16.03.2017

Lebensmittelampel? Nein Danke!

Kommentar von Thilo Spahl

Titelbild

Foto: Health Gauge via Flickr / CC BY 2.0

Bevormundende Produktkennzeichnung wird nicht besser, wenn sie in Zukunft von Nestlé oder Coca-Cola kommt.

Sechs große Konzerne (Unilever, Mars, Nestlé, Coca-Cola, PepsiCo, Mondelez) haben letzte Woche angekündigt, eine sogenannte Nährwertprofil-Ampel einzuführen, also eine farbliche Kennzeichnung auf der Vorderseite der Produktverpackung, die deutlich macht, ob jeweils eher viel oder eher wenig Fett, Zucker und Salz enthalten ist.

Sie geben damit dem Druck nach, den Politiker und Verbraucheraktivisten seit vielen Jahren ausüben. Die behaupten, es würde uns zu schwer gemacht, uns gesund zu ernähren, weil es so schwierig sei, herauszufinden, welche Produkte gut für uns sind. Deshalb müssten rote Finger-Weg-Punkte, gelbe Vorsicht-Punkte und grüne Rein-in-den-Einkaufswagen Punkte auf die Packung.

Vor allem das mit den grünen Punkten leuchtet der Industrie natürlich ein. Deshalb schwebt ihr offenbar ein Ausweg über die Portionsgröße vor. Die Kennzeichnung soll sich auf Portionen beziehen. Wenn man sagt, dass 30 Gramm Cornflakes eine Portion sind, dann ist in dieser Portion natürlich nur 30 Prozent von dem Zucker drin, der in einer 100-Gramm-Portion wäre. Durch geschicktes Bemessen der Portionsgröße können so die Zahlen gering und möglichst viele Punkte grün gehalten werden.

„Durch geschicktes Bemessen der Portionsgröße können die Zahlen gering und möglichst viele Punkte grün gehalten werden“

Aber diese Rechnung wird natürlich nicht aufgehen. Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), kritisierte umgehend: „Auch wenn die Hersteller sich erfreulicherweise nicht länger dem Prinzip einer Ampelkennzeichnung verschließen, ist der heute vorgestellte Ansatz der Hersteller auf Basis von Portionsgrößen aus Verbrauchersicht nicht akzeptabel." Die Verbraucherschützer fordern einen einheitlichen Bezugswert von 100 Gramm oder 100 Milliliter. "Es ist Verbrauchertäuschung, wenn Zucker-, Fett- oder Salzgehalt pro Portionsgröße und nicht pro 100 Gramm den Ausschlag geben", sagt auch Nicole Maisch, Sprecherin für Verbraucherpolitik bei den Grünen im Bundestag. Außerdem müssten die „laschen Vorgaben der EU Kennzeichnungsverordnung“ verschärft werden.

Über den fehlenden Applaus brauchen sich die Konzerne nicht zu wundern. Glauben sie wirklich, sie könnten sich auch als Verbraucherschützer profilieren? Es hört sich so an. Ein Sprecher von Nestlé sagte gegenüber dem stern: "Wir wollen mit der Initiative die Verbraucher schnell und sichtbar informieren. Das Ziel ist es, Kunden im Supermarkt bei der Kaufentscheidung zu unterstützen." Aber darum geht es nicht. Weder Mars, noch den Verbraucherzentralen oder Foodwatch. Es geht nicht um Information. Es geht nicht um Transparenz. Es geht um Bevormundung. Und deshalb ist es ein großer Fehler der Industrie, sich auf die Ampelei einzulassen.

Es geht nicht um Information

Die Information ist längst da. Auf der Vorderseite der Verpackung befindet sich schon lange ein Symbol, das über den Energiegehalt pro Portion informiert – entweder in Prozent des empfohlenen Tageswertes oder als absoluter Wert. Auf der Rückseite ist eine Nährwerttabelle mit den acht wichtigsten Nährstoffen (Energie, Eiweiß, Kohlenhydrate, darunter Zucker, Fett, darunter gesättigte Fette, Ballaststoffe und Salz). Die Werte werden sowohl für eine Portion als auch pro 100 Gramm beziehungsweise Milliliter angegeben. Zusätzlich wird für Energie, Zucker, Fett, gesättigte Fette und Salz der prozentuale Anteil an der empfohlenen Tagesmenge des Nährstoffes angegeben, den man mit einer Portion zu sich nimmt. Wer das alles wissen will, kann es also leicht finden. Es will aber keiner wissen. Und genau deshalb wird so vehement die Einführung der Ampel gefordert.

Die Ampel bietet keine weiteren Informationen. Aber sie geht dennoch viel weiter. Und zwar in die falsche Richtung. Sie interpretiert die Information für den Verbraucher und übersetzt sie in einen Warnhinweis (rot), respektive eine Empfehlung (grün). Auf jedem Produkt soll also eine Produktbewertung angebracht werden. Wir sollen nicht nach Geschmack, nach Lust und Laune, nach Gutdünken, nach eigenen Kriterien einkaufen, sondern nach den Vorgaben von wie auch immer legitimierten Experten.

„Sind jetzt Foodwatch und Unilever für die Erziehung von Mutter und Kind zuständig?“

Die Essenswächter sind sich offenbar einig darin, dass dies dringend erforderlich ist. Als unverantwortlich gilt es, uns selbst zu überlassen, was wir uns so den Tag über schmecken lassen. Unverantwortlich ist es offenbar, wenn wir selbst entscheiden, ob wir uns über Zucker und Fett Gedanken machen wollen, oder nicht.

Früher war es der Job von Mars, leckere Schokoriegel zu machen. Heute ist es der Job, leckere Schokoriegel zu machen und die Menschen beim verantwortungsbewussten Verzehr anzuleiten. Das ist eine Aufgabe zu viel. In welcher Welt leben wir? Gibt es keine Erwachsenen mehr? Gibt es keine Eltern mehr? Sind jetzt Foodwatch und Unilever für die Erziehung von Mutter und Kind zuständig?

Ach ja. Es geht ja nicht um Anouk Henriette und Malte Sebastian. Es geht um Kevin und Mandy, um die besonders verletzlichen Kinder der Unterschicht. So wähnen sich die Volkserzieher vom vzbv auch noch auf einer Mission gegen soziale Benachteiligung:  "Sind Zucker- und Fettfallen schon beim Einkauf auf den ersten Blick eindeutig erkennbar, wäre das aus Sicht der Verbraucherzentralen besonders hilfreich für benachteiligte Familien", heißt es auf der Webseite ampelcheck.de.

Ob die rote Kennzeichnung genügt? Sollte man nicht vielleicht noch etwas deutlicher werden? Wir wissen doch, die Menschen sind schwach. Ein kleiner Stromschlag beim Griff ins Süßigkeitenregal – wäre das nicht vielleicht noch effektiver? Oder auf alle Frühstücksflockenkartons Bilder von dicken Kindern mit verpixeltem Gesicht drucken? Würde man sich damit nicht noch verdienter machen um die Volksgesundheit?

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