06.12.2023
Grünes Werbeverbot im Anmarsch
Von Detlef Brendel
Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet, soll nach dem Willen von Bundesernährungsminister Özdemir verboten sein – wenn ihm die Nährstoffzusammensetzung der Produkte nicht passt.
Cem Özdemir, der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, glaubt mit einigen Getreuen aus der NGO-Szene, dass Werbung dick macht. Wenn der Grünen-Politiker Werbung für unliebsame Nahrungsmittel verbieten würde, die an Kinder bis 13 Jahren gerichtet ist, so seine Milchmädchenrechnung, würden die Kinder diese nicht mehr essen wollen und automatisch schlanker werden. Ein Referentenentwurf für das „Gesetz zum Schutz von Kindern vor Werbung mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt (Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz) des Özdemir-Ministeriums liegt seit Juni vor.
Eine Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestags, die sich mit dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Lebensmittel-Werbeverboten und dem Auftreten von Adipositas beschäftigt, sieht „keine Studien, die einen entsprechenden direkten Zusammenhang konkret belegen“. Es existiert eine Vielzahl von Faktoren für Adipositas. Genannt werden „genetische, sozio-ökonomische und medizinische Faktoren ebenso sowie Bewegungsmangel oder die Rahmenbedingungen bei der Nahrungsaufnahme.“ Diese Komplexität wird durch Werbeverbote nicht aufgelöst. Auch in Ländern, in denen solche Verbote umgesetzt worden sind, lässt sich wissenschaftlich fundiert kein entsprechender Effekt nachweisen.
Eine Rechtfertigung für die Pläne des Ernährungsministers besteht so betrachtet nicht. Dafür schreiben ihm die Autoren der Bundestagsverwaltung einen wichtigen Satz in sein Stammbuch: „Im Rahmen von Versuchen oder auf der Grundlage statistischer Daten ermittelte korrelative Zusammenhänge lassen in der Regel nicht ohne weiteres Rückschlüsse über einen vorliegenden kausalen Zusammenhang zu.“ Auch ein Minister sollte bei seinem volkspädagogischen Eifer zur Erkenntnis gelangen, dass politisch gewünschte Korrelationen keine Kausalitäten sind.
Apropos Bewegungsmangel: Wie die Realität in Deutschland aussieht, zeigt eine Studie der Institute für Sportwissenschaft an den Universitäten Köln und Würzburg. Die im Sitzen verbrachte Zeit steigt kontinuierlich an. Aktuell sitzt jeder Deutsche täglich rund 9,2 Stunden. Jüngere Menschen im Alter von 18 bis 19 Jahren bringen es sogar auf über zehn Stunden Sitzen pro Tag. Was diese Ruhestellung mit körperlicher Vitalität und Kalorienverbrauch macht, muss nicht detailliert erläutert werden. Das sollte auch ein ideologisch getriebener Grüner verstehen.
„Die Lebensmittelwirtschaft und das Angebot im Handel werden schlanker – die Kinder nicht.“
Ein weiteres Papier der WD stellt die Verfassungsmäßigkeit des Özdemir-Plans auf den Prüfstand. Der Ausarbeitung zufolge bestehen Unklarheiten, ob der Bund überhaupt über die Gesetzgebungskompetenz verfügt, um ein solches Werbeverbot in allen Medien auszusprechen, in die das Ministerium gerne hineinregieren möchte. Für Zeitschriften und Zeitungen sowie Außenwerbung auf Plakaten bejahen die Bundestagsjuristen sie. Für Fernsehen und Radio sehen sie jedoch die Kompetenz der Länder als mindestens vorrangig an. Diese haben übrigens im Jugendschutz-Staatsvertrag Rundfunk- und Telemedien bereits verpflichtet, „geeignete Maßnahmen [zu treffen], um die Einwirkung von im Umfeld von Kindersendungen verbreiteter Werbung für Lebensmittel, die Nährstoffe und Substanzen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung enthalten, insbesondere Fett, Transfettsäuren, Salz, Natrium, Zucker, deren übermäßige Aufnahme im Rahmen der Gesamternährung nicht empfohlen wird, auf Kinder wirkungsvoll zu verringern.“ Beim Internet sehen die WD keine eindeutige Zuständigkeit – ob Bund oder Land – in dieser Frage.
Bei einem Verstoß gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wäre ein Gesetz formell verfassungswidrig. Materiell verfassungswidrig wäre es wiederum, wenn es Grundrechte verletzt. Trotz mangelnder belastbarer Belege für die vom Ernährungsministerium phantasievoll angenommene Wirksamkeit eines Werbeverbots zur Verhinderung von Übergewicht, die die Autoren der Ausarbeitung ausdrücklich einräumen, betrachten sie ein solches Gesetz über weite Teile der Prüfung als verfassungsmäßig. Scheitern könnte es allerdings am Ende bei der Angemessenheit. Hier geht es um die Abwägung zwischen dem angeblichen Ziel des Gesundheitsschutzes bei Kindern mit den Grundrechten, insbesondere der Berufsfreiheit der Unternehmen und der Informationsfreiheit der Verbraucher.
Negative Auswirkungen auf die Lebensmittel- und Werbewirtschaft sind zu erwarten, da zwischen 70 und 80 Prozent aller Lebensmittel von den Werbebeschränkungen erfasst sein könnten. Das Werbeverbot, so die Prognose der Fachleute des Bundestages, könnte damit bei Werbetreibenden zu einem Verlust an Arbeitsplätzen führen. Die Lebensmittelwirtschaft und das Angebot im Handel werden schlanker – die Kinder nicht. Als ob Özdemirs grüner Parteikollege im Wirtschaftsministerium nicht schon genug Probleme mit der wirtschaftlichen Talfahrt hätte.
Die Lektüre der Ausarbeitung der Experten des Deutschen Bundestages dürfte Cem Özdemir klar signalisieren, dass sein Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte. Ob er scheitern wird wie bereits 2013, als er – damals noch Bundesvorsitzender der Grünen – mit dem Veggie-Day schon einmal eine staatlich vorgeschriebene Ernährung durchsetzen wollte?