24.02.2016

„Gesundheitsaktivisten gehören zum Staat“

Interview mit Christopher Snowdon

Die persönliche Lebensführung des Einzelnen wird immer mehr im Namen der Gesundheit reguliert. Sie gehört jedoch nicht zu den Angelegenheiten des Staates. Gegen die Auswüchse aktueller Volksgesundheits-Kampagnen muss Widerstand geleistet werden.

NovoArgumente: Herr Snowdon, Sie sind Forscher und Autor aus Großbritannien. Mit Büchern wie Velvet Glove, Iron Fist und The Art of Suppression und einer Reihe von Artikeln haben Sie sich als scharfer Kritiker staatlicher Einmischung in Sachen Alkoholkonsum, Rauchen und Übergewicht einen Namen gemacht. Was haben diese Bereiche gemeinsam?

Christopher Snowdon: Von staatlicher Seite sowie seitens einer Reihe von Organisationen wird gerne behauptet, all diese Bereiche seien Angelegenheit der Volksgesundheit (Public Health). In Wahrheit sind sie jedoch Privatsache. Meiner Meinung nach ist die übliche Definition von Public Health heutzutage sehr problematisch. Die bloße Zusammenschau der Gesundheitsdaten einzelner Personen in einer Gesamtstatistik macht aus einem privaten Gesundheitsproblem noch keine Frage der Volksgesundheit. Deren Angelegenheiten sind traditionell Infektionskrankheiten, die Versorgung mit sauberem Trinkwasser und Impfungen – Punkte, bei denen die private Gesundheit auf gemeinschaftliches Handeln angewiesen ist.

Bei einer Pockenimpfung ist die Immunisierung der ganzen Bevölkerung erforderlich. Darüber hinaus will niemand die Pocken bekommen, sie bringen ja keinen Vorteil, so dass nicht zwischen Risiko und Nutzen abgewogen werden muss. Es handelt sich dabei schlicht um etwas Gutes, das eines gemeinsamen Handelns bedarf. Ganz anders sieht es aus, wenn jemand nicht bei McDonald’s essen möchte: Dem kann es egal sein, wenn nicht alle seinem Bespiel folgen. Wenn jemand seinen Alkoholkonsum einschränken möchte, bitte sehr. Keiner benötigt dazu die Hilfe des Staates. Vor allem braucht niemand eine staatlich verfügte universelle Preiserhöhung, um sein eigenes, privates Verhalten ändern zu können.

„Alles, was das Essen schmackhaft macht, wird zu einer Frage der Volksgesundheit erklärt“

In einer Zeit, in der private Gesundheitsangelegenheiten immer mehr zu Angelegenheiten des Staates werden, würde mich interessieren, welche Reglementierung bzw. Regulierungsvorschläge Ihnen besondere Sorgen bereiten.

Da gibt es so viele. Beginnen wir mal mit dem fortschreitenden Kreuzzug gegen die Raucher. Dabei geht es doch schon längst nicht mehr nur um Aufklärung und vernünftige Regelungen. Es handelt sich dabei, und das ist ziemlich eindeutig, um eine Kampagne mit dem Ziel, Menschen, besser gesagt Erwachsene, davon abzuhalten, Erwachsenenentscheidungen zu treffen. Des Weiteren gibt es, zumindest in Großbritannien, eine wachsende Kampagne gegen Alkohol. Und schließlich die ebenfalls wachsende Kampagne gegen Zucker, die der Kampagne gegen Salz gefolgt ist, welche wiederum der Kampagne gegen gesättigte Fette gefolgt war. Kurz: Praktisch alles, was das Essen schmackhaft macht, wird zu einer Frage der Volksgesundheit erklärt.

So gibt es an jeder Front, sei es Essen, Alkohol oder Tabak – oder besser Nikotin im Allgemeinen, weil auch gegen E-Zigaretten vorgegangen wird –, einen großen Appetit auf Verbote und Regulierung. Diese sind nicht nur unnötig, sondern schädlich, im Falle der E-Zigaretten sogar gesundheitsgefährdend. Somit sind diese Verbote und Regularien bereits in sich kontraproduktiv. Selbst wenn sie erfolgreich den Konsum von Alkohol, Zucker oder Tabak verringern, bringen sie doch ernsthafte wirtschaftliche Konsequenzen mit sich, nicht zuletzt, weil die hohen Steuern die Ärmsten am stärksten treffen. Werbeverbote sind schädlich für die Wirtschaft, nicht nur weil sie die Kommunikationsfreiheit der Unternehmen einschränken, sondern gerade weil sie den Verbrauchern schaden, die dadurch Informationsmöglichkeiten verlieren und weniger Wettbewerb vorfinden.

„Werbeverbote sind schädlich für die Wirtschaft, weil sie den Verbrauchern schaden“

Sehen Sie einen Unterschied zwischen der Situation in Deutschland und der in Großbritannien?

In Deutschland sieht es wohl etwas besser aus als in den englischsprachigen Ländern. Interessanterweise waren die Länder, die sich im 20. Jahrhundert an der Alkoholprohibition versuchten, entweder englischsprachige oder skandinavische, sprich protestantische, Länder. Meines Wissens kennt niemand den Grund dafür, aber es ist eine Tatsache. Sogar Staaten wie Australien und Neuseeland kamen einer Prohibition sehr nahe und wiesen sehr starke Mäßigungsbewegungen auf, wie auch Großbritannien. Dagegen zogen katholische, weintrinkende Länder so etwas erst gar nicht in Erwägung. Deutschland erscheint mir in vielen Dingen recht liberal. Es ist einer der wenigen Orte in Europa, wo zum Beispiel kein komplettes Verbot von Tabakwerbung oder von Rauchen in Innenräumen besteht. Das könnte eine Lehre aus der Geschichte sein, genau wie in den Ländern Osteuropas, wo es liberaler zugeht, nachdem sie so lange unterdrückt wurden. Interessanterweise sind die traditionell freiheitlichen Länder viel eher bereit, auf ihre Freiheiten zu verzichten.

Glauben Sie, dass es einen globalen Trend zur Regulierung der Lebensweise gibt?

Ja, den gibt es, dank der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sich diskreditiert und ihre ursprünglichen Ziele verraten hat. Die WHO hat eine Menge zu tun, wenn sie die Infektionskrankheiten weltweit ausrotten will. Aber ihre komplett chaotische Reaktion auf den Ausbruch der Ebola zeigt, dass sie ein größeres Interesse daran hat, reiche Westler bei ihrer Ernährung und ihren Rauchgewohnheiten zu schikanieren, als sich mit Menschen zu beschäftigen, die ihre Hilfe wirklichen brauchen und erbitten. 1 Meiner Meinung nach ist die WHO ziemlich korrumpiert, wenn nicht finanziell, so doch in ihren Prinzipien. Sie ist zu einem Forum reicher Leute aus dem Westen geworden, die ihre modischen Ziele in den Ländern verfolgen, wo es den Leuten relativ gut geht und in denen man aufgeklärt genug ist, eigene Entscheidungen treffen zu können. Währenddessen töten Infektionskrankheiten und Hunger weiterhin Millionen Menschen weltweit. Für mich ist die WHO eine politische Organisation, deren Zeit abgelaufen ist.

„Es soll mir mal jemand einen Jugendlichen zeigen, der tatsächlich Mentholzigaretten raucht“

Was halten Sie von der neuen Richtlinie über Tabakerzeugnisse (TPD2), die die EU im Mai 2014 beschlossen hat? [2]

Ich denke, dass die Vorschriften darin entweder belanglos sind oder in die falsche Richtung gehen, manchmal sogar beides. Es gibt eine Menge kleinlicher Regulierung, wie man sie von der EU nicht anders erwartet. Die Reglementierung der exakten Länge und des Durchmessers einer Zigarette – so etwas ist bürokratischer Selbstzweck. Dann gibt es mit den bildlichen Warnhinweisen und dem Verbot von Mentholzigaretten zwei Vorschriften, die nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, ja ihnen sogar widersprechen. Es konnte belegt werden, dass bildliche Warnhinweise bestenfalls nutzlos sind, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Denn die Verbraucher ignorieren jegliche Information, die diese Warnungen zu vermitteln versuchen. Sie sind lediglich ein Versuch, den Kauf zu vereiteln, ohne die Leute aufzuklären; deswegen wurden sie bis jetzt in den USA abgelehnt. Man könnte genauso ein anderes abstoßendes Bild, wie zum Beispiel einen Wildunfall, verwenden und es hätte denselben Effekt. Um das Thema „Verbot von Menthol und anderen Aromatisierungen“ anzusprechen: Es wurde ja mit dem Vorwand eingeführt, Jugendliche würden mit aromatisierten Zigaretten zu rauchen anfangen. Es soll mir mal jemand einen Jugendlichen zeigen, der die tatsächlich raucht. Der Umstand, dass etwas relativ süß schmeckt, bedeutet nämlich nicht, dass Kinder es besonders anziehend finden, denn sonst würden sie mehr Obst essen.

Heutzutage richtet sich Public Health auf immer neue Bereiche. In Deutschland ist die Regulierung des Glücksspiels ein kontroverses Thema. Wie ist die Situation in Großbritannien und wie sollte Ihres Erachtens der Staat mit nicht-substanzgebundenen Süchten wie der Glücksspielsucht umgehen?

Die Situation in Großbritannien ist interessant, denn keine Regierung hat während meiner bisherigen Lebenszeit so richtig etwas liberalisiert. Doch, zwei Punkte hat die letzte Labour-Regierung liberalisiert, die Öffnungszeiten der Pubs und ein wenig die Glücksspielgesetze, vor allem hinsichtlich der Werbung. Zurzeit gibt es in Großbritannien eine Moralpanik bezüglich Maschinen, die sich „fixed-odds betting-terminals“ nennen (Glücksspielautomaten mit fester Gewinnquote) und mit denen man Black Jack oder Roulette spielen kann. Sie sind zurzeit im Fokus der Anti-Glücksspiellobby. Ich habe schon die Auffassung gehört, Glücksspiel sei eine Angelegenheit der Volksgesundheit, das ist es aber mit Sicherheit nicht.

„Die Vertreter der öffentlichen Gesundheitsvorsorge sind Puritaner alter Schule“

Dass das Glückspiel hier mit hineingezogen wird, neben Essen, Getränken, Tabak und Alkohol, ist ziemlich enthüllend, zeigt es doch, dass die Vertreter der öffentlichen Gesundheitsvorsorge Puritaner alter Schule sind. Diese vier Dinge sind die klassischen Ziele der religiösen Eiferer quer durch die Geschichte. Anders als bei Alkohol und Tabak waren die Glücksspielgesetze in Großbritannien relativ locker, so gibt es einigen Druck, sie wieder zu verschärfen. Die Kampagne begann damit, die Werbung wieder zu verbieten, aber sie richtet sich auch gegen diese bestimmten Maschinen und das Internet, der Tatsache zum Trotz, dass sich dieses nicht regulieren lässt.

Sie sagten vorhin, dass die öffentliche Gesundheitsvorsorge sich vor allem mit Dingen wie Impfungen beschäftigt. Die Bereiche, über die wir jetzt sprechen, bedeuten eine massive Erweiterung dieses Auftrags und beinhalten drastische Einmischungen des Staates in die private Lebensführung jedes Einzelnen. Die Befürworter würden das mit dem Sparpotential bei den öffentlichen Kassen rechtfertigen. Ist da etwas dran, oder würden Sie darin nur einen Vorwand für eine Art „Neo-Puritanismus“ sehen?

Natürlich ist es ein Vorwand. Die Gesellschaft ist noch nicht zu Gesetzen bereit, die nur dazu dienen, Erwachsene vom Treffen ihrer eigenen Entscheidungen abzuhalten. Politiker müssen zu einem gewissen Grade ein Lippenbekenntnis zu John Stuart Mills Schadensprinzip ablegen, dass also nur das gesetzlich geregelt wird, das anderen Schaden zufügen kann. Dieses Prinzip wird nun enorm gedehnt, um die ganzen Regulierungen und Verbote zu umfassen.

Meines Erachtens steht das Argument mit den sozialen Kosten, die denjenigen aufgebürdet würden, die nicht mal in die Nähe der fraglichen Produkte kommen, auf tönernen Füßen. Denn folgt man diesem Argument, müsste man konsequent alles vermeiden, das ein Risiko beinhaltet. Es entspricht auch einfach nicht der Wahrheit. Die Kosten des Rauchens für das Gesundheitssystem, um mal ein Beispiel zu nennen, werden von den Steuereinahmen bei weitem übertroffen. Sie werden auch von den Einsparungen übertroffen, die dadurch entstehen, dass die Raucher später weniger Geld für Renten, Pflegeheime und Gesundheitsfürsorge brauchen, wenn sie eben nicht mehr leben. In Wirklichkeit sind es doch die Leute, die zu lange leben, die den Sozialstaat und das Gesundheitssystem belasten. Jede westliche Regierung ist von der Alterung der Gesellschaft betroffen, vor allem im Hinblick auf die unglaublich hohen Verpflichtungen, die sich angesammelt haben, sowie das viele Geld, dass der Staat den Rentnern der Zukunft schuldet. Es ist also schlicht und einfach nicht wahr, dass die ‚ungesunden‘ Lebensweisen andere Leutes Geld kosten. Tatsächlich subventionieren Raucher und Trinker die Abstinenten im Bereich von vielen Milliarden Euro.

„Raucher und Trinker die Abstinenten im Bereich von vielen Milliarden Euro“

Die Befürworter der Volksgesundheit scheinen von der Idee besessen zu sein, die Langlebigkeit mit allen Mitteln zu fördern. Wie kommt es, dass die vorherrschende Meinung ein gutes Leben eher mit einem langen als mit einem, sagen wir, sinnesfrohen und lustvollen Leben – oder einer Mischung mehrerer Faktoren wie Langlebigkeit –, verbinden? Wie wurde das zur vorherrschenden Meinung?

Das ist das Primat der Langlebigkeit. Das rührt wohl daher, dass die Volksgesundheit eigentlich nur mit Statistik zu tun hat. Zum größten Teil bedeutet die „Rettung“ eines Lebens durch staatliche Gesundheitsmaßnahmen, so sie denn mal funktionieren, weniger eine tatsächliche Lebensrettung als eine Veränderung der Todesursache. In einem Land wie Deutschland, wo die Lebenserwartung bei etwa 80 Jahren liegt, geht es darum, ob die Leute an einer Herzkrankheit, an Krebs, irgendeiner Kreislauferkrankung oder einem Schlaganfall sterben. Aber sie sterben in der Regel etwa zum gleichen Zeitpunkt. Wenn man sagt, man habe ein Leben vor einer Krebserkrankung gerettet, bedeutet das oft einfach, dass jemand drei Monate länger lebt, nur um dann an einer Herzkrankheit zu sterben. Aber rein statistisch gesehen, hat man ein Leben gerettet! Konkret bedeutet das nur einen sehr geringen Unterschied. Vor allem für die vermeintlich gerettete Person ist das ziemlich unbedeutend. Meiner Meinung nach kann das, was für eine Person unbedeutend ist, nicht wichtig für die Allgemeinheit sein.

Ich glaube, viele würden gerne das um 20 Prozent erhöhte Risiko für bestimmte Krebsarten in Kauf nehmen, wenn Sie dafür dem Genuss des mäßigen täglichen Trinkens frönen können. Der Nutzen des Alkoholkonsums ist jedenfalls groß genug für den Einzelnen, um dafür ein eigentlich recht geringes Risiko einzugehen, wenn man bedenkt, dass ihre unvermeidliche Sterberate ohnehin 100 Prozent beträgt. Auch hier ist es wieder nicht die Frage, ob ein Leben gerettet wird, es ist die Frage, woran jemand stirbt. Vieles hängt vom Zufall ab, und die Leute wissen das. Demnach ist es vollkommen rational, wenn die Leute alle möglichen ‚ungesunden‘ Sachen tun, sei es in den Bereichen Ernährung, Trinken oder Rauchen, bei der Ausübung einer Sportart oder wenn sie mit dem Auto unterwegs sein wollen. Nicht einmal Gesundheitsfanatiker versuchen, ihr Leben komplett risikofrei zu gestalten. Es ist also nicht eine Frage des Prinzips, sondern eine Frage der Menge.

Was sind die Rollen der Gesundheits-Lobbygruppen einerseits und der gewählten Politiker andererseits? Wer bestimmt das Vorgehen?

In Großbritannien überschneiden sich beide Gruppen in hohem Maße. Ich bin mir sicher, dass das in Deutschland genauso ist, und weiß genau, dass auf EU-Ebene dasselbe gilt. Es gibt einerseits eine Menge staatlich unterstützter Aktivisten und andererseits sehr wenige Graswurzelbewegungen ‚von unten‘ im Bereich der Anti-Rauchkampagnen. Deren bestehen auch nicht viele im Bereich des Antialkoholismus, wenn man von wenigen religiösen Gruppen absieht. Das gleiche finden wir beim Glücksspiel vor.

„Die moderne Gesundheitsbewegung ist extrem elitär“

Ein wesentlicher Grund für die viele Anti-Tabak-Reglementierung liegt in der staatlichen Förderung von Lobbygruppen durch die Regierung. Das unterscheidet sich stark von der Mäßigungsbewegung, die im frühen 20. Jahrhundert die Alkoholprohibition herbeigeführt hat. Zur Prohibition kam es erst nach vielen Jahren der Agitation durch Millionen von Überzeugten, die von einer relativ kleinen Gruppe, der Anti-Saloon-League, koordiniert wurden. Sie wurden nicht vom Staat bezahlt, aber sie verfügten über eine sehr große Anzahl von Mitgliedern, die ihnen das Geld gaben. Sie waren weniger ein winziges Grüppchen von Lobbyisten als eine echte Graswurzelbewegung. Als dann die Prohibition eingeführt wurde, ging ihr ein Referendum in ganz Amerika voraus. Die Verfassung wurde demokratisch geändert. Und als die Prohibition wieder abgeschafft wurde, wurde sie auf ebenso demokratischem Weg abgeschafft.

So etwas finden Sie bei der modernen Gesundheitsbewegung nicht. Sie ist extrem elitär und versucht nicht einmal, um freiwillige Spenden zu werben oder eine breite Bewegung von unten zu werden. Action on Smoking and Health (ASH), die wichtigste Anti-Tabak-Gruppe in Großbritannien z.B. besteht nur aus sechs Personen. Sie hat ihren Sitz im Zentrum Londons und betreibt ihre Lobbyarbeit nur an höchster Stelle. Es mag kaum überraschen, dass sie vom Gesundheitsministerium bezahlt wird. Im Grunde ist die Gesundheitsbewegung nur ein weiterer verlängerter Arm des Staates. Meiner Meinung nach ist es absolut falsch, dass der Steuerzahler für diese Organisationen aufkommen soll. Für mich sind Lobbygruppen in Ordnung, so lange sie sich aus freiwilligen Spenden finanzieren. Wenn sich diese Organisationen als irgendetwas anderes darstellen als eben eine Verlängerung des Staats, agieren sie unehrlich. Sie spielen alle dasselbe Spiel, sie arbeiten mit Politikern und Bürokraten zusammen, denn genau das sind sie in all ihren Absichten und Zielen: Bürokraten.

Lassen Sie uns einige neuere Entwicklungen betrachten. Die deutsche Bundesregierung hat kürzlich eine sogenannte Nudge-Unit (Projektgruppe „Wirksam regieren“) gebildet, um Befunde der Verhaltensökonomie zu nutzen. Man will in das Verhalten der Bürger eingreifen, ohne Zwang verwenden zu müssen. Ist dies das neue Gesicht des Paternalismus?

Nun, das hängt von Ihrer Definition des „Nudging“ ab. Ich bin doch eher ein Verteidiger des Buches Nudge [3], denn ich halte es eigentlich für ziemlich liberal. Die Politiker sollten nach der dort verwendeten Definition des Begriffs „Nudging“ handeln, denn das würde zum Abbau tausender Gesetze und einer freieren Gesellschaft führen. Das Problem des Nudging ist, dass viele, die den Begriff verwenden, noch nie das Buch gelesen haben. Oder, wenn sie das Buch gelesen haben, ihm nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. Darum verkaufen sie Sachen wie Tabakverpackungen ohne Gestaltung (Plain Packaging) als Nudges, obwohl es sich dabei um ein Verbot handelt. Selbiges gilt für Alkoholmindestpreise oder Werbeverbote. Es wird in dem Buch deutlich klargestellt, dass ein Verbot kein Nudge ist und auch nie ein Nudge sein kann.

„Die britische Nudge-Unit hat nichts vorzuweisen, verbraucht aber Steuergelder“

Nudges sind z.B. die Änderung der sogenannten Entscheidungsarchitektur bei Organspenden, um es den Menschen zu erleichtern, auf die Organspenderliste zu kommen. Es gibt dort keinen Zwang. Es dreht nur den Status quo um. In Wirklichkeit sind die meisten Nudges recht trivial. So etwas wie die Mücke im Urinal. Eine nette kleine Idee, die im Großen und Ganzen unbedeutend erscheint. Die Organspendeidee – man bekommt in Großbritannien ein Symbol auf den Führerschein, wenn man Organspender sein will – ist doch in Ordnung. Man bekommt die meisten Organe von den Motorradfahrern, also passt das doch. Aber es gibt ja gar nicht so viele Ideen, die der Staat auch anwenden kann. Wir haben in Großbritannien eine „Nudge-Unit“, die, soweit ich weiß, nichts vorzuweisen hat, dafür aber existiert und seit einigen Jahren Steuergelder verbraucht. Ich glaube nicht, dass sie irgendwas zustande bringt, das man einen Nudge im Sinne von Thaler und Sunstein nennen kann. Es könnte jedoch zu mehr paternalistischen Regulierungen kommen, die dann als Nudging bezeichnet werden.

Wie können wir uns als Bürger dem Gesundheitskreuzzug entgegenstellen?

Darauf habe ich eigentlich keine Antwort. Letztendlich reagieren die Politiker zu einem gewissen Grad auf die Öffentlichkeit, so ist es wie bei anderem auch: Machen Sie es wie Ihre Gegner und schreiben Sie an Ihren Abgeordneten, damit er sich dagegen ausspricht. Politiker interessieren sich in der Regel nicht für solche Sachen. Dort treten nicht viele leidenschaftlich dafür ein, dass Erfrischungsgetränke besteuert oder E-Zigaretten verboten werden sollten. Das sind politische Randthemen. Die wichtigsten Punkte sind traditionelle Fragen wie Arbeitslosigkeit oder Infrastruktur. Die Randthemen haben jedoch einen unverhältnismäßig großen Raum eingenommen.

Der Grund dafür ist, dass die Gesellschaft darüber eine Meinung hat. Viele Fragestellungen in der traditionellen Politik sind recht komplex und langweilig, daher haben viele Leute dazu keine Meinung. Zum Alkohol hat dagegen hat jeder eine Meinung, denn die meisten trinken ihn. Die meisten haben eine Auffassung zum Rauchen, egal ob sie nun selbst rauchen oder nicht. Und Essen betrifft sowieso jeden. Wie ich bereits gesagt habe, diesen Themen wird große Aufmerksamkeit geschenkt und sie machen ein oder zwei Politiker kurzzeitig berühmt, denn sie bringen uns auffällige Themen, wie Plain Packaging oder Rauchverbot. Aber für die Durchschnittsabgeordneten sind diese Dinge nicht so wichtig, nur wenn sie massenhaft E-Mails von Lobbygruppen erhalten, dann glauben sie, dass die Gesellschaft diese Gesundheitsmaßnahmen will und unterstützt. Also, wenn jemand das stoppen will, dann hilft es nicht rumzujammern: Man muss seinen Standpunkt klar vertreten.

Herr Snowdon, vielen Dank für das Gespräch!

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