15.05.2023

Grüner Paternalismus gestaltet das Land um

Von Detlef Brendel

Titelbild

Foto: HealthyFoodImages via Pixabay / CC0

Ob Wärmepumpen, Kartellrecht oder Werbeverbote für Süßigkeiten: Grüne Bundesminister und ihr Anhang schaffen Regulierung, die Wirtschaft und Bürger wie Unmündige behandelt.

Die Erinnerung verblasst allmählich. Es ist ziemlich genau 30 Jahre her, dass am 14. Mai 1993 Die Grünen und Bündnis 90 fusioniert sind. Als Die Grünen in den 1980er Jahren als politische Partei gegründet wurden, wollte man in bewusster Abgrenzung nicht zum Polit-Establishment im dunklen Anzug gehören. 1985 wurde der erste grüne Minister in Turnschuhen vereidigt. Stillen und Stricken in Sitzungen bedeuteten ein ungewohntes Auftreten in der Politik. Man wollte sich als unkonventionell positionieren, die Partizipation als die wirklichen Repräsentanten der Zivilgesellschaft mit demokratischer Legitimation demonstrieren. Politik ist keine Kleiderfrage. Aber das damalige Outfit ist in jeder Hinsicht der klassischen Garderobe der Macht gewichen.

Die heutigen grünen Strategen sind, da sie inzwischen die Positionen dazu haben, viel effektiver in der Durchsetzung von Macht, als man hätte glauben oder befürchten können. Während in Philosophie und Staatstheorie über harten und milden sowie über starken und schwachen Paternalismus diskutiert wird, entwickeln die Grünen ihren grünen Paternalismus. Er beschneidet Freiheiten. Das Leitbild des starken Bürgers, der sich informiert, seine Interessen artikuliert und verantwortungsbewusst handelt, wird der Fürsorge durch den regulierenden Staat geopfert.

Klima und Wärmewende

Ihrer Politik ist es dabei sehr dienlich, dass sie sich traditionell das Mäntelchen von Freiheit für Unkonventionelle, Schutz der Verbraucherinteressen, Menschlichkeit und grundsätzlich der angestrebten Verbesserung der Welt umhängen. Das tun sie zur Kaschierung ihrer politischen Ambitionen heute mehr denn je. Ebenso nutzen sie ihre ideologische Nähe zu NGOs, also den nichtstaatlichen Organisationen, deren wirtschaftlich erfolgreiche Spenden-Kampagnen, Parolen und Argumentationen, auch wenn diese nicht durch Fakten und Wissenschaft belegt sind, sie gerne übernehmen. Auch diese Nähe verleiht das Image, für Verbesserung und Rettung der Welt zu arbeiten. Robert Habeck will das Klima für die folgenden Generationen verbessern. Dafür will er den immerhin zweiprozentigen Anteil Deutschlands am globalen CO2-Ausstoß senken, um damit die Welt zu retten. Cem Özdemir will die Bundesbürger mit einem Ernährungsprogramm zu vegetarischer oder sogar veganer Kost erziehen. Er will die Kinder schützen, schlanker und gesünder machen und deshalb Werbung verbieten.

Die unmittelbar Betroffenen, nämlich die Bürger dieses Landes, merken bei den vielen als gut und ethisch wertvoll verkauften Absichten nur in homöopathischen Dosen, wie sehr sich ihr Leben verändert und wie sie zunehmend sicher geglaubte Freiheiten verlieren. Diese Politik arbeitet an der Umgestaltung der Gesellschaft, die bis hinein in den privaten Bereich Konsequenzen haben wird. Und dies tun die Grünen mit aller Arroganz. Wem es nicht passt, der soll gehen. Schließlich gibt es auch im Ausland ausreichend Platz, um zu arbeiten und zu leben.

„Die mit Gewalt betriebene Wärmewende strapaziert den Staat, seine Bürger und nicht zuletzt auch die Unternehmen.“

Im häuslichen Umfeld ist der Widerstand gegen paternalistische Vorschriften noch möglich. Das Grillen eines Steaks gilt noch nicht als ziviler Ungehorsam. Aber es wird schwieriger werden. Robert Habeck verbietet Heiztechnik, die in den meisten deutschen Häusern zuverlässig für Komfort sorgt, verordnet zur Erfüllung seiner Ziele vor allem Wärmepumpen und will damit Hausbesitzer zu Investitionen zwingen, die die Immobilienbesitzer wirtschaftlich belasten und vielfach überfordern werden. Er plant eine Energiepolitik, die auf Machbarkeit keine Rücksichten nimmt.

Wie rigoros die Grünen ihre politischen Vorstellungen durchsetzen, zeigt eine Äußerung von Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. In einem Gespräch zur Energiewende mit Michael Liebreich für den Podcast „Cleaning Up" am 1. Juni 2022 tätigt er die radikale Aussage, dass Unternehmen, denen die Energie in Deutschland für ihre Produktion zu teuer wird, doch einfach ins Ausland abwandern sollen. Diese Arroganz eines Wirtschafts-Staatssekretärs gegenüber Unternehmen und damit auch gegenüber Menschen ist erschreckend. Der – deutsche Wirtschaftskraft vernichtende – Prozess, den Graichen hier sorg- und emotionslos empfiehlt, hat bereits begonnen. Die mit Gewalt betriebene Wärmewende strapaziert den Staat, seine Bürger und nicht zuletzt auch die Unternehmen. Neue Produktionsstätten für den hohen Bedarf an Wärmepumpen werden von deutschen Herstellern mit erheblichen Investitionen in Polen und der Slowakei aufgebaut. Grund dafür sind nicht nur die geringeren Energiekosten, sondern ebenso die deutlich schnelleren Genehmigungsverfahren für Fertigungsanlagen. Wie bei Solarzellen und Elektroautos wird Deutschland übrigens auch bei den Wärmepumpen nicht zum Marktführer werden. Deutschland wird lediglich mit staatlichem Zwang und staatlicher Förderung als attraktiver Absatzmarkt grüner Produkte gestaltet. Das ist eine Wirtschaftspolitik, die Notwendigkeiten und Menschen ignoriert.

Familienclan und NGO-Verstrickungen

Patrick Graichen ist ein entscheidender Motor für die Energiepolitik. Dabei ist Blut dicker als Wasser. Bereits im Dezember 2021 hatte die taz berichtet, dass hinter der Energiewende ein Familienprojekt steckt. Graichen, ehemaliger Chef des Think-Tanks Agora Energiewende ist einer der beamteten Staatssekretäre im Habeck-Ministerium. Der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner ist verheiratet mit dessen Schwester Verena Graichen und damit Schwager seines Kollegen. Auch Verena Graichen ist vom Fach. Sie arbeitet beim Öko-Institut zu Energie- und Klimafragen sowie als Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Berlin. Damit ist die Expertise der Graichens noch nicht erschöpft. Bruder Jakob ist – als Senior Researcher für Klima- und Energiefragen – wie seine Schwester beim Öko-Institut Er gehört zu den Autoren der Studie „Energie- und Klimaschutzprojektionen 2035/2050“. Der Spiegel mutmaßt nicht ganz ohne Grund, dass hier ein Ministerium „wie ein Clan geführt wird“. Dieser Familienbetrieb unterstreicht eindrucksvoll ein grünes Netzwerk in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Das grüne Netzwerk hat einen Image-Bonus, der mit dem Zuspruch, den auch NGOs als vermeintliche Verbesserer der Gesellschaft genießen, durchaus vergleichbar ist. Eine derart familiäre Machtfülle, bei der es nicht zuletzt auch um Aufträge des BMWK an Organisationen wie das Öko-Institut (in Millionenhöhe) geht, hätte bei einer anderen Partei zu einem Sturm der Entrüstung geführt. In diesem Fall herrschte dagegen weitgehend mediale Stille. Gefährlich wurde es aus Sicht des Ministeriums erst, als auch noch der Trauzeuge von Patrick Graichen Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena) werden sollte. Diese fatale Besetzung wurde kassiert. Vielleicht gibt es auch jenseits der Familie Graichen noch kompetente Fachleute.

„Wirtschaftspolitik wird in Deutschland gegenwärtig nicht mit der Wirtschaft, sondern gegen die Wirtschaft gemacht.“

Unabhängig von den familiären Verbindungen im Ministerium existiert ein noch nachdenklicher stimmendes Phänomen. Es sind die engen Verflechtungen zwischen gut honorierten NGOs, der Politik und der Ministerialbürokratie. Die NGOs haben sich inzwischen selbst an die Macht gebracht. Sie haben ihre charakterisierende Bezeichnung nicht mehr verdient. Sie sind zu GOs geworden, die der Politik nicht nur die Agenda, sondern inzwischen auch die Maßnahmen zur intendierten Regulation vorgeben.

Das neue und ignorante Selbstverständnis der Berliner Führungskräfte zeigt sich auch in Formulierungen wie „Die Bundesregierung beschließt ein Gesetz.“ Diese kann jedoch keine Gesetze beschließen. Das Kabinett verabschiedet nach den Ressortberatungen die Entwürfe, die dann von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. So geht eigentlich der demokratische Prozess.

Durchsetzungsgesetz

Wirtschaftspolitik wird in Deutschland gegenwärtig nicht mit der Wirtschaft, sondern gegen die Wirtschaft gemacht. Im Windschatten einer alle öffentliche Aufmerksamkeit beanspruchenden Energie-Diskussion hat Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Behörde mit zusätzlichen Befugnissen ausgestattet, die das Wirtschaftsleben verändern werden. Durch das beschlossene Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz wird die Machtfülle des Bundeskartellamtes erheblich erhöht. Nach Abschaltung der Atomkraft, die allerdings im März 2011 die von einer Naturkatastrophe in Japan überrollte CDU initiiert hatte, nach staatlich verordneten Heizungsinvestitionen in privaten Kellern und anderen erfolgreichen Rigorismen der Grünen hat sich die Verbotspartei auch bei der grundsätzlichen Lenkung der Wirtschaft durchgesetzt. Natürlich wird das ebenfalls als Segen für die Menschheit verkauft.

Mehr Wettbewerb soll das Gesetz ermöglichen, damit die Verbraucher bessere Qualität zu besseren Preisen erhalten. Das Kartellamt soll künftig, und das ist die entscheidende Formulierung, „missbrauchsunabhängige Eingriffsbefugnisse“ erhalten. Die eigentlich im Recht verankerte Unschuldsvermutung kann in Kartellverfahren künftig also durch eine Schuld-Unterstellung der Behörde ersetzt werden. Damit können auch solche Unternehmen von Verfahren überrascht werden, die strikt auf die Einhaltung des Kartellrechts achten. Was ein Verstoß ist, entscheidet in Zukunft die Behörde. Es kann also auch solche Unternehmen treffen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen. Dem 2010 in einem Gutachten von Prof. Dr. Wernhard Möschel, einem ehemaligen Vorsitzenden der Monopolkommission, so bezeichneten „Inquisitionsprozessen“ ist damit ein weiteres Instrument geliefert worden.

Werbeverbot

Eine Entwicklung, in der zunehmende staatliche Regulierung von den Bürgern akzeptiert wird, ist gefährlich für die Demokratie. Dieses Stimmungsbild greifen auch andere von Grünen geführte Ministerien auf. Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, will die Ernährung der Bundesbürger stärker vegetarisch und stärker vegan gestalten. Obwohl er 2013 bereits als Vorsitzender der Grünen mit dem Veggie-Day ein Fiasko erlebt hat, bleibt er seiner Linie als Volkserzieher treu. Auch im Bundesernährungsministerium sind übrigens frühere NGO-Vertreter in Führungspositionen installiert worden.

„Cem Özdemir bleibt er seiner Linie als Volkserzieher treu.“

Mit einem neuen Gesetz will Özdemir die Bürger vor missliebigen Produkten, vor verführerischen Verpackungen und vor angeblich ungesunder Werbung schützen. Er beschneidet unternehmerische Freiheiten und entmündigt zugleich die Verbraucher durch Maßnahmen, die als Konsumsteuerung charakterisiert werden können. Hier werden gesetzliche Regelungen initiiert, deren ein unternehmensfeindliches Denken zugrunde liegt, und die dazu dienen sollen, Unternehmer und Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu bringen.

Prof. Dr. Martin Burgi, Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Universität München, stellt zu den Ambitionen von Cem Özdemir fest: „Der Referentenentwurf ist ein Dammbruch: Erstmals soll ein auch an Erwachsene adressiertes Werbeverbot implementiert werden - für Produkte, deren Herstellung und Vertrieb in keiner Weise verboten ist und die als solche auch nicht gesundheits- oder lebensgefährdend sind. In vergleichbarer Weise könnte in Zukunft beispielsweise auch Werbung für Flugreisen, für bestimmte Sportarten oder für Autos mit Verbrennungsmotor verboten werden.“ Hier werden massive Einschränkungen von besonders geschützten Kommunikationsfreiheiten und der Wirtschaftsfreiheit geprobt. Diese ideologisch basierten Eingriffe, damit stehen sie ganz in der Tradition langjähriger NGO-Agitation, liefern keine belastbaren Anhaltspunkte oder Wirksamkeitsbelege. Für diese massiven Eingriffe in die Grundrechte bieten weder das Grundgesetz noch das Europarecht eine Basis.

Zu dieser Bewertung gelangt auch Prof. Dr. Mark Liesching, Medienrechtler an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Er weist in seiner Studie detailliert nach, dass die Vorstellungen des Ministeriums vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben werden. Er kritisiert ebenso wie Prof. Burgi, dass die Funktion der Eltern komplett ausgeblendet wird, um eine Rechtfertigung für den staatlichen Eingriff zu haben. Beide Gutachter sehen ebenso das Fehlen wissenschaftlich begründeter Fakten und Erkenntnisse für den massiven Eingriff in die Kommunikationsfreiheit. Die Behauptung, dass Werbung dick macht, wird wohl kaum einer Plausibilitätskontrolle standhalten. Die Verfassungsrichter werden reichlich Arbeit haben, um die Demokratie zumindest vor den schlimmsten Auswüchsen des grünen Paternalismus zu schützen.

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