07.01.2015

NGOs Hand in Hand mit dem Verbotsstaat

Essay von Hasso Mansfeld

Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) schützen nicht mehr den Bürger vorm Staat, sondern unterstützen dessen Bevormundungspolitik. Statt aufklärerisch zu informieren, betreiben sie Panikmache. Der große Verlierer dabei ist die Freiheit, findet Hasso Mansfeld

Das Bedürfnis nach Sicherheit ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Im Wechselspiel mit dem Bedürfnis nach Freiheit steckt es das Spannungsfeld ab, in dem sich menschliche Gesellschaften entfalten. Mit dem Entstehen der Nationalstaaten erwachte aus dem Bedürfnis nach Sicherheit das Bestreben, den Dingen feste Ordnung zu verleihen. Einheitliche Sprache, einheitliches Rechtssystem, einheitliche Währung. Das hat unbestreitbar sein Gutes.

Jede Gesellschaft, auch die marktwirtschaftliche, braucht Spielregeln, um zu funktionieren. Unter klaren Regeln und einem Staat, der die Einhaltung dieser überwacht, sind stabile Entwicklung und Fortschritt möglich. Doch darf uns das nicht zu dem Gedanken verführen, der Staat könne alle unsere Probleme lösen. In seinem Ordnungsstreben neigt der Staat dazu, sich in Bereiche einzumischen, die ihn nichts angehen. So war die gleichgeschlechtliche Liebe über einen langen Zeitraum in den allermeisten Ländern verboten. Es ist eine Errungenschaft der aufgeklärten westlichen Zivilisation, diesen Einfluss des Staates zurückgedrängt zu haben.

Solang es dabei darum ging, konservative Gesellschaftsstrukturen über Bord zu werfen, fand die Neigung des Staates, uns nicht als mündige Bürger, sondern als Untertanen anzusehen, in außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen, die vielfach als die Vorläufer heutiger NGOs gelten können, einen engagierten Gegner. Man denke nur an die historischen Erfolge der Schwulenbewegung.

Heute allerdings kleidet sich die Art, in der gesetzliche Entmündigung vorangetrieben wird, meist in ein fortschrittsfreundliches Gewand. Man geht subtiler und behutsamer vor, da die Regierenden sich der Wiederwahl stellen müssen. Interessanterweise findet der Staat bei seiner Suche nach Regulierungslücken ein ganzes Heer an fleißigen Helfern ausgerechnet in NGOs.

„Man schützt nicht den Bürger vorm Staat, sondern gemeinsam mit dem Staat den Bürger vor sich selbst.“

Jene gehen bei der Formulierung von angeblichen Missständen längst eine Symbiose mit dem Staat ein. Stolz trägt man das N noch im Namen, präsentiert sich aber als Vorreiter staatlichen Engagements, nicht als Opposition. Hierin zeichnet sich ein bedeutender Wandel im Selbstverständnis zivilgesellschaftlicher Akteure ab: Man schützt nicht den Bürger vorm Staat, sondern gemeinsam mit dem Staat den Bürger vor sich selbst.

Gerade haben wir den Staat aus dem Schlafzimmer zurückgedrängt, schon dringt er in neue Bereiche unseres Hauses: Von großem Interesse scheint auch die Küche zu sein. Auch ein intimer Ort, an dem Triebbefriedigung und Lust sich verbinden. Nun wollten die wenigsten von uns auf sichere Lebensmittel verzichten. An sich ist die Lebensmittelindustrie in jedem Fall ein Marktsegment, in dem regulatorische Maßnahmen sinnvoll sind.

Was allerdings von Veggie Day über Lebensmittelampeln bis hin zum Alkohol- oder Limonadenverbot gefordert wird, geht weit darüber hinaus, Gefahren von Leib und Leben der Bürger abzuhalten. Man versucht, den Bürger zu einer gesunden Lebensführung zu erziehen. Dabei ist unsere Nahrung heute so sicher wie nie. Gemeinsam mit vorgeblich dem Verbraucherschutz verpflichteten NGOs treibt man staatliche Entmündigung voran, die nichts damit zu tun hat, den Verbraucher umfassend zu informieren, so dass er eine autonome Entscheidung treffen kann, sondern ihn in die Richtung des zuvor schon Gewünschten zu lenken. Entsprechend entwirft man Schreckensszenarien und flößt dem im vielfältigen Angebot den Überblick Verlierenden Angst ein. Die so erzeugte Panik dient wiederum als Legitimation für Gesetzesinitiativen, die die Freiheit der Verbraucher einschränken.

Die Schriftstellerin Juli Zeh beschreibt in Ihrem Roman „Corpus delicti“ 1 die Konsequenz eines solchen Denkens: In dieser modernen Dystopie führt das Streben nach Gesundheit und Risikofreiheit in ein totalitäres Gesellschaftsmodell, in dem sogar die Toiletten automatisch überwachen, was wir gegessen haben.

„Das liberale Verständnis von Gesellschaft: ‚Du kannst etwas!‘ Nicht: ‚Dir muss geholfen werden‘“

Überregulierung stellt eine Selbstüberhöhung der eigentlichen Funktion der Ordnungsmacht dar. Die Verselbstständigung hin zu einer Macht um der Macht willen ist eine staatlichen Institutionen immer eingeschriebene Gefahr. Bürgerrechtler, Verbraucherschützer, NICHT-Regierungs-Organisationen und natürlich die Presse hätten dem entgegenzuwirken. Stattdessen wird die Überregulierung durch Panik und Moralunternehmertum noch befeuert.

Die Bereitschaft, andere nach unseren persönlichen Moralvorstellungen zu „vervorschriften“, ist umso höher, je mehr man sich auf der richtigen Seite wähnt. Von der Öffentlichkeit in großem Respekt gehaltene NGOs tun gerade im Lebensmittelbereich alles dafür, dass der staatliche Regulierungswahn sich unwidersprochen auf Seite der „Guten“ verorten kann. Regulierung ist per se nichts schlechtes, immer macht die Menge das Gift. Bevormundung dagegen ist immer toxisch. Mehr als die Hälfte aller Deutschen schätzt Umfragen zufolge Sicherheit wichtiger ein als Freiheit. Wohl auch, weil unsere Welt regelmäßig viel gefährlicher gezeichnet wird, als sie tatsächlich ist. Ein ernst genommener Liberalismus steht für das Individuum ein. Humanistisch ist es, jedem einzelnen Mensch auch etwas eigenverantwortlich zuzutrauen.

Im Verbraucherschutz hieße das konkret: Informationen sammeln, zugänglich machen, aufbereiten, keineswegs aber skandalisierend zuspitzen. Der Liberalismus vertraut auf die Fähigkeiten des Menschen. Auf dem folgenden Prinzip baut das liberale Verständnis von Gesellschaft auf: „Du kannst etwas!“ Nicht: „Dir muss geholfen werden“.

Grundsätzlich hat jeder Mensch hat die Fähigkeit, eigenverantwortlich seine eigene Persönlichkeit voll zum Ausdruck zu bringen. A priori muss ihm niemand vorschreiben, was er zu seinem eigenen Vorteil zu tun habe. Wo der Mensch ermutigt wird, seine Persönlichkeit zu entfalten, kann er gedeihen. Wo seine natürlichen Neigungen zu Selbstbestimmung, Tätigkeit und Entwicklung zu kurz kommen, verfällt der Mensch in Lethargie. Das Gegenmodell zur Regulierung ist die Erziehung zu einem mündigen Menschen. Eigenverantwortung wird jedoch von interessierten Kreisen regelmäßig als „Legitimierung von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen“ diffamiert. Dabei könnte man auch das Gegenteil behaupten: Gerade die Ablehnung von Eigenverantwortung legitimiert Herrschaft.

Ein letztes Refugium vor äußeren Zumutungen und dem Zugriff der Herrschaft ist gerade die Lust. Dieser genießend nachzugeben darf in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht verfemt oder gar verboten sein. Sich wissentlich selbst zu schaden ist Teil unserer Freiheit. Eine Freiheit, die manche erst schätzen werden, wenn es zu spät ist.

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