23.08.2021
Nichts Genaues weiß man nicht
Von Uwe Knop
Ernährung schützt nicht vor Krebs und Vegetarier sind depressiver als Fleischesser. So die Folgerungen aus neuen Metaanalysen, die aber nichts beweisen.
Ernährungswissenschaftliche Studien, deren Ergebnisse nicht so ganz ins aktuell „politisch korrekte Welt- und Denkbild“ passen, finden in vielen Medien oft nicht statt – auch wenn sie datentechnisch metamäßig überzeugen. Sie könnten ja die gewünschten Meinungen zu „gesunder Ernährung“ in Zweifel ziehen und die Bürger zum eigenen Nachdenken und kritischen Hinterfragen vermeintlicher Wahrheiten anregen – beispielsweise, dass gesunde Ernährung vor Krebs schützen oder Vegetarismus Seele und Psyche stärken soll. Zwei aktuelle Publikationen mit dem Zeitgeist gegenläufigen Ergebnissen seien daher nun nachfolgend kredenzt, um geistige Denkschablonen neu zu formen.
So hat sich eine internationale Forschergruppe, deren Studienleiter nicht nur an der griechischen University of Ioannina School of Medicine, sondern auch für die International Agency for Research on Cancer (der WHO) arbeitet, sich richtig viel Arbeit gemacht: Die Wissenschaftler erstellten eine Meta-Metaanalyse zum Zusammenhang zwischen „Krebs und Ernährung“. Dazu fassten die mehr als ein Dutzend Forscher die Ergebnisse von 860 (!) bis dato bereits publizierten Meta-Analysen zu diesem Themenkomplex zusammen. Jede einzelne Metaanalyse wiederum bestand aus dem Gesamtergebnis zahlreicher epidemiologischer Einzelstudien, also primär Beobachtungsstudien.
Das Ergebnis ist – zumindest für alle Verfechter „gesunder Ernährung“ – so ernüchternd wie erwartbar (wenn man die zahlreichen bekannten Limitierungen ökotrophologischer Forschung als Grundlage heranzieht): Die Erkenntnisse sind so schwach, uneinheitlich und verzerrt, dass sich daraus keinerlei Ernährungsempfehlungen zum Schutz vor Krebs extrahieren lassen. Dabei muss betont werden: Die Forschergruppe untersuchte ausschließlich Korrelationen (statistische Zusammenhänge), da es keine einzige Studie gibt, die Kausalevidenz (Ursache-Wirkungs-Belege) für Krebsschutz auf dem Teller liefert, weder durch Ernährung im Allgemeinen noch für einzelne Lebensmittel(gruppen) im Speziellen.
„Es existiert kein Beweis, noch nicht einmal liegen belastbare Hypothesen vor, dass Ernährung vor Krebs schützt!“
Das Gros der untersuchten Beobachtungstudien hat dabei überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und Krebsrisiko gefunden. Und so lassen sich selbst anhand dieser schwachen Korrelationen aus 860 Meta-Analysen keine wirklich handfesten Hypothesen generieren, so dass die Wissenschaftler nur rudimentär empfehlen: „Im Bereich der öffentlichen Gesundheit und Politik sollten Anstrengungen unternommen werden, um vor den bekannten ernährungsbedingten Hauptrisikofaktoren für Krebs, im Speziellen Fettleibigkeit und Alkoholkonsum, zu warnen.“ Man beachte: Kein konkretes Wort zu Ernährung …
Kurzum: Wer Krebsschutz durch Obst und Gemüse, Lachs, Vollkornbrot oder was auch immer propagiert, der hat wahrscheinlich ‚vergessen‘, dass es keinerlei Beweise dafür gibt – sondern, wenn überhaupt, nur ein paar hoffnungsvolle Korrelatiönchen. Solche „protektiven Assoziationen“ zeigt das aktuelle Mega-Meta-Paper im Übrigen auch, beispielweise für Milch. Aber klar ist: Das sind nicht mehr als vage statistische Zusammenhänge, die nur zum Spekulieren und Philosophieren animieren… Das war´s auch schon. Denn diese Hypothesen in klinischen Studien mit harten Endpunkten zu belegen, das wird es nicht geben, weil solche Studiendesigns nicht realisierbar sind, da fernab der Realität. Und so macht diese Forschergruppe unmissverständlich klar: Auch weitere Studien werden an diesem Nichtwissen nichts ändern! Diese Erkenntnis ist im Übrigen nicht neu …
Fazit: Es existiert kein Beweis, noch nicht einmal liegen belastbare Hypothesen vor, dass Ernährung vor Krebs schützt!
Kommen wir nun zum zweiten aktuellen Paper mit überraschenden Erkenntnissen … Begünstigt Vegetarismus Depressionen? Diese Frage stellen Forscher der Universität Duisburg-Essen, die ebenfalls eine Metaanalyse durchgeführt haben – in dem Fall zum Zusammenhang zwischen vegetarischer Ernährung und psychischer Gesundheit. Einer der Autoren, Prof. Sebastian Ocklenburg, Biopsychologe an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) erklärt nochmal kurz, was eine Meta-Analyse auszeichnet: „Das ist eine komplexe statistische Methode, bei der wir die Ergebnisse vieler publizierter Studien zum Thema Depressionen und Vegetarier-sein miteinander integriert haben.“ Dazu analysierten die Wissenschaftler Daten von knapp 50.000 Menschen (8000 Vegetarier und 42.000 Fleischesser) und verglichen dabei die Punktwerte in Fragebögen zwischen den Gruppen. Und was beobachteten die Forscher aus dem Ruhrpott, unserem regionalem Herzen der Currywurst (ohne Hintergedanken!)?
„Der Konjunktiv regiert das Denken der Ernährungsforschung.“
„Wir konnten zeigen, dass Menschen, die sich vegetarisch ernähren, statistisch signifikant höhere Werte in Depressionsfragebögen aufweisen als diejenigen, die Fleisch essen“, so das Autorenfazit. Dazu sei angemerkt: Das ist wieder einmal nur ein statistischer Zusammenhang, nicht mehr – aber auch nicht weniger. Und genau solche Korrelationen offenbaren erneut eines der Kernprobleme der Ernährungsforschung, wie auch die hiesigen Forscher klar konstatieren: „Welchen [ursächlichen] Zusammenhang es dabei gibt, konnten wir auf Basis dieser Daten nicht bestimmen.“ Ergo bleibt die Frage nach Ursache und Wirkung, nach Henne und Ei – was war zuerst da und bedingt die Folge? Oder alles nur Zufall?
Im Zuge der aktuellen Diskussion stellen die Uni-Wissenschaftler fest, dass es wahrscheinlich nicht so ist, dass die vegetarische Ernährung Depressionen verursacht, sondern dass im zeitlichen Ablauf oft erst eine depressive Stimmung auftritt und dann eine Ernährungsumstellung erfolgt. Könnte sein. Könnte aber auch anders herum sein. Könnte, könnte, Knusperente. Der Konjunktiv regiert das Denken der Ernährungsforschung. Daher sei abschließend an das ökotrophologische Universalcredo erinnert: Nichts Genaues weiß man nicht. Und das wird auch immer so bleiben …
In diesem Sinne: Genießen Sie Ihr Essen, wenn Sie Hunger haben, weil Sie Lust darauf haben, weil es Ihnen schmeckt – und, das Wichtigste, weil Sie es gut vertragen (!) und das „wohlige Stöhnen aus der Tiefe des Bauches“ sowohl intuitiv als auch Ihrem gesunden Menschenverstand signalisiert: Das war eine richtig gute Mahlzeit. Genau das ist die einzig wahre, gelebte „Ernährungsforschung“, die individuell nur für Sie gilt. Echtes Wissen eben, entsprungen aus Ihrer „körpereigenen Forschungsstation“, die keine Fake News generiert, sondern Ihnen stets Ihre ganz eigene Wahrheit serviert. Alles andere ist und bleibt: Reine Spekulation, mehr nicht.