27.10.2022

Heidewitzka, Herr Captain

Von Christoph Lövenich

Unter dem Titel „Freedom Parade – Tanz um dein Leben!“ präsentiert Captain Future von der Spaßguerilla des Coronaprotests einen Dokumentarfilm, der Repression und Opposition Revue passieren lässt.

 „Ein in der Querdenker-Hass-Szene bekannter Mann“ (Berliner Kurier) „belästigt Passant:innen“ (taz), „bedrängte und beschimpfte im Wahlkampf die SPD-Politiker Olaf Scholz und Andreas Geisel“ (Tagesspiegel) und fungiert als „Aushängeschild der reaktionären und rechtsoffenen Proteste“ (Antifa-Twitterer) gegen die Coronapolitik. Mit derlei Framing-Lorbeeren bedacht wurde Michael Bründel alias Captain Future. Der 45-jährige DJ und Programmierer mit Wohnsitz in Berlin engagiert sich seit dem Frühjahr 2020 gegen die Coronatransformation und gründete im Mai desselben Jahres die Freedom Parade zunächst als Veranstaltung. Sie gerann aber auf Dauer eher zu einer losen Organisation und einem Label für deren Protestformen.

Die Spaßguerilla der Corona-APO besteht aus Party-Anarchos, die Demonstrationen, Musik, Tanz, Aktionskunst und zivilen Ungehorsam fließend miteinander verbinden. Captain Future trägt dabei meist eine gelbe Gesichtsmaske – jedoch nicht über Mund und Nase – und einen ebensolchen Umhang. Die Kunstfigur unterscheidet sich dabei optisch vom gleichnamigen Comic-Superhelden aus den 1940er-Jahren.

Die Geschichte der Freedom Parade erzählt Bründel in einem selbst produzierten Dokumentarfilm, der am Samstag in Berlin Premiere feierte. Das zweistündige Werk stützt sich vor allem auf Videomaterial, das über die letzten Jahre auf der Website der Freedom Parade, dem – zeitweise zensorisch gelöschten – Youtube- und dem Odysee-Kanal der Organisation erschienen ist. Am Anfang stand die erste Freedom Parade als politische Tanzveranstaltung auf dem Berliner Alexanderplatz im Mai 2020, bei der aufgrund der Coronaregulierung nur wenige Teilnehmer zugelassen waren. In diesem Ambiente wirkte der Captain in seinem Kostüm auf Steve Schramm, den Fotografen des Demokratischen Widerstands, auf den ersten Blick wie ein „Spinner“, dann stieß Schramm wie andere Mitstreiter hinzu und gehört seither zu den festen Teilnehmern der je nach Aktion in variierender Personenzahl auftretenden Parade.

Glühwein und Bolognese

Zu den Aktionen zählen nicht nur klassische Paraden mit Bühnenwagen, auf denen der Captain Musik auflegt, moderiert und (mit)singt, auch mal neben seiner Kostümierung nur mit einer den Schritt bedeckenden OP-Maske bekleidet. Bründel war in Berlin lange in der S/M-Fetisch-Szene unterwegs. Des Weiteren ist die Gruppe hervorgetreten durch maskenloses Feiern in der Bahn, Glühweintrinken in der Öffentlichkeit, eine Performance in weißer Verkleidung, Kniebeugen vor der Wohnung der umstrittenen damaligen Bundeskanzlerin oder Werbung gegen die Coronaspritze an Impfstellen. Ostentativ maskenlos durch den Bio-Supermarkt? „Gut gelaunter narzisstischer Egoismus“ war das für Karl Lauterbach, und Oliver Welke nannte die Parade-Aktivisten in der Heute-Show deshalb gleich „Idioten“. Und die Polizei untersagte eine „Bolognese“…

„Bründel wurde schon nach seiner ersten Freedom-Parade-Veranstaltung abgeführt, seither sind rund 100 vorläufige Festnahmen und unzählige Platzverweise gefolgt.“

Sein Kostüm hatte Bründel übrigens schon 2019 verwendet, als er im Umfeld von Fridays for Future und Extinction Rebellion demonstrierte – wie übrigens auch die in der ‚coronakritischen‘ Bewegung bekannte Aya Velázquez. Dieses biografische Detail kommt im Film nicht zur Sprache, zumal Bründel inzwischen auch den herrschenden Klimaalarmismus kritisch betrachtet.

Mit seinem jetzigen Aktivismus stemmt er sich wider den Mainstream, und so bleibt nicht aus, dass dieser ihn zuweilen in die ‚rechte Ecke‘ schiebt. Nicht dass der Captain selbst und seine Anliegen dazu Anlass böten, aber „Kontaktschuld“ lässt sich leicht konstruieren, sei es dadurch, dass er für irgendwelche Fotos posiert hat, auf denen auch ein AfD-Mitglied zu sehen ist, oder er – zumal am Anfang noch nicht so erfahren in der heterogenen Bewegung – auf einer Veranstaltung mit Redebeiträgen auch von ‚Rechtsaußen‘ am DJ-Pult stand. So entstehen diffamierende Etiketten.

Ein anderes Visier, in das oppositionelle Aktivisten geraten, ist das der Polizei. Bründel wurde schon nach seiner ersten Freedom-Parade-Veranstaltung abgeführt, seither sind rund 100 vorläufige Festnahmen und unzählige Platzverweise gefolgt. Trotz der Friedlichkeit seines Protests lief gegen ihn in einem Fall ein Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die einschlägigen Videoaufnahmen des Vorfalls erhärten den Verdacht nicht, inzwischen ist das Verfahren eingestellt. Den Jahreswechsel 2020/21 hat er, erfährt man in der Doku, in einem Gefangenentransporter verbracht. Szenen der Flucht und des Ausweichens vor der Polizei und des – teils gewaltsamen – Eindringens der Uniformierten in Wohnungen finden sich dort ebenfalls wieder. Sowie filmische Zeugnisse von Polizeigewalt gegen Demonstranten.

„Die Doku bildet das Unterhaltsame wie das Furchteinflößende gleichermaßen ab.“

Denn die Doku bildet das Unterhaltsame wie das Furchteinflößende gleichermaßen ab. Den unkonventionellen Protest auf konventionelle Weise chronologisch zu erzählen, ermöglicht dem Film, sowohl die sich verändernde Rechtslage durch immer neue Coronaverordnungen als auch die Meilensteine der Gegenbewegung nachzuzeichnen. So wird er seinem Anspruch gerecht, als „kunstvolle Dokumentation unserer Zeitgeschichte“ zu dienen. Maskenzwang, Mindestabstände nicht nur auf Demos, Teilnehmerbegrenzungen, verbotene Versammlungen und sogar Singverbote passieren Revue.

Spaß versus Ernst?

„Freedom Parade – Tanz um dein Leben!“ lautet übrigens der Titel des Films, unter Bezug auf einen bei vielen Veranstaltungen gespielten Song von Henning Wehland. Aber auch musikalische Werke aus der Freedom Parade selbst – wie „Ein bisschen SARS muss sein“ mit Sängerin Bettina alias Coronita – erklingen.

Garniert wird das Ganze mit entlarvenden Politikerzitaten und einzelnen Kommentaren von Mitstreitern, die die Erzählerstimme aus dem Off ergänzen. Das meiste spielt sich in der Bundeshauptstadt ab, doch es kommen auch Trips der „renitenten Feierbiester“ um den Captain als „Partymonster von Berlin“ (Spiegel TV) nach zum Beispiel Leipzig und Dresden oder nach Österreich vor. Und natürlich auch nach Köln; von dort stammt die rheinische Frohnatur Bründel, der dem dortigen 2G-Karneval einen Besuch abstattete und in dessen Gefolge sich einmal zwei Damen, aus Protest gegen den Maskenzwang, komplett vor der Polizei entblößten.

„Im Gefolge der Frohnatur Bründel, entblößten sich einmal zwei Damen, aus Protest gegen den Maskenzwang, komplett vor der Polizei.“

So ist ein gleichermaßen ernster wie unterhaltsamer Dokumentarfilm entstanden. Produzieren tanzende Aktivisten peinliche Bilder für Kameras der Mainstream-Medien und untergraben die Seriosität des Protests, wie Anke Behrend im Rubikon befürchtet? Die Freedom Parade ist da eher bei Jochen Förster und nimmt „die Lebensfreude […] ernst.“ Fröhlich statt sauertöpfisch. Ist man „lächerlich“ und „kein Widerstand“, wenn man den Ballermann-Hit „Layla“ auf der Bühne feiert? Gegenfrage: Sind solche Kritiker auch schon so oft verhaftet worden wie Michael Bründel?

Der kostenlos auf Deutsch und Englisch abrufbare Film lohnt sich ebenfalls für Kenner und Abonnenten der Freedom Parade als nie langweiliger Rückblick auf über zwei Jahre Protest. Wer Captain Future & Co. hingegen noch nicht so intensiv begleitet hat, könnte sich dadurch inspiriert fühlen, deren künftigen Abenteuern zu folgen. Auf den Kanälen stapeln sich inzwischen schon Videos und Infos aus den letzten Monaten, die im Film keine Berücksichtigung mehr finden konnten. Der Tanz geht weiter!

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