerweile nichts dagegen, Jagd auf Kunden zu machen und Polizistinnen als „Köder“ einzusetzen. Dies soll bedrohlich wirken, nur mittelbar auf die meist weiblichen Verkäuferinnen von Sex, aber möglichst empfindlich auf kaufwillige Männer. Sie sollen gezielt stigmatisiert werden, zumal nach Jahrzehnten der Anti-Prostitutions-Kampagnen in Schweden ein gesellschaftliches Klima entstanden ist, in dem eine wachsende öffentliche Beschämung von Kunden des Sex-Kaufes – so die Überlegung dieser maternalistischen Politik – die Nachfrage wirkungsvoll reduziert.

Dass auch dieses Ziel verfehlt wird, hat die Verantwortlichen in Schweden nicht gestört. Sie glauben an die Wahrheit ihrer höchst subjektiven Empfindungen und exportieren sie über EU-Richtlinien, die dann von denen, die zu keiner klaren Politik imstande sind, eifrig umgesetzt werden. Allerdings unterschätzen sie diejenigen, welche sie dominieren wollen. Die Prostituierten wehren sich. Die Politik kommt nicht weiter und mänovriert sich von einer in die nächste Sackgasse. Gleichwohl ist der gesellschaftliche Schaden groß und wächst langfristig; denn eine solche Politik untergräbt die Grundlagen einer freien Gesellschaft.

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