04.07.2014

Nächster Punktsieg für die Paternalisten

Analyse von Johannes Richardt

Wieder einmal sollen die Regeln für den Betrieb von Spielautomaten verschärft werden. Politisch herrscht ein breiter Konsens zur Einschränkung des Glücksspiels. Doch der Regulierungswahn betrifft nicht nur die Zocker, sondern uns alle.

Vorletzten Sonntag wurden die Pläne der schwarz-roten Bundesregierung zur Neufassung der sogenannten Spielverordnung (SpielV) [1] bekannt. Konkret geht es um neue, schärfere Regeln für den Betrieb von Geldspielautomaten.

Ab Herbst soll das faktisch in allen Daddelmaschinen hierzulande praktizierte „Punktespiel“ verboten werden, bei dem das eingeworfene Geld auf den Gerätdisplays nicht als Eurobetrag, sondern als über mehrere Stunden und Spiele speicherbare Punktzahl dargestellt wird. Die Bundesregierung sieht darin einen „Trick“ der Automatenbranche, um Spielerschutz und Suchtprävention dienende Regelungen zu Spieldauer, Höchsteinsatz oder Maximalverlusten auszuhebeln. Auch die Automatiktasten, durch die Spiele von allein neu gestartet werden, sollen verboten werden. In Kneipen und Gaststätten dürfen nur noch zwei statt wie bisher drei Automaten stehen und die stündlichen Maximalverluste und -Gewinne für Automatenspiele sollen reduziert werden. [2]

Dicke Kröten für die milliardenschwere Spielautomatenindustrie. Mit Inkrafttreten der neuen Spielverordnung sind nicht nur niedrigere Umsätze zu erwarten, die Aufsteller werden auch gezwungen, mehrere hunderttausend Maschinen überall im Land auszutauschen, umzurüsten oder abzubauen.

Eine Welle des Mitgefühls ist der Branche allerdings bisher nicht entgegengeschwappt. Zu groß scheint der Konsens hinsichtlich der Notwendigkeit schärferer Regeln. Die wenigen öffentlichen Wortmeldungen zum Thema gingen in ihrer Absicht, das Automatenspiel einzuschränken, meistens sogar noch deutlich über den aktuellen Entwurf hinaus [3].

„Wieso soll es Aufgabe des Staates sein, die Spieler davor zu bewahren, Dummheiten mit ihrem Geld zu begehen?“

Zockerei als Politikum

Legalität hin oder her; für viele ist das Geschäft mit den Groschengräbern eine zwielichtige und moralisch fragwürdige Angelegenheit: Bereicherung auf Kosten menschlicher Schwächen. Da mag auch was dran sein. Für Automatenspiele gilt das gleiche wie für die staatlichen Kasinos hierzulande oder jede andere Form des Glücksspiels, seit vor fünftausend Jahren die ersten Würfel aus Knochen und Elfenbein geschnitzt wurden: Auf lange Sicht gewinnt immer die Bank – und nur sehr sehr selten auch mal der Spieler.

Nur, wieso muss aus dieser wohlbekannten Einsicht folgen, dass es ausgerechnet Aufgabe des Staates sei, die Spieler davor zu bewahren, Dummheiten mit ihrem Geld zu begehen? Wieso wollen wir nicht einfach den Zockern die Entscheidung überlassen?

Nach Auffassung des federführenden Wirtschaftsministeriums von Sigmar Gabriel (SPD) geht es vor allem um den Schutz von Spielern mit einem hohen Suchtpotential. Klar: „Punktespiele“ und Automatiktasten spielen nicht in der gleichen Liga segensreicher Erfindungen wie Antibiotika, Glühbirne oder Wasserspülung, und die Welt wäre ohne sie wohl nicht unbedingt ein schlechterer Ort. Aber – und das ist entscheidend – heute gibt es bereits viel zu viele solcher „wohlmeinenden“ staatlichen Ver- und Gebote, die uns bei allen möglichen und unmöglichen Detailfragen unseres Lebens die „richtige“ Entscheidung erleichtern wollen.

Unter dem Vorwand, die Menschen vor welchem Missstand auch immer schützen zu wollen, mischt sich der Staat in immer mehr ehemals als privat erachtete Angelegenheiten seiner Bürger ein – egal ob es sich um Erziehung, Ernährung oder eben das Zocken handelt. Dabei sind gerade auch Glücksspielautomaten in den letzten Jahren immer stärker in den Regulierungsfokus interessierter politischer Kreise und einer therapeutisch-prohibitionistischen Lobby gerückt.

„Unter dem Vorwand, Menschen vor Missständen zu schützen, wird sich in immer mehr Privatangelegenheiten der Bürger eingemischt“

Bereits im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Novellierung des Anfang 2012 neu in Kraft getretenen Glückspielstaatsvertrags [4] und der seit Ende des gleichen Jahres gültigen neuen Gewerbeordnung [5] wurde heftig über strengere Auflagen für Spielorte und Spieler gestritten; einzelne Politiker träumten sogar öffentlich von generellen Aufstellverboten für Automaten oder „personengebundenen elektronischen Spielerkarten“ – natürlich inklusive Fingerabdruck - für Problemspieler. Auch die Debatte um die neue SpielV zieht sich bereits seit einigen Jahren hin und es war abzusehen, dass am Ende deutlich schärfere Regeln und Verbote stehen würden. [6]

Modediagnose Sucht

Theoretisch gerechtfertigt werden die Eingriffe vor allem mit dem Paradigma der Suchtprävention – einer Aufgabe, der sich der Staat immer mehr verpflichtet sieht. Schon lange gewöhnen wir uns immer mehr daran, menschliches Verhalten in Krankheitsbildern zu beschreiben. Ein seit Jahren sukzessive erweiterter Suchtbegriff erfasst mittlerweile eine Vielzahl wieso auch immer als problematisch angesehener Verhaltensweisen – von der Sexsucht bis hin zur Arbeitssucht. Durch Verbote, technische Regeln und Therapieangebote sollen angeblich suchtgefährdete Personen vor sich selbst geschützt werden, da ihnen kaum noch zugetraut wird, problematische Lebensphasen aus eigener Anstrengung heraus überwinden zu können. Dabei ist zu beobachten, dass der Kreis derjenigen Menschen, die als schützenswert gelten, immer größer wird und die Maßnahmen zu ihrem Schutz immer auch Menschen betreffen, die überhaupt kein Suchtverhalten an den Tag legen.

Der Fokus staatlicher Suchtbekämpfung liegt dabei neben den „illegalen Drogen“ vor allem beim Alkohol- und Tabakkonsum und eben immer stärker auch beim Glücksspiel. Im aktuellen Jahrbuch Sucht [7] der teils steuerfinanzierten „Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen“ wird in diesem Kontext gar von einer „Suchtgüterindustrie“ gesprochen, ganz so als sei Rauchen, Trinken und Spielen automatisch mit Suchtverhalten gleichzusetzen. Aus dieser Perspektive gerät leicht aus dem Blick, dass nur eine verschwindend geringe Minderheit der Spieler (ebenso wie der Alkohol- oder Tabakkonsumenten) tatsächlich ein krankhaftes Verhalten an den Tag legt.

„Die allermeisten Menschen wissen, was sie tun, wenn sie ihr Geld in Spielautomaten werfen“

Jeder zweite Deutsche spielt hin und wieder – die Gründe können vielfältig sein: Entspannung, Eskapismus oder die Hoffnung auf schnelles Geld. Die Suchtprävalenz, also die Häufigkeit kranhaften Suchtverhaltens, liegt verschiedenen Studien zufolge irgendwo zwischen 0,2 und 0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. [8] Sicherlich werden die neuen Regeln dem Spielvergnügen der 99,x Prozent normaler Spieler keinen großen Abbruch tun, weniger jedenfalls als manche der ebenfalls diskutierten, härteren Maßnahmen. Ob sie allerdings den pathologischen Fällen wirklich weiter helfen, darf bezweifelt werden – wahrscheinlich werden diese sich einfach Ersatz suchen, etwa bei der staatlichen Konkurrenz der Lottogesellschaften oder Kasinos…

Und es stellt sich noch eine weitere, grundsätzlichere Frage: Möchten wir wirklich in einem Staat leben, der es sich zur Aufgabe macht, jegliches Verhalten zu regulieren, das gelegentlich auch destruktive Folgen haben kann? Jedes Mal, wenn wir ins Auto steigen, können wir einen Unfall verursachen, beim Bungeejumping kann das Seil reißen, die Liebe kann uns das Herz brechen. Oder wie wäre es mit der Politik? Auch dort sollen Entscheidungen manchmal mit unerfreulichen Nebenwirkungen für den ein oder anderen verbunden sein. Auch verbieten? Eine Gesellschaft, die nicht mehr zulässt, dass Menschen falsche Entscheidungen treffen, Risiken falsch einschätzen oder sich in ihr eigenes Unglück stürzen, wäre nicht frei, sie wäre monströs.

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