24.11.2014

Jenseits des Bevormundungsfeminismus

Analyse von Monika Frommel

Derzeit wird die Prostitutionsgesetzgebung auf Bundesebene novelliert. Es gibt Verbesserungen gegenüber der zuletzt einseitig geführten Debatte, aber es braucht Regeln die die Realität in der Sexarbeit respektieren.

Gelingt es der Bundespolitik, in dieser Legislaturperiode die Prostitution angemessen zu regulieren? Sollte es erneut zu einer Blockade kommen, so würde dies nicht überraschen; denn beim Thema Prostitution überschneiden sich seit über hundert Jahren feministische Vorbehalte gegen männliche Vorrechte – so die abolitionistische Frauenbewegung, die etwa seit 1900 aktiv kämpft – und vielfältige konservative Strömungen, welche sich einig sind in der Verurteilung dieses ältesten Gewerbes der Welt als „Unzucht“.
Die konservative Doppelmoral grenzt Prostituierte aus, feministische Sichtweisen würden gerne die Freier sanktionieren. Beide Positionen widersprechen sich zwar,  entfalten aber dennoch – gewissermaßen arbeitsteilig hergestellte – destruktive Wirkungen und stabilisieren beide auf ihre Weise Denkverbote. In dem Satz, Prostitution verletze die „Würde der Frau“, haben beide Lager eine neue, scheinbar antidiskriminierende Sprache gefunden.

Kein Wunder, dass das Prostitutionsgesetz (ProstG) 2002 nicht zuletzt wegen dieses Klammergriffs nur halbherzig sein konnte. Auch die Ambivalenzen der letzten zwölf Jahre hatten handfeste negative Wirkungen, weil zum einen die Länder die Implementierung der in ihren Zuständigkeiten liegenden Aspekte des neuen Bundesgesetzes mehrheitlich unterliefen und zum anderen eine gewerberechtliche Regulierung in allen Ländern unterblieb. Es kam bis zur jetzigen Legislaturperiode nicht einmal zu einer Debatte über verschiedene Wege einer nichtstrafrechtlichen Regulierung.

Bevormundender Feminismus

Verdeckt wurde diese Blockade in der Vergangenheit durch immer wieder neu geführte Ethik-Debatten und Menschenhandels-Kampagnen, welche sich seit 1992 auf der EU-Ebene aus einem spezifischen Verständnis von Feminismus speisen. Es sind dies die dunklen Seiten der nordischen Frauenbewegung. Diese haben die übrigen Europäerinnen lange übersehen, unter anderem weil sie der nordischen Sprachen nicht mächtig sind und weil sie dachten, es gehe nur um edle Ziele. Im Norden Europas verbinden sich aber beide Strömungen zu einem im Ergebnis bevormundenden Feminismus.

„Die dunklen Seiten der nordischen Frauenbewegung haben die übrigen Europäerinnen lange übersehen“

Sein Kennzeichen sind Kampagnen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene: Da die sog. „Zwangsprostitution“ nur in extrem seltenen Fällen strafrechtlich festgestellt werden kann, fordern die europäischen Institutionen die jeweilige nationale Gesetzgebung regelmäßig auf, die Strafnormen zu verschärfen. Weil aber die Verschärfung des Kampfes gegen „Ausbeutung“ und „Menschenhandel“ keine Resultate zeitigt, fordert man weitere Gesetzesänderungen und in der Folge der neue nationale Anstrengungen zur Umsetzung der schon wieder erweiterten EU-Richtlinie gegen Menschenhandel. Die nationale Gesetzgebung ihrerseits diskutiert gar nicht mehr, ob die europäischen Ziele mit solchen Maßnahmen erreichbar sind, auch wird nicht mehr gefragt, ob die Richtlinie nicht schon längst umgesetzt worden ist, sondern sie tendiert dazu, solch fragwürdige, weil unbestimmte Strafgesetze ‚durchs Parlament zu winken‘. Die Begründung ist resignativ: Man müsse das tun, weil Europa nun einmal Derartiges verlange.
Begleitet wird das Ganze von Medienkampagnen. Der letzte Höhepunkt war 2013. Damals dominierte in der öffentlichen Debatte ein schriller und äußerst repressiver Ton. Die Rede war von „Zwangsprostitution“, gefordert wurde eine „Freierbestrafung“, schließlich seien es „die Männer“, welche die „Zwangslagen“ der in diesem Gewerbe Tätigen ausnutzten. Also müsste man diese Nachfrage so riskant (peinliche Ermittlungsverfahren, Denunziation) wie möglich ausgestalten. Behauptet wurde auch ohne Belege, dass angeblich nur eine kleine Minderheit der Sexarbeiterinnen freiwillig tätig sei, Menschen- und Kinderhandel („Kind“ definiert als Person unter 18 Jahre) sei demgegenüber die Regel. Schon die ungeprüften empirischen Annahmen und die geradezu absurden juristischen Konstruktionen um den „Kind“- Begriff zeigen, welche grundsätzlichen Vorbehalte hier stilisiert wurden. Es sind dies im wesentlichen konservative Vorurteile, welche neu formuliert in einem schiefen feministischen Ton für oberflächlich informierte Gruppen attraktiv gemacht werden.

Gesetzesnovellierung

In dieser Legislaturperiode bewegt sich die Politik und Selbsthilfegruppen beginnen pragmatisch zu agieren. Die überzogene Polemik auf der einen Seite hat also dazu geführt, dass die Bereitschaft der Politikerinnen gewachsen ist, realistisch zu werden und sachlich zu argumentieren. Es könnte also nach zwölf Jahren umstrittener und im Ergebnis unergiebiger Debatten in dieser Legislaturperiode zu einer Anpassung des ProstG an die veränderten ökonomischen Bedingungen kommen.

Wer den Wandel der letzten Monate begreifen will, sollte mit dem halbherzig durchdachten Gesetzesentwurf der letzten Legislaturperiode zur ordnungsrechtlichen Regulierung der Prostitution beginnen. Er war aus gutem Grund im Bundesrat gescheitert. Bremen hatte damals im Bundesrat gegen diesen Entwurf gestimmt. 2014 stellte das Saarland den Antrag, der Bundesrat möge „Eckpunkte zur Regulierung der Prostitution und der Prostitutionsstätten“ beschließen. [1]

Aber dieser Saarländer Antrag war alles andere als fortschrittlich oder realistisch. Er wollte die Scheinselbständigkeit bekämpfen und sah die sog. Freierbestrafung vor. Der Antrag war also im Wesentlichen straf- und ordnungspolitisch konzipiert. An die Arbeitsbedingungen der in der Prostitution tätigen Menschen dachte man nicht, schon gar nicht verfolgte man das Ziel, diese nachhaltig zu verbessern und den zu niedrigen Preis für sexuelle Dienstleistungen zugunsten der dort Tätigen, nicht nur der Betreiber, erhöhen. Es ist daher vielversprechend, dass dieser entschieden zu enge Ansatz im Bundesrat mit Beschluss vom 11. April 2014 abgelehnt wurde.

„Man wollte die Selbstbestimmung der Prostituierten sozusagen gegen ihren Willen paternalistisch und maternalistisch verteidigen“

Die Bundesregierung muss nun weiter gehen und sich der Komplexität der anstehenden Reformen stellen. Der Schwerpunkt der Neuregelung ist ein Prostituiertenschutzgesetz. Es regelt, was bislang als gewerberechtliche Regulierung zwar diskutiert, aber nie ausgearbeitet und auch nie von den verschiedenen Interessengruppen angemessen thematisiert wurde. Polizei und Frauenbewegung waren nämlich in ihren Stellungnahmen zu sehr auf das Thema „Menschenhandel- und Zwangsprostitution“ konzentriert.

Diese Fixierung war paradox, sie ist aber in den letzten Monaten aufgegeben worden. Paradox war sie, weil beide Helfergruppen mit Mitteln des Straf- und Polizeirechts die Selbstbestimmung der Prostituierten sozusagen gegen ihren Willen paternalistisch und maternalistisch verteidigen wollten. Zwar dachten sie auch an deren Rechte, aber in einem völlig anderen Sinn. Erweitern wollen sie nämlich im Wesentlichen das Bleiberecht derer, welche als Nicht-EU-Bürgerinnen möglicherweise Opfer von Menschenhandel geworden sind und deshalb als Zeuginnen in Betracht kommen. Sie denken also primär strafrechtlich.

Es sollten mit den Ländern und Kommunen Pläne eines flächendeckenden Angebots an geschützter Straßenprostitution entwickelt werden. Der Trend ging 2013 in die falsche Richtung. Das Dortmunder Modell – legaler Straßenstrich mit Verrichtungsboxen –wurde von der Stadt Dortmund rechts- und verfassungswidrig aufgelöst. Eine Prostituierte, die dagegen geklagt hatte, obsiegte vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. [2] Die Kommunen können, wird diese Entscheidung bestätigt, nicht mehr beliebig Sperrbezirke ausweiten, sondern nur noch dann, wenn es die öffentliche Ordnung, insbesondere der Jugendschutz, konkret rechtfertigt, wenn also Tatsachen dargelegt werden und nicht nur pauschal mit der Angst vor der dem Ansturm von Migranten, die ihre Frauen in die Prostitution zwingen, Politik gemacht wird.

Datenschutz und Selbständigkeit

In der Debatte um das künftige Gesetz wird ein Aspekt eine zentrale Rolle spielen, den man beim ersten Lesen der Eckpunkte des Frauenministeriums fast übersieht. Es ist dies auf der einen Seite die Frage der fairen Preisgestaltung, zum anderen die gewerberechtliche Kontrolle und Anzeigepflicht der einzelnen Sexarbeiterinnen. Alle Prostituierten haben nach den vorläufigen Eckpunkten vom August 2014 eine Anmelde- bzw. Anzeigepflicht bei der jeweiligen Kommune. Sie erhalten nach diesem Konzept Nachweisdokumente, die sie dann auf Verlangen vorzeigen müssen.

Derartige Pflichten sind höchst problematisch, wenn sie sich auf alle Tätigkeitsfelder erstrecken. Arbeiten Prostituierte in einem Bordell oder vergleichbaren Betrieb, der solche Dienstleistungen organisiert, ist nicht einzusehen, wieso es nicht genügen soll, dass die Prostituierte anonym über den Betreiber, der ja eine Erlaubnis benötigt und intensiv kontrolliert werden kann, ihre Daten preisgibt, damit die Steuerpflicht nicht umgangen werden kann. Denn wenn die Betreiber kontrolliert werden, ist es kontraproduktiv, den Datenschutz der dort Tätigen zu gefährden.

Gibt es hingegen keinen Betreiber, was beim Straßenstrich der Fall ist, dann leuchtet es ein, wenn dort eine allgemeine Ausweispflicht und die Pauschalbesteuerung (Steuerautomaten) durchgesetzt werden. Es gibt noch weitere Bedenken: Arbeitet eine Person nur gelegentlich in einem Betrieb, ist eine Anzeigepflicht schon deshalb problematisch, weil der Datenschutz in einer digitalisierten Welt nicht und selbst dort, wo er bestehen sollte, sicher nicht effektiv gewährleistet werden kann. [3] Außerdem sollte vor der Normierung einer Anzeigepflicht geklärt werden, ob die einzelne Prostituierte ein Gewerbe betreibt oder nicht doch einen freien Beruf sui generis ausübt. Dies ist auch relevant für die Frage, ob auch sie – und nicht nur der Betreiber - Umsatzsteuer bezahlen muss.

„Denn die letzten zwölf Jahre haben gezeigt, dass Prostituierte nicht abhängig arbeiten wollen und kein Zwangsouting wünschen.

Noch problematischer ist ein weiterer Punkt. Unter dem programmatischen Slogan „Prostitution - Der Augsburger Weg“ [4] initiierte Helmut Sporer, ein Sprecher der bayerischen Polizei, zusammen mit der Augsburger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen einen bordellartigen Saunabetrieb namens Colosseum wegen dirigistischer Zuhälterei (Anweisung an die dort Tätigen, sich nackt im Saunabereich aufzuhalten) und Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer (§ 266a StGB). Das Oberlandesgericht München lehnte am 2010 im Beschwerdeverfahren die Eröffnung des Verfahrens ab – unter Berufung auf das ProstG. [5]

Seitdem gilt die Formel von der „Eingliederung in einen Bordellbetrieb“ als Indikator für nicht selbstständige Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 SGB IV) und Scheinselbstständigkeit. Die Verteidigung widerlegte diese Annahme über ein Gutachten. [6] Seitdem wird versucht, gesetzlich zu regeln, dass Eingliederung in einen Bordellbetrieb ein Indikator für eine unselbstständige Arbeit sei.
Auch die Eckpunkte weisen auf diese Debatte hin. Unter der Überschrift „Rechtsverhältnis zwischen Prostituierten und Betreibenden“ werden die faktischen Verhältnisse gegen den Wunsch der Prostituierten, jederzeit gehen zu können, ausgespielt. Statt die Gefahr der wirtschaftlichen Ausbeutung als Maßstab für eine Kontrolle der Betreiber zu benennen, dominieren dann doch wieder fiskalische Gesichtspunkte.
Wer Prostituierte schützen will, so der Name des neuen Gesetzes, muss sich darauf beschränken, die Betreiber zu mehr Transparenz zu zwingen, den dort Tätigen Akteneinsicht und Beratung zu gewähren und sie nicht in eine Lage bringen, in der sie eher wieder ein Duldungsmodell wählen. Denn die letzten zwölf Jahre haben gezeigt, dass Prostituierte nicht abhängig arbeiten wollen und kein Zwangsouting wünschen. Es ist eben ein Beruf eigener Art. Berufe sind nun einmal verschieden. Flächendeckende Strafverfahren wegen Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer bieten keinen Schutz, sondern schaffen nur neue repressive Befugnisse und erhebliche regionale Unterschiede. Beides ist kontraproduktiv.

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