28.08.2013

Martin Luther King: Der Traum ist noch nicht ausgeträumt

Kommentar von Brendan O’Neill

Kings „I Have a Dream“-Rede ist ein Höhepunkt der Moderne. Heute tun wir uns schwer damit, das zu verstehen, meint Brendan O’Neill, Chefredakteur des Novo-Partnermagazins Spiked. Als Antiamerikanismus getarnter Antimodernismus macht uns taub für ihren progressiven Gehalt.

Heute ist der fünfzigste Jahrestag von Martin Luther Kings „I have a dream“-Rede, die er auf der National Mall in Washington DC am 28. August 1963 gehalten hat. Heute nach 50 Jahren fasziniert sie vor allem durch ihr Vertrauen in den amerikanischen Traum. Denn heute gilt es als hip, wenn man auf Amerika als ein Land der Shoppingsüchtigen und fetten Rednecks herabschaut. Es ist hip, überhaupt alles Amerikanische zu verachten. Doch King und seine Zuhörer waren von der amerikanischen Idee und dem amerikanischen Projekt leidenschaftlich angetan. Er benutzte eine eindrucksvolle, kapitalistische Rhetorik und sagte seinen Zuhörern, dass „wir uns weigern zu glauben, dass die Bank der Gerechtigkeit bankrott ist. Wir weigern uns zu glauben, dass uns die Mittel in den großen Schatzkammern der Möglichkeiten dieses Landes ausgehen.“ King verkündete, dass sein Traum von der Gleichheit der Rassen „tief im amerikanischen Traum verwurzelt ist“.

Die mittlerweile in Mode gekommene Ablehnung des amerikanischen Lebensstils, des Konsumismus und des Wohlstands, war mit King nicht zu haben. Im Gegenteil verkündete er, die Schwarzen hätten genug davon, auf „der einsamen Insel der Armut“ zu leben und sehnten sich stattdessen danach, den „unermesslichen Ozean des materiellen Wohlstands“ zu durchschreiten. Mit King gab es keinen Spott über Amerikas Versprechen von Vermögen und unbegrenzten Möglichkeiten für seine Bürger – „jetzt ist die Zeit, die Tore der Möglichkeit für alle Kinder Gottes zu öffnen“, waren seine Worte. Mit King gab es keinen Hohn über die Gründungsväter Amerikas, die von der radikalen Linken in den letzten Jahren als rassistisch und böse diffamiert worden sind (in den Worten des Magazins The Nation aus dem letzten Monat: Thomas Jefferson war ein „sklavenhaltender Vergewaltiger“). Stattdessen hielt er die „großartigen Worte der Verfassung und der Unabhängigkeitserklärung“ hoch und trat ein für die „unveräußerlichen Rechte auf Leben, Freiheit und die Suche nach dem Glück“.

Wer mit den Füßen zum Takt von Green Days Song „American Idiot“ wippt, während er über das Scheitern des amerikanischen Traumes lacht, gilt heute als cooler Typ.“

Im Vorfeld zum fünfzigsten Jahrestag dieser Rede ist ausführlich diskutiert worden, welche Veränderungen es seitdem gegeben hat, insbesondere für Afro-Amerikaner. Die durchschlagendste und dramatischste Veränderung der letzten 50 Jahre war wohl die Wandlung unserer Haltung zur amerikanischen Idee. Sogenannte Liberale und Linke werden heute nur noch durch billigen Anti-Amerikanismus zusammengehalten. Wer mit den Füßen zum Takt von Green Days Song „American Idiot“ wippt, während er – wider besseres Wissen – über das Scheitern des amerikanischen Traumes lacht, gilt heute als cooler Typ. Amerika wird allgemein sowohl von linken Aktivisten, als auch von Intellektuellen als dumm, fett, umweltverschmutzend, rücksichtslos und unfreiwillig lächerlich angesehen. So schrieb etwa das Magazin New Statesman nach dem 11. September, das von Narzissten und Säufern gegründete Amerika habe sich mittlerweile zu einer „gierigen und überheblichen Macht“ entwickelt.

Während die unterdrückten Schwarzen auf Washington zu marschierten, um am amerikanischen Traum teilhaben zu können, wollen sogenannte Radikale heutzutage nur noch aus ihm ausbrechen. Sie lieben nichts mehr, als sich über die vielen amerikanischen Mythen lustig zu machen, und zwar aus einer komfortablen, sicheren Distanz heraus. Tatsächlich gab es bereits 1963 diesen tiefen Graben zwischen mittelosen Schwarzen, die Anteil haben wollten an dem historischen Versprechen Amerikas und seinem „unermesslichen Ozean des materiellen Wohlstands“, und den gut weggekommenen, größtenteils weißen Radikalen, die sich nur über Amerika lustig machen wollen. Als Dr. King und seine Anhänger dafür protestierten, den vollen und freien Zugang zum „American Way of Life“ zu erhalten, bildete sich zur selben Zeit in Amerika eine Neuen Linke aus, die diesen „Way of Life“ lieber nur verspotten wollte.

Was sich hinter dem modischen Anti-Amerikanismus verbirgt, ist in Wirklichkeit Anti-Modernismus – eine Aversion gegen die moderne Welt“

In den späten 1950ern und frühen 1960ern, als Schwarze „gelähmt durch die Fesseln der Rassentrennung“ (King) noch immer trotzig vom amerikanischen Traum schwärmten, sahen wohlhabende Beatniks, ebenso wie die sich entwickelnde, grün orientierte und konsumfeindliche Hippiegeneration in Amerika nur noch einen Alptraum. Als King und tausende andere Schwarze (und Weiße) sich versammelten, um ihren politischen Anspruch auf die „Schatzkammern der Möglichkeiten“ zu artikulieren, ließ die Beat-Generation – in den Worten Jack Kerouacs – „verrückte, erleuchtete Hipster“ entstehen, die „aus dem toten Wandfenster unserer Zivilisation starren“ und dabei einen „melancholischen Spott“ über das moderne Amerika trieben. Verarmte Schwarze wollten am freien und reichen Amerika teilhaben, das von den verhätschelten weißen Radikalen als ein Land von Stumpfsinnigen und „Heuchlern“ betrachtet wurde, das sie lieber früher als später verlassen wollten – zumindest mental. Der Unterschied zwischen Kings Armee und der Beat-Generation kam sogar in ihrer Kleidung zum Ausdruck: Die schwarzen Demonstranten trugen ihre beste Sonntagskleidung, um ihre Achtbarkeit und ihr Recht zu demonstrieren, am Wesen der amerikanischen Mainstream-Gesellschaft teilzuhaben. Währenddessen lehnten die Beatniks es ab, Anzüge und Krawatten zu tragen, um damit auf lässige Weise zu zeigen, dass sie keine Sklaven des konsumistischen, umweltverschmutzenden amerikanischen Traums seien und sich nicht ins „9-to-5“-Hamsterrad einfügen wollen.

Leider hat die Weltanschauung der Beatniks überlebt, während die Ansichten Kings und sein Vertrauen in den amerikanischen Traum tot sind oder zumindest schwer in die Jahre gekommen zu sein scheinen. Wer heute als Radikaler ernst genommen werden will, der macht seine Witze über Amerika und außerdem ein Riesenspektakel aus der eigenen Coolness, die darin besteht, nicht auf die hohlen Versprechungen der mächtigen Nation reinzufallen. Was sich hinter dem modischen Anti-Amerikanismus verbirgt, ist in Wirklichkeit Anti-Modernismus – eine Aversion gegen die moderne Welt, die Amerika noch immer eindrucksvoll verkörpert. Amerika, das nur so strotzt von Superlativen, dicken Autos, immensen Wolkenkratzern, von unbegrenzten Möglichkeiten und den Bekenntnissen zu einer auf die Freiheit eingeschworenen Verfassung. Wenn Kings Rede uns heute aus einer anderen Welt zu kommen scheint, dann weil King und seine Anhänger an der Spitze der Modernität standen und wir den Wert dieser Modernität heute nicht mehr verstehen.

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