30.08.2018

Für eine progressive EU-Kritik

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Thijs ter Haar ( CC BY 2.0 / bearbeitet)

Aktuell demonstriert „Pulse of Europe“ wieder für den Erhalt der Europäischen Union. Die Bewegung ist elitär und argumentativ schwach. Kritik an der EU ist nötig und darf nicht nur von rechts kommen.

Die Initiative Pulse of Europe, die von einem Rechtsanwaltsehepaar aus Frankfurt/Main gegründet wurde, organisiert seit November 2016 Pro-EU-Kundgebungen in deutschen Städten. Alle seien aufgerufen, den destruktiven und rückwärtsgewandten Tendenzen in Europa entgegenzutreten, heißt es auf der Website. Während die Organisatoren behaupten, für „Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, freiheitliches Denken und Handeln, Toleranz und Respekt“ einzutreten, bezeichnen sie ihre Gegner – d.h. diejenigen, die die EU nicht mögen – als Nationalisten und Populisten:„Rechtspopulisten und Brexitbefürworter [haben] viel zu lange und zu laut Stimmung gegen Europa gemacht.“ 1

Das so gezeichnete Schwarz-Weiß-Bild entspricht natürlich nicht der ganzen Wahrheit. Dass die Initiative stets von Europa spricht, obwohl die EU gemeint ist  („Europa darf nicht scheitern“), ist nur einer ihrer rhetorischen Tricks. Ein anderer ist die ständige Gleichsetzung von EU-Kritik mit Rechtspopulismus. Das ist erstens falsch, weil viele EU-Skeptiker nicht rechts sind. Und zweitens, weil rechtspopulistische Parteien viel weniger EU-kritisch sind, als hier insinuiert wird. Die Alternative für Deutschland (AfD) z.B. wurde zwar in Opposition zum Euro gegründet, hat aber nie für einen Austritt Deutschlands aus der EU geworben. Auch hat sich ihre Priorität seit den Gründungszeiten stark in Richtung einer Anti-Immigrationspolitik verschoben. Ihr derzeitiger Vorsitzender, Alexander Gauland, behauptete nach dem Brexit, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die Briten aus der Gemeinschaft vertrieben und sprach sich gegen eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft in Deutschland aus.  

Die einfache Gleichsetzung von Anti-EU mit rechts dient sichtlich dazu, die eigenen inhaltlichen Schwächen zu überspielen. „‚Pulse of Europe‘ tut niemandem weh, konkrete Forderungen stellen seine Macher bewusst nicht, ein politisches Programm gibt es nicht“, heißt es in einem eher wohlwollenden Zeitungsbericht. Statt politischer Argumente gibt es moralische Reflexe. Ein Werbevideo spricht davon, die Menschen „im Herzen“ berühren zu wollen. Doch das wird auf Dauer kaum reichen, um die EU glaubhaft zu verteidigen. Die Tendenz, EU-Skeptiker zu dämonisieren und sie als rechtsradikal abzutun, wird seit vielen Jahren von EU-Repräsentanten forciert. Schon seit den 1970er-Jahren sei es in Europa immer schwieriger geworden, die EU zu kritisieren, ohne als verrückter Rechtsfaschist, Rassist oder Nationalist zu gelten, schrieb die Anthropologin Maryon McDonald 2005, nachdem sie Interviews mit Mitarbeitern der Kommission in Brüssel durchgeführt hatte. 

„Obwohl viele normale Bürger die EU zunehmend kritisch sehen, spiegelt sich dies nicht in der Parteienlandschaft wider.“ 

Es ist kaum verwunderlich, dass Pulse of Europe viel Lob von offizieller Seite erhalten hat. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) würdigte die Initiative in seiner Antrittsrede und Innenminister Heiko Maas (SPD) warb für sie auf Twitter. Auch mit allerlei Preisen wurde sie bedacht. Allein im Jahr 2017 erhielten die Gründer, Daniel und Sabine Röder, den Bürgerpreis der deutschen Zeitungen, den Marion-Dönhoff-Förderpreis der Zeit oder die Goldene Victoria des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger. Im Februar 2018 folgte die Auszeichnung als „Mensch des Respekts“ des Landes Hessen. Die Laudatio bei der Verleihung des Bürgerpreises hielt Wolfgang Schäuble (CDU) und bei der Verleihung der Goldenen Victoria sprach Roland Jahn, Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. 

Der Popularität bei Politikern und Teilen der Presse steht jedoch kein entsprechender Erfolg bei den Kundgebungen gegenüber. Zwar nahmen zeitweise, wie die Nachrichten berichteten, „Tausende“ an Pulse of Europe Veranstaltungen teil, doch seit den Hochzeiten (im Frühjahr 2017) gehen die Zahlen zurück. In Frankfurt/Main, wo am Anfang 3000 Menschen dem Aufruf folgten, sollen zuletzt nur noch 600 und weniger dabei gewesen seien. Die Initiative, die schreibt, sie wolle die „schweigende Mehrheit“ aufrütteln, spricht nur wenige Personen an. Die Politologin und EU-Aktivistin Ulrike Guérot sprach von einem Kaffeekränzchen der durch die EU privilegierten Schichten. 

Wenn auch vieles von dem, was Pulse of Europe verbreitet, nicht stimmt, so sticht doch eines als besonders falsch hervor: Die Behauptung, zu viele Politiker hätten schon zu lange eine Anti-EU-Kampagne betrieben. Anders als beim Thema Immigration, wo die Spannungen auch innerhalb der Parteien offen ausgetragen werden, besteht beim Thema EU ein starker Konsens. Obwohl viele normale Bürger die EU zunehmend kritisch sehen, spiegelt sich dies nicht in der Parteienlandschaft wider. Selbst die Linkspartei, die auch eurokritisch ist, hat sich bei den Bundestagswahlen 2017 darauf beschränkt, an die EU zu appellieren, „sozialer und demokratischer zu werden“. Damit befindet sie sich auf einer Linie mit Pulse of Europe und anderen, die meinen, dass die Europäische Union reformiert werden müsse, was jedoch einem Wunschdenken entspricht.  

„Der Aufstieg der Rechtspopulisten war eine Konsequenz der Politik, die jede ernsthafte Kritik an der EU zu einem Tabu erklärt hatte.“ 

Tatsächlich war es die fehlende Opposition zur Politik Angela Merkels und ihrer Handhabung der Euro-Schuldenkrise, die zur Entstehung der AfD geführt hat. Gegründet wurde die Partei 2013 vom Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, nachdem auch die Opposition im Bundestag – mit Ausnahme der Linkspartei, die dagegen stimmte –, Merkels Diktum der Alternativlosigkeit akzeptiert hatte. Selbst die Mehrheit der Grünen und der SPD beschränkte sich auf eine Enthaltung. Wähler, die diese Politik nicht unterstützen, aber nicht Die Linke wählen wollten, hatten fortan keine Stimme mehr im Bundestag. Dissidenten wie Herta Däubler-Gmelin (SPD), Peter Gauweiler (CSU) oder Wolfgang Bosbach (CDU), die Protest anmeldeten und gegen den „Rettungsschirm“ klagten, wurden von ihren eigenen Parteien isoliert. Der Soziologe Philip Manow sprach 2012 von einer „Pro-EU-Überbietungskonkurrenz“ zwischen Regierung und Opposition, die zu einem Gefühl der „kompletten Ohnmacht des eigentlich demokratischen Souveräns“ geführt habe. 2

Entgegen der Darstellung von Pulse of Europe war der Aufstieg der Rechtspopulisten eine Konsequenz der Politik, die jede ernsthafte Kritik an der EU zu einem Tabu erklärt hatte. Die Gleichsetzung einer Anti-EU-Haltung mit dem Rechtspopulismus hat nur der AfD genützt. Sie profitierte davon, dass sie zur Vertreterin des Euroskeptizismus erklärt wurde und es keine anderen, ernsthafteren, Alternativen gab. Dass die Partei trotzdem nicht einmal in der Lage war, dieses Thema vollständig für sich in Anspruch zu nehmen, zeigt ihre Beschränktheit. Ein ähnliches Phänomen erleben wir in anderen Ländern, wo die sogenannten Rechtspopulisten viel von der berechtigten EU-Kritik aufgreifen konnten. Nach ihren Interviews 2005 schrieb die Anthropologin McDonald: „Das Schlimme [an der Gleichsetzung von EU-Kritik mit Rechtsradikalismus] ist, dass die EU den neonationalistischen Rassismus in Europa im wahrsten Sinne des Wortes gefördert hat. Das schien oft der einzige Raum zu sein, in dem Kritik an der EU möglich war. Ein neuer Raum der ernsthaften Kritik ist daher dringend erforderlich.“ 

„Die EU wird das nächste Ziel der Rechtspopulisten“, hieß es in einem Artikel im Herbst 2017, nachdem Sebastian Kurz von der ÖVP die Wahl in Österreich gewonnen hatte. Doch was uns hier als zwei gegensätzliche Pole der Politik – EU auf der einen, Rechtspopulismus auf der anderen Seite – präsentiert wird, ist sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick scheint. Wer ein Interesse an demokratischem Pluralismus hat, muss der Rhetorik von Pulse of Europe und anderen EU-Verteidigern, die jede Kritik als nationalistisch und rechts abtun, entgegentreten. 

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