07.09.2017

Israelkritik als Judenhass

Von Daniel Ben-Ami

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Foto: Buecherwurm_65 via Pixabay / CC0

Seit dem Sechstagekrieg gilt Israel vielen Kritikern als Apartheidsstaat. Die Obsession mit israelischer Politik befördert Antisemitismus.

Vor 50 Jahren erlitt die arabische Welt ein schweres Trauma. Im Juni 1967 hatte der winzige Staat Israel in nur sechs Tagen die Armeen Ägyptens, Jordaniens und Syriens vernichtend geschlagen. Regime, die von sich behaupteten, die geballte Macht der arabischen Massen und des Antiimperialismus zu verkörpern.

Um zu verstehen, warum dieser Sieg die arabische Welt derart erschütterte, muss man zunächst einen Blick auf die Landkarte der Region werfen, wie sie damals bestand. Sie zeigt den winzigen Staat Israel, der von seinen erheblich größeren Nachbarn umringt ist. Schlimmer noch: Im Verhältnis zur Gesamtgröße waren Israels Grenzen sehr lang und somit schwer zu verteidigen. Am engsten Punkt betrug die Distanz zwischen Israels Grenze mit dem Westjordanland (damals Teil Jordaniens) und dem Mittelmeer nur 15 Kilometer – eine Autofahrt von wenigen Minuten.

Auch nach anderen Gesichtspunkten war Israel seinen Nachbarstaaten unterlegen. Zum Beispiel lebten 1967 etwa 2,7 Millionen Menschen in Israel. Ägypten hingegen hatte 32,4 Millionen Einwohner, Syrien 5,8 Millionen und Jordanien 1,3 Millionen. Israels Bruttoinlandsprodukt belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 1,4 Milliarden US-Dollar. Dagegen standen 5,6 Milliarden US-Dollar in Ägypten, 1,6 Milliarden in Syrien und 631 Millionen in Jordanien. Bezieht man die vielen arabischen Staaten mit ein, die Israels Nachbarn unterstützt haben, wird diese Diskrepanz noch größer.

„Der Sechstagekrieg wurde zur Demütigung der arabischen Regime.“

Manche meinen, solche Vergleiche würden Israels Stärke kleinreden – so war die israelische Armee im Vergleich zu den arabischen Truppen besser ausgerüstet und ausgebildet ­– aber diese Debatten lenken vom eigentlichen Kern des Problems ab. Der wesentliche Punkt ist, dass sich die panarabische Vision der arabischen Regime 1967 zu einer realen Bedrohung für Israel entwickelte. In diesem Jahr konzentrierte Ägypten Truppen auf der Sinai-Halbinsel. Außerdem blockierte Ägypten die Straße von Tiran für die israelische Schifffahrt und schnitt das Land somit vollständig von seinem Zugang zum Roten Meer ab.

Am Ende wurde der Konflikt zur Demütigung für die arabischen Regime. Die israelische Armee flog einen präventiven Luftangriff und zerstörte damit den Großteil der ägyptischen Luftwaffe sprichwörtlich am Boden. Den folgenden Angriff syrischer und jordanischer Bodentruppen konnte Israel schnell abwehren. So errang Israel in weniger als einer Woche einen spektakulären Sieg gegen die vereinten arabischen Kräfte.

Israel übernahm im Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem) und im Gazastreifen die Kontrolle. Heute gelten die Grenzen vor 1967 als „grüne Linie“ zwischen Israel, wie es zuvor bestanden hatte, und den palästinensischen Gebieten, die im Sechstagekrieg eingenommen wurden. Israel eroberte außerdem die Golanhöhen von Syrien und die Sinai-Halbinsel von Ägypten. Erst mit dem Friedensvertrag von 1979 wurde der Sinai wieder zu ägyptischem Hoheitsgebiet.

50 Jahre „Apartheid“?

Heute werden die Ereignisse von 1967 von vielen als Ausgangspunkt für eine Politik betrachtet, die als „Apartheid“ bezeichnet wird. Mehr als 2,7 Millionen Palästinenser leben im Westjordanland und weitere 1,9 Millionen im Gazastreifen. Dem gegenüber stehen circa 8,7 Millionen israelische Staatsbürger, von denen wiederum etwa 1,8 Millionen Palästinenser sind. In der Region leben also 6,5 Millionen israelische Juden und etwa dieselbe Zahl an Palästinensern.

Auch wenn die Grenzen des Westjordanlands und des Gazastreifens durch Israel kontrolliert werden, behält die palästinensische Bevölkerung einen gewissen Grad politischer Autonomie in diesen Gebieten. 2005 zog Israel eigenmächtig Truppen aus Gaza ab und räumte alle Siedlungen; seit 2006 herrscht die islamistische Hamas-Bewegung über die palästinensische Enklave. Nichtsdestotrotz werden die Land-, See- und Luftraumgrenzen noch immer durch israelische Truppen überwacht (mit der Ausnahme der Grenze zur Sinai-Halbinsel, die durch ägyptische Kräfte gesichert wird).

Noch komplizierter ist die Situation im Westjordanland. Einige Gebiete stehen unter der Kontrolle der palästinensischen Behörden, andere unterliegen israelischer Zuständigkeit und wieder andere einer gemeinsamen Führung. Das Gebiet wird außerdem von ungefähr 600.000 israelischen Siedlern bewohnt, die häufig in Konflikte mit den Palästinensern geraten.

„Verglichen mit den Bollwerken, die Migranten von der EU fernhalten sollen, wirkt Israels Grenzanlage beinahe winzig.“

Auf diesem Flickwerk gründet die Behauptung, Israel sei ein „Apartheidsstaat“. Der konkrete Vorwurf lautet, die palästinensische Bevölkerung des Westjordanlandes und des Gazastreifens würde systematisch diskriminiert. Es werde eine Politik der „hafrada“ (hebräisch für „Trennung“) betrieben, also die systematische Segregation von Israelis und Palästinensern, wobei letztere angeblich als Menschen zweiter Klasse behandelt würden. Als wichtigstes Element dieser Teilung gilt die schwer befestigte Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland (die nicht exakt Israels Grenzen von 1967 entspricht). Israel begann 1990 mit der Errichtung der Anlage – als Antwort auf eine Welle von Selbstmordattentaten gegen Israelis.

Zweifellos erschwert die Trennung das Pendeln und Reisen für Palästinenser. Trotzdem ist die Art und Weise, wie Israel verurteilt wird, extrem problematisch. Stets bezeichnet man Israel als „Apartheidsstaat“ – ein Etikett, das für kaum ein anderes Land verwendet wird. Diesen Begriff ausschließlich im Zusammenhang mit Israel zu benutzen, unterstellt mehr als gelegentliche Diskriminierung; es stellt Israels Handlungen als beispiellos abscheulich dar.

Internationaler Vergleich

Die Einseitigkeit dieses Vorwurfs sollte jedem auffallen, der auch nur über ein bisschen Verständnis der aktuellen Weltlage verfügt. Man nehme zum Beispiel Israels Grenzanlage: Verglichen mit den Bollwerken, die Migranten von der Europäischen Union fernhalten sollen, wirkt sie beinahe winzig. Der „Grenzschutz“ der EU umfasst beträchtliche Seestreitkräfte sowie weitläufige Sperranlagen entlang der griechisch-türkischen Grenze. Über die Jahre sind viele Tausend Menschen im Meer ertrunken oder bei dem Versuch erstickt, das europäische Festland zu erreichen; dennoch wird die EU nie beschuldigt, eine Politik der Apartheid oder „hafrada“ gegen Nicht-EU-Bürger zu betreiben.

Israel kann sich zumindest darauf berufen, einer existenziellen Bedrohung gegenüber zu stehen. Die Mehrheit der arabischen Staaten weigert sich noch immer, Israel anzuerkennen und islamistische Gruppierungen drohen dem Land regelmäßig mit der totalen Vernichtung. Niemand würde hingegen ernsthaft behaupten, dass die EU bald von Außenstehenden zerstört werden könnte. Trotzdem trifft die härteste Kritik stets Israel.

„Die härteste Kritik trifft stets Israel.“

Sehr erhellend ist auch der Vergleich zwischen der internationalen Verurteilung Israels und unserer Sicht auf den Konflikt in Syrien. Im syrischen Bürgerkrieg sind nach neuesten Schätzungen fast eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen. Mehr als zehn Mal so viele wurden vertrieben oder sind ins Ausland geflüchtet. Obwohl Israels Beziehung zu den Palästinensern schwer gestört ist, erscheint das Land im Vergleich zu seinem Nachbar Syrien wie eine Oase der Stabilität. Die Kritik an islamistischen Gruppen wie ISIS ist im Westen besonders verhalten. Dabei ist das Ziel der Islamisten nicht nur die Diskriminierung, sondern der systematische Mord an großen Teilen der von ihnen kontrollierten Bevölkerung ­– einschließlich religiöser Minderheiten und gemäßigter Muslime.

Überall auf der Welt beobachten wir systematische Intoleranz und Blutvergießen. Da wäre zum Beispiel der anhaltende Krieg der Türkei gegen die Kurden; oder die humanitäre Katastrophe im Jemen, bei der saudische Luftangriffe eine Schlüsselrolle spielten; oder der andauernde Konflikt in Afghanistan, das seit Jahrzehnten unter den militärischen Interventionen anderer Staaten leidet; oder das Schicksal der muslimischen Minderheit der Rohingya in Myanmar. Die Liste könnte so noch lange weitergeführt werden – und dennoch ist es einzig Israel, das als „Apartheidsstaat“ gebrandmarkt wird.

Die unterschwellige Botschaft ist nicht nur, dass Israel die Palästinenser unter bestimmten Umständen diskriminiert – vielmehr wird angedeutet, dass Israel besonders bösartig agiert. Freilich würden die meisten, die Israel als „Apartheidsstaat“ kritisieren, den Vorwurf des Antisemitismus empört von sich weisen. Aber wie sonst gelangt man zu einer solchen Schlussfolgerung? Warum sonst sollte man sich derart auf Israels Probleme versteifen, während über andere Krisenherde nur wenig oder gar nicht gesprochen wird? Und warum wird der Apartheidsvorwurf allein und ausschließlich mit dem jüdischen Staat in Verbindung gebracht?

Die arabische Welt

Um verstehen zu können, wie diese Gewohnheit sich entwickelt hat, muss die Diskussion in der arabischen Welt, innerhalb Israels und im Westen kurz etwas näher betrachtet werden. Lange bevor es im Westen zur Gewohnheit wurde, hatten arabische Regime und deren Partner Israel als abgrundtief böse bezeichnet. Zum Teil war dies eine Reaktion auf die katastrophale Demütigung im Sechstageskrieg. Ebenso ist diese Haltung aber auch als Reaktion auf die Entwicklungen innerhalb der arabischen Welt selbst zu verstehen.

„Die arabischen Staaten befanden sich oft selbst im Konflikt mit den Palästinensern.“

Vor Juni 1967 konnten die arabischen Regime sich als unangefochtene Herrscher der arabischen Massen präsentieren und als Bollwerk im Kampf gegen Israel. Nach dem Krieg aber war ihre Legitimität ernsthaft untergraben. Infolgedessen konzentrierte man seine rhetorische und materielle Unterstützung auf die kürzlich entstandene Bewegung des palästinensischen Nationalismus. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) zum Beispiel wurde 1964 gegründet, erhielt aber erst nach dem Krieg 1967 neuen Auftrieb.

Die arabischen Staaten versuchten, die PLO in eine konservativere Richtung zu lenken und fanden sich oft im Konflikt mit den Palästinensern selbst wieder. 1970 kam es zum sogenannten „Schwarzen September“, einer blutigen Auseinandersetzung zwischen dem jordanischen Regime und den palästinensischen Fedajin (Guerillakämpfer). Im Sommer 1971 wurde die Führung der PLO dann von Jordanien in den südlichen Libanon verwiesen.

Obwohl der Libanon an Israel grenzt, hielt es sich aus dem direkten militärischen Konflikt zunächst heraus. Dennoch bedrohte die starke Präsenz bewaffneter Palästinenser (von denen viele schon nach der Gründung Israels in den Libanon geflohen waren) die Stabilität im Land. Darin liegt die Ursache für den Ausbruch eines blutigen Bürgerkriegs im Libanon, der sich vom April 1975 bis in die 1990er Jahre zog. Die Palästinenser allerdings tragen nicht gänzlich oder hauptsächlich die Schuld an der Situation. Es war viel mehr deren reine Präsenz, die das empfindliche Gleichgewicht im Libanon zum Kippen brachte.

„Die Stigmatisierung Israels nutzten die arabischen Regime zu ihrer eigenen Legitimation.“

Der Konflikt der arabischen Regime mit Israel sowie die Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Grenzen schufen gleichermaßen die Basis für die berüchtigte UN-Resolution „Zionismus ist Rassismus“. Im November 1975 wurde diese Resolution 3379 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommen. Obwohl die Resolution mit einer feierlichen Verurteilung aller Formen von Rassendiskriminierung beginnt, fokussiert sie sich im Folgenden auf Israel allein. Sie hebt auch die Verbindungen zwischen Israel auf der einen Seite und Südafrika sowie Simbabwe (beide damals unter der Kontrolle weißer Minderheiten) auf der anderen hervor: „Das rassistische Regime im besetzten Palästina und die rassistischen Regime in Simbabwe sowie Südafrika haben einen gemeinsamen imperialistischen Ursprung, bilden ein Ganzes mit derselben rassistischen Struktur und sind in ihrer auf Unterdrückung der Würde und Integrität von Menschen gerichteten Politik untrennbar verbunden.“

Diese Resolution, unterstützt von den arabischen Staaten, setzte sich in der UN-Vollversammlung mit großer Mehrheit durch. Erst 1991 wurde sie widerrufen, lange nachdem die besondere Bösartigkeit Israels – zumindest in den meisten Entwicklungsländern – längst als Tatsache anerkannt worden war. Zwei weitere Passagen dieser fatalen Resolution sind nennenswert. Erstens: Obwohl die Resolution den Begriff „Zionismus“ viermal verwendet, bezieht sie sich in keinem Punkt auf Israel. Es wirkt so, als dürfe dieses übermächtige Land nicht einmal beim Namen genannt werden. Zweitens: Vielleicht noch wichtiger ist der Umstand, dass das palästinensische Volk nicht erwähnt wird. Auf das „rassistisches Regime im besetzten Palästina“ wird an einer Stelle hingewiesen, eine Nennung der Palästinenser selbst erfolgt jedoch nicht. Die arabischen Staaten und deren Unterstützer nutzen jede Gelegenheit, den Zionismus heftig zu kritisieren, schrecken aber im selben Zug davor zurück, den Palästinensern aus Fleisch und Blut tatsächlich zu helfen. Lieber stürzen sie sich auf den Zionismus als frei flottierendes Übel, das jeden anständig Denkenden anwidere.

Die Stigmatisierung Israels war für die arabischen Regime also vor allem eine Möglichkeit, ihre eigene Legitimität zu stärken. Sie erlaubte ihnen, sich selbst als Gegengewicht zu Israels vermeintlich schändlicher Macht darzustellen. Natürlich hinderte diese Position die lokalen Regime nicht daran, jede palästinensische Opposition gewaltsam niederzuschlagen, sobald man in ihr eine Bedrohung sah.

Israelische Debatte

Um die Apartheidsvorwürfe in ihrer Gänze zu erfassen, muss man auch die Debatte innerhalb Israels betrachten. Das ist schon allein deshalb notwendig, weil Gegner von außen die Argumente dieser Debatte gegen Israel ins Feld führen. Zunächst einmal haben viele populäre israelischen Politiker vor der Gefahr gewarnt, Israel könne sich zu einem Apartheid-Staat entwickeln oder bereits einer sein. Das schließt auch ehemalige Premierminister wie Jitzchak Rabin, Ehud Barak und Ehud Olmert ein.

„Die internen Kritiker betrachten Israel für gewöhnlich nicht als Ausgeburt des Bösen.“

Andere Israelis wählen sogar noch schärfere Töne. Da wäre zum Beispiel der jüngste TV-Monolog von Assaf Harel, einem bekannten israelischen Moderator, Autor und Schauspieler: Harel zerreißt die israelische Politik und Haltung gegenüber den Palästinensern schonungslos. In Amerika oder Großbritannien findet sich kaum jemand, der so entschlossen für die Demokratie im eigenen Land einsteht. Dagegen machen etliche westliche Comedians die Demokratie eher zur Zielscheibe ihres Spottes; man denke nur an die spöttische Attitüde vieler britischer Comedians gegenüber dem Brexit.

In jedem Fall besteht zwischen der inländischen israelischen Kritik und den ausländischen Gegnern Israels ein entscheidender Unterschied. Die internen Kritiker betrachten Israel für gewöhnlich nicht als Ausgeburt des Bösen (von einigen Ausnahmen abgesehen). Aus ihrer Sicht befindet sich Israel in einem Zustand, der weder Krieg noch Frieden ist. Sie lehnen Israels Besetzung des Westjordanlandes und die Kontrolle über Gaza ab; ebenso wie die Konsequenzen, die dies für die israelische Gesellschaft hat. Außerdem bedauern sie, dass kein Frieden in Aussicht scheint. Aber sie sehen Israel nicht als allgegenwärtige Macht des Bösen, das sich in seiner Abscheulichkeit von allen anderen Regimen abhebt.

Boykottiert den Judenstaat

Die westliche Debatte über Israel als Apartheidsstaat ist ein relativ neues Phänomen. Wirklich in Bewegung kam sie eigentlich erst ab dem Jahr 2000. Im April 2002 sandten zwei britische Akademiker einen offenen Brief an The Guardian, in dem sie einen Stopp aller kulturellen und Forschungsbeziehungen zu Israel forderten. Im Juli desselben Jahres war die Anzahl der unterzeichnenden Akademiker von 100 auf über 700 gestiegen. Darüber hinaus kam diese Unterstützung aus vielen verschiedenen Ländern. Seitdem hat der Aufruf zum Boykott und zur Isolation Israels an Gehör gefunden.

Eine Gruppe von palästinensischen NGOs rief 2005 dann die Bewegung „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS)“ ins Leben. Die Kampagne verurteilt Israel explizit als Apartheidsstaat. Die BDS macht dabei klar, dass die Verwendung des Begriffes „Apartheid“ nicht von Ähnlichkeiten zwischen der israelischen Politik und der Apartheid in Südafrika abhängt. Stattdessen berufe man sich auf die Definition des Begriffes, wie er sich im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes von 2002 findet. Dieses Dokument bezieht sich wiederum auf „institutionalisierte Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen durch eine andere und in der Absicht, dieses Regime aufrechtzuerhalten.“

„Die ‚Israel Apartheid Week‘ ist an Universitäten zu einem jährlichen Ritual geworden.“

Selbst wenn diese Definition gälte – und daran lässt sich mit guten Gründen zweifeln –, stellt sich doch wieder einmal die Frage, warum Israel ausgesondert wird. Es gibt etliche Beispiele anderer Regime überall auf der Welt, die dieser Charakterisierung entsprechen und trotzdem nicht isoliert werden. Was ist mit den Millionen koptischen Christen in Ägypten? Oder der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien? Oder den Kurden in der Türkei? Oder den zahllosen anderen Beispielen von unterdrückten Menschen auf der Welt?

Und dennoch ist die Unterstützung für die BDS-Bewegung im Westen gewachsen. Die „Israel Apartheid Week“ ist an Universitäten überall auf der Welt zu einem jährlichen Ritual geworden. Israelis und Unterstützer Israels sind zu Opfern von teilweise sogar gewalttätigen Schikanen geworden. Die Europäische Union wiederum ist der Auffassung, dass Produkte, die in israelischen Siedlungen hergestellt wurden, als solche gekennzeichnet werden müssten. Begründet wird dies mit dem Argument, dass israelische Siedlungen nach internationalem Recht illegal wären. Wieder einmal ist die Doppelmoral der Union kaum zu übersehen.

Sicherlich ist die westliche Kritik an Israel an sich nichts Neues. Viele haben in der Vergangenheit gerechtfertigte Kritik an politischen Maßnahmen geübt, was auch heute noch vorkommt. Früher gab es auch einen linksrevolutionären Zweig, der Israel als Teil westlicher Dominanz über ärmere Nationen betrachtet hat. Dessen Absicht lag allerdings nicht darin, Israel als Einzelfall hinzustellen, sondern es ganz im Gegenteil in den Kontext westlicher Interventionen im Ausland zu stellen. Aus dieser Perspektive war Israel wohl eher ein relativ kleines Zahnrad als eine übermächtige Kraft.

„Die heutige Linke leidet unter einer ungesunden Israel-Besessenheit.“

Demgegenüber leiden die selbsternannten Linken heute oft unter einer ungesunden Israel-Besessenheit. Für die Linke – falls man sie noch so nennen kann – ist die Opposition gegenüber dem jüdischen Staat zum Identität stiftenden Merkmal geworden. In ihrem desorientierten Zustand hat sie die israelische Apartheidsdebatte aufgegriffen, um sich selbst wieder ein Gefühl von Bedeutung zu geben. Auf diesem Wege hat sie sich antisemitischen Tendenzen angepasst.

Selbstverständlich weist die große Mehrheit der westlichen Linken den Vorwurf des Antisemitismus weit von sich. Sie denken dabei an gewalttätige Nazi-Schläger mit Glatzen. Sie erkennen nicht, dass die Sonderverurteilung Israels als Apartheidsstaat ebenfalls eine Form von Intoleranz ist – auch wenn sie von besonders kultivierten Akademikern geäußert wird.

Fünfzig Jahre nach dem Sechstagekrieg gibt es viel legitime Kritik an der Behandlung der Palästinenser, die sich an Israel richten ließe. Israel hingegen als eine weltweit einzigartig böse Macht darzustellen, sollte endlich als das begriffen werden, was es ist: eine Form des Judenhasses.

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