24.01.2023

Ökologie als Kulturindustrie

Von Christian Zeller

Titelbild

Foto: Sven Scheuermeier via Unsplash / CC0

James Camerons neuer Film „Avatar: The Way of Water“ bietet neben teuren Effekten wenig Tiefe. Er präsentiert woke Botschaften mit dem Dampfhammer. Achtung: Spoiler.

Mitte der 1960er Jahre formulierte Marshall McLuhan einen Satz, der berühmt werden sollte: „Das Medium ist die Botschaft“. Der kanadische Philosoph und Literaturwissenschaftler meinte damit, dass das Medium seinen Inhalten alles andere als neutral gegenübersteht, sondern vielmehr selbst zutiefst geprägt und geformt wird. Der US-amerikanische Medientheoretiker Neil Postman war mit seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ einer der berühmtesten Kritiker jener Unterhaltungsindustrie der 1970er und 1980er Jahre, die im Zeitalter von Smartphone, künstlicher Intelligenz und hochgetunter CGI-Technologie in der Welt des Films selbst schon wieder hoffnungslos antiquiert wirkt: „Wie die Sprache selbst“, schreibt Postman, der dabei das gute alte serielle Fernsehen vor Augen hatte, „so begründet auch jedes neue Medium einen bestimmten, unverwechselbaren Ausdruck, indem es dem Denken, dem individuellen Ausdruck, dem Empfindungsvermögen eine neue Form zur Verfügung stellt.“1

Eben jener berühmte Satz fällt einem ein, wenn man sich den zweiten Teil von James Camerons Öko-Epos „Avatar: The Way of Water“, das Sequel zum 2008 erschienen ersten Teil der Reihe angesehen hat. Denn bei Avatar, Teil 2 gilt: „Die Technik ist die Botschaft.“ Und die Technik wiederum steht im Dienste einer Moral, die an einer mainstream-tauglichen Form ökologischen und postkolonialen Bewusstseins hängt.

Avatar: die Plots

Der Plot des ersten Teils „Avatar: Aufbruch nach Pandora“ aus dem Jahr 2008 ist schnell erzählt: Menschen greifen mit schwerem militärischem Gerät in der Galaxie Alpha Centauri einen Mond namens Pandora an, um dessen Ressourcen auszubeuten. Pandora ist ein überaus prächtig anzusehender, vor Naturwundern wie bizarren Felsformationen, Mammutbäumen, fliegenden Echsen und leuchtenden Schmetterlingen überfließender Himmelskörper, der von dem im Wald und im Meer lebenden Volk der Na’vi besiedelt ist. Auf Pandora sind alle Lebewesen, ob Mensch, ob Tier, ob Pflanze, über eine spirituelle Macht namens Eywa miteinander vernetzt. Einer der Invasoren, Jack Sully, ein von der Hüfte abwärts gelähmter Marine der US-Navy, schlüpft in einen künstlichen Na´vi-Körper, seinen Avatar, den er mit der Hilfe seiner Gedanken fernsteuern kann. Seine Mission besteht darin, die Na’vi davon zu überzeugen, ihren Widerstand gegen die Eindringlinge aufzugeben. Jake wird jedoch von seiner Gruppe getrennt und gelangt, nachdem er beinahe von Raubtieren zerrissen worden wäre, zum Na’vi-Stamm der Omaticaya, die in einem jener Mammutbäume leben. Jake verliebt sich in die Häuptlingstochter Neytiri, wechselt die Seiten und führt schließlich, nachdem er die durchgeistigt-naturverbundene Lebensweise des Clans kennengelernt hat, die vereinten Na’vi in einer epochalen Luftschlacht zum Sieg gegen die Invasoren. Am Ende des Films verschmilzt Sully in einer spirituellen Zeremonie mit seinem Avatar und wird so auch körperlich zum Na’vi.

„Entkleidet man den Film seiner beeindruckenden Technikkulisse, so strahlt er eine Anmutung aus, die einem Schülertheater der Mittelstufe nicht zur Ehre gereichen würde.“

„Avatar: The Way of Water“ spielt rund 13 Jahre später – in etwa so lange, wie der Regisseur James Cameron gebraucht hat, den zweiten Teil ins Kino zu bringen. Jake und Neytiri haben mittlerweile zwei jugendliche Söhne und eine jüngere Tochter, zudem adoptierten sie Kiri – einen aus einem Avatar-Körper geborenen weiblichen Klon der toten Wissenschaftlerin, die die Avatar-Technologie erfunden hatte. Und sie kümmern sie sich um ein Menschenkind namens Spider, das nach dem Sieg der Na’vi über die Menschen zurückgelassen wurde.

Bereits in den ersten Minuten des Films stürzen Raumschiffe auf Pandora hinab: Die Eindringlinge greifen erneut an. Eine Gruppe von US-Soldaten in Na’vi-Körpern hat den Auftrag, Jake aufzuspüren und gefangen zu nehmen. Jakes ehemaliger Colonal Miles Quaritch ist mittlerweile tot – aber seine DNA und seine Gedächtnisinhalte wurden in einen künstlichen Na’vi-Körper übertragen und so nimmt der ‚neue‘ Miles, der auch Rachegelüste gegen den abtrünnigen Soldaten hegt, Jakes Fährten auf. Als die Häscher seiner Familie gefährlich nahekommen, wird Spider von Quarich entführt; um seinen Clan zu schützen, beschließt Jake, mit seiner Familie das Leben im Wald hinter sich zu lassen und zum Wasservolk der Metkayina zu flüchten. Die Familie wird aufgenommen und lernt, in der für sie fremden Wasserwelt zu leben. Einer von Sullys Söhnen, Lo’ak, freundet sich in einer gefährlichen Situation auf dem offenen Meer mit einem riesigen, einem Wal ähnlichen Meeresbewohner an, einem Exemplar der hochintelligenten Tulkunen. Der wieder zum Leben erweckte Miles Quaritch kommt mit seinem Soldaten-Trupp Jake und seiner Familie Schritt für Schritt auf die Spur – bis zur bitteren Endschlacht auf einem Invasoren-Schiff.

Entkleidet man den Film seiner beeindruckenden Technikkulisse, so strahlt er eine Anmutung aus, die einem Schülertheater der Mittelstufe nicht zur Ehre gereichen würde. Groteske Einfallslosigkeit regiert das Drehbuch, denn der Plot des ersten Teils wird im zweiten einfach nur gespiegelt: Es wird nochmal gegen die ausbeuterischen Menschen gekämpft, und auch der Militär-Bösewicht ist, dank des an den Haaren herbeigezogenen DNA- und Gedanken-Transfers, derselbe. Gekämpft wird gegen die Invasoren nun nicht mehr in hohen Bäumen, sondern im weiten Meer. Selbst aus diesem anspruchslosen Plot hätte man noch ein halbwegs anständiges Drehbuch machen können, wenn den Figuren Ansätze von Tiefe und der durchgängig computergenerierten Kulisse ein narrativer Sinn verliehen worden wäre. Leider jedoch könnten die hölzernen Dialoge ganze Phrasenschweine zum Platzen bringen. In Jakes Na’vi-Familie wird in einem Tonfall miteinander gesprochen, der zwischen Militärbaracke („Jawohl, Sir“) und Disneyland-Väterlichkeit („Die Sullys halten zusammen“) changiert, und der Bösewicht Miles und sein verkommener Invasionstrupp äußern natürlich nur richtig ‚böse' Sachen, die von Jake mit nichtssagenden Einzeilern pariert werden.

Technik hui, Anspruch pfui

Das Spannungsverhältnis zwischen avancierter Technik und ödem Plot wird durch ein zweites, nicht minder bedeutsames Spannungsfeld ergänzt. Der Film versetzt die Zuschauer in eine denkbar fremde, weit entfernte Welt – nur um dann altbekannte Schemata zu wiederholen, die schon in unserer hiesigen Existenz brutale Klischees sind: Indigene Völker leben stets, ob im Wald oder am Meer, im Einklang mit der Natur und kümmern sich rührend um ihre Lebensgrundlagen, mit denen sie in einem unverbrüchlichen spirituellen Kontakt stehen; Männer schießen und Frauen keifen, und wenn jene ihren Geschlechterstereotypen entkommen, dann nur in Form der Übernahme einer sterilen Männlichkeit, die sie sogleich zum Folterknecht qualifiziert; Jugendliche sind bisweilen fies zueinander, sprechen sich mit ‚Jugendwörtern' wie „Buddy“ und, Achtung, „Bro“ an und können sich, kaum sind sie bei den Wasserbewohnern, des Flirtens nicht erwehren.

Cameron ist sichtlich fixiert darauf, mit computergenerierten Bildern der avanciertesten Art ein visuelles Spektakel abzuliefern. Was ihm mit ungeheurem technischen Aufwand auch bravourös gelingt: Die urzeitlich anmutenden Raubfische, die Plankton verschlingenden Wale, die Meeresechsen, die Unterwasserpflanzen, sie sehen alle gestochen scharf aus. Man wünscht sich während des naturgetreuen Anblicks des sich kräuselnden Wassers und der nuanciert ausgezeichneten Unterwasserströmungen, dass man entweder in einer Doku gelandet wäre, die auf eine Story gänzlich verzichtet oder in einem Spielfilm, der es schafft, den Schauwerten noch das hinzuzufügen, was jede Kunstform im Innersten ausmacht: Es dem Betrachter zu ermöglichen, sich der dargestellten Welt zugehörig zu fühlen, sich ihr mimetisch anzuverwandeln, in sie einzutauchen, ja vielleicht sogar für einen Moment eins mit ihr zu werden. Genau das allerdings gelingt Cameron und seinem CGI-Team gerade nicht. „The Way of Water" ist ein Film, der nicht zur Einfühlung einlädt, was wohl auch eine Nebenfolge des Produktionsapparates und des ökonomischen Drucks ist, unter dem dieses Werk gedieh: Es ist zu hören, dass der Film der dritterfolgreichste aller Zeiten werden muss, um profitabel zu werden.

„Der Film wirkt starr, kalt, – und angesichts des computertechnischen Aufwands, der für ihn getrieben wurde, im wahrsten Sinne des Wortes – berechnet und berechnend."

In „The Way of Water“ wird deshalb in kristalliner Reinform das betrieben, was Adorno und Horkheimer die „Kulturindustrie“ nannten.2 Kognitiv leicht abrufbare, mit den dazu passenden Emotionen aufgeladene Symbol-Schablonen werden nach einer Art Baukastenprinzip miteinander kombiniert und mit hohem technischem Aufwand so aneinandergepresst, dass den Bedürfnissen der verschiedenen, vorab ermittelten Zielgruppen maximal Rechnung getragen wird: Frauen bekommen ihre Romanze und ihr Familiendrama, das mächtige, waffenstarrende US-Militär dient als Identifikationspunkt für Männer, die mit Jordan Peterson gerade wieder ihre Männlichkeit wiederentdecken, und jugendliche Kinobesucher können sich im Jargon einer High School-Komödie wiederfinden. Das glitzernde Meer und große Fische finden sowieso alle ganz toll – Filmästhetik als Versuch der kollektiven Infantilisierung. Die wahnsinnig süß umherschwirrenden Schmetterlinge und die immer im rechten Augenblick fluoreszierenden Wasserpflanzen sprechen sogar unter 10-jährige Zuschauer an. In Deutschland kann der Film, in dem im letzten Drittel wie am Fließband Soldaten getötet und einem ‚bösen‘ Wissenschaftler mit einem Stahlseil gut sichtbar der Arm abgetrennt wird, in Begleitung der Eltern ab sechs Jahren angesehen werden.

In der technischen Wunderwelt der computergenerierten Bilder funktioniert „Avatar: The Way of Water“ in weiten Teilen nach der kalten Ökonomie dessen, was der Philosoph und Künstler Guy Debord in den 1960er Jahren die „Gesellschaft des Spektakels“ nannte. Das „Spektakel“ ist für Debord Ausdruck einer Gesellschaft, in der Bilder produziert werden, die keine Entsprechung im Leben mehr haben: „Das Spektakel überhaupt ist, als konkrete Verkehrung des Lebendigen, die eigenständige Bewegung des Unlebendigen.“3 In „The Way of Water“ passiert genau das, was die Postmoderne fälschlicherweise für die Welt in ihrer Gesamtheit behauptet: In ihm zerreißt die Verbindung von Bild und Realität, von Bedeutung und Bedeutetem. Denn die dort abgefeierten Klischees stammen bereits selbst aus der weiten Welt des Mainstream-Kinos und sind somit eine Art Stereotyp vom Stereotyp, Klischees zweiter Ordnung gleichsam. Auch deshalb wirkt der Film so starr, so kalt, so – und angesichts des computertechnischen Aufwands, der für ihn getrieben wurde, im wahrsten Sinne des Wortes – berechnet und berechnend.

Öko und Kolonialismus

Gänzlich des Realitätsbezugs entbehrt der Film jedoch nicht: In der Marketing-Denke der großen Hollywood-Studios darf der ebenfalls passgenau eingesetzte und damit selbst zum Teil der Kalkulation gewordene Moralismus der Woke Culture nicht fehlen: Wenn Jake mit seiner Familie bei dem Wasser-Clan mit den flehenden Worten „Ich will nur, dass meine Familie sicher ist“ aufschlägt, beschwört dies die in den USA allgegenwärtige Safety Culture herauf. Jakes Familie wiederum ist mit einem jungen Menschen-Fremdling und einem adoptierten Mädchen divers genug, um für die Social Justice-Zuschauerschaft Identifikationspunkte zu setzen. Jake ist selbst ein ‚Mischling‘, hervorgegangen aus der Verschmelzung mit seinem Avatar. Seine menschliche Herkunft ist ihm allerdings noch an seinen fünf Fingern abzulesen (die Na’vi haben vier), die er an seine leiblichen Kinder vererbt hat. Das macht sie in dem neuen Stamm zunächst zu physisch identifizierbaren Außenseitern, was dann auch das Sich-Zusammenraufen in einer bunten Migrationsgesellschaft feiert. Und sogar der „Trigger“ – ein Wort, das bis vor 10 Jahren nur Trauma-Therapeuten bekannt war – bekommt seinen Auftritt, als die adoptierte Teenagerin Kiri einen Schock erleidet, nachdem sie sich unter Wasser mit der Göttin Eywa verbunden hatte. Irgendetwas da unten muss wohl, so stellt der wundersamer Weise mit dem Hubschrauber herbeigeeilte Arzt fest, als „Trigger“ auf Kiri gewirkt haben.

„Das moralische Zentrum des Films ist die Naturzerstörung, der Umgang mit den großen Meeressäugern sowie die höchst prekäre Stellung indigener Völker, die ihr angestammtes Land, in dem sie in ganzheitlicher Verbundenheit leben, gegen die Landnahme verteidigen.“

Nicht zuletzt wird durch die Flucht von Jakes Familie vom Wald-Clan zum Meeres-Stamm der Topos der Solidarität mit Geflüchteten bespielt. Hinterfragt man diesen Teil der Erzählung allerdings auf seine Stimmigkeit, so stößt man auf einen eklatanten Widerspruch zur moralischen Aussageabsicht des Drehbuchs: Denn der Umstand, dass Jake seinen eigenen Stamm schützen möchte, indem er mit seiner Familie zu dem Wasser-Clan flüchtet, gefährdet durch den völlig erwartbaren Zugriff seiner militärisch hochgerüsteten Häscher ausgerechnet massiv und offenkundig diejenigen, die sich mit ihm solidarisch zeigen. Der ‚Flüchtling‘ nimmt in „The Way of Water“ die Gefährdung des Gemeinwesens, in das er flüchtet, billigend in Kauf. Diese latente Botschaft, die der undurchdachte Plot neben dem manifesten Statement „Wir sollten uns mit Flüchtlingen solidarisch erweisen“ auch vermittelt, wird so wohl kaum beabsichtigt gewesen sein. Dieselbe Widersprüchlichkeit der moralischen Botschaft findet sich in der verherrlichenden Inszenierung von militärischer Gewalt, die vor allem in der ersten Hälfte des Films gleich mehrmals den undurchdringlich scheinenden Dschungel förmlich im Kugelhagel zerreißt. In seiner Effekthascherei zehrt der Film, der eben auch ein typischer US-Kriegsfilm ist, von eben jenem Militärapparat, den er als die Speerspitze des kapitalistischen Eroberungs- und Ausbeutungsapparats so vehement kritisiert.

Das moralische Zentrum des Films ist die Naturzerstörung, der Umgang mit den großen Meeressäugern sowie die höchst prekäre Stellung indigener Völker, die ihr angestammtes Land, in dem sie in ganzheitlicher Verbundenheit leben, gegen die Landnahme verteidigen. Der Film möchte dem Zuschauer den Spiegel vorhalten: So behandeln Menschen Geschöpfe, wenn sie dem Gelderwerb dienen oder diesem entgegenstehen. Allerdings geht der moralische Dampfhammer rund 190 Minuten mit einer derartigen Vehemenz auf die Zuschauer nieder, dass dem Film schon wieder eine Entlastungsfunktion zukommt: So durchtrieben und gewissenlos wie die Menschen um den wiederauferstandenen Miles Quaritch handeln, so böse können ‚wir' doch ‚in echt' niemals sein, könnte sich der unbedarfte Zuschauer einreden. Allzu comichaft überzeichnet wirkt es, wenn die Invasoren einem ‚Wal‘ mit Hyperschallwaffen zu Leibe rücken und von seinem riesigen Rachen her sein Gehirn anbohren, um ein sündhaft teures Extrakt daraus zu gewinnen.  

Die Moralkeule fällt Cameron nun mit seinem neuen Film auf die Füße, nachdem er im Jahr 2010 in einem Interview mit dem Guardian suggerierte, dass der Stamm der Lakota Sioux nur härter hätten kämpfen müssen, um die für ihn so verheerende gewaltförmige Kolonialisierung abzuwenden. Vor dem Hintergrund des eigenen moralischen Anspruchs, der mit seinem jüngsten Film auf eine höchst ambivalente Weise transportiert wird, erscheint das nun einigen als skandalös.

Fazit

Ästhetisch ist der Film gewiss kein neuer Höhepunkt in der Geschichte des Mainstream-Kinos von Regisseur Cameron: Die romantische Dramatik von „Titanic"; die berstende Spannung von „Alien – Die Rückkehr“, die körperlich spürbare Endzeit-Action in „Terminator 2" – nichts davon nimmt man an seinem jüngstem Film wahr. Wie das Kaninchen auf die Schlange starrte der Regisseur auf die technische Umsetzung seiner ‚Geschichte', die ein wahrer Kraftakt gewesen sein muss, und garniert sie mit seiner brachialen moralischen Botschaft. Das technisch ausgefeilte Endprodukt wirkt wie ein völlig überdimensionierter Rennwagen, um den pubertierende Jungs voller Faszination herumschleichen und dessen großen Auspuff sie bewundern.

„Der jüngste Film von James Cameron ist hochtechnisierte Ödnis, die auch von der Moral der postkolonialen Hypersensibilität, die sie durchweht, nicht zum Leuchten gebracht wird.“

Lobende Rezensionen zu „Avatar: The Way of Water" finden sich von der F.A.Z. bis zur taz. Das verblüfft, denn der Film hat erkennbar keinerlei Sinn für das philosophische Potential, das bisweilen schattenhaft hinter dem Maschinengewehrdonner durchscheint: So findet der gelähmte Jake am Ende des ersten Teils erst dann zu sich selbst, als er in die organismische Ganzheit von Pandora eingeht, die ihrerseits seine Technik-Prothese in einen echten Na’vi-Körper transformiert. Anstatt diese komplexe Thematik zum sich überlagernden Verhältnis von Kollektivität und Individualität, von Natur und Technik, von Gesundheit und Gebrechen auf eine unterhaltsame Weise ästhetisch durchzuarbeiten und weiterzuspinnen, fungiert die einfallslose Story des zweiten Teils nur als lieblos zusammengeschraubtes Vehikel für die Aufnahme von Fischwesen, die sich gekonnt aus dem Wasser schrauben, Schnellboten, die spektakulär an Felsen zerschellen, und blauen Wesen, die sich schon wieder an irgendeiner Echse durchs Wasser ziehen lassen.

Vielleicht ist die wahrnehmbare Bereitschaft, sich von der bildnerischen Gestaltung überwältigen zu lassen, die hübschen CGI-Bilder bereits als die alleinige ästhetische Botschaft zu akzeptieren, der Ausdruck eines Syndroms, das sich komplementär zu der narrationsbefreiten Technik-Geilheit des Films verhält: „Avatar: The Way of Water" versetzt uns in mit höchstem Aufwand in eine fremde Welt, um dort allerschlichteste Schemata zu inszenieren, die uns daran hindern, die Fremdheit der Welt, in der wir uns befinden sollen, überhaupt wahrzunehmen. Der sich bereits abzeichnende Erfolg des Films könnte deshalb auch bedeuten: „Wir begrüßen das Fremde, aber bitte ausschließlich in der Form, wie es an unsere eigenen Standards assimiliert werden kann.“

Der jüngste Film von James Cameron ist hochtechnisierte Ödnis, die auch von der Moral der postkolonialen Hypersensibilität, die sie durchweht, nicht zum Leuchten gebracht wird. Er möchte das Leben in seiner filigranen Üppigkeit und seiner Allverbundenheit feiern – und zelebriert schließlich ökologisches und moralisches Bewusstsein als geistige Erstarrung.   

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